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Titel
Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog


Autor(en)
Müller, Harald
Reihe
Spätmittelalter und Reformation, N.R. 32
Erschienen
Tübingen 2006: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
426 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Studt, Historisches Seminar der Universität Freiburg

Über das Verhältnis des Renaissance-Humanismus zur klösterlichen Welt des späteren Mittelalters herrschen in der Forschung widersprüchliche Einschätzungen. Während man auf der einen Seite eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von Kloster und Humanismus annimmt, wird andererseits immer wieder auf die enge Verbindung zwischen einer durch die spätmittelalterlichen monastischen Reformbewegungen getragenen wissenschaftlichen Erneuerung der klösterlichen Bildung mit dem Humanismus verwiesen. Harald Müller nimmt in seinem Buch – einer im Jahre 2005 an der Humboldt-Universität zu Berlin vorgelegten Habilitationsschrift – eine grundsätzliche Neubestimmung dieses Verhältnisses vor, indem er nach Umfang und Qualität der Teilhabe von Klosterangehörigen am Humanismus fragt. Die Ausgangssituation für eine solche Neubewertung ist denkbar schlecht, denn der Autor sah sich von vornherein mit dem grundlegenden Problem konfrontiert, dass weder für den Begriff des Humanismus selbst noch für seine monastische Ausprägung eine verlässliche inhaltliche Bestimmung existiert, die eine vergleichende Untersuchung erlaubte. Seit den 1970er-Jahren gibt es im Gefolge der programmatischen bzw. grundlegenden Arbeiten von Paul Oskar Kristeller und Klaus Arnold zahlreiche Einzelstudien zu einzelnen Vertretern, Werken und Feldern des von Franz Machilek erstmals so genannten Klosterhumanismus, doch dieser Begriff suggeriert eine Geschlossenheit und ein inhaltliches Profil, das erst noch zu erweisen ist.

Daher hat sich Harald Müller der Herausforderung gestellt, überhaupt erst ein konzeptionelles Gerüst zu entwerfen, in das die bereits zusammengetragenen Einzelbefunde zu humanistischen Studien im Kloster eingebaut werden können, um damit die Teilhabe von Mönchen an der kulturellen Welt der Humanisten genauer bestimmen zu können. In einem ersten umfangreichen Kapitel steckt er das Problemfeld ab, indem er die bisherigen Untersuchungsansätze und -ergebnisse zusammenträgt und bilanziert sowie Sedimente älterer Vorannahmen behutsam beiseite räumt, um auf dieser sorgfältig bereiteten Grundlage sein eigenes methodisches Verfahren zur Beurteilung dieses schwierigen Verhältnisses zu entwickeln. Müller stützt sich auf die an sich bewährte Trias der Untersuchung von Werken, Bibliotheken und Personengruppen bzw. deren Kommunikationsnetzen, doch nimmt er dabei eine entscheidende Umwertung der bisherigen analytischen Prioritäten vor. An erster Stelle steht für ihn nicht die Analyse des literarischen Werkes einzelner Individuen bzw. der von diesen zusammengetragenen Bücherschätze, um daraus auf eine humanistische Orientierung zu schließen, sondern das soziale Handeln der Humanisten. Diese sucht er relational als formal strukturierte Gruppe zu fassen, die sich durch den brieflichen Verkehr immer wieder neu formierte: „Humanist ist hier, wer mit anderen Humanisten im Gespräch ist und bleibt“ (S. 77). Die Grundlage der Untersuchung bilden daher neue Lektüren von humanistischen Korrespondenzen. Darin isoliert Müller unterschiedliche Phasen erstrebter, geglückter und gescheiterter Einbindung in die Humanistengemeinschaft und deutet deren sprachliche Gestalt und Themen als Erkennungszeichen der humanistischen Gemeinschaft, mit denen sie sich untereinander Gemeinsamkeiten in ihren Vorbildern und Interessen signalisierte.

Diese primär sozialgeschichtliche Annäherungsweise bietet sich insbesondere für die Untersuchung monastischer Ausprägungsformen des Humanismus an, da die durch ihr Gelübde an einen Ort gebundenen Mönche in ganz besonderer Weise auf den Brief als spezifisches Mittel der Kontaktaufnahme und -pflege verwiesen waren. Angesichts der Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu mehreren sozialen Gruppen in der Regel den Normalfall darstellte und die Mönche aufgrund ihrer professio neben oder sogar vor ihrer angestrebten Einbindung in die humanistische Gemeinschaft den Anforderungen des Klosterlebens gerecht werden mussten, stellt sich gerade für das Feld der humanistischen Klosterkultur die Frage nach Konformität bzw. Rollenkonflikt. Die Art und Weise, wie derartige Probleme in den Briefwechseln behandelt werden, gibt Aufschluss über die normativen und sozialen Rahmenbedingungen der individuellen Rezeption humanistischer Inhalte im Kloster.

Dies illustriert Müller in einer ersten Sondierung am Beispiel des Johannes Trithemius, der in der Forschung als Kronzeuge für die vermeintlich harmonische Verbindung von Bildungsstreben und Ordensreform gilt. Durch die Fokussierung der Untersuchung auf die Zeit der durch den erzwungenen Wechsel von Sponheim nach Würzburg für Trithemius entstandenen existenziellen Krisensituation wird stattdessen ein grundsätzliches Konkurrenzverhältnis von humanistischer Gelehrsamkeit und Regelobservanz deutlich. Damit gelangt Müller zu einer Relativierung der Bewertung von Trithemius als Prototyp eines Klosterhumanisten.

Im zweiten Teil der Untersuchung nimmt Müller die normativen Rahmenbedingungen humanistischer Bildung im Kloster und die Bedeutung der monastischen Reformkongregationen von Melk, Bursfelde oder Windesheim für die Möglichkeiten gelehrter Betätigung im Kloster kritisch in den Blick, ehe er im dritten Kapitel zur Untersuchung einzelner Fallbeispiele gelangt. Mit Sigismund Meisterlin und Albrecht von Bonstetten werden zunächst zwei dem deutschen Frühhumanismus zuzurechnende Benediktiner präsentiert, mit Johannes Trithemius dann der für die Forschungsgeschichte wichtige sogenannte ‚rheinische Klosterhumanismus’ in der Blütezeit des Renaissance-Humanismus vorgestellt. Die umfangreiche Korrespondenz des Ottobeurer Priors Nikolaus Ellenbog, die bereits die Auswirkungen der Reformation erkennen lässt, markiert den zeitlichen Endpunkt der Untersuchung, da Müller zu Recht die transformierende Bedeutung der beginnenden Konfessionalisierung für den Humanismus betont. Insgesamt verweisen die Einzelanalysen auf die regionale Begrenzung der Wirkungskreise nicht nur der Humanisten im Habit, mit der das überkommene Bild der universalen Gelehrtenrepublik relativiert wird. Während hier die Aufmerksamkeit in erster Linie der Selbstpositionierung der humanistischen Gelehrten im Kloster galt, wird im vierten Teil der Untersuchung die Frage nach Integration von Mönchen in humanistische Zirkel aus der Außenperspektive behandelt. Im Mittelpunkt steht die kursorische Durchsicht der Korrespondenzen von sechs ausgewiesenen Humanisten, nämlich Konrad Celtis, Konrad Peutinger, Johannes Reuchlin, Willibald Pirckheimer und Beatus Rhenanus, auf Spuren humanistisch geprägten Austausches mit Ordensgeistlichen. Diese Analyse bestätigt die quantitative und qualitative Teilhabe weiterer Mönche an der Gemeinschaft. Allerdings treten Religiose nur in vergleichsweise geringer Zahl als Korrespondenzpartner auf; die Humanisten wiederum zeigen ein vor allem funktionales Interesse an den Klöstern als Bewahrer antiker Texte. So versorgte etwa der Straßburger Kartäuser Otto Brunfels Beatus Rhenanus mit Stücken aus der Klosterbibliothek, die er heimlich aus Codices herausgetrennt hatte. Daneben übte das monastische, vermeintlich kontemplative Leben einen gewissen Reiz auf manchen Humanisten aus, der hierin seinen Wunsch nach Muße und Studium erfüllbar sah, ohne sich freilich mit den Normen des Klosterlebens auseinandergesetzt zu haben. Jedenfalls ist die überlieferte Negativeinschätzung von Religiosen, die aus allgemeinen oder polemischen und bisweilen topisch kolportierten Ablehnungen des Mönchsstandes gespeist sind, in den Humanistenbriefen nicht festzustellen. Darin werden die humanistischen Gesprächspartner in der Kutte vielmehr jeweils als Individuen wahrgenommen, mit denen man ein gemeinsames Interesse an den bonae litterae teilte.

In seinem Resümee charakterisiert der Verfasser die in den Briefwechseln aufscheinenden verschiedenen Spielarten dieser Synthese von Kloster und Humanismus. Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen dient die Einsicht, dass der so selbstverständlich erscheinende und oft behauptete Zusammenhang von Reform und Humanismus in dieser Form nicht bestanden habe. Denn im intensiven Streben nach Observanz habe die generelle Hebung des Bildungsniveaus der Mönche hinter der Wiederbelebung der spirituellen Funktionen des Mönchtums zurückstehen müssen. So habe sich der Humanismus nur in den Nischen klösterlicher Existenz entfalten können und sei von Einzelpersonen abhängig geblieben. Wer sich dennoch den studia humanitatis habe widmen wollen, habe seine Freiräume innerhalb des begrenzten Rahmens seiner monastischen professio sorgfältig ausloten müssen, so dass die Mönche in eine „Zwickmühle zwischen monastischem Habit und humanistischem Habitus“ geraten seien (S. 363). Dieser grundsätzliche Rollenkonflikt wird in den humanistischen Briefwechseln deutlich und markiert die Grenzen der Vereinbarkeit von Kloster und Humanismus. Die Gelehrten im Kloster orientierten sich an klösterlichen Erwartungen, aber bemühten sich gleichzeitig darum, auch außerhalb des Klosters akzeptiert zu werden. Sie richteten sich an eine humanistische Öffentlichkeit, die die – häufig polemisch geschilderten – Konfliktszenarien zu lesen wusste und die erhoffte Solidarität gewährte.

Am Ende nimmt der Verfasser noch einmal die Frage nach dem Klosterhumanismus auf und gelangt nun zu einer grundsätzlich neuen Einschätzung dieses Phänomens: Er bezieht den Renaissance-Humanismus auf Humanisten als eine „aktive Gruppe“, die „durch inhaltliche und (sprach-)ästhetische Konvergenzen einen eigenen Habitus“ ausbildete (S. 367). Damit betont er die soziale und inhaltliche Dynamik dieses Phänomens: Diejenigen Mönche mit humanistischen Neigungen, denen es gelang, aktiv und immer wieder aufs Neue ihre spezifischen Fähigkeiten und Interessen zu demonstrieren, wurden von den Humanisten als gleich gesinnte Gesprächspartner wahrgenommen und anerkannt. Die gelehrten Mönche übernahmen Konventionen humanistischer Kommunikationskultur und gewannen Anschluss an entsprechende Themenfelder, so dass sie keinesfalls als Vertreter einer monastisch geprägten Misch- oder gar rezeptiven Kümmerform des Humanismus angesehen werden können.

Mit diesen differenzierten Ergebnissen hat Harald Müller wichtige Impulse für die künftige Erforschung des Humanismus gesetzt. Denn die Forschung droht in eine Sackgasse zu geraten, solange dieser als reine Bildungsbewegung verstanden wird, deren inhaltliche Merkmale nur mit „weichen“ Faktoren zu fassen sind. Diese unterlagen aber wiederum selbst kontinuierlichen Wandlungsprozessen, die durch die jeweils aktuellen Vorstellungen und Interessen der Träger dieser Bewegung geprägt waren. Mit ihrer Fokussierung auf den klösterlichen Bezugsrahmen humanistischer Kommunikation stellt die Untersuchung geradezu eine modellhafte Pilotstudie dar, die die Berechtigung und Notwendigkeit einer stärker sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise dieses Phänomens deutlich macht. Das Kloster hat sich hierfür als ein besonders instruktives Untersuchungsfeld erwiesen, auf dem sich die spezifischen Ausprägungen des europäischen Renaissance-Humanismus als kulturelles Rezeptions-, Transformations- und Diffusionsphänomen mit größerer Trennschärfe verfolgen lässt als in Kontexten von größerer sozialer und ideeller Flexibilität. Es ist zu wünschen, dass die Anregungen dieses wichtigen Buches, dessen Lektüre aufgrund seiner eleganten Anlage, der nobel zurückhaltend, aber dennoch programmatisch formulierten methodischen Überlegungen und seiner sprachlichen Prägnanz intellektuellen Genuss bereitet, in der internationalen Humanismusforschung auf fruchtbaren Boden fallen.

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