H. Wolf u.a. (Hrsg.): Ökumenische Kirchengeschichte III

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Titel
Ökumenische Kirchengeschichte III. Von der Französischen Revolution bis 1989


Herausgeber
Wolf, Hubert; Kaufmann, Thomas; Kottje, Raymund; Moeller, Bernd
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 64,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Schmidtmann, Werne

Im Bereich der neueren und neusten Geschichte stand die Teildisziplin der Kirchengeschichte lange Zeit am Rande des wissenschaftlichen Interesses. In den Augen vieler "Profanhistoriker" waren die letzten zwei Jahrhunderte eine Zeit des religiösen Verfalls und der „Säkularisierung“. Religion erschien als „überholtes“ und auch sehr fremdes Phänomen, als bloßer Hemmschuh einer durchgreifenden „Modernisierung“, das spätestens im 20. Jahrhundert jegliche Relevanz verloren hatte. Auf der anderen Seite kann durchaus von einer Selbstmarginalisierung gesprochen werden. Über Jahrzehnte fand die Kirchengeschichtsschreibung beider Konfessionen nicht den Anschluss an das in der "Profangeschichte" erreichte theoretische und methodische Diskussionsniveau, sondern bediente die Sinnstiftungsbedürfnisse der eigenen Klientel oder verharrte in positivistisch biederer Darstellung von Werk und Leben „großer (Kirchen)männer“.1 Beides hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend geändert. Zum Einen entwickelten viele "Profanhistoriker" im Zuge des „cultural turns“ ein reges Interesse an religiösen Phänomenen und zeigten deren Relevanz für die allgemeine Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts auf. 2 Mit innovativen methodischen Zugriffen konnten sie selbst auf den ersten Blick rein kircheninternen Prozessen und theologischen Spezialdiskussionen Facetten abgewinnen, die jenseits der engeren Spezialistenkreise auf Beachtung stoßen.3 Zum Anderen öffnete sich auch die Kirchengeschichtsschreibung für neue methodische Ansätze. Sie überwindet allmählich die kirchliche Zentrierung und Adressierung ihrer Arbeiten zugunsten eines breiten Blicks auf alle religiösen Phänomene, wobei konfessionsübergreifende Zugriffe bedauerlicherweise noch eine Ausnahme darstellen.4

Leider hat sich dieser Aufbruch im hier zu besprechenden vom Münsteraner katholischen Kirchenhistoriker Hubert Wolf herausgegebenen dritten Band der Ökumenischen Kirchengeschichte kaum niedergeschlagen. Schon der Titel führt in die Irre, werden doch katholische und evangelische Kirche in völlig unabhängigen Kapiteln von den Autoren Kurt Nowak, Hubert Wolf, Jochen-Christoph Kaiser und Josef Pilvousek abgehandelt. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei auf der Geschichte der beiden großen Konfessionen in Deutschland, wenig wird auf andere europäische Länder, fast gar nicht auf transnationale Verflechtungen oder die außereuropäische Geschichte eingegangen. Ein kurzes, von Daniel Benga, Thomas Bremer, Hacik Rafi Gazer und Viorel Ionita verantwortetes Kapitel, das die sonstige zeitliche Beschränkung des Bandes sprengt, stellt die Entwicklung der Ostkirchen vom Bilderstreit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dar.

Bereits in der Gliederung des Bandes ist die Konventionalität der Darstellung erkennbar. Während etwa die kürzlich erschienene Cambridge History of Christianity den Stoff problem- und fragenorientiert strukturiert und bis in die Kapitelüberschriften hinein die Relevanz des Christlichen aufzeigt5, wird hier die Geschichte der beiden Kirchen fast durchgängig orientiert an Ereignissen streng chronologisch abgearbeitet.

Entsprechend erfährt man in dem Buch aus meist konzentriert kirchlicher Perspektive in zuweilen ermüdender Detailverliebtheit und großer Deskriptivität eine Menge über das Handeln wichtiger Kirchenmänner, die politische Interaktion zwischen Staat und Kirchen, das Denken einzelner Theologen, kirchenpolitische Streitfragen und die institutionelle Verästelungen besonders innerhalb der evangelischen Kirchen. Die Einnahme kontroverser Positionen wird dabei durchgängig vermieden. Wenig erfährt man allerdings über die mentalitätsprägende Wirkung von Religion, den Wandel des „Christlichen“, über die Wechselwirkung von Religion und Welt, über religiöse Lebenswelten, länder- und konfessionsübergreifende Problemlagen, Mechanismen der Vergesellschaftung und die Sozialgestalt des Glaubens. Kategorien wie Geschlecht oder Generation, die sich in den letzten Jahren als außerordentlich fruchtbar für die Erforschung religiösen Wandels erwiesen haben, spielen nur im Einzelfall eine Rolle. Die weitgehende Missachtung derzeit diskutierter Themen und Fragestellungen gilt besonders für die Beiträge, die sich mit dem 20. Jahrhundert beschäftigen und etwa im Falle der katholischen Kirche einen institutionszentrierten Blick verfolgt, der weit hinter den längst erreichten Forschungsstand zurückfällt.

So dürfte der allgemeinhistorisch interessierte Leser zuweilen große Mühe haben, sich die Relevanz des Geschilderten zu vergegenwärtigen. In der vorliegenden Form ist die ökumenische Kirchengeschichte in weiten Teilen für eine Leserschaft vor allem binnenkirchlich Interessierter geschrieben. Als Nachschlagewerk mag das Handbuch hier gute Dienste leisten, zumal dieser Gebrauch durch das detaillierte Inhaltsverzeichnis und ein gutes Personenregister sehr erleichtert wird. "Profanhistoriker", die sich für Religion als Teil einer weitgespannten Gesellschafts- und Kulturgeschichte interessieren, müssen auf einen fundierten deutschsprachigen Überblick der neueren Geschichte des Christentums allerdings noch weiter warten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Holzem, Andreas, Gesslerhüte der Theorie? Zu Stand und Relevanz des Theoretischen in der Katholizismusforschung, in: Doering-Manteuffel, Anselm; Nowak, Kurt (Hrsg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden (Konfession und Gesellschaft, Bd. 8), Stuttgart 1996, S. 180-202.
2 Bahnbrechend war hier Blackbourn, David, Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei. Marienerscheinungen in Marpingen - Aufstieg und Niedergang des deutschen Lourdes, Reinbek b. Hamburg 1997.
3 Etwa Ziemann, Benjamin, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften 1945-1975 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 175), Göttingen 2008.
4 Vgl. etwa die Forschergruppe Transformation der Religion in der Moderne in Bochum, <www.fg-religion.de>.
5 Etwa „The churches and National Identities“, „Narratives of change“, „Social and cultural impact“. Vgl. Mc Leod, Hugh (ed.), The Cambridge History of Christianity, Vol 9: World Christianities c.1914-c.2000, Cambridge 2006.

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