R. Schlaffer: Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985

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Titel
Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985. Aus Sorge um den Soldaten


Autor(en)
Schlaffer, Rudolf J.
Reihe
Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland 5
Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
€ 26,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Bernhard, Zeitgeschichte, DHI Rom

„Aus Sorge um den Soldaten“ lautete die Schlagzeile einer Artikelserie in der Illustrierten „Quick“, die im Sommer 1964 für einen handfesten Skandal in der noch jungen bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie sorgte. Hatte der damalige Wehrbeauftragte Hellmuth Heye (1961-1964) darin doch „unerhörte“ Kritik an der Bundeswehr geübt: Die viel gelobte „Innere Führung“ sei ein bloßes Lippenbekenntnis der traditionellen Militärelite gegenüber dem neuen Staat. Wie Heye mit Blick auf die demokratiefeindliche Haltung der Reichswehrleitung in der Weimarer Republik weiter formulierte, sei die Bundeswehr auf dem Weg, sich zum „Staat im Staat“ zu entwickeln. Über seine Kritik an der „unbewältigten“ Vergangenheit des deutschen Militärs zog umgehend ein wahrer Sturm der Entrüstung hinweg. Unionspolitiker, unterstützt von so auflagenstarken Meinungsblättern wie „Bild“, warfen dem Wehrbeauftragten Polemik und eine unzulässige Medialisierung seiner Tätigkeit als Kontrolleur der Bundeswehr vor. Sichtlich angeschlagen reichte Heye kurze Zeit später seine Demission ein.

Damit war das erst 1959 ins Leben gerufene Amt des Wehrbeauftragten einmal mehr in die Schlagzeilen geraten. Bereits Heyes Vorgänger, Helmuth Otto von Grolman (1959-1961), hatte vorzeitig seinen Rücktritt erklären müssen, nachdem gegen ihn eine öffentliche Kampagne aufgrund seiner Homosexualität losgetreten worden war. Kritik entzündete sich anfangs jedoch nicht nur an der jeweiligen Person des Wehrbeauftragten. Auch über das Amt selbst und dessen Kompetenzen herrschte zunächst Dissens. Während die Unionsparteien und die FDP die Einrichtung als lästiges Zugeständnis an die SPD betrachteten und deren Aufgaben so weit wie möglich einzuschränken suchten, sollte der Wehrbeauftragte nach dem Willen der Opposition umfassende Kompetenzen erhalten: Er hatte die Grundrechte der einfachen Soldaten zu schützen und zugleich die Bundeswehrführung zu kontrollieren. Damit war das Amt des Wehrbeauftragten in der frühen Bundesrepublik zweifelsohne eine der umstrittensten Verfassungseinrichtungen.

Der Geschichte dieser lange umkämpften Institution hat sich nun Rudolf Schlaffer vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam angenommen. Im Zentrum seines Erkenntnisinteresses steht dabei die Frage, wie der Wehrbeauftragte unter diesen widrigen Umständen (mangelnde Akzeptanz bis offener Widerstand in Regierung und Bundeswehrführung) seine Schutz- und Kontrollfunktion überhaupt erfüllen konnte. Herausgekommen ist eine insgesamt gelungene Synthese aus Politik-, Militär- und Gesellschaftsgeschichte, die auch transnationale Entwicklungen mit einbezieht. So kann Schlaffer etwa zeigen, dass bei der Einrichtung dieses gänzlich neuen Amts das Ausland Pate stand. Vermittelt über sozialdemokratische Emigranten adaptierte der Bundestag das schwedische Modell des Ombudsmanns als parlamentarischen Kontrolleur der Armee; Schlaffer liefert hier einen neuen Beitrag sowohl zur Exil- als auch zur Westernisierungsforschung.

Vorangegangen war dem allerdings ein ausgesprochen zähes parlamentarisches Ringen, das mit einem politischen Deal endete: Die Regierungsparteien gaben dem Drängen der Opposition auf Einsetzung eines solchen Wehrbeauftragten erst zu dem Zeitpunkt nach, als die SPD sich dazu bereit erklärte, den Wehrgesetzen zur Wiederbewaffnung zuzustimmen.

