T. Lorenzen: BMW als Flugmotorenhersteller 1926-1940

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Titel
BMW als Flugmotorenhersteller 1926-1940. Staatliche Lenkungsmaßnahmen und unternehmerische Handlungsspielräume. Im Auftrag von MTU Aero Engines und BMW Group


Autor(en)
Lorenzen, Till
Reihe
Perspektiven. Schriftenreihe der BMW Group - Konzernarchiv 2
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XII, 528 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Budraß, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Till Lorenzen legt den zweiten Band zu einem Projekt vor, das die MTU als Rechtsnachfolgerin der BMW Flugmotorenbau GmbH und die BMW Group zur Jahrtausendwende begannen, um die Unternehmensgeschichte von BMW im nationalsozialistischen Deutschland zu erforschen. Der erste Band von Constanze Werner mit dem Schwerpunkt in den Jahren 1939 bis 1945 erschien 2006, Till Lorenzen betrachtet die Jahre 1926 bis 1940. Die zeitliche Überlappung ist nicht zufällig entstanden. Die Neuordnung des BMW-Konzerns 1940 markiert den Beginn einer Krise, die bald darauf eskalierte und zum Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Franz-Josef Popp führte. Während Constanze Werner jedoch in der Popp-Krise eine Ursache für die Erosion von BMW in den letzten Kriegsjahren sieht, tritt Lorenzen an, sie selbst zu erklären: Es geht in seinem Buch in erster Linie um Franz-Josef Popp, in zweiter Linie um seinen Widersacher im Konzernvorstand, Fritz Hille, und am Ende um die Frage der Handlungsspielräume dieser beiden Manager in der nationalsozialistischen Rüstung. Denn Popp, der das Unternehmen seit 1922 in patriarchalischer Manier geführt hatte, trat auf Druck des Staatssekretärs im Reichsluftfahrtministerium (RLM) und Generalluftzeugmeisters Erhard Milch zurück und darin drückte sich – so Lorenzen – der Verlust eines Großteils der unternehmerischen Handlungsspielräume der Führung von BMW aus (S. 425).

Lorenzen beginnt mit der Geschichte des Unternehmens in der Luftrüstung der Weimarer Zeit, um dessen Wahrnehmungshorizont am Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bewerten zu können. Seit 1917 beherrschte das Unternehmen den Markt für Flugmotoren in Deutschland und behauptete diese Stellung bis weit in die 1930er-Jahre hinein unangefochten. Zu Recht zweifelt Lorenzen die Behauptung Popps aus der zweiten Nachkriegszeit an, es sei sein Ziel gewesen, das Schwergewicht von BMW im Flugmotorenbau durch die Aufnahme des Motorradbaus im Werk München und den Kauf des Automobilwerkes in Eisenach aufzulockern. Lorenzen schreibt die Geschichte eines Unternehmens, dessen Herzensangelegenheit es bis 1945 war, Flugmotoren herzustellen. Daran änderte auch der Versailler Vertrag nicht viel. BMW zog beträchtlichen Nutzen aus der Kooperation zwischen der Reichswehr und der sowjetischen Regierung: Bis zu 90 Prozent der Flugmotoren wurden zwischen 1927 und 1930 in die Sowjetunion exportiert. Gleichzeitig erhielt BMW den größten Anteil an den Aufträgen, die das Reichsverkehrsministerium und die Luft Hansa in stillschweigender Kooperation mit der Reichswehr verteilten. Diese Hochkonjunktur hatte freilich ihren Preis. Da BMW bei den flüssigkeitsgekühlten Motoren technisch ins Hintertreffen geriet, bemühte sich Popp seit Mitte der 1920er-Jahre um den Einstieg in den Bau von luftgekühlten Motoren und erwarb 1928 eine Baulizenz für einen Sternmotor von Pratt & Whitney, obwohl das Reichsverkehrsministerium kurz zuvor Siemens zu einer Baulizenz auf einen Motor dieser Bauart verholfen hatte. Reichsverkehrsministerium und Reichswehr verübelten Popp den Alleingang so sehr, dass BMW erst mit dem Beginn der Aufrüstung Aufträge für die Sternmotoren erhielt. 1926 knüpfte das Reichsverkehrsministerium die Erteilung weiterer Aufträge an die Bedingung, die Stellung des italienischen Bankiers Camillo Castiglioni, einer der Gründer und seit 1922 Alleineigentümer von BMW, zu schwächen. Bis Ende 1929 gab Castiglioni seine Beteiligung an BMW zugunsten der Deutschen Bank auf. Wie sehr das Schicksal von BMW – und aller anderen Luftfahrtunternehmen – an den Entscheidungen über den Etat des Reichsverkehrsministeriums hing, zeigte sich bei den Haushaltskürzungen zwischen 1929 und 1932. BMW verlor gut die Hälfte der Beschäftigten und musste einen schmerzhaften Kostenabbau durchlaufen.

Die bittere Erfahrung in der Endphase der Weimarer Republik prägte Popps Haltung zum nationalsozialistischen Regime. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Emil Georg von Stauß, nahm sein Mandat nur zurückhaltend wahr und duldete „Popps autokratischen und patriarchalischen Alleinvertretungsanspruch“, obwohl dieser nach wie vor nur angestellter Manager war (S. 221). Durch die Aufrüstung tat sich Popp ein Horizont der Möglichkeiten auf: Den ungeliebten Automobilbau abstoßen und das Werk Eisenach für den Flugmotorenbau freiräumen, durch den Kauf von Zündapp den Motorradbau konzentrieren, Maybach übernehmen, um Synergieeffekte im Großmotorenbau zu erzeugen, ja, durch eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit Pratt & Whitney und anderen amerikanischen Firmen vielleicht sogar selbst den Flugzeugbau aufzunehmen – das waren Stichworte der strategischen Vision, die Popp 1933 für BMW entwarf.

Die Ernüchterung kam nicht über Nacht. Die erste gesellschaftsrechtliche Anpassung an die Aufrüstung, die Ausgründung der BMW-Flugmotorenbau GmbH aus der BMW AG – zur Umgehung der Publizitätspflicht und zur gesellschaftsrechtlichen Abtrennung des Rüstungssektors – wurde im Konsens vereinbart. Überhaupt war es nicht so, dass das RLM die Vergrößerung der Produktionsbasis von BMW vereitelte. Das Problem entstand erst dadurch, dass es von BMW so viel verlangte. 1935 setzte das RLM den Gesamtplan zum Aufbau der Luftfahrtindustrie, die IRG 38, in Kraft. Ein großer Teil des Buches von Lorenzen handelt von der Umsetzung dieses Planes und der ihn begleitenden Bestimmungen zur Investitionsfinanzierung, zur Produktionsplanung, zur Regelung des Arbeitsmarktes, zur Versorgung mit Rohstoffen, zur Organisation der Vorlieferungen und zur Preisgestaltung für die Flugmotorenlieferungen am Beispiel von BMW.

Die Anweisungen des RLM zum weiteren Ausbau der Kapazitäten trafen allmählich auf Widerstand. Es begann ein Aushandlungsprozess, in dem Popp und Hille für weiteres Engagement immer eindringlicher eine Risikoentlastung forderten und diese auch durchsetzten. Die Errichtung des neuen Flugmotorenwerkes in Eisenach kam erst nach einer Auftragsgarantie zustande, das RLM übernahm zugleich die Mehrheit des Stammkapitals des Tochterunternehmens. Das „Waldwerk“ Allach war überhaupt reichseigen und wurde von BMW lediglich gepachtet. Viel mehr als diese Risikoabwälzung war freilich nicht möglich. Als Carl Friedrich von Siemens 1936 die „Notbremse“ zog (S. 173) und sich der Forderung nach Errichtung eines Werkes wie Allach verweigerte, musste er als Preis das Ausscheiden seines Konzerns aus dem Flugmotorengeschäft entrichten. Die Spielregeln des Aushandlungsprozesses wurden vom Luftfahrtministerium festgelegt. BMW konnte seine Unentbehrlichkeit als Flugmotorenhersteller in die Waagschale werfen. Sonst blieb noch, transparentere Spielregeln zu fordern.

Ein zentrales Beispiel für Lorenzen ist die Preisgestaltung für Flugmotoren. Sie sollten mit Cost-plus-Verträgen vergütet werden: Die Kosten der Herstellung und eine geringe Gewinnmarge wurden bezahlt. Diese Konstruktion wurde freilich von den Unternehmen sehr schnell unterlaufen. Die Unternehmen versteckten einen großen Teil fremder Aufwendungen in den Herstellungskosten, mit der Folge, dass die Preise für Flugzeuge, Flugmotoren und anderes Material explodierten. Zwar findet sich bei BMW kein so eklatanter Missbrauch wie der Fall jenes Landehakens, den Heinkel bei tatsächlichen Kosten von ungefähr 200 Mark mit 39.000 Mark abrechnete. Doch ist davon auszugehen, dass das Unterlaufen der Preispolitik zu einem guten Teil für die explodierenden Gewinne von BMW sorgte.

Diese Gewinne waren Risikoprämien, denn das Risiko war hoch. Jede Umdrehung der Rüstungsspirale ließ die Frage drängender werden, die bei BMW schon 1933 gestellt wurde: Was würde mit den gewaltigen neu errichteten Kapazitäten nach dem Ende der Aufrüstung geschehen (S. 158). Das RLM war mit der Antwort darauf überfordert und schloss die sehr wohl erkannte Lücke erst, als der Haushalt wegen der ausufernden Kosten für Flugzeuge, Flugmotoren und Baumaßnahmen kippte – von ideologischen Motiven, die Fiktion einer geringen Gewinnmarge aufrecht zu erhalten, einmal ganz abgesehen (S. 448). Jedenfalls verkehrt die Kausalkette, die Lorenzen erst auf den letzten 50 Seiten seines Buches entwickelt – große Gewinne seien ein Ausdruck hoher Rentabilität, hohe Rentabilität wiederum ein Ausdruck für eine gesunde privatwirtschaftliche Entwicklung, eine gesunde privatwirtschaftliche Entwicklung ein Zeichen für große unternehmerische Handlungsspielräume – die tatsächlichen Umstände in ihr Gegenteil und widerspricht im übrigen auch den Befunden, die er sonst (bspw. S. 346) formuliert.

Im Sommer 1937 bekam BMW einen Vorgeschmack darauf, was passierte, wenn die Luftwaffe ihre Beschaffungen auch nur ein klein wenig herunterschraubte: Der Gewinn brach ein, Arbeiter mussten entlassen und ein Flugmotorenprojekt abgebrochen werden. Diese Erfahrung war der Anlass für Popp, jene Strategie zu fassen, die am Ende zu seinem erzwungenen Rücktritt führte: Er zögerte, die aus dem Siemens-Flugmotorenbau entstandenen Brandenburgischen Motorenwerken zu übernehmen, wehrte sich anschließend gegen eine endgültige Verschmelzung der Entwicklungsabteilungen beider Werke, stemmte sich gegen die Stilllegung des Automobil- und die Verlegung des Motorradbaus von München nach Eisenach – nachdem er diese Betriebsteile vorher an den Rand gedrängt hatte – und hintertrieb schließlich mit dem Kalkül, auf diese Weise eine günstigere Ausgangsposition in der Konkurrenz mit den anderen Flugmotorenherstellern zu erreichen, die Weiterentwicklung des vom RLM geforderten Flugmotors zugunsten einer unfertigen Neuentwicklung.

Durch diese Strategie geriet Popp mit Fritz Hille in Konflikt. Lorenzen stellt dem kaufmännischen Vorstand der BMW AG und Chef der BMW Flugmotorenbau GmbH, der erst 1935 von Heinkel zu BMW gestoßen war, ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: Hille sei ein Karrierist und Technokrat gewesen, ehrgeizig, menschlich unzugänglich, versessen auf Anerkennung durch das RLM, während Popp „mit seiner privatwirtschaftlich orientierten Einstellung“ (S. 418) zunehmend mit den Spitzen des Ministeriums überkreuz lag. Allerdings weist Lorenzen auch nach, dass Hille unablässig daran arbeitete, an die Stelle der verschachtelten Struktur von BMW eine klare Konzernorganisation zu setzen und BMW konzentriert auf jene Aufgabe auszurichten, die das Unternehmen am besten beherrschte: Flugmotoren zu bauen. Im Verkehr mit dem RLM stand für Hille an erster Stelle, Abschied von den dysfunktionalen Bestimmungen zur Finanzierung der Industrie oder zur Gewinnbemessung zu nehmen (S. 448) und transparentere Spielregeln für die Aushandlungsprozesse über die Rüstung zu fordern. Die Reform der Investitionsfinanzierung, mit der die Luftfahrtindustrie reprivatisiert und bessere Anreize zur Rationalisierung der Produktion gesetzt wurden, ging auch auf Fritz Hille zurück. Popp und Hille waren in ihrer Wahrnehmung des Dilemmas, in dem BMW und die gesamte Flugmotorenindustrie steckte, daher gar nicht einmal weit voneinander entfernt. Während Popp jedoch seit 1937 Auswege aus der Kernrüstung erhalten wollte, die meist nur eingebildet waren, zog Hille offenbar den Weg vor, BMW zum leistungsstärksten Flugmotorenhersteller zu machen, in der Erwartung, dass sich darin allein eine Chance bot, auf dem Markt nach der Rüstung zu bestehen.

Die Untersuchung von Till Lorenzen ist akribisch gearbeitet, der Quellenfundus breit. Es gelingt ihm, die Verästelungen der Konflikte aufzuklären, die sich bei BMW entfalteten und er meistert die Aufgabe, dabei komplexe betriebswirtschaftliche Zusammenhänge zu erläutern. Da er seine Untersuchung systematisch nach den Konfliktfeldern gliedert, auf denen sich BMW bewegte, ist es leider schwierig, Kulminationspunkte der Aushandlungsprozesse über die Rüstung nachzuhalten. Seine Arbeit ist ein deutlicher Beleg dafür, wie weit wir uns mittlerweile von der schablonenhaften Wahrnehmung des Handelns von Unternehmen in der nationalsozialistischen Rüstung entfernt haben, wenn er auch seine Befunde etwas vorschnell im Sinne seiner Kernthese über die Wahrung unternehmerischer Handlungsspielräume einordnet. Nichtsdestoweniger ist sein Buch eine gelungene Fallstudie zur Geschichte des größten industriellen Projekts des Dritten Reiches.

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