M. Bonacker: Goebbels' Mann beim Radio

Cover
Titel
Goebbels' Mann beim Radio. Der NS-Propagandist Hans Fritzsche (1900-1953)


Autor(en)
Bonacker, Max
Reihe
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 94
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
289 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ursula Rombeck-Jaschinski, Historisches Seminar VI, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Der Name Hans Fritzsche ist heute nur noch wenigen älteren Menschen ein Begriff, die den Zweiten Weltkrieg bewusst erlebt haben. In den 1940er-Jahren war Hans Fritzsche dagegen einem Millionenpublikum als Kommentator von Politik und Zeitgeschehen aus Radiosendungen bestens bekannt. Seine Popularität erreichte vor allem in den ersten Kriegsjahren beträchtliche Höhen, so dass man ihn mit Fug und Recht als Medienstar des Nationalsozialismus bezeichnen kann. Dies führte dazu, dass Fritzsche stellvertretend für Propagandaminister Goebbels als Repräsentant der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess angeklagt wurde. Dort freigesprochen verurteilte ihn die Nürnberger Spruchkammer zu neun Jahren Arbeitslager, aus dem er wegen „guter Führung“ bereits 1950 entlassen wurde. Nach seinem frühen Tod im Jahr 1953 geriet Fritzsche schnell in Vergessenheit. Auch die Zeitgeschichtsforschung beschäftigte sich bisher eher am Rande mit dem NS-Propagandisten. 1 Insofern trägt Max Bonacker mit seiner kürzlich erschienenen Dissertation über „Goebbels’ Mann beim Radio“ dazu bei, ein Desiderat der Forschung zu beheben.

Im Zentrum der Untersuchung steht das berufliche Leben und Wirken von Fritzsche, weniger seine Persönlichkeit. Auf Grund der schwierigen Quellenlage war es dem Autor nur sehr eingeschränkt möglich, einen unmittelbaren Zugang zur Person Hans Fritzsche zu eröffnen. Er spricht deshalb richtigerweise nicht von einer Biografie, sondern von einer „biographische[n] Darstellung“, die „Fritzsche aus seinem jeweiligen institutionellen Umfeld“ (S. 9) analysiert. Das Buch bietet deshalb auch interessante Einblicke in die Strukturen und Funktionsweisen wichtiger Institutionen des nationalsozialistischen Mediensystems, worunter in diesem Fall konkret die Nachrichtenagentur des Rundfunks sowie die Presse- und Rundfunkabteilung des Reichspropagandaministeriums zu verstehen sind. Neben Einleitung und Schluss ist das Buch in drei Hauptkapitel untergliedert, die von Kapitel zu Kapitel deutlich an Umfang zunehmen. Die Untersuchung ist chronologisch aufgebaut, an zentralen Stellen werden aber diachronische inhaltliche Analysen eingefügt.

Das erste Kapitel schlägt einen weiten zeitlichen Bogen vom Ende des Ersten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Entwicklung Fritzsches vom Studenten in Greifswald bis zum nationalsozialistischen Rundfunkkommentator wird mangels geeigneter Quellen praktisch im Zeitraffer dargelegt. Trotzdem gelingt es Bonacker, wichtige Informationen für das Verständnis des späteren NS-Propagandisten Fritzsche herauszuarbeiten. Wie viele junge Männer seiner Generation empfand auch Fritzsche die Niederlage von 1918 als persönliche Katastrophe. Obwohl er nur wenige Monate in einer Kavallerie-Schützendivision gedient hatte, gerierte er sich nach dem Krieg als Frontkämpfer. Nachdem er für kurze Zeit mit dem Kommunismus geflirtet hatte, wandte er sich mit Verve dem völkischen Nationalismus zu. Er war Mitglied rechtsnationaler Studentenverbindungen und nahm öfter an Schulungen des Deutschen Hochschulrings teil, die zur Vertiefung seiner national-völkischen Überzeugung beitrugen. Die nationalistische und rechtskonservative Szene der frühen Weimarer Republik prägte sein Weltbild nachhaltig. Dazu gehörte auch ein ausgeprägter Antisemitismus, der laut Bonacker bei Fritzsche aber mehr kulturell als rassisch begründet war. Über seine Kontakte zum jungkonservativen Berliner „Juni-Club“ und eine Dozentur am rechtskonservativen Politischen Kolleg erhielt Fritzsche 1923 die Möglichkeit, als Nachrichtenredakteur in den Hugenberg-Konzern einzutreten. Hier perfektionierte Fritzsche sein journalistisches Handwerk. Er erlernte die effiziente Aufarbeitung von Fakten und deren weltanschauliche Bearbeitung. Besonders Letzteres war für seinen weiteren Berufsweg von unschätzbarem Vorteil. Fritzsche vertrat die Meinung, dass ein Redakteur „bei aller gebotenen Unparteilichkeit doch eine sinnvolle Tendenz in die Auswahl des Nachrichtenmaterials zu bringen“ habe (S. 31). Mit dieser Auffassung empfahl sich Fritzsche nach 1933 auch bei den neuen Machthabern, obwohl er bis dahin kein aktiver Nazi gewesen war und erst im Mai 1933 in die NSDAP eintrat. Fritzsche behielt seinen Posten als Leiter des Drahtlosen Dienstes (DD), den er 1932 von einem republikkonformen Kollegen übernommen hatte, der den Hugenberg-Konzern aus politischen Gründen verlassen musste.