Das lange parlamentarische Tauziehen erklärt auch, warum das Amt erst zwei Jahre, nachdem die ersten Wehrpflichtigen unter großer medialer Anteilnahme ihre Kasernen bezogen hatten, eingerichtet wurde. Entsprechend viele Eingaben von Soldaten hatten sich bis dahin angestaut. Die hohe Zahl von 3.300 Beschwerden wies aber auch auf gravierende Mängel in der viel zu schnell aufgebauten Bundeswehr hin. Das Konzept der Inneren Führung war nach Schlaffer bis 1968 zu einem guten Teil „wirkungslos“, weil das überwiegend aus der Wehrmacht übernommene Personal diesen für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Personalführungsstil nicht umsetzen konnte und wollte. Die Kritik des Wehrbeauftragten hieran wurde jedoch entweder von Regierung und Parlament ignoriert oder – wie im Fall des eingangs zitierten „Quick“-Artikels – ihrerseits wiederum massiv kritisiert.

Seine Bewährung erlebte das neue Amt erst um das Jahr 1968. Zum einen machte eine neue selbstbewusste Generation von Wehrpflichtigen viel stärker als bis dahin üblich von ihrem Eingaberecht Gebrauch und beschwerte sich über tatsächliche und vermeintliche Grundrechtsverletzungen. Das unterstrich die Relevanz des Amtes eindrucksvoll. Zum anderen entdeckten die militanten Kreise der außerparlamentarischen Opposition (APO) die Bundeswehr als eines der zentralen Agitationsfelder für sich und versuchten, diese angeblich herrschaftssichernde Instanz zu „zerschlagen“. Im Zeichen der Krise wurden die Reformvorschläge von Heyes Nachfolgern etwa zur Verbesserung von Bildung und Ausbildung nun plötzlich aufgegriffen. Umgekehrt fühlten sich die folgenden Wehrbeauftragten Matthias Hoogen (1964-1970) von der CDU, Fritz-Rudolf Schultz (1970-1975) von der FDP und Karl Wilhelm („Willy“) Berkhan (1975-1985) von der SPD jedoch auch verpflichtet, die Streitkräfte in ihren medial viel beachteten Jahresberichten vor Angriffen ausdrücklich in Schutz zu nehmen. Die Bundeswehrführung ihrerseits erkannte den Wert, den solche öffentlichen Erklärungen für das Ansehen der Institution Armee besaßen. Über die Krise der Bundeswehr kam es somit kurioserweise zur Konsolidierung der Institution Wehrbeauftragter, wie Schlaffer überzeugend herausarbeitet.

Nicht ganz überzeugend ist hingegen der Aufbau des Buches. Mit den beiden Hauptkapiteln „Konzeptions- und Formierungsphase (1951-1959)“ und „Entwicklung und Konsolidierung (1960-1985)“ folgt es zwar insgesamt der Chronologie. Die weitere sachthematische Untergliederung leidet jedoch teilweise an einer allzu starken analytischen Trennschärfe. Bedingt dadurch behandelt Schlaffer bestimmte Themenkomplexe mehrmals. Redundanzen zeigen sich etwa dort, wo es um den „Skandal Heye“ geht. So nimmt Schlaffer in einem Unterkapitel zunächst den Ablauf der Affäre selbst in den Blick, um sie dann an anderer Stelle nochmals unter dem Aspekt „Medienereignis“ aufzugreifen. Beides lässt sich aber letztlich nicht voneinander trennen. Zudem ist das eine Hauptkapitel „Entwicklung und Konsolidierung (1960-1985)“ vergleichsweise umfangreich und dadurch relativ unübersichtlich. Eine stärkere Untergliederung entsprechend der von Schlaffer selbst gesetzten Zäsuren hätte dem Leser die Entwicklung deutlicher vor Augen geführt. So umfassten die Jahre 1960 bis 1967 die Aufbauphase, während die Zeit zwischen 1968 und 1978 durch vielfältige Wandlungs- und Krisenphänomene geprägt waren, bevor das Amt des Wehrbeauftragten ab Ende der 1970er-Jahre sich langsam konsolidierte.

Dessen ungeachtet hat Schlaffer einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik geschrieben. Seine Studie ist ein neuerlicher Beweis dafür, wie sehr sich inzwischen die deutsche Militärgeschichte gegenüber der allgemeinen Geschichte geöffnet hat.

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