J. Wilke (Hrsg.): Journalisten und Journalismus in der DDR

Cover
Titel
Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation - Westkorrespondenten - "Der Schwarze Kanal"


Herausgeber
Wilke, Jürgen
Reihe
Medien in Geschichte und Gegenwart 23
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
313 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Heimann, Speyer

Der 23. Band der verdienstvollen, von Jürgen Wilke herausgegebenen Reihe „Medien in Geschichte und Gegenwart“ behandelt Journalisten und Journalismus in der DDR. Er vereint drei auf Magisterarbeiten am Institut für Publizistik der Universität Mainz basierende Studien, von Julia Martin über den Berufsverband der Journalisten in der DDR, von Denis Fengler über die Arbeit von westdeutschen Korrespondenten in der DDR (1972 bis 1990) und von Marc Levasier über die Arbeitsweise Karl Eduard von Schnitzlers beim „Schwarzen Kanal“, seiner berüchtigten journalistischen „Kontersendung“ im DDR-Fernsehen.

Julia Martin hat sich mit einem bisher kaum beachteten Aspekt des Journalismus in der DDR befasst und zeichnet die organisatorische Entwicklung des „Verbands der Journalisten der DDR“ (VDJ) in der durchherrschten DDR-Gesellschaft nach. Dabei stellt sich nahezu zwangsläufig die Frage, wie es möglich war, einen Verband von Freiberuflern zum „Transmissionsriemen“ der Staatspartei umzufunktionieren. Martin hat hierzu bisher weithin unbeachtet gelassene Archivquellen zum VDJ des Bestandes „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (SAPMO) im Bundesarchiv Berlin durchgearbeitet. Wie zu erwarten war, stellte der Verband ein nützliches Mittel zur Anleitung und Kontrolle der Journalisten und einen „willigen Erfüllungsgehilfen“ der SED dar (S. 71). Großflächig wurden über 90 Prozent aller DDR-Journalisten im Verband organisiert, wobei Mitte der siebziger Jahre 85 Prozent Mitgliedsbücher der SED besaßen. Die Frage tut sich indes auf, wie sich Verbandsmitglieder, die in den „Organen“ der Blockparteien oder bei Publikationen anderer Verbände beschäftigt waren, im VDJ wiederfanden. Vielleicht hätte Julia Martin die Auswertung der Verbandszeitschrift „Neue Deutsche Presse“ zur Klärung dieser Frage etwas stärker für ihre Studie heranziehen können.

Insgesamt nahm der Verband nur eine marginale Rolle im System der Medienkontrolle und -lenkung ein. Martin erläuterte dies anhand des Zulassungsverfahrens für das Fachschulstudium Journalistik in Leipzig und an der Zulassung von DDR-Journalisten für Westreisen, wo der VDJ ebenfalls über eine 1967 eingerichtete „Koordinierungskommission“ zustimmende oder ablehnende Empfehlungen geben konnte (S. 62ff.). Auf viel Resonanz stießen bei den Verbandmitgliedern die Weiterbildungsangebote des Verbands, die zur ideologischen Einbindung der Journalisten genutzt wurden (S. 60). Schließlich wird der Blick auf die Auslandsarbeit des VDJ und die verbandseigene „Schule der Solidarität“ in Ostberlin gelenkt (S. 37-44), wobei letztere noch einer eingehenderen Untersuchung bedürfte.

Die Auseinandersetzung über die Rolle der Westkorrespondenten und ihre Bearbeitung durch die Staatssicherheit wurde in den letzten Jahren meist in schrillen Tönen geführt. Denis Fengler widmet sich ihrer Arbeit und deren Rahmenbedingungen nun in einer kleinen, dabei dichten und anschaulichen Studie. Das Plus liegt zunächst einmal darin, dass Fengler ausführliche Leitfadeninterviews mit sechs Journalisten geführt hat, die nach Abschluss des Grundlagenvertrags 1972 bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1990 in der DDR tätig waren: Karlheinz Baum von der Frankfurter Rundschau (FR), Hans-Jürgen Fink vom Deutschlandfunk, Joachim Jauer vom Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), Helmut Jennerjahn von der Deutschen Presseagentur (dpa), Helmut Lölhöffