Titel
Politik und Handel zwischen Ming und Timuriden. China, Iran und Zentralasien im Spätmittelalter


Autor(en)
Kauz, Ralph
Reihe
Iran-Turan 7
Erschienen
Wiesbaden 2005: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nader Purnaqcheband, Orientalisches Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Gleich vorab sei konstatiert: Bei dieser Habilitationsschrift, die im Jahre 2002 bei der Fakultät für Kulturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen worden ist, handelt es sich um eine Pionierarbeit. Ralph Kauz musste bei der Rekonstruktion von Außenpolitik, Diplomatie- und Handelsgeschichte zwischen dem Ming-Imperium (1368-1644) und dem Timuridenreich (1363-1506) Texte erschließen, die aus philologischen Gründen den meisten Historikern unzugänglich sind. Zum Forschungsraum China/Zentralasien existieren kaum Studien, welche die chinesischen und die persischen Referenztexte simultan und komparativ untersuchen, wenn auch sowohl einige Texteditionen als auch Untersuchungen bereits vorlagen (S. 21). So bearbeitet Kauz Ming-Regesten und Ming-Annalen sowie die persischsprachige Historiographie. Das textuelle „Rückgrat“ (S. 16) der Arbeit bilden die Ming-Regesten, so dass die Untersuchung im Ganzen eine „sinologische Tendenz“ (S. 20) aufweist.

Die Studie folgt im Großen und Ganzen der historischen Chronologie. Nach einer historisch-methodischen Einleitung (S. 1-22) wird im zweiten Kapitel der Charakter des Gesandtschafts- bzw. Tributverkehrs unter Berücksichtigung der zuständigen „Ministerien“ insbesondere auf chinesischer Seite herausgearbeitet (S. 23-46). Mit dem dritten Kapitel „Diplomatie zu Timurs Lebzeiten?“ beginnt der eigentliche Hauptteil, in dem die außenpolitischen „Kontakte“ zwischen den sich formierenden Dynastien der Ming und der Timuriden unter Zhu Yuanzhang („Hong-Wu-Ära“, r. 1368-1398) und Timur (1370-1405) im Vordergrund stehen (S. 51-78). Das vierte Kapitel (S. 79-144) fokussiert in chronologischer Ordnung auf „diplomatische und politische Chancen“ unter Zhu Di („Yongle-Ära“1402-1424) und Shahrukh (1406-1447), da die bilateralen Beziehungen in dieser Periode ihren qualitativen Höhepunkt erreichten. In Bezug auf das Handelsvolumen scheint aber der Austausch während der Xuande-Ära (1426-1435) am beachtlichsten gewesen zu sein, wie dem fünften Kapitel (S. 145-150) zu entnehmen ist. Die Auswanderung von Zentralasiaten und ihre Niederlassung in China und der politische Kontext in den letzten Jahrzehnten der Beziehungen Ming-Chinas und der Timuriden wird in zwei Exkursen nachgezeichnet (S. 151-192; 193-246). Im Schlusskapitel (S. 247-258) werden die wichtigsten Ergebnisse im Bereich der Akteure, der Außenpolitik sowie des Handels auf beiden Seiten zusammengefasst.

Von besonderem Wert für einen Überblick über die komplizierte Quellenlage sind die Anhänge. Anhang I (S. 259-268) listet bis zum letzten mingzeitlichen Eintrag (1618) die zentralasiatischen Gesandtschaften auf, die während der posttimuridischen Ära in den chinesischen Regesten verzeichnet wurden. Im Anhang II (S. 269-272) werden die wichtigsten chinesischen Referenztexte zu Zentralasien in der Ming- und Qingzeit (so vor allem das Ming shi, die sog. Ming-Annalen) vorgestellt, während Anhang III (S. 273-274) aus einer Auswahl timuridischer Gesandtschaftsbriefe an den Kaiser von China besteht. Eine Faltkarte Asiens im 14./15. Jahrhundert ermöglicht es dem Leser, sowohl Routen als Zentren innerhalb des komplexen regionalen Handelsgeflechts zu identifizieren.

