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Titel
Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung


Autor(en)
Roper, Lyndal
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
470 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Walz, Ruhr-Universität Bochum

Das bereits 2004 auf Englisch erschienene Buch der bekannten Historikerin konzentriert sich auf Hexenverfolgungen im ober- und ostschwäbischen Raum (Nördlingen, Augsburg, Marchtal) vom 16. bis ins 18. Jahrhundert und bezieht dörfliche und städtische Prozesse ein. Zunächst wird der Prozess gegen Ursula Götz, Marchtal, vorgestellt, wobei schon das Hauptthema des Buchs angeschlagen wird: der Zusammenhang der Hexenverfolgungen mit Reproduktion und demographischen Problemen (S. 22f.). Danach schildert Roper die „barocke Landschaft“, wobei vor allem die geistlichen Territorien mit ihren verheerenden Prozessen (Bamberg, Würzburg) behandelt werden, dann aber auch das kleine Marchtal und die Verhältnisse in den Reichsstädten Augsburg und Nördlingen. Die Hexenprozesse dieser Territorien werden kurz umrissen, aber es wird auch der Kampf der Geistlichen (hier sogar Delrio) gegen den Aberglauben des Volkes geschildert. Dabei stellt Roper schon die zentrale Frage, warum vor allem Frauen verfolgt wurden, und gibt auch gleich die Antwort: Die Zerstörung der Fruchtbarkeit durch die Hexen erklärt die Dominanz der Frauen (S. 54). Schließlich werden in diesem Kapitel noch der Zusammenhang zwischen Hexenverfolgungen und Judenverfolgungen und die unterschiedliche Bedeutung der Magie für die Konfessionen erörtert.

Danach behandelt Roper Verhör und Folter, wobei sie versucht, die Entstehung einer Beziehung zwischen Verhörenden und Angeklagten darzustellen. Sehr unvermittelt stehen sich hier die Aussagen gegenüber, dass die Verhörenden für letztere zur Vaterfigur wurden, andererseits die ‚Hexen’ für die Verhörenden keine Menschen mehr gewesen seien (S. 84 und 7). Wie wenig sich die Folterpraxis änderte, zeigt die Schilderung des Falles von 1747. Vorurteile werden allerdings bedient, wenn Neidgefühle gegenüber der Hexe als treibende Kraft der Prozesse nicht etwa nur bei den in der Regel auf gleicher sozialer Stufe stehenden Geschädigten, sondern bei den Prozessführenden dargestellt werden (S. 94).

In den folgenden Kapiteln werden Kannibalismus, Teufelsbuhlschaft und Hexensabbat als die wichtigen Elemente der Hexenvorstellung erörtert. Die Beziehung des Abendmahls zum Kannibalismus ist seit Freud ein Topos. Wenn man solche Beziehungen konstruiert, sollte schon der Fehler vermieden werden, das lutherische Abendmahlsdogma so missverständlich darzustellen, als ob das Luthertum doch an der Transsubstantiation festgehalten habe (S. 108). Ein Blick in Luthers De captivitate babylonica hätte über das Verhältnis der verschiedenen Substanzen belehrt. Etwas zu viel des Psychologisierens wird dem Leser zugemutet, wenn Roper behauptet, die Nähe von Hexen und Anklägern erkläre sich aus der Identifikation mit den kannibalistischen Hexen (S. 118). Ein Hinweis auf die gerade in Städten (Lemgo!) zu findende Funktionalisierung des Hexenglaubens für politische Auseinandersetzungen hätte es auch getan. Das Thema Kannibalismus wird in dieser Arbeit völlig überzogen.

Beim Hexensabbat geht es notwendigerweise wieder um die Beziehung zwischen den Angeklagten und den Verhörführenden. Hier wird vieles richtig gesehen, aber die Lage der Frauen, die oft zur Vermeidung weiterer Folter erraten mussten, was jene hören wollten, wird nicht adäquat dargestellt. Die Dramatik der Befragungen über Teufelsbuhlschaft und Sabbat wird nicht recht deutlich. Ja, wenn Roper die Geständnisse der Frauen als Ausdruck des Misstrauens gegen Sinnenlust und der Urängste aller libidinösen Energien deutet, das zum in dem Buch so oft bemühten Hinausschieben der Heirat passe, dann ist dies fast schon eine Verharmlosung der Folterverhöre. Eine völlige Nebensache in den grauenvollen Situationen erfolterter Geständnisse wird zum Nachteil der Dynamik der Verhöre überbetont.

Verhörprotokolle, die genau angeben, wann bei diesen Befragungen über Teufelsbuhlschaft und Sabbat gefoltert bzw. erneute Folter angedroht wird, ermöglichen eine sehr viel erschütterndere und den Hexenprozessen adäquatere Analyse, als sie hier vorgelegt wird.

Das umfangreiche Kapitel über Fruchtbarkeit zeigt, dass die Verfasserin doch letztlich ein sehr monokausales Verständnis der Hexenverfolgungen hat: „Die Bedrohungen, Ängste und Abhängigkeiten, die das Kindsbett mit sich brachte, bilden den Kern des Hexenwahns.“ (S. 177) Hier hat der Hexenhammer vielleicht zu sehr geprägt. Dabei schwankte, wie Roper betont, die Epoche zwischen demographischer Beschränkung durch Heiratskontrollen und Förderung der Fruchtbarkeit (S. 182ff.). Wenn die Verfasserin nun auch noch den Demographen und Statistiker Süßmilch einbezieht und schreibt, „Süßmilchs Anliegen deckten sich in vielerlei Hinsicht mit denen der Hexenjäger“ (S. 187), nämlich in der Sorge um den Fortbestand der Bevölkerung, doch die Hexenjäger hätten geglaubt, das Problem durch Ausrottung der Hexen zu lösen, kommt sie in ihrer monokausalen Betrachtung der Verfolgungen sehr in die Nähe der Thesen von Steiger und Heinsohn, von denen sie sich andererseits, ohne die Namen zu nennen, wieder distanziert (S. 217). Die Argumentation ist hier schon konfus. Ähnlich fragwürdig ist es, wenn die Verfolgungen von Kindsmörderinnen als ironischer Beweis für die Stärke des Mutterkults im Europa der frühen Neuzeit gewertet werden (S. 188).

