S. Lässig u.a. (Hrsg.): Projekte im Fach Geschichte

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Titel
Projekte im Fach Geschichte. Historisches Forschen und Entdecken in Schule und Hochschule


Herausgeber
Lässig, Simone; Pohl, Karl Heinrich
Erschienen
Schwalbach/Ts 2007: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 22,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Heuer, Geschichte und ihre Didaktik, PH Freiburg

Projekte haben Konjunktur. Unter dem Oberbegriff einer neuen, konstruktivistisch inspirierten Lernkultur und mit Schlagwörtern wie „Praxisorientierung“, „fachspezifische und fächerübergreifende Kompetenzen“, „Schlüsselqualifikationen“ und „soziale Kompetenzen“, wie sie vor allem die Umstrukturierung des Bildungswesens im Zuge des Bologna-Prozesses begleiten, gewinnt das Projektlernen in der Schule, aber auch an Hochschulen und Universitäten eine immer größere Bedeutung. Den zahlreichen Unkenrufen und Diskussionen um Effektivität, Aufwand und Motivation zum Trotz, wird das Lernverfahren innerhalb der Geschichtsdidaktik spätestens seit Beginn der 1980er-Jahre – zumeist zwischen den Polen „Größenwahn oder Königsweg“1 – diskutiert und gehört seitdem zu den Standardmethoden eines sich als modern verstehenden Geschichtsunterrichts.

Das Projekt ist damit, zumindest theoretisch, fester Bestandteil historischen Lernens und Lehrens, gleichwohl es an publizierten „good-practice“-Beispielen besonders aus dem Bereich der universitären Lehre mangelt. Diese Lücke versucht der vom Kieler Geschichtsdidaktiker Karl Heinrich Pohl und der Direktorin des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, Simone Lässig, herausgegebene Band zu schließen. Die Publikation geht dabei auf eine geschichtsdidaktische Sektion des Kieler Historikertages aus dem Jahr 2004 zurück. Ergänzt und komplettiert werden die dort gehaltenen Beiträge durch eine Reihe von Projektberichten, wobei es den Herausgebern in erster Linie darum geht, „eine Lanze für realitätsnahe Projekte in der schulischen, aber auch der universitären Lehre zu brechen“ (S. 5f).

Vorgelegt werden elf Berichte aus unterschiedlichen Bereichen, die zwischen schulischem historischen Lernen, universitärer Lehre und projektdidaktischer Grundlegung angesiedelt sind und dabei dem Potenzial historischer Projektarbeit sowohl aus der Perspektive von Lehrenden als auch von Lernenden nachgehen. So behandelt ein Beispiel die bessere Verzahnung von Studium und Beruf (Gerd Schwerhoff) und die Chancen, die sich für eine Verbesserung der ersten Phase der Lehramtsausbildung durch (selbst)reflektierte Projektarbeit mittels „Brückenprojekten“ ergeben können (Michaela Hänke-Portscheller). Der Bericht von Karl-Heinrich Pohl und einem studentischen Team (Knud Andresen et alii) behandelt die BA/MA-Reform am Historischen Seminar der Universität Kiel und verdeutlicht dabei die Schwierigkeiten und Enttäuschungen, in diesem Fall hochschulpolitisch intendierter Projektarbeit.

Dass gerade außerschulische und außeruniversitäre Lernorte die Qualität von Projektarbeit erhöhen können, zeigen die sehr lesenswerten Darstellungen von Rolf Schulte und Uwe Horst. So wurde in einem Projekt zur deutschen Okkupationspolitik in Frankreich und die Résistance-Bewegung im Département Drôme die Kopfarbeit im Hörsaal durch Feldarbeit vor Ort erweitert, um den „theoretischen Anspruch mit Anwendungs- und Praxisbezügen“ (S. 75) zu verknüpfen. Rolf Schulte spricht sich in diesem Beitrag für die breite Einführung von Projekten aus und fordert damit eine „deutlichere Adressatenorientierung“ akademischer Lehre. Auch Uwe Horst, lange Jahre am Oberstufen-Kolleg Bielefeld zuständig für das Fach Geschichte, plädiert für die Partizipation der Beteiligten an gemeinsamen Lernprozessen durch historische Projektarbeit. Er schildert die Erfahrungen mit projektähnlichen Vorbereitungen von Exkursionen durch Bielefelder Kollegiaten, die sicherlich an der staatlichen Regelschule nicht in diesem Maße zu realisieren sind (z. B. Exkursion nach Südafrika). Dennoch könnten damit Anstöße gegeben werden, um dem meist unsäglichen Exkursionstourismus ein „lehrreiches“ Modell entgegen zu stellen.

Auch der längst überfällige „Brückenschlag zwischen Lebenswelt und Geschichte“ 2 lässt sich anhand von Projekten vollziehen. Als geeignete Institutionen und Medien der öffentlichen Geschichtskultur stehen hier exemplarisch das Dorfmuseum in Sehestedt (Karl Heinrich Pohl/Christine Wolff), das Schulmuseum Dresden (Sonja Koch) oder die Konzeption eines Online-Quiz zum 45. Historikertag (Christian Bruckbauer/Wiebke Schirrow). „Es geht um die enge Verknüpfung von Lehre und Forschung mit der Lebenspraxis, wobei die Studentinnen und Studenten zu Akteuren werden und so ihre theoretischen Erkenntnisse aus der Universität in der Praxis erproben können.“ (S. 48)

Eher marginal werden Bedeutung und Möglichkeiten der historischen Projektarbeit für die Schule angesprochen. Neben dem bereits erwähnten Aufsatz von Uwe Horst sind es lediglich zwei Beiträge, die in realiter durchgeführte Projekte im Geschichtsunterricht thematisieren. Ralf-Gunnar Rathlau beschreibt ein Projekt innerhalb eines Leistungskurses zum „Bismarck-Mythos“ und Susanne Falkson ein „Oral-History-Projekt“ zum Nationalsozialismus, durchgeführt in einer 9. Gymnasialklasse. Hier offenbart sich zugleich einmal mehr die nicht länger hinnehmbare „gymnasiale Schräglage der Geschichtsdidaktik“ 3, denn wieder einmal fehlen Beispiele für gelungene Lernarrangements aus der Sekundarstufe I der Haupt- bzw. Realschulen, die Modellcharakter für diese Schulformen übernehmen könnten.

Dass die von den Herausgebern intendierte Projektpragmatik auf Kosten der Selbstlenkung durch die Lernenden selbst geht (und wohl auch gehen muss), wird klar, wenn man sich die veränderten Studien- und Lernbedingungen (Zeitdruck, „Turbo-Abitur“ bzw. Zentralabitur, Standards etc.), unter denen diese Methode durchgeführt werden soll, in Rechnung stellt (S. 11f). Insofern besteht auch die Gefahr, dass der Projektbegriff „verwässert“ wird. Denn die Selbstlenkung der Lernenden zu beschneiden, pervertiert in der Konsequenz den ursprünglichen Ansatz, in deren Folge sich die Projektarbeit „reibungslos in einen sehr traditionellen Unterricht einverleiben“4 ließe.

Auch für die hier vorgestellten Projekte gilt einmal mehr, was der Pädagoge Jürgen Oelkers bereits vor zehn Jahren konstatierte: „Was die Projektmethode letztlich beschreibt, ist eine Sicht des Lehrens und Lernens, die sich theoretisch wie praktisch von der Lehrplanschule nicht nur unterscheidet, sondern diese radikal in Frage stellt.“ 5 Somit muss klar sein, dass es bei der Projektarbeit als Lernform nicht allein um Kosten-Nutzen-Rechnungen oder um gesteuerte Kompetenzgewinne geht. Denn Projektlernen meint letztlich mehr als nur die „angemessene Antwort auf Kompetenzanforderungen in der Arbeitswelt“ (S. 161). Es beinhaltet auch eine rein normative Seite und impliziert die dringliche Frage, wie in einer Demokratie gelernt werden soll, um die Entwicklung von selbstständigen Persönlichkeiten zu fördern. Dieser pädagogische Aspekt wird leider in den meisten Beiträgen nicht sichtbar.

Hier wäre die Chance für eine konsequentere Betrachtung dieser methodischen Großform gegeben gewesen, einer Betrachtung, die dem demokratischen und pädagogischen Inhalt gerechter würde und eine wirkliche Neukonzeption „historischen Lernens im 21. Jahrhundert“ darstellen könnte.

Trotz dieser Kritik bleibt der besprochene Sammelband, was er ist: ein, abgesehen von der mangelhaften Übersetzung des Beitrages von Vincent Danetta, gut lesbares Buch zur praktischen Umsetzung historischen Projektlernens an Schule und Hochschule.

Anmerkungen:
1 Borries, Bodo von, Historische Projektarbeit. „Größenwahn“ oder „Königsweg“, in: Dittmer, Lothar; Siegfried, Detlef (Hrsg.), Spurensucher. Ein Praxisbuch für historische Projektarbeit, überarb. u. erw. Neuauflage, Hamburg 2005, S. 333-350.
2 Kuss, Horst, Geschichtskultur im Geschichtsunterricht. Eine neue Chance für historisches Lernen, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 29 (2001) 1/2, S. 10-21, hier S. 11.
3 Borries, Bodo von et al., Schulbuchverständnis, Richtlinienbenutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht. Eine qualitativ-quantitative Schüler- und Lehrerbefragung im Deutschsprachigen Bildungswesen 2002, Neuried 2005, hier S. 11.
4 Gudjons, Herbert, Was ist Projektunterricht?, in: Bastian, Johannes; Gudjons, Herbert (Hrsg.), Das Projektbuch. Theorie – Praxis – Beispiele – Erfahrungen. 4. Aufl. Hamburg 1991, S. 14-27, hier S. 15.
5 Oelkers, Jürgen, Geschichte und Nutzen der Projektmethode, in: Hänsel, Dagmar (Hrsg.), Handbuch Projektunterricht, Weinheim u.a. 1997, S. 13-31, hier S. 14.

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