Kauz verwebt in seiner Studie makrohistorische Zusammenhänge mit der mikrohistorischen Perspektive der Gesandtschaften von Zentralasien nach Ming-China und umgekehrt. Er kommt zum Schluss, dass diese Kontakte im Laufe der Zeit einen immer stärkeren kommerziellen Charakter annehmen, obgleich die timuridischen Gesandtschaften offiziell durchgehend als Tribut-Missionen deklariert sein mussten, um überhaupt nach China einreisen zu können. Aufgrund der Quellenlage und wohl auch der ökonomischen Bedeutung liegt der Schwerpunkt der Darstellung bei den timuridischen Delegationen (insgesamt 88). In umgekehrter Richtung bearbeitet Kauz 21 Ming-Delegationen. Er betont mehrmals, dass diese „Gesandtschaften“ häufig kaufmännischen – und weniger diplomatischen – Charakter hatten. In der frühen Phase kann schwerlich von strukturierten Außenbeziehungen im gegenseitigen Verhältnis gesprochen werden, als deren Reflex man etwa die Gesandtschaften anzusehen hätte. So betrachtete Ming-China das Timuridenreich – mit dem es über keine gemeinsame Grenze verfügte – als einen Vasall, dessen „Tribute“ lediglich die Oberherrschaft des Kaisers über alle Völker zu bestätigen hatten. Timur wiederum plante in seinen letzten Jahren einen groß angelegten Feldzug nach China, der von der Motivation her eher als Raubzug denn als Eroberung zu bewerten gewesen wäre, wäre nicht sein Tod dazwischen gekommen.

Bei der Untersuchung der institutionellen Rahmenbedingungen für die (Handels-)Missionen zeichnet Kauz ein faszinierendes Bild der ming-chinesischen Bürokratie. Neben zahlreichen involvierten Ministerien und Ämtern existierte auch ein 1407 gegründetes „Übersetzerbüro“ (siyi guan), eine im damaligen Kontext weltweit einzigartige Einrichtung, in der das „Muslimische Büro“ (huihui guan) für die Übersetzung von Dokumenten in und aus dem Persischen zuständig war. Im historisch-politischen Umfeld dieser Institution registriert Kauz relativ rege diplomatische Kontakte zwischen Zhu Di und Shahrukh. Bei beiden Seiten sei eine Abrüstung der Herrschaftsideologeme zu beobachten gewesen. Allerdings blieb trotz politischen Annäherungsversuchen der chinesischen Seite der Schwerpunkt auf einer Handelspartnerschaft bestehen. Kauz meint, da es also zu keiner Zeit zu wirklich koordinierten Außenbeziehungen zwischen den beiden Mächten gekommen sei, müsse man „in Anbetracht des Beginns der europäischen Expansion um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert die verpasste Chance eines asiatischen Bündnissystems bedauern“ (S. 26).

Die Studie bleibt über weite Strecken deskriptiv. Dies erklärt sich aus dem Charakter der Regesten und der Tatsache, dass das von Kauz bearbeitete Material bis dato nicht in einem vergleichbaren Kontext untersucht worden ist. Ob man allerdings die Detailarbeit so weit treiben will wie der Autor, ob man also beispielsweise darüber spekulieren will, ob die Angaben der Regesten zur Tagesration eines als Tribut dargebrachten Löwen (S. 228f.) richtig sind, sei dahingestellt. Festzuhalten ist die buchstäbliche Detektivarbeit auf einem unsicheren und ungesicherten Forschungsterrain, in dem man oft auf wenig mehr als Vermutungen zurückgeworfen ist. Kauz beleuchtet die chinesischen und die persischen Primärtexte von allen Seiten und schafft auf diese Weise ein Geflecht von Hypothesen, denen er mit gebotener Vorsicht begegnet (z.B. S. 89). Dem überaus positiven Gesamteindruck wird somit durch vereinzelte unbelegte Behauptungen (z.B. bezüglich des Zeitpunkts der Angriffspläne Timurs [S. 68, 71]) kein Abbruch getan. Erfolgreich gelöst hat Ralph Kauz auch ein „technisches“ Problem, nämlich die ursprünglichen persischen Eigennamen von Gesandtschaftsvertretern zu eruieren, die in den Ming-Regesten naturgemäß sinisiert worden waren.

Die vorliegende Untersuchung ist somit gekennzeichnet durch eine ausgewogene Mischung aus historisch-politischer Kontextskizzierung und der Aufbereitung und Analyse von Textmaterial, so dass einzelne Gesandtschaften vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Situation beleuchtet werden. Aus diesem Grunde ist vorliegende Studie allen, die sich die sich mit Handel und Außenpolitik in Zentralasien und China im Spätmittelalter auseinandersetzen, unbedingt ans Herz zu legen.

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