Cover
Titel
Museen des Industrialismus. Formen bürgerlicher Geschichtskultur am Beispiel des Bayerischen Verkehrsmuseums und des Deutschen Bergbaumuseums


Autor(en)
Hartung, Olaf
Reihe
Beiträge zur Geschichtskultur 32
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XII, 455 S., 39 Abb.
Preis
€ 54,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Abeck, Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V., Dortmund

Den Kostenträgern des sich demnächst um 1.800 Quadratmeter vergrößernden Deutschen Bergbau-Museums in Bochum ist zu wünschen, dass die beauftragten Architekten besser zu kalkulieren vermögen als ihr Vorgänger Fritz Schupp. Dieser hatte nämlich die Kosten für den Bau dieses Museums in den 1930er Jahren um rund die Hälfte zu niedrig angesetzt (S. 327). Dabei war Schupp an diesen Auftrag, der sein einziger Museumsentwurf bleiben sollte, zwar auch wegen seiner Reputation als Industriearchitekt (z.B. Zollverein Schacht XII, 1927-1932; zusammen mit Martin Kremmer) gelangt, ausschlaggebend wird jedoch seine Verwandtschaft mit Ernst Brandi, einem Vorsitzmitglied beim Zechenverband und Bergbauverein und Leiter der Bergbauabteilung der Vereinigten Stahlwerke und damit einem der einflussreichsten Männer des Ruhrkohlenreviers, gewesen sein. Dieses Detail, das in der Festschrift zum 75-jährigen Museumsjubiläum fehlt1, erfährt man in der soeben erschienenen Arbeit von Olaf Hartung. Hartung hat hier mit großer Akribie (1.500 Anmerkungen!) die Anfänge des Bochumer Museums sowie des Bayerischen Verkehrsmuseums in Nürnberg rekonstruiert. Für den systematischen Vergleich der beiden Häuser wählte Hartung sechs Kategorien: er fragte nach den Handlungsmotiven der Gründer, nach Finanzierung und Trägerschaft, der Formensprache und Museumsarchitektur, den selbst gesetzten Aufgaben und Zielen, den Ausstellungspräsentationen sowie nach der Besucherrezeption.

Dabei durchschreitet Olaf Hartung zuerst einmal, das kulturwissenschaftliche Museumsverständnis skizzierend, das Tal der Theorie, vorzugsweise in der Orientierung an Jörn Rüsen (S. 6ff.). Er widerspricht der Kompensationstheorie Hermann Lübbes (S. 18) und stimmt mit Einschränkungen der von Jan Assmann aufgestellten Beobachtung zu, dass Menschen nach rund 40 Jahren das Selbsterreichte museal fixieren und tradieren möchten (S. 94/S. 415). In der mit Verweisen auf die Forschungsliteratur gesättigten Beschreibung der deutschsprachigen Ausstellungskonzeptionen im 19. Jahrhundert – vom (Kunst-)Gewerbemuseum über das kulturhistorische Museum, das naturwissenschaftliche und technische Museum bis zum Sozial- und Wirtschaftsmuseum – zeichnet Olaf Hartung glaubhaft nach, wie den „Museumsmachern“ der immer mächtiger werdenden deutschen Industrienation, den Unternehmern, Beamten, Ingenieuren und Akademikern, daran gelegen war, auf die eigene gesellschaftliche Bedeutung gegenüber Adel und traditionellen Bildungseliten aufmerksam zu machen. Gelungen ist auch seine Beschreibung der sich gründenden Museumsvereine als „Arenen des bürgerlichen Kulturkampfes“ (S. 75), die sich von einer kritisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte fern hielten und stattdessen nach 1870/71 Museen als Volksbildungsstätten betrachteten. Dabei habe es, so Hartung, keinerlei genuin sozialistische Museumskonzepte gegeben, und dass Arbeiter Museen gefordert hätten, sei höchst selten gewesen. So führt er lediglich drei Beispiele an, unter ihnen die 1921 erhobene Forderung des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter nach Einrichtung eines Bergbaumuseums (S. 78, Anm. 267 u. S. 293).