Der DD wurde im Mai 1933 ins Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) eingegliedert und Fritzsche zum Oberregierungsrat ernannt. Auf Initiative von Goebbels wurde Fritzsche im Januar 1939 Leiter der Abteilung Deutsche Presse im RMVP. Zu seinen Aufgaben gehörte die Information und Lenkung der deutschen Presse gemäß den propagandistischen Vorgaben von Goebbels. Fritzsche versuchte, die Presse nicht auf plumpe Art zu gängeln, sondern ihr eine kreative Form der Selbstzensur zu ermöglichen, die im engen Rahmen des Systems ein Mindestmaß an journalistischer Vielfalt erhalten und damit zur Glaubwürdigkeit der Medien in der Bevölkerung beitragen sollte. Er verfügte über einen gewissen Freiraum, war ideologisch absolut zuverlässig und genoss das Vertrauen von Goebbels. Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges nahm er seine Tätigkeit als Rundfunkkommentator auf. In seiner bis zum Ende des Krieges regelmäßig ausgestrahlten Radiosendung setzte er sich zwecks Neutralisierung der so genannten Feindpropaganda mit Artikeln und Sendungen gegnerischer Medien auseinander. In den ersten Kriegsjahren erfreute sich Fritzsche großer Popularität bei den Hörern und erreichte einen offiziösen Status, der auch vom feindlichen Ausland zur Kenntnis genommen wurde. Nach der Kriegswende 1942 ging seine Beliebtheit, die nicht zuletzt auf seiner vermeintlichen Glaubwürdigkeit beruhte, jedoch rapide zurück. Die Diskrepanz zwischen dem propagandistischen Inhalt seiner Sendungen und der von den Menschen unmittelbar erfahrbaren Realität des Krieges wurde zunehmend größer. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die von Bonacker durchgeführte detaillierte Analyse der thematischen, inhaltlichen und stilistischen Aspekte der von Fritzsche bis Ende April 1945 kontinuierlich gesendeten Radiokommentare, die lediglich von einem wenige Monate dauernden Fronteinsatz unterbrochen wurden.

Fritzsche nahm seit Juni 1942 am Vormarsch der 6. Armee auf Stalingrad teil, kehrte aber im September rechtzeitig vor deren Einkesselung nach Berlin zurück. Nach seiner Rückkehr stieg er zum Leiter der Rundfunkabteilung im RMVP auf. Fritzsche näherte sich dem Höhepunkt seiner Medienkarriere. Er war ein wichtiger Teil des riesigen bürokratischen Medienapparats und der polykratischen Strukturen des nationalistischen Propagandasystems. 1944 wurde ihm von Goebbels auch die Zuständigkeit für den Unterhaltungssektor übertragen. Das letzte Kriegsjahr war auch im Bereich der Medien von einer zunehmenden Radikalisierung geprägt. Fritzsche tat alles, um den Durchhaltewillen des Volkes in aussichtsloser Lage bis zum Äußersten zu steigern. Er blieb bis zum bitteren Ende in Berlin und geriet dort in die Hände der Russen. Von Juni bis Oktober 1945 saß er in der berüchtigten Lubjanka ein. Vor seinem Abflug nach Moskau musste er noch die sterblichen Überreste von Goebbels identifizieren. Als Angeklagter im Nürnberger Tribunal konnte er sein Wissen über die Untaten der Nazis erfolgreich verschleiern und wurde freigesprochen. Sein Freispruch sorgte für massive Proteste in der Bevölkerung, die Fritzsches zynische Kommentare der letzten Kriegsphase noch gut im Ohr hatten. Im anschließenden Spruchkammerverfahren wurde er wegen seiner Tätigkeit als menschenverachtender NS-Propagandist und intellektueller Urheber kriegsverlängernder Durchhalteparolen jedoch als „Hauptschuldiger“ eingestuft. Seine Taktik, sich zum von den Nazis betrogenen Idealisten zu stilisieren, ging hier nicht auf. Trotzdem gewann er rasch sein altes Selbstvertrauen zurück. Er zeigte weder Reue noch innere Abkehr und brüstete sich damit, nur „seine Meinung, nicht seine Gesinnung geändert“ zu haben (S. 247).

Trotz anhaltender Proteste kam er auf Grund des sich wandelnden politischen Klimas in der Bundesrepublik vorzeitig frei. Zwar machte ihm sein hoher Bekanntheitsgrad eine Rückkehr in seinen alten Beruf unmöglich, doch konnte er in der Werbebranche noch einmal Fuß fassen. Fritzsche akzeptierte wie so viele Unbelehrbare weder seine persönliche Schuld, noch bejahte er das Rechts- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik. Er blieb bis zu seinem frühen Tod ein Verfechter autoritärer politischer Strukturen.

Max Bonacker hat ein wichtiges und interessantes Buch über einen Mann geschrieben, der sich – ohne von Beginn an aktiver Nazi gewesen zu sein – problemlos in das NS-System integrierte und auf der zweiten Ebene zum Funktionieren der NS-Propagandamaschinerie beigetragen hat.

Anmerkungen:
1 Eine Ausnahme bildet lediglich: Gassert, Philipp, This is Hans Fritzsche: A Nazi Broadcaster and His Audience, in: Journal of Radio Studies 8 (2001), S.81-103.

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