R. Walter (Hrsg.): Innovationsgeschichte

Cover
Titel
Innovationsgeschichte. Erträge der 21. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30. März bis 2. April in Regensburg


Herausgeber
Walter, Rolf
Reihe
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Beiheft 188)
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kleinschmidt, Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte, Universität Dortmund

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich, wie der Untertitel ankündigt, um Beiträge anlässlich der 21. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (GSWG) im Jahr 2005 in Regensburg. Wie der Herausgeber, dessen Beitrag sich auf eine kurze Einführung und ein Korreferat beschränkt, einleitend bemerkt, geht es um „die Geschichte der Innovationen und ihre[...] Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (S. 7). Das betrifft Innovationen in unterschiedlichen Wirtschaftssegmenten, Fragen des Innovationsbegriffs, der Innovationstheorie und der Innovationsökonomik. Hier werden Namen wie Joseph Schumpeter, Robert E. Lucas, Paul M. Romer, Gene Grossmann oder Elhanan Helpmann genannt, wobei es in den Worten des Herausgebers ein großes Anliegen des Bandes ist, auch neuere Ansätze der historischen Innovationsforschung angemessen zu berücksichtigen (S. 10).

Ein solch ambitioniertes und umfassendes Programm ist, selbst mit 14 Beiträgen auf gut 350 Seiten, nur schwerlich umzusetzen. Insofern wäre es unfair vom Rezensenten, hier vornehmlich auf Lücken und Versäumnisse hinzuweisen. Deshalb gilt es zunächst einmal, die Innovationskraft zahlreicher Beiträge sowie grundsätzlich auch des Konzeptes des Bandes zu würdigen. Die Beiträge konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf den Zeitraum zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert. Das 20. Jahrhundert kommt nur selten vor, die Zeit nach 1945 ist kaum Gegenstand der Betrachtungen. Das ist kein Manko, ganz im Gegenteil wird dabei deutlich, welch innovative Potentiale sich über einen sehr langen Zeitraum von der Protoindustrialisierungsphase bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert finden lassen. Patentfragen spielen hier eine wichtige Rolle, und sie bilden auch innerhalb des Bandes einen Schwerpunkt. Christian Mathieu zeigt überzeugend am Beispiel venezianischer Patentverfahren der Frühen Neuzeit, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang Aspekte der technischen Überprüfung, der Reduzierung von Unsicherheit und der Risikoselektion für die venezianische Gesellschaft hatten. Mit Patentfragen setzen sich auch die Beiträge von Jochen Streb/Jörg Baten, Carsten Burhop und teilweise auch von Mark Spoerer auseinander. Letzterer gibt aus wirtschaftshistorischer Sicht einen Überblick über Quellen und Potentiale insbesondere einer quantitativen Innovationsgeschichte und verweist dabei ebenfalls auf die Rolle von Patenten.

Wie die Umsetzung einer solchen quantitativen Innovationsforschung aussehen kann, zeigen die Beiträge von Streb und Baten, die durch Auswertung von Patentstatistiken Aussagen über die Innovationskraft einzelner Industriezweige in regional vergleichender Perspektive treffen. Auch Carsten Burhop weist, ebenfalls auf der Basis umfangreichen Datenmaterials, einen statistisch signifikanten positiven Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen Charakteristika einer Region und deren Patentierungsintensität nach.

Die Eigenart der GSWG-Bände, Korreferate zu den einzelnen Beiträgen abzudrucken, erweist sich als sehr sinnvoll und erkenntnisfördernd. Kritische Kommentare, im Falle der Patentgeschichte etwa von Rainer Metz oder Heike Knortz, mit grundlegenden Anmerkungen zu inhaltlichen und methodischen Themen und zur teilweise überschätzten Bedeutung von Patenten als Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung und Innovationsfähigkeit, werfen zentrale Fragen zur Wirtschafts- und Technikgeschichte überhaupt auf. So entstehen kleine Forschungskontroversen innerhalb des Bandes, die anregend sind und einen hohen Lerneffekt haben. Leider wird dieses Innovationspotential des Bandes nur unzureichend ausgeschöpft, und die Qualität der Korreferate ist sehr unterschiedlich. Deren Länge schwankt zudem zwischen fünf und 40 Seiten, die Korreferate sind damit in einigen Fällen länger als so mancher Hauptbeitrag. Zu anderen Texten gibt es wiederum gar keine Korreferate, und einigen fehlt der Bezug zum vorangegangenen Text. Es handelt sich dann eher um eigenständige Beiträge, wie etwa im Falle des Korreferats von Hartmut Kiehling zu Ulrich Pfister (bei Kiehling fälschlicherweise als Christian Pfister bezeichnet). Während sich Pfister in seinem anregenden Text mit der bislang unterschätzten Rolle von Handwerkszünften bei der Entstehung technischer Innovationen auseinandersetzt, konzentriert sich Kiehling auf die grundsätzliche Darstellung innovationsfördernder Faktoren in Spätmittelalter und Früher Neuzeit.

Das Themenspektrum des Sammelbandes ist, wie für diese Art von Publikation typisch, durchaus sehr breit. Neben methodisch und theoretisch anregenden Beiträgen finden sich auch stark empiristisch und deskriptiv ausgerichtete Texte (Rainer Gömmel über Innovationen in der Region Regensburg, Thomas Kreft über berg- und hüttentechnische Innovationen im Raum Westfalen oder Klaus Herrmann über agrartechnische Innovationen im 18. bis 20. Jahrhundert). Ein Name taucht allerdings in fast jedem zweiten Beitrag auf: Joseph Schumpeter. Nun geht in der Innovationsgeschichte möglicherweise kein Weg an Schumpeter vorbei, aber sicherlich gibt es eine Innovationsgeschichte nach Schumpeter. In der Einführung werden vom Herausgeber ja auch einige Namen genannt, doch tauchen diese in den nachfolgenden Beiträgen kaum auf. Neuere Ansätze der Innovationsgeschichte, etwa zu nationalen Innovationssystemen, zu Innovationsnetzwerken, Innovationskulturen oder auch handlungstheoretische Ansätze 1, fehlen fast völlig. Schließlich wird beim Thema Innovationen fast durchweg von einem Fortschrittsparadigma bzw. von Erfolgsgeschichten ausgegangen. Die Frage nach gescheiterten Innovationen wird an keiner Stelle aufgeworfen. 2 Auffallend ist zudem, dass in den Haupttexten kein einziger Technikhistoriker bzw. keine Technikhistorikerin und nicht einmal der einzige Lehrstuhl in Deutschland für Wirtschafts- und Innovationsgeschichte vertreten ist. Dies ist insofern erstaunlich, als implizit in fast allen Beiträgen von technischen Innovationen ausgegangen wird (bis auf den Beitrag von Peter Albrecht, der sich mit der Erschließung von Absatzwegen durch Braunschweiger Firmen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigt). Deshalb ist mit Bezug auf den Titel des Sammelbandes, „Innovationsgeschichte“, Heike Knortz in ihrem Korreferat, hier stehe ein „auf Technik verengter Innovationsbegriff“ (S. 311) Pate, ebenso zuzustimmen wie Ursula Nienhaus, die wiederum in ihrem Beitrag über Innovationen im Bürobereich darauf hinweist, dass „Innovation mehr ist als technischer Fortschritt, sie ist eine gesellschaftliche Kultur...“ (S. 313). Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass sich Beiträge eines Sammelbandes der GSWG, die sich vornehmlich mit technischen Innovationen auseinandersetzen, ohne dass dabei Technikhistoriker zu Wort kommen, eine technikhistorische Verengung vorwerfen lassen müssen. Dies trifft nicht auf alle Beiträge zu. Wie gezeigt haben einige Texte, insbesondere in Kombination mit dem jeweiligen Korreferat, einen hohen Erkenntniswert. Allerdings wird der einleitend formulierte Anspruch des Bandes, die „große Reichweite“ des Innovationsbegriffs im Auge zu behalten und neuere Ansätze der Innovationsgeschichte angemessen zu berücksichtigen (S. 8, 10), nur bedingt eingelöst.

Anmerkungen:
1 Z.B. Abele, Johannes; Barkleit, Gerhard; Hänseroth, Thomas (Hrsg.), Innovationskulturen und Fortschrittserwartungen im geteilten Deutschland, Köln 2001 (Rezension: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-086>.); Franke, Eva Susanne, Netzwerke, Innovationen und Wirtschaftssystem. Eine Untersuchung am Beispiel des Druckmaschinenbaus im geteilten Deutschland (1945-1990), Stuttgart 2000; Nelson, Richard R. (Hrsg.), National Innovations Systems. A comparative Analysis, Oxford 1993; Weyer, Johannes u.a. (Hrsg.), Technik, die Gesellschaft schafft – Soziale Netzwerke als Ort der Technikgenese, Berlin 1997.
2 Dazu Bauer, Reinhold, Gescheiterte Innovationen: Fehlschläge und technologischer Wandel, Frankfurt am Main 2006.

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