K. Behling: Hightechschmuggler im Wirtschaftskrieg

Cover
Titel
Hightech-Schmuggler im Wirtschaftskrieg. Wie die DDR das Embargo des Westens unterlief


Autor(en)
Behling, Klaus
Reihe
Edition Zeitgeschichte 22
Erschienen
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Judt, Zentrum für Zeithistorische Forschung Postdam

Die "Edition Zeitgeschichte" des Kai Homilius Verlages, in der Klaus Behlings Buch über den Schmuggel von Embargogütern in die DDR erschien, steht nach Aussage des Verlagsgründers unter dem Gadamer-Motto "Der Andere könnte Recht haben." So ist es nur konsequent, dass sie 2001 mit einer "Anti-Mao-Fibel" startete und schnell zur Publikationsreihe für ehemalige Mitarbeiter der "bewaffneten Organe der DDR" wurde. In deren Büchern wird unter anderem die "Welle von Geschichtsfälschungen" über die DDR, die über das Land "schwappt"1, oder die "Siegerjustiz" gegenüber den DDR-Eliten beklagt.2 Einen anderen Schwerpunkt bilden Bücher, die sich direkt oder indirekt mit den USA befassen. Ihre Titel verdeutlichen, dass auch bei ihnen das Motto der Reihe beachtet wurde. Freundlich formuliert kann man sagen, dass sie nicht unbedingt dem Mainstream folgen.3

Warum der ehemalige DDR-Diplomat Klaus Behling, der seit 1991 als Journalist für den Axel-Springer-Verlag tätig ist, sein Buch über den Hochtechnologieschmuggel ausgerechnet in dieser Reihe erscheinen lässt, bleibt offen. Es hebt sich nämlich in seiner Diktion klar von anderen Veröffentlichungen in der Edition ab, von denen gerade die Rede war.

Gleichwohl muss festgestellt werden, dass Behlings Buch keinen Erkenntnisgewinn für die wissenschaftlich orientierte Forschung liefert. Längst im Bundesarchiv in Berlin und bei der BStU einsehbare archivarische Quellen blieben völlig ungenutzt. Stattdessen können als wesentliche Quellenbasis die Berichte der Untersuchungsausschüsse des Bundestages, namentlich jener zum Bereich Kommerzielle Koordinierung der DDR (KoKo), sowie Memoiren von Geheimdienstlern und Reportagen in Zeitungen und Zeitschriften ausgemacht werden. Diese noch einmal in einem flüssig geschriebenen Buch aufzubereiten, ist sicherlich ein Verdienst Behlings.

Sicherlich kann Zeitgeschichte oder Wirtschaftsgeschichte auch in einem besser lesbaren Stil präsentiert werden. Doch auf weiten Strecken lässt Behling erkennen, dass er seit langem für Boulevardzeitungen schreibt. Da kommt dann manche Passage allzu sehr salopp daher, und Zeitungsquellen werden offenkundig ungeprüft als Beleg für Aussagen übernommen. Es ist halt das Spektakuläre, gerade bei den Ausführungen zur Tätigkeit des von Alexander Schalck-Golodkowski geleiteten Bereiches Kommerzielle Koordinierung, über das Behling berichten möchte.

Nach Aussagen Schalck-Goldkowskis hat KoKo zwischen 1966 und 1989 rund 25 Milliarden DM erwirtschaftet.4 Behling zitiert diesen Betrag und verweist zudem auf Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, in denen ähnliche Angaben gemacht werden (S. 287). Das soll hier auch nicht bestritten werden. Allerdings hätte dieser große Betrag zum Nachdenken anregen müssen. Ihn allein durch "spektakuläre", gar illegale Geschäfte zusammen zu bekommen, ist schon an sich zweifelhaft. Dementsprechend ist der durch KoKo-Firmen und die so genannten Speziellen Beschaffungsorgane (in der Regel MfS-gesteuerte DDR-Unternehmen bzw. Vertragspartner in westlichen Ländern) durchgeführte Schmuggel von Embargogütern in seiner tatsächlichen Bedeutung zu bewerten.

KoKo war wahrscheinlich viel weniger "sensationell" als die Berichterstattung über sie seit dem Herbst 1989 glauben macht. Milliardenschwere Geschäfte mit Mineralölprodukten, anderen Chemieerzeugnissen, landwirtschaftlichen Produkten und anderem waren eher das tagtägliche Aufgabenfeld des Bereiches und trugen zum deutlich größeren Teil zur Gesamtbilanz bei als die von Behling ausgewählten.5 Wichtig wäre die schwierig zu ermittelnde Feststellung gewesen, welchen Anteil die illegalen oder moralisch fragwürdigen Geschäfte am Handel der KoKo-Firmen hatten. Das jedoch hätte vorausgesetzt, dass Behling eingehend auf die Archivquellen zurückgreift.

Selbst wenn Quantifizierungen schwer sind, wäre dennoch eine Einordnung dieser spektakulären Elemente in die gesamte Geschäftstätigkeit der KoKo hilfreich gewesen. KoKo war nämlich auch im großen Umfang am legalen Import westlicher Technologien beteiligt. Es war ein Gebot der Logik, dass die DDR-Seite legale Konstruktionen anstreben musste, blieb es ja ihr Ziel, mit Hilfe solcher Anlagen produzierte Erzeugnisse wieder in das westliche Ausland exportieren zu können.

Insofern bleibt Behling in seinen Aussagen viel zu sehr auf der Ebene der illegalen Geschäfte stehen. Hier mag der Einwand kommen, dass das ja auch der eigentliche Gegenstand des Buches sein sollte, aber das schließt eine Einordnung der "spektakulären" KoKo- und MfS-Aktionen in den gesamten Technologieimport der DDR nicht aus. Mehr noch - und mit solchen Passagen wird das Buch dann auch ärgerlich: Dass die Söhne von Schalck-Golodkowski und seines Stellvertreters Manfred Seidel noch im Frühjahr 1989 mit Rasenmähern bzw. Oberhemden aus dem Westen versorgt wurden, leuchtet als notwendige Aussage in einem Buch zum Hochtechnologieschmuggel in die DDR nicht recht ein, allein bestätigen derlei Aussagen, wie sehr Behling auf den - ja: reißerischen - Effekt aus ist.

Fazit: Eine längere Zugreise mag der geeignete Zeitraum für historisch interessierte Leser sein, das Buch zu lesen, um sich einen Überblick über mit illegalen Methoden durchgeführten Hochtechnologieimport der DDR aus dem Westen zu verschaffen. Aber eben nur über diesen Teil der DDR-Außenhandelsgeschichte.

Anmerkungen:
1 So zu lesen im Werbetext zur Autobiographie des stellvertretenden Leiters und letzten Stabschefs der Hauptverwaltung Aufklärung im MfS: Wolter, Peter (Hrsg.), Geyer, Heinz. Zeitzeichen. 40 Jahre in Spionageabwehr und Aufklärung, Berlin 2007, in:< http://www.kai-homilius-verlag.de/vp/8.8/index.php> (05.10.2007).
2 Siehe Werbetext zu GRH e.V. (Hrsg.), Siegerjustiz? Die politische Strafjustiz infolge der deutschen Einheit, Berlin 2003, in: <http://www.kai-berlin.de/vp/8.9/index.php> (05.10.2007); Siehe auch Buchholz, Erich, Dem Unrecht wehren. Ein Berliner Jurist erzählt, Berlin 2006; Allerdings erschien als Band 4 der Reihe auch ein Buch über Menschen, die die Zusammenarbeit mit dem MfS verweigert hatten. Vgl. Hecht, Marco; Praschl, Gerald, Ich habe NEIN gesagt. Über Zivilcourage in der DDR, Berlin 2002.
3 Darunter Schölzel, Arnold (Hrsg.), Das Schweigekartell. Fragen und Widersprüche zum 11. September, 2. aktualisierte Auflage, Berlin 2003; Göbel, Rüdiger (Hrsg.), Bomben auf Bagdad - nicht in unserem Namen, Berlin 2003; Eichner, Klaus; Langrock, Ernst, Der Drahtzieher. Vernon Walters - ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges, Berlin 2005; Olschewski, Malte, Kanonen, Bomben und Durchwesung. Eine Chronik des amerikanischen Imperialismus 1620-2004, Berlin 2004; Schäfer, Horst, Im Fadenkreuz: Kuba. Der lange Krieg gegen die Perle der Antillen - Mit Geheimdokumenten aus US-Archiven belegt, Berlin 2005.
4 Vgl. Schalck-Golodkowski, Alexander, Deutsch-deutsche Erinnerungen, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 205.
5 Der Rezensent bearbeitet zurzeit ein Forschungsprojekt zur Geschichte des Bereiches Kommerzielle Koordinierung.

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