Bei der Behandlung der Greisinnen gibt es einen logischen Widerspruch. Einerseits wird betont, dass es sich bei den Verfolgten in aller Regel um ältere Frauen handelt („ Sie waren in den Wechseljahren oder älter, und es waren Mütter“, S. 221), andererseits aber der Verfolgung von Mutter und Tochter doch große Bedeutung beigemessen wird („Mutter-Tochter-Paare“, S. 237). Dass ältere Frauen vor allem deswegen verfolgt wurden, weil sie in den kleinräumigen Gemeinschaften keine Verteidiger mehr fanden, kommt der Wahrheit vielleicht näher als manche dieser Konstruktionen.

In den folgenden beiden Kapiteln geht es um die Augsburger Prozesse. Im Mittelpunkt eines Familienkonflikts steht die als Zwanzigjährige hingerichtete Juditha Wagner, die sich selbst der Untaten bezichtigte und deren Verfahren als typischer Kinderhexenprozess einzuordnen ist. Bei den sehr späten Kinderprozessen (1720er-Jahre) werden die Konflikte in den Familien geschildert, einerseits die Selbstbezichtigungen der Kinder, die aus Vernachlässigung resultierten, andererseits das Bemühen der Angehörigen, diese Kinder loszuwerden. Vieles erinnert an die Kinderprozesse des 17. Jahrhunderts, allerdings wurden die Kinder nun nicht mehr hingerichtet. Interessant sind hier die Sichtweisen der katholischen und lutherischen Theologen. Erstere unterstellten letzteren, diese Gelegenheiten für publikumswirksame Teufelsaustreibungen zu nutzen.

Im letzten Großkapitel werden die Prozesse im Herrschaftsgebiet des Klosters Marchtal gegen eine ältere Frau und ihre Tochter aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. geschildert. Dabei unterlaufen Fehler, wenn von den Äbten Buchaus (statt Äbtissinnen) die Rede ist und wenn behauptet wird, das Beichtgeheimnis sei eine Errungenschaft der Gegenreformation gewesen (S. 323). Dass die Dinge nicht ganz so einfach lagen, sondern es hier um die Aufhebung von Einschränkungen ging, interessiert in der plakativen Darstellung nicht. Wenn behauptet wird, diese „Marchtaler Hexenprozesse [zeugten] vom Zeitalter Kants und Lessings“ (S. 331), weil hier mehr Sensibilität und eine verfeinerte Ausdrucksfähigkeit einen radikalen Richtungswechsel bedeuteten, so wird man wohl doch ein großes Fragezeichen setzen dürfen. In diesem späten Prozess greifen notwendigerweise (sonst wäre es wohl doch zu keiner Verurteilung gekommen!) alle unsensiblen und unfeinen Vorurteile und Praktiken aus der Hochzeit der Verfolgungen. Der Verblendungszusammenhang der Verfolger muss so groß gewesen sein wie früher. Erhöhte Sensibilität hätte ihnen auf die Sprünge geholfen, das Verhalten der Angeklagten (z.B. Furcht, Ausreden usw.) anders zu interpretieren. Die Diagnose auf Melancholie der verfolgten Frauen durch Kritiker der Prozesse im 16. Jahrhundert zeigt sehr viel mehr Sensibilität im Sinne Kants und Lessings. Eine genauere Kenntnis z.B. der Akten von Kinderhexenprozessen des 17. Jahrhundert hätte vor einem solchen Urteil bewahrt. Die Ausführlichkeit vieler Prozessakten etwa des 17. Jahrhunderts spricht gegen die S. 330 aufgestellten Thesen.

Betrachtungen zu „Hänsel und Gretel“ und „Faust“ schließen das Buch ab. Sie sollen die Verwandlung der Hexenvorstellung im 19. Jahrhundert dokumentieren.

Der Eindruck des Buches bleibt sehr zwiespältig. Einerseits ist die genaue und ja immer sehr aufwändige Recherche zu einzelnen Prozessen sehr zu schätzen, andererseits die sehr dogmatische und einspurige Analyse zu tadeln. Mehr Kontrolle der psychologischen Phantasie hätte gut getan. In manchen Punkten fällt das Werk in die ideologische Betrachtungsweise der feministischen Forschung der 1980er-Jahre zurück. Manches Urteil wirkt eher peinlich. Dem Untertitel (‚Geschichte einer Verfolgung’) wird das Buch nicht gerecht, da es doch regional eng begrenzt ist und auch die Breite der Hexenverfolgungen, die sich gerade in der Multifunktionalität der Verwendung zeigt, nicht darstellt. Als Überblick über das Phänomen eignet sich das Buch nicht.

Dass auch die Übersetzung an einigen Stellen zu wünschen übrig lässt, sei ganz nebenbei angemerkt. Es ist nicht schön, wenn statt ‚gebaren’ das Imperfekt „gebärten“(S. 187) gebildet wird und „Wechselbälger“ (S. 143) statt ‚Wechselbälge’ beschrieben werden.

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