Vor allem interessierte sich Hartung dafür, ob und inwieweit sich das Geschichtsbewusstsein eines bayerischen Verkehrsbeamten von dem eines Bergingenieurs an der Ruhr unterschied. In Nürnberg waren es zwei treibende Kräfte, die hinter der Museumsgründung standen, nämlich der Minister des Königlichen Hauses und des Äußern, Krafft von Crailsheim, der zugleich Leiter der bayerischen Verkehrsbehörden war, und der Generaldirektor der königlichen Verkehrsanstalten, Adolph von Hocheder. Beide wollten die Geschichte der bayerischen Staatsbahnen dokumentiert sehen, so dass bereits 1885 in München eine Sammlung gezeigt wurde, die dann 1899 nach Nürnberg in den kurz zuvor errichteten „Glaspalast“ umzog. Auch in Bochum wurde die Idee einer Museumsgründung anfänglich der Öffentlichkeit entzogen. Die von Bergassessor Hugo Schultz, Direktor der Bochumer Bergschule, für den Anschauungsunterricht ab 1870 angelegten Sammlungen sollten – auch als eine Entgegnung auf das 1906 gegründete Deutsche Museum – zu einem eigenen Museum ausgebaut werden. Die Bergwerksbesitzer, die ein solches Vorhaben zumindest hätten mitfinanzieren müssen, lehnten die Idee aufgrund der Kosten jedoch ab.

In beiden Städten stand ein früh ausgeprägtes Stadtmarketing den Museumsplanern zur Seite: Versprach man sich in Nürnberg von einer Museumsgründung eine „Sehenswürdigkeit ersten Ranges“ (S. 101), so ging man in Bochum „von außerordentlicher Bedeutung und von unschätzbarem Wert für die Stadtwerbung“ aus (S. 292). Und während in Nürnberg bereits die „Lebensleistung“ der Eisenbahndirektion ihre symbolische Würdigung fand, unterstützten die Unternehmer an der Ruhr zwar den Ankauf der Hagener Kunstsammlung Folkwang generös mit sechs Millionen Mark, lehnten den Museumsbau jedoch nach wie vor mit Verweis auf die prekäre finanzielle Situation ab.2 Hier findet die Aussage von Susanne Hauser, dass bis in die 1970er-Jahre die Musealisierung der Industrie „ein exotisches Unterfangen“ war, ihre Bestätigung.3 Die günstige Konjunktur führte 1926 dann doch noch zu einer Zustimmung der Ruhrindustriellen, zumal die Stadt Bochum den Hauptteil der Kosten übernahm. Das Bergbaumuseum4 konnte dann 1930 in den Hallen des ehemaligen Schlachthofes eröffnet werden, der eigentliche Neubau wurde jedoch erst nach dem Krieg fertig gestellt.5

Ging es den Museumsgründern in Nürnberg um die Darstellung der gesamten Behörden- und Organisationsleistungen bei Auf- und Ausbau der Eisenbahn und des Postwesens sowie um die Darstellung der damit verbundenen technischen Leistungen, wurden in Bochum die Aufgaben des Museums in der Laienunterrichtung, der Anregung der bergmännischen Erfindungsgabe und der Demonstration der technischen Fortschritte im Ruhrbergbau für Fachbesucher gesehen.
Die Nürnberger Macher wünschten, die Geschichte so „wie sie gewesen ist“ mittels einer kompletten Exponatsammlung abzubilden. Was zu einer „Seuche des vollständigen Überblicks“ (Georg Kerschensteiner, 1925; zitiert bei O. Hartung S. 274) führte, die der Leiter des Bochumer Bergbau-Museums 1935 für „denkbar schlecht und uninteressant präsentiert“ befand (Heinrich Winkelmann, ebd.). Geschichte wurde sowohl als die Tat Einzelner wie auch als Geschehen präsentiert, wobei dieser Widerspruch wohl nicht erkannt wurde. Demgegenüber wollten die Museumsleute in Bochum mit ihrem objektivistischen Abbildungsrealismus, der eine aufsteigende Entwicklungsreihe zeigte (und auch heute noch in weiten Teilen zeigt), ihren Besuchern das Gefühl vermitteln, selber Teil einer kontinuierlichen Fortschrittsbewegung zu sein. Sie schufen damit eine neue, eigene Wirklichkeit, die nach Olaf Hartung einer ungehemmten Parzellierung der Sammlungen Vorschub leistete, so dass auch hier die übergreifenden Zusammenhänge immer schlechter zu erkennen waren. Überrascht hat Hartung das hohe Anpassungspotenzial, welches die Museumsleute in Bochum dann gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern an den Tag legten, indem sie entgegen ihres eigentlich historistischen Museumskonzepts soziale und politische Themen im Sinne der NS-Ideologie in den Vordergrund rückten.6

Das anfänglich große Publikumsinteresse in Nürnberg schwand jedoch bald nach der Eröffnung des Museumsneubaus 1925. Auch in Bochum war die Besucherresonanz 1930 und in den Folgejahren recht zurückhaltend. Zwar führt Hartung diese Entwicklung auch auf einen Bedeutungsverlust des historischen Orientierungswissens in der Weimarer Republik zurück, sieht aber, anders als die bisherige Forschung, als Hauptursache für diese Krise des wissenschaftlich-objektivistischen Historismus nicht im wissenschaftlichen Fortschritt schlechthin, sondern in den Unzulänglichkeiten – naiver Empirismus und fehlendes kritisches Methodenbewusstsein – des Historismus.

Olaf Hartung arbeitet in zahlreichen Querverweisen die Komplexität der Bedingungen und vielschichtigen Motive der beiden Museumsgründungen heraus. Geschichte wurde in beiden Häusern vor allem als eine Abfolge von technischen Ereignissen und Fortschritten verstanden und dargestellt, einem – in Anlehnung an Jörn Rüsen – „genetischen Geschichtsbewusstsein“ (S. 416), das soziale, ökonomische wie politische Aspekte weitgehend ausgeblendete. Dabei sieht er das Geschichtsbewusstsein vor allem der Bergingenieure durch Widersprüche gekennzeichnet, was ihre Anfälligkeit gegenüber der ideologischen Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten mit verursacht hat. Hartungs Arbeit empfiehlt sich auf eine subtile Art dafür, aktuelle Museumsneugründungen und damit zusammenhängende Diskurse etwas genauer als gewohnt zu verfolgen.

Anmerkungen:
1 Slotta, Rainer (Hrsg.), 75 Jahre Deutsches Bergbau-Museum Bochum (1930 bis 2005), Bochum 2005.
2 Dass sich an einigen Stellen an diesem Kulturverständnis bis heute nur wenig verändert hat, zeigen die Museumsgründungen bzw. -neubauten in Essen: Während das natur- und kulturhistorische Ruhrmuseum, das 2008 auf Zollverein eröffnet werden soll, lange Zeit um seine Finanzierung ringen musste, kann sich das Folkwangmuseum aufgrund einer Unterstützung in Höhe von 55 Millionen Euro durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung zeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 ein neues Gebäude erlauben.
3 Hauser, Susanne, Anmerkungen zum Industriemuseum, in: John, Hartmut; Mazzoni, Ira (Hrsg.), Industrie- und Technikmuseen im Wandel. Perspektiven und Standortbestimmungen (=Schriften zur Kultur- und Museumsmanagement), Bielefeld 2005, S. 145-161, hier S. 145.
4 Das Museum heißt erst seit der Vertragsschließung zwischen der Westfälischen Berggewerkschaftskasse und der Stadt Bochum im Jahr 1937 Bergbau-Museum.
5 Olaf Hartung sieht in der relativ späten Historisierung des Ruhrbergbaus die Aussage Klaus Tenfeldes über die schwache Ausprägung einer konventionellen bürgerlichen Historizität im Ruhrgebiet bestätigt (S. 368).
6 So wurde etwa eine germanische Vor- und Frühgeschichte des Bergbaus versucht, die Hans Spethmann, Wirtschaftsgeograf und -historiker beim „Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund“, wissenschaftlich unter Beweis stellen sollte. Nach drei Jahren musste er diese „Forschungsarbeit“ jedoch aufgeben (S. 404).

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Thema
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension