C. Streubel: Radikale Nationalistinnen

Cover
Titel
Radikale Nationalistinnen. Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik


Autor(en)
Streubel, Christiane
Reihe
Geschichte und Geschlechter 55
Erschienen
Frankfurt am Main u.a. 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
444 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Evelyn Zegenhagen, Washington, DC

Wer Christiane Streubels 2003 auf H-Soz-u-Kult erschienene faktenreiche Sammelrezension zu den Frauen der politischen Rechten in Kaiserreich und Republik gelesen hat, konnte schon vermuten, dass auch ihre Dissertation zu radikalen Nationalistinnen in der Weimarer Republik hohe Standards erfüllen würde.1 2006 erschien nun im Campus Verlag ihre Studie zu Agitation und Programmatik rechter Frauen in den Weimarer Jahren – eine weitere Arbeit zur Rolle und Bedeutung rechter Frauen im ideologischen Machtkampf der Zwischenkriegsjahre.2 Streubel versteht ihr Buch als „Beitrag zur neuen Ideengeschichte im Sinne einer politischen Kulturgeschichte“ (S. 18) und befindet sich im konsequenten Dialog mit den Forschungsergebnissen ihrer VorgängerInnen, die sie widerlegt, bestätigt oder nuanciert. Die klare, logische Gliederung der Arbeit, die präzise, schnörkellose Sprache und das beständige Aufgreifen des Forschungsstandes auf theoretisch anspruchsvollem Niveau machen das Buch auch lesenswert für den Nichtkenner der Materie.

Streubels Arbeit ist eine prall mit Fakten gefüllte Untersuchung zu den führenden Publizistinnen des Ringes Nationaler Frauen (RNF), der sich 1920 als Dachorganisation rechter Frauenorganisationen gründete. Diesem selbstgestellten Anspruch, so Streubel, konnte der RNF jedoch nicht gerecht werden: Zu wenige Verbände wurden durch den RNF vertreten und die Führungsarbeit blieb wenig konsequent, vor allem deshalb, weil viele der führenden RNF-Frauen kaum Erfahrung in der Gestaltung eines politischen Verbandslebens hatten. Erfahrung als Propagandistinnen und Publizistinnen hatten die Frauen jedoch umso mehr, und so gelingt es Streubel auf mehrfache Weise, die durchaus beachtliche publizistische Präsenz nachzuzeichnen, die der RNF bis 1933 erzielte: Zum einen wird der tatsächliche Anteil der Frauen des RNF an der Pressearbeit rechter Organisationen untersucht. Streubel analysiert dafür das Blatt des Alldeutschen Verbandes, die „Deutsche Zeitung", zwischen 1918 und 1932 einschließlich deren Frauenbeilage, die von 1918 bis 1922 und dann wieder ab 1926 erschien, die Publikation des RNF „Die Deutsche Frau“, die ab 1922 erschien, sowie weitere Periodika der rechten Frauenbewegung. Sie untersucht aber ebenso parteioffizielle Organe des Reichsfrauenausschusses der DNVP sowie in Nachlässen führender Aktivistinnen erhaltene Briefwechsel, Akten von Organisationen und Egodokumente. Zum zweiten kontextualisiert sie rechte Aktivistinnen, wobei sie bereits im Kaiserreich mit Käthe Schirrmacher einsetzt, gefolgt von Sophie Rogge-Börner, Marie Diers, Ilse Hamel, Lenore Kühn, Breda Philipp, Martha Voß-Zietz und Gertrud von Willich. Diese Frauen kamen zumeist aus dem protestantischen Mittelstand und standen politisch auf dem rechten Flügel der DNVP, waren fest angestellte oder freie Journalistinnen des Hugenbergschen Medienimperiums oder hatten leitende Positionen in Vereinen und Verbänden inne, die dem RNF angehörten. Politische Arbeit bildete den Lebensinhalt dieser Frauen und prägte ihr Selbstverständnis. Ihre zunehmend erfahrene soziale Verschlechterung in der Weimarer Republik kompensierten sie mit der Entwicklung eines Anspruchs auf gesellschaftliche Überlegenheit, zu der sie aufgrund ihrer Bildung und ihrer publizistischen Tätigkeit als neue geistige Elite prädestiniert zu sein schienen. Zu bedauern bleiben bei dieser detaillierten Darstellung der rechten weiblichen Führungsriege allerdings zwei Aspekte: dass der Leser sich die biographischen Fakten zu diesen Akteurinnen mühsam per Register aus dem Text zusammensuchen muss (ein Anhang mit kurzen biographischen Angaben hätte sich hervorragend gemacht) und dass noch zu wenige Biographien dieser rechten Frauen erforscht sind.3

Zum dritten leistet Streubel aber auch eine semantische Analyse: Welche Begriffe werden in welcher Bedeutung und welchem Kontext von den Akteurinnen in ihren programmatischen Artikeln verwendet und wie ist dies zu interpretieren? Geschichtsinterpretation wird hier ein wenig zur Erbsenzählerei, aber gerade durch diese akkurate Analyse kann Streubel tief in das ideologische Verständnis und Selbstverständnis rechter Frauen eindringen. Ihre Erkenntnisse sind dabei zahlreich und wohlfundiert. Aus Platzgründen kann hier nur auf einige eingegangen werden, so etwa auf den Fakt, dass die führenden rechten Frauen nach 1918 zwischen den verschiedenen Gruppierungen des rechten radikalen Nationalismus changierten und nicht eindeutig positioniert werden können. Dies hatte mehrere Gründe: Die Frauen adaptierten oftmals zentrale Elemente der antidemokratischen Ideologie und kombinierten diese ohne Beachtung der unterschiedlichen ideologischen Lager; nur wenige Frauen entwickelten laut Streubel den Ehrgeiz, es männlichen Theoretikern an Expertentum gleichzutun und detailversessen in Konzepte der Rechten vorzudringen. Nicht zuletzt wird auch offensichtlich, dass Frauen in den Organisationen, Ausschüssen und Klubs rechter Männer Außenseiter blieben – was ihnen zweifellos die Motivation nahm, sich in exklusiver Loyalität einer bestimmten politischen Richtung anzuschließen. Vor allem die Konzepte um den Begriff des „Volkes“ wurden im RNF zu einer „umfassenden Weltanschauung“ (S. 395) fortentwickelt. Völkische Rasseideologien hingegen scheinen nur sehr kurzzeitig Mitte der 1920er-Jahre Eingang in das Gedankengut der Frauen gefunden zu haben – ein Umstand, der ebenso wie das nahezu völlige Fehlen antisemitischer Äußerungen noch weiterer Analyse und Interpretation bedarf. Streubel beschreibt das Ringen der Frauen um Akzeptanz im eigenen politischen Lager und um die Etablierung des weiblichen Anteils an rechter Ideologie und Propaganda als „eine wahre Sisyphusarbeit“ (S. 398), als ein „ungeheuer schwieriges Geschäft“ (S. 406). „Frauenbefreiung und Volksbefreiung [...] ‚sie sind eins’“, verkündeten die rechten Publizistinnen immer wieder (S. 379) und versuchten sich unlösbar in den ideologischen Kampf einzubringen: „Man darf nicht sagen: politisch sein ist unweiblich“, verkündete Marie Diers 1929, „sondern man muß sagen: nicht politisch sein ist unmütterlich“ (S. 386). Einher mit dieser Kampfansage an alte Rollenzuschreibungen ging die Aufwertung des eigenen Geschlechtes: Traditionell zugeschriebene weibliche Passivität ging über Bord, statt dessen schmückte man sich mit der Zuschreibung soldatischer Qualitäten im Kampf fürs Vaterland – ein Prozess, den Karin Bruns einmal als „semantische Vermännlichung“ definiert hat. Die publizistischen Erfolge dieser Bemühungen blieben jedoch begrenzt: Lediglich episodenhaft konnten die Frauen sich in der „Deutschen Zeitung“ einbringen; deutlich häufiger in deren Frauenbeilage. Dort jedoch blieben ihre Meinungsbekundungen auf eine weibliche Leserschaft begrenzt und standen immer unter der Kontrolle der männlichen Verlagsleitung. Obwohl einige RNF-Frauen zu den einflussreichsten politischen Publizistinnen der Weimarer Ära zählten, gehörten sie nicht zur Elite ihres Berufsstandes; die von den Frauenorganisationen „geschaffene Öffentlichkeit dürfte [...] männliche Leser eher selten erreicht haben“ (S. 404).

Die nun schon triviale Weisheit, das Geschlecht als soziales Konstrukt gesehen werden muss, das mit Bea Lundt „zwischen gesellschaftlichen Zuweisungen und subjektiven Aneignungen Gestalt annimmt“ (S. 43), wird von Streubel erneut bestätigt. Ihr Buch ist deshalb auch ein wichtiger Beitrag zur Klärung der in der Historiographie immer noch akuten Frage, „wie das Phänomen der Koinizidenz radikalnationalistischer und feministischer Anschauungen eingeordnet werden kann“ (S. 26). Streubel versteht Feminismus als ein Ideensystem, das innerhalb einer distinktiven Gemeinschaft für die Aufhebung von Geschlechterhierarchien plädiert, in der Auseinandersetzung mit den politischen Strömungen seiner Zeit entsteht und daher unterschiedliche Formen annehmen kann. Daraus folgt ihre überzeugende These, dass in den 1920er-Jahren das feministische Ideensystem eine weitaus größere Spannbreite besaß als bislang angenommen und auch eine rechte, radikalnationalistische Ausprägung einschloss. Allen feministischen Positionen gemein, so Streubel, ist lediglich das Verlangen nach „Aufhebung der Machtunterschiede entlang der Kategorie Geschlecht“ (S. 401). In eine Historisierung des Begriffes müssen deshalb auch anti-universalistische und diskriminierende Traditionen, das Insistieren auf Hierarchien und Diskriminierung eingeschlossen werden. Diese Heterogenität politischer Positionen berechtigt es, für die Zwischenkriegsära von Feminismen und Frauenbewegungen zu sprechen. In dieser Darstellung des Feminismusbegriffes als historisch-analytischer Kategorie liegt eines der großen Verdienste von Streubels Arbeit. Weitere Definitionsprobleme verbleiben jedoch, wie auch Streubel selbst betont: In der Geschichte politischer Theorien ist der Feminismus als theoretisch-politisches Problem des späten 19. und 20. Jahrhunderts bislang kaum thematisiert, werden immer noch Maßstäbe der Gegenwart auf seine historische Phänomene angewandt. Streubels Arbeit liefert hier zweifellos Denkanstöße in die richtige Richtung.

Was bleibt als Fazit? Neben einer hervorragenden Analyse der Agitation und Programmatik der RNF-Frauen stellvertretend nur zwei ironische Fußnoten der Geschichte: zum einen, dass die historische Entwicklung in den letzten einhundert Jahren nicht viele Fortschritte gemacht zu haben scheint: „Die Frau hat sich diesen Beruf tatsächlich mühsam erobern müssen“, schrieb Ilse Hamel über das Aufkommen von Journalistinnen nach 1918, „nur wer zur Not zwei Männer ersetzen konnte, setzte sich durch“4 – ein Stoßseufzer, der vielen heutigen Journalistinnen und Publizistinnen (sowie auch Historikerinnen) nur allzu vertraut sein dürfte. Die zweite Ironie der Geschichte beweist sich im publizistischen Erfolg der rechten Frauen: Zwar gelang es ihnen, die „Deutsche Zeitung“, einstmals das Sprachrohr des Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, zu unterwandern und sich selbst in dessen Frauenbeilage – und ab und zu sogar in einem Leitartikel – einzubringen, wo sie vehement gegen die demokratischen Grundlagen der Weimarer Republik und für einen autoritären Staat argumentierten. Nach 1933, als dieses Ziel erreicht schien, wurde allerdings offensichtlich, so auch Streubels Fazit, „dass die besten Redechancen für die Vertreterinnen des Rings Nationaler Frauen in der Republik bestanden hatten, zu deren Zerstörung sie einen ideologischen Beitrag geleistet hatten“ (S. 406).

Anmerkungen:
1 Siehe geschichte.transnational, http://geschichte-transnational.clio-online.net/rezensionen/type=rezbuecher&id=16971697, 10.6.2003. Der Forschungsbericht ist ebenso erschienen in Historische Sozialforschung 28, S. 103-166.
2 Als Auswahl an weiteren Publikationen siehe u.a. Schwarz, Christina, Die Landfrauenbewegung in Deutschland. Zur Geschichte einer Frauenorganisation unter besonderer Berücksichtigung der Jahre 1898 bis 1933, Mainz 1990. Bitzan, Renate, Selbstbilder rechter Frauen. Zwischen Antisexismus und völkischem Denken, Tübingen 2000. Passmore, Kevin (Hrsg.), Women, Gender and Fascism, 1919-1945, Manchester 2003. Wildenthal, Lora, German Women for Empire, 1884–1945, Durham 2001. Sneeringer, Julia, Winning Women’s Votes: Propaganda and Politics in Weimar Germany. Chapel Hill 2002. Scheck, Raffael, Mothers of the Nation. Right-Wing Women in Weimar Germany, Oxford 2004. Süchting-Hänger, Andrea, Das “Gewissen der Nation”. Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937, Düsseldorf 2002. Planert, Ute (Hrsg.), Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Frankfurt am Main/New York 2000.
3 Zu den wenigen biographischen Arbeiten zu diesen Publizistinnen siehe Gehmacher, Johanna, Der andere Ort der Welt. Käthe Schirmachers Auto/Biographie der Nation, in: Kemlein, Sophia (Hrsg.), Geschlecht und Nationalismus in Mittel- und Osteuropa 1848-1918, Osnabrück 2002, S. 99-124. Streubel, Christiane, Lenore Kühn (1878-1955). Radikale Nationalistin in der Weimarer Republik, Berlin (in Vorb.). Walzer, Anke, Käthe Schirmacher. Eine deutsche Frauenrechtlerin auf dem Weg vom Liberalismus zum konservativen Nationalismus, Pfaffenweiler 1991. Ziege, Eva-Maria, Sophie-Rogge-Börner - Wegbereiterin der Nazidiktatur und völkische Sektiererin im Abseits, in: Heinsohn, Kirsten, Weckel, Ulrike, Vogel, Barbara (Hrsg.), Zwischen Karriere und Verfolgung. Handlungsspielräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland, Frankfurt am Main/New York 1997, S. 44-77.
4 Hamel, Ilse, Die Frau der Feder, in „Deutsche Frau“ vom 15.9.1928 (zitiert nach Streubel, S. 412).

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