M. Wassermair u.a. (Hrsg.): rebranding images

Cover
Titel
rebranding images. Ein streitbares Lesebuch zu Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Österreich


Herausgeber
Wassermair, Martin; Wegan, Katharina
Erschienen
Innsbruck 2006: StudienVerlag
Anzahl Seiten
213 S.
Preis
€ 27,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Suppanz, Institut für Geschichte/Abteilung Zeitgeschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Das dreifache österreichische Jubiläumsjahr 2005 – 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft – war Gegenstand teilweise hoch emotionaler medialer Debatten und öffentlicher Diskurse um Identitäts- und Gedächtnispolitik der Zweiten Republik. Als Essay-Band, der "eine Vielzahl von künstlerischen, kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Projekten" fortsetzen will, die gegen die Befürchtung gerichtet waren, dass der "Reigen an Feierlichkeiten [...] sowie die damit einhergehenden historischen Erzählungen in erster Linie dem national-konservativen Interesse der Regierenden dienen" (S. 9), beruht auch das 2006 erschienene Buch "rebranding images" in erster Linie auf politisch-kulturellem Engagement und dem Ziel der Intervention. Das "Lesebuch" ist nicht als wissenschaftliche Publikation entworfen, was sich unter anderem im weitestgehenden Verzicht auf Anmerkungen zeigt. Zielgruppe ist eine kritische Öffentlichkeit, die mit den Debatten und zentralen Veranstaltungen und Events rund um das "Gedankenjahr" vertraut ist. Die vorliegende Besprechung muss daher diese Intention des Buches und den spezifischen Charakter der essayistischen und literarischen Beiträge bedenken, dennoch soll ihr eine kulturwissenschaftliche Perspektive als Ausgangspunkt dienen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf den einzelnen Beiträgen, sondern auf dem Konzept des Bandes in seiner Gesamtheit.

Zwei Zugänge markieren den Fokus des Sammelbandes: 1) das "Gedankenjahr" 2005 als Bezugspunkt; 2) das Ziel, die Beiträge als (Fragmente einer) "Gegen-Erzählung" zum hegemonialen Narrativ österreichischer Geschichte zu sammeln, das in den offiziellen Repräsentationen des Jubiläumsjahres, initiiert und finanziert durch Regierung und Wirtschaftssponsoren, zum Ausdruck kam. Insbesondere die Vermittlung der "Erfolgsgeschichte" der Zweiten Republik in diesem Rahmen und die Mythologisierung der "Befreiung" von den Besatzungsmächten durch den Staatsvertrag von 1955 als Relativierung der NS-Zeit sind Gegenstand der Dekonstruktion.

24 Texte von 21 AutorInnen nähern sich dem Thema "Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Österreich" anhand der Repräsentation österreichischer Geschichte und Identität im Jahr 2005. Das Spektrum der disziplinären und beruflichen Zugänge der BeiträgerInnen umfasst SchriftstellerInnen - unter ihnen Marlene Streeruwitz und Doron Rabinovici als vermutlich bekannteste "öffentliche Personen" -, PolitikwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen, PhilosophInnen und im Kultur- und Medienbereich tätige Personen. Auch thematisch wird das annus mirabilis 2005 breit und umfassend behandelt. Zu Beiträgen, die sich mit der österreichischen Erinnerungskultur im Allgemeinen und mit ihrer musealen und event-kulturellen Darstellung - insbesondere anhand der Ausstellungen "Das Neue Österreich" (Belvedere) und "Österreich ist frei!" (Schallaburg) sowie der Inszenierungen der Jahre 1945 bis 1955 im Rahmen der Veranstaltungsreihe "25 Peaces" - kritisch befassen, kommen Aufsätze, die den Blick über diese Vorzeigeprojekte hinaus erweitern. Hier wird die Absicht, "Gegenbilder in Umlauf zu bringen" um die hegemonialen Zeichensysteme "offen zu legen und direkt und eigenmächtig in sie einzugreifen" (S. 10), die "Leerstellen in den aktuellen Vergangenheitserzählungen der Deutungsmächtigen" (S. 11) sichtbar zu machen, am aufschlussreichsten erfüllt. Das Deutungsmuster der "Trümmerfrauen" wird ebenso dekonstruiert wie der Umgang mit den Opfern der NS-Militärjustiz kritisch beleuchtet. Der Kampf um Anerkennung der SlowenInnen und von Schwulen und Lesben wird im Kontext einer verordneten Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik behandelt, die hegemoniale Deutungsmacht des ORF als "Zentralinstitut österreichischer Identität" (Gerd Bacher) analysiert. Dem Programm des "Lesebuchs" entsprechend vielfältig sind auch die Textsorten, in denen sich die AutorInnen mit österreichischer Erinnerungskultur auseinandersetzen. Theoriegeleitete wissenschaftliche Beiträge wechseln sich ab mit Essays, in denen subjektive Überlegungen zur Identitäts- und Gedächtnispolitik erörtert werden, und politisch engagierter Literatur im engeren Sinne. "Dementsprechend versammelt rebranding images literarische Texte, Essays und wissenschaftliche Analysen, die deutungsmächtige Erzählungen dekonstruieren, zugleich aber auch in Gegenposition zueinander stehen." (S. 11)

Die Heterogenität der Textsorten ermöglicht es sicherlich, eine Vielfalt von kritischen Zugängen deutlich zu machen, von persönlichen Reflexionen zum theoretisch-methodischen Instrumentarium der Kulturwissenschaften. Die vage Aneinanderreihung der Beiträge, die am ehesten einer chronologischen Reihenfolge entspricht, erweist sich dabei allerdings oft als irritierend, das thematische "Springen" reißt Assoziationsketten auseinander. Beispielsweise wäre es vermutlich sinnvoller, Ljubomir Bratics Reflexion über die "Ausstellung als Ort der Macht" (S. 31-36) und Heidrun Zettelbauers theoriegeleitete Analyse zum "Identitätsbegehren nach musealer Repräsentation" (S. 147-160) aufeinander folgend zu bringen. Auch der Bericht der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz über eine Diskussion mit Wolfgang Lorenz über die "25 Peaces" ("Gedenkkultur. Jänner 2006", S. 41-50) steht mit Lisa Mayrs Artikel über "Gegenstrategien zum Gedankenjahr" (S. 161-170) in besonders engem inhaltlichen Zusammenhang. Ob hinter dem Verzicht auf eine deutlichere Strukturierung des Bandes, eine schärfere Konturierung thematischer Cluster, die Befürchtung steht, als HerausgeberIn selbst zu viel Deutungsmacht auszuüben, ist natürlich nicht zu beantworten. Sie wäre jedenfalls unbegründet und inkonsistent mit der klaren Positionierung des Buches, die einleitend formuliert wird.

Hier setzt aber ein grundlegenderer Einwand an. Selbstverständlich ist es gerade aus (kultur)wissenschaftlicher Sicht erforderlich, den Standort einer Publikation explizit zu machen. Die Eindeutigkeit der Trennung zwischen "richtig" und "falsch", "hegemonialer" und "subalterner" Geschichtserzählung, letztlich die Schwarz-Weiß-Zeichnung von "bösem" Herrschafts- und "gutem" Gegendiskurs, die dem Buch zugrunde liegt, erstaunt allerdings. Diese Eindeutigkeit der Positionen findet sicherlich in jenen Essays, die als Polemik gegen eine national-konservative Dominanz in der Geschichtspolitik formuliert sind, legitimen Ausdruck. Fragwürdig ist allerdings, ob Beiträge mit theoretisch-methodisch fundiertem Analyseanspruch einfach mit jenen in politisch-polemischer Absicht "in einen Topf geworfen" werden sollten. Der Verwendungszusammenhang von wissenschaftlichen Artikeln in einem Band mit eindeutig politischem Apriori hebt für die LeserInnen die Unterscheidbarkeit des Sprechens der AutorInnen als wissenschaftlich argumentierende StaatsbürgerInnen oder als WissenschaftlerInnen auf. Die undifferenzierte Zusammenstellung von Textsorten, an die unterschiedliche Kriterien der Inter/Subjektivität anzulegen wären, wird fragwürdig, wenn man die Differenzierung von Analyse und Kommentar prinzipiell für möglich und sinnvoll erachtet. Beispielsweise die von Konstanze Fliedl herausgegebene Anthologie zur demokratischen Tradition in der österreichischen Literatur "Das andere Österreich" 1 vermeidet gerade diese Problematik durch ihre Konzentration auf literarisch-belletristische Texte.

Eigenartig berührt letztlich der missionarische Gestus des Bandes, der gleichsam auf die Rettung der politischen Kultur Österreichs abzielt, die Errettung vor dem "Höllenkreis einer endgültigen Verhöhnung der demokratischen Kultur" (S. 12). Ein Pathos der (Selbst-)Heroisierung des Widerstands gegen das hegemoniale Narrativ von der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik prägt die Grundhaltung des Buches. Beispielsweise wird über die Begleitbroschüre für Jugendliche, "Trümmer, Träume, Topfenstrudel", die rund zehn Tage nach Beginn der Ausstellung "Das Neue Österreich" wegen Widersprüchen zu deren Grundaussage von der Österreichischen Galerie Belvedere als Herausgeberin zurückgezogen wurde, gesagt, dass "vereinzelte Exemplare den Weg an die Öffentlichkeit finden konnten (unter anderem an den Autor dieses Beitrags)" (Beitrag Martin Wassermair: Privatisiert und eingestampft!, S. 39). Diese Formulierung, die eine Samisdat-artige Verbreitung über inoffizielle Kanäle suggeriert, erscheint einigermaßen pathetisch, wenn man bedenkt, dass das Buch – wenn auch nur für ein paar Tage – im Museumsshop zum regulären Verkauf auflag (und unter anderem vom Autor dieser Besprechung gekauft wurde).

Der Sammelband "rebranding images" erweist sich damit als zwiespältiges Werk. Beurteilt man das Buch anhand kulturwissenschaftlicher Kriterien, findet man eine heterogene Zusammenstellung von anregenden wissenschaftlichen Analysen, die die hegemonialen Narrative österreichischer Geschichtspolitik dekonstruieren und diskursive Leerstellen erkennbar machen, und von Beiträgen, die als Primärquellen-Texte von unterschiedlicher Komplexität zu den Diskursen um das Jubiläumsjahr 2005 zu sehen sind. Zahlreiche Beiträge aller Textsorten sind mit großem Gewinn zu lesen. Der vorgängige moralische Impetus des Bandes in seiner Gesamtheit steht allerdings gerade zur angestrebten Offenheit durch eine Vielfalt kritischer "Gegen-Blicke" in Widerspruch. Denn letztlich werden damit die Beiträge der Formulierung einer Botschaft und eines einheitlichen Feindbildes untergeordnet. Diese Konstruktion von Eindeutigkeit hinterlässt gemischte Gefühle.

Anmerkungen:
1 Fliedl, Konstanze, Das andere Österreich. Eine Vorstellung, München 1998.

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