G. Poliwoda: Fluten der Elbe 1784-1845

Titel
Aus Katastrophen lernen. Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845


Autor(en)
Poliwoda, Guido N.
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Rohr, Fachbereich Geschichte, Universität Salzburg

Die Erforschung von Naturkatastrophen ist nicht zuletzt angesichts der Diskussion über den aktuellen Klimawandel zu einem Modethema innerhalb der Geschichtswissenschaft geworden, wobei immer stärker kulturhistorische Studien dominieren, die sich vornehmlich an Leitbegriffen wie Wahrnehmung, Deutung, Bewältigung, Erfahrung oder Vulnerabilität orientieren. Die Schule von Christian Pfister (Bern) betont im Besonderen auch die Aspekte des kollektiven Lernens aus der Katastrophe sowie der überregionalen, oft auch obrigkeitlich gesteuerten Solidarität.1 Die Studie, eine 2004 approbierte Berner Dissertation, folgt dieser Grundrichtung, doch wendet Poliwoda den Ansatz erstmals auf Sachsen bzw. auf einzelne Laufabschnitte und Teileinzugsgebiete der Elbe an.

Den Ausgangspunkt der Studie bilden die schweren Überschwemmungen des Jahres 2002, die auch bildlich im Band immer wieder präsent sind. Im Einleitungskapitel spannt Poliwoda daher stets Bögen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Ansätzen der Risikosoziologie und der Umweltgeschichte, mehr Gedankensplitter und Denkansätze denn ein umfassender Forschungsbericht. Bezüglich des Aspekts der gesellschaftlichen Lernprozesse (S. 40-42) folgt Poliwoda vornehmlich den Ansätzen von Adalbert Evers und Helga Nowotny, wonach in Phasen von Verunsicherung eine umfassende Neuordnung von Wissensbeständen erforderlich sei.2

Als Quellen verwendet Poliwoda u. a. Zeitungen aus Sachsen und anderen deutschen Ländern, Akten und Kartenmaterial aus dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, aus dem Stadtarchiv Dresden, dem Thüringischen Staatsarchiv Greiz, aus den Staatsbibliotheken (sic! S. 48) zu Berlin, aus dem Geheimen Preußischen Staatsarchiv Berlin-Dahlem sowie wissenschaftliche Literatur zur Klimatologie und Meteorologie aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dabei wurde „auf allen Ebenen“ gesucht, „von der Regierungsebene bis zur lokalen Ebene ‚auf dem Deich'“ (S. 48). Angesichts dieser postulierten Breite an Quellen und Perspektiven ist das Kapitel zu Quellen und Methodik mit knapp zwei Seiten doch sehr kurz und oberflächlich geraten.

Bevor Poliwoda zu seinen Hauptkapiteln kommt, bietet er einen vornehmlich auf den Studien von Pfister und Glaser 3 basierenden Überblick über die Klimaverläufe zwischen 1783 und 1845, eine Zeit, die vor allem durch das so genannte Dalton-Minimum (1790-1830), einer Phase verminderter Sonnenaktivität, geprägt war. Die in diesem Kapitel vorgestellten Grafiken spannen zum einen wieder einen Bogen zum Hochwasser von 2002, zum anderen sind einige in ihrer Aussagekraft zu hinterfragen. So analysiert Poliwoda anhand einer von Börngen 4 übernommenen Abbildung beispielsweise die Anzahl der von Weikinn 5 erfassten Quellentexte zwischen 1300 und 1850 (vgl. Abb. 9, S. 55) und kommt zu dem Ergebnis, dass das Hochwasser von 1784 mit Abstand am besten dokumentiert sei. Freilich ging Weikinn bei der Auswahl seiner Quellen rein eklektisch vor, unterschied häufig nicht zwischen zeitgenössischen Nachrichten und später publizierten Schilderungen in Stadtgeschichten des 19. Jahrhunderts. Zudem blickte Weikinn für das 17. bis 19. Jahrhundert vornehmlich auf einige Zentralräume Europas, die wiederum nur bedingt repräsentativ für die Häufigkeit von Hochwassern und deren Repräsentanz in den Quellen sein dürften. Der Aspekt unterschiedlicher Quellendichte allein aufgrund der Überlieferungslage und der Verbreitung von Schriftlichkeit hätte zumindest relativierend erwähnt werden müssen.

Die Zeit zwischen 1784 und 1845 teilt Poliwoda in mehrere Lernphasen: Lernphase I (1784-1799) wird mit „Vom Chaos zu variablen Maßnahmen“ charakterisiert. Ausführlich geht Poliwoda auf den Extremwinter 1783/84 ein, in dem es an der Elbe und an vielen anderen Flüssen Europas zu einem gewaltigen Eisstau kam. Ab dem 28. Februar brach das Eis und löste eine der schwersten Naturkatastrophen der Neuzeit aus. Es wurde somit zu „dem Initialereignis“ (S. 74) für einen schrittweisen Lernprozess, wobei die ersten Jahre danach noch von „posttraumatischen Maßnahmen und Präventionen“ (S. 85) seitens der Obrigkeiten, darunter auch Kanonenschüssen, Rettungsnetzen und Krankheitsvorsorge, geprägt waren. Im nächsten Extremwinter 1799 zeigten diese Maßnahmen schon positive Folgen, wobei vorerst eindeutig die Abwehrmaßnahmen dominierten.

Lernphase II reicht von etwa 1800 bis 1820 und steht unter dem Titel „Kontinuität und Umbruch“. Allmählich kam es zur Verlegung der Agenden des Hochwasserschutzes hin zu den lokalen Behörden, wobei sich bei der Sommerflut 1804 zeigte, dass die Umsetzung der schon 1785 erlassenen Instruktionen je nach Gemeinde unterschiedlich gut funktionierte. Am Ende der Phase steht die 1819 erlassene „Elbstrom-Ufer- und Dammordnung“, in der juristische und ökonomische Belange vereinigt wurden; die Arbeiten daran hatten freilich schon 1781 begonnen. Poliwoda setzt damit den Beginn von Lernphase III an, die er als „Auf dem richtigen Weg“ wertet. In der Elbstrom-Ufer- und Dammordnung wurden unter anderem Dammkassen geschaffen, in die die Dammkommunen jährlich einzuzahlen hatten. Damit verschob der Staat einen Teil der Kosten für Prävention und Schadensbehebung auf die Nutznießer der Regulierungsmaßnahmen. Ein Dammrichter sollte im Katastrophenfall die Koordination leiten. Eine Dammschaukommission hatte die Aufgabe, nach Schadensfluten eine Bestandsaufnahme der Schäden vornehmen. Bei den Hochwassern der 1830er- und 1840er-Jahre brauchte schließlich der Staat keine direkte Flutopferhilfe mehr leisten.

Kann man zwar den Grundlinien der Ergebnisse, etwa der dreistufigen Gliederung in Lernphasen, durchaus zustimmen, so sind im Detail allerdings auch einige Mängel in der Arbeit festzustellen. Dies betrifft zum einen den unpräzisen Umgang mit wasserwirtschaftlichen Fachtermini und hydrologischen Daten: Poliwoda hätte gerade aus seinem Ansatz des Lernens aus Katastrophen heraus zwischen den inhaltlich unterschiedlich belegten Begriffen „Hochwasserabwehr“ und „Hochwasserschutz“ klar unterscheiden müssen. Völlig unzutreffend ist auch die hydrologische Information, dass 95 % des Einzugsgebietes der Elbe in der heutigen Tschechischen Republik liegen (S. 107). Die Legende zum unteren Bild auf dem Cover ist mit „Elbhochwasser 2002. Bewohner von Weesenstein (Sachsen) auf einem Mauerstück“ ebenfalls irreführend, da Weesenstein nicht an der Elbe, sondern an der Müglitz liegt.

Auch das Literaturverzeichnis (S. 276-291) kann wissenschaftlichen Ansprüchen nur bedingt gerecht werden. Ein nicht unerheblicher Teil davon sind populärwissenschaftliche Kurzbeiträge und Feuilletons in Printmedien sowie im Internet, ja selbst Wikipedia (S. 287 zu Réaumur) und der Islandinformationsdienst Geysir.com (S. 281) fanden im Literaturverzeichnis Aufnahme. Angaben zum Reihentitel fehlen mitunter (z.B. S. 278 bei Deutsch, Pörtge, Teltscher 2000) und auch die Nennung von AutorInnen bzw. Buchtiteln enthält Fehler. So wurde beispielsweise der anerkannte Würzburger Geograph Horst Hagedorn zu Helga Hagedorn umgeschrieben (S. 279 bei Glaser, Hagedorn 1990). Die Münchener Meteorologiehistorikerin Cornelia Lüdecke wurde zu Claudia Lüdecke (S. 284, der angegebene Link aus dem Jahr 2005 ist nicht mehr aktiv).

Die Studie hinterlässt wegen dieser Mängel einen eher zwiespältigen Eindruck. Es wäre ratsam gewesen, das Buch einem weiteren, gründlichen Redaktionsgang zuzuführen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Pfister, Christian (Hrsg.), Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500-2000, Bern u.a. 2002; Pfister, Christian, Naturkatastrophen als nationale Mobilisierungsereignisse in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, in: Groh, Dieter; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz (Hrsg.), Naturkatastrophen. Zu ihrer Wahrnehmung, Deutung und Darstellung von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Literatur und Anthropologie 13), Tübingen 2003, S. 283-297; Pfister, Christian; Summermatter, Stephanie (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung. Perspektiven und Positionen. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 2003, Bern u.a. 2004.
2 Evers, Adalbert; Nowotny, Helga, Über den Umgang mit Unsicherheit. Die Entdeckung der Gestaltbarkeit von Gesellschaft, Frankfurt am Main 1987.
3 Pfister, Christian, Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496-1995), Bern u.a. 1999; Glaser, Rüdiger, Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, Darmstadt 2001.
4 Börngen, Michael; Curt Weikinns Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas, in: Chmielewski, F.-M.; Foken, Thomas (Hrsg.), Beiträge zur Klima- und Meeresforschung, Berlin 2003, S. 51-58, hier S. 54.
5 Weikinn, Curt, Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitwende bis zum Jahre 1850, 4 Bände und Manuskript Teil 5 (Quellensammlung zur Hydrographie und Meteorologie 1, 1-4), Berlin u.a. 1958-2000.