Cover
Titel
Birthing a Slave. Motherhood and Medicine in the Antebellum South


Autor(en)
Jenkins Schwartz, Marie
Erschienen
Anzahl Seiten
401 S.
Preis
€ 21,87
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Kramer, GIGA German Institute of Global and Area Studies, Hamburg

Marie Jenkins Schwartz erschließt mit ihrer Studie "Birthing a Slave" einen neuen Aspekt der Geschichte der Sklaverei in den USA. Durch die Verknüpfung von Medizin- und Sozialgeschichte eröffnen sich Einblicke, welche die Machtgefüge der Sklaven haltenden Südstaatengesellschaft neu ausleuchten. 1808 hatte der Kongress die Beteiligung der USA am internationalen Sklavenhandel beendet. Unter dieser Voraussetzung war die Sklaverei nur aufrechtzuerhalten, wenn nicht nur die produktiven, sondern auch die reproduktiven Fähigkeiten von Sklavinnen ausgebeutet wurden. Jenkins Schwartz zeigt auf, wie master und mistress in das Intimste von versklavten Personen eingriffen und wie SklavInnen es dennoch schafften, sich gewisse Freiräume zu erhalten. Dabei verortet sie Mediziner, medizinische Versorgung und medizinische Forschung zwischen diesen beiden Parteien. Der Arzt wurde nur gerufen, wenn keine andere Lösung gesehen wurde. Für Ärzte im Süden war die Behandlung von SklavInnen eine wichtige Einnahmequelle und eine wertvolle Gelegenheit, sich zu erproben. Durch diese Erfahrung konnten sie hoffen, als angesehener Arzt auch Weiße behandeln zu dürfen oder gar in die hohe Sklavenhaltergesellschaft aufgenommen zu werden. Auf den Plantagen waren sie auch der mistress untergeordnet.

Jenkins Schwartz' Quellen sind hauptsächlich Aufzeichnungen und veröffentlichte Bücher von Ärzten sowie medizinische Zeitschriften und Ratgeber. Zusätzlich wertet sie allgemeinere Zeitschriften aus, in denen auch Plantagenbesitzer ihre Erfahrungen darlegten. Durch diese Literatur informierten sich Sklavenhalter, um ihre Betriebe optimieren zu können. Es wird deutlich, dass es als erklärtes Ziel galt, eine Farm so autark wie möglich zu führen. Dieses schloss die medizinische Versorgung ihrer Bewohner ein. Darüber hinaus lässt Jenkins Schwartz ehemalige SklavInnen durch Interviews zu Wort kommen, die in den 1930er-Jahren von der US-Regierung mit noch lebenden ZeitzeugInnen durchgeführt wurden. Die folgenden Bereiche reproduktiver Gesundheit werden in vielen Einzelbeispielen angeführt: Fortpflanzung, Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Geburt, postnatale Komplikationen, gynäkologische Chirurgie, Krebs und andere Tumore. Ein abschließendes Kapitel ist der Situation nach der Befreiung der SklavInnen gewidmet. Da Sklavenhalter durch die Emanzipation ihren Besitzanspruch auf African-Americans verloren, gaben sie auch ihr Interesse auf, diese gesund und leistungsfähig zu halten. Zugang zu Gesundheitsversorgung wurde ihnen aus finanziellen und rassistischen Gründen zusätzlich erschwert. Die vorher von der weißen Gesellschaft so vehement vorangetriebene Fruchtbarkeit wurde unter den neuen Arbeitsverhältnissen als hinderlich eingestuft.

Auch während der Sklaverei war die Medizin der weißen Gesellschaft nicht um das Wohlergehen der Sklavinnen und Sklaven bemüht, sondern richtete sich nach den Vorgaben ihrer Besitzer. In der rassistischen Vorstellung der weißen Gesellschaft galten schwarze Frauen als besonders fruchtbar und zusätzlich als besonders schmerzresistent (analog dazu führte die vermeintlich "höhere Zivilisiertheit" weißer Frauen zu deren gesteigerter Empfindlichkeit). SklavInnen wurden zur Arbeit gezwungen, ihnen konnte Nahrung verweigert werden, sie konnten ungestraft gezüchtigt und vergewaltigt werden. Jenkins Schwartz konstatiert (obsoleterweise), dass SklavInnen keine uneingeschränkte Kontrolle über ihre Körper hatten, da als wertvoll und damit schützenswert nur jene angesehen wurden, die besonders hart arbeiten konnten oder schnell viele Kinder bekamen. Eine gute "Gebärmaschine" konnte auf dem Sklavenmarkt hohe Preise erzielen. Unfruchtbarkeit dagegen wurde mit Verkauf oder zusätzlicher Arbeit geahndet. Um auch den höchst intimen Lebensbereich der Fortpflanzung zu kontrollieren, arrangierten Sklavenbesitzer mehr oder weniger freiwillige Paarungen. Manche verfolgten dabei regelrechte "Zuchtkonzepte". Für SklavInnen waren diese vermittelten Lebensgemeinschaften unter Umständen die einzige Gelegenheit, eine Familie zu gründen und so etwas Eigenes und Privates zu haben – auch daher ließen sie sich darauf ein. "Not all slaves accepted planter matchmaking docilely, but the willingness of some couples to mate under such circumstances is not hard to understand given that the majority of enslaved people wanted to marry and have families. The constraints that enslavement placed upon a man's or woman's ability to choose a spouse rendered marriage difficult." (S. 16) Erzwungener Sex durch weiße Männer wird als Thema nur vage angedeutet, obwohl es eng mit der systematischen Unterwerfung der SklavInnen zusammenhängt.

Die Medizin entwickelte im 19. Jahrhundert neue Vorstellungen über Frauen und "entdeckte" sie dabei geradezu als Forschungsobjekt. Mediziner wollten sich als Experten auf dem Gebiet weiblicher Körper und Gesundheit profilieren. Schwangerschaften wurden zu einem biologischen Zustand, der von Männern der Wissenschaft reguliert werden musste. Der Stand der Medizin und der medizinischen Ausbildung, wie er in "Birthing a Slave" dargestellt wird, öffnet den Blick auf das damalige Verständnis von Krankheit und Tod und von der Aufgabe, eine Bevölkerung gesund zu halten. Im Falle von Sklavinnen waren es allerdings ihre Besitzer, die als Klienten angesehen wurden, nicht die Patientinnen. An ihnen konnten auch ungeübte Ärzte Erfahrungen sammeln, oder es wurde an ihnen experimentiert, um das Ansehen und das Vertrauen der weißen Gesellschaft zu erreichen. Über die Köpfe der schwarzen Frauen hinweg wurde ihr "Schicksal" zwischen dem Geltungsbedürfnis und der Neugierde weißer Ärzte und der Sorge um die Profite ihrer weißen Besitzer entschieden. Sie selbst hatten nur wenige Möglichkeiten, sich diesen oft brutalen und experimentellen Eingriffen zu entziehen. Sie schafften dies nur, wenn sie ihren Gesundheitszustand verbergen oder durch eigene Heilmethoden verbessern konnten. Dies galt auch für Versuche, Familienplanung im Rahmen des Möglichen selbst zu steuern.

Viele Thesen der Sklavereiforschung finden hier Anklang, so die doppelte körperliche Ausbeutung der versklavten Frau und das paternalistisch fürsorgende Bild, das auch durch die medizinische Versorgung der SklavInnen von ihren Besitzern vermittelt wurde. Neu ist, wie weit die reproduktive Ausbeutung ging, dass schwarze Frauen als Versuchsobjekte medizinischer Forschung herhalten mussten und so die weiße Gesellschaft erneut von deren entmenschlichender Unterwerfung profitierte, und dass auch Mediziner keinerlei Respekt vor den Körpern und Wertvorstellungen der SklavInnen hatten, die ihnen anvertraut wurden. Auch ihre Toten wurden von Erforschung nicht verschont, obwohl sich African-Americans häufig gegen eine Obduktion aussprachen. Den Lebenden wurde meist keine ärztliche Verschwiegenheit zuteil, obwohl diese bei weißen Patienten selbstverständlich war. Ihre Geschichten wurden zum Teil detailliert veröffentlicht. So ist das vorliegende Buch mehr eine Studie über Entwicklungen und Vorstellungen in der weißen Medizin, als über die der SklavInnen. Sicherlich ist dies auch der Quellenlage geschuldet. Mary Jenkins Schwartz berichtet von ärztlichem Verhalten, das nach heutigen Maßstäben entrüstet; sie versäumt aber meist, die ethischen Vorgaben der Zeitgenossen zu benennen. Ihre Erzählung bleibt beispielhaft (durch den Fokus auf medizinische Problemfälle wirkt das Berichtete häufig kurios) und ist beschreibender als analytisch. Leider bleibt die Analyse der sich offenbarenden machtvollen Verstrickungen und Abhängigkeiten dabei auf der Strecke. Einige spannende Überlegungen werden zwar aufgeworfen, dann aber nicht weiter diskutiert. Dessen ungeachtet ist dieses Buch ein Vorstoß in einem enorm aufschlussreichen Aspekt des im 19. Jahrhundert vorherrschenden Menschenbildes: eine Grundlagenarbeit, die viele weitere Studien nach sich ziehen sollte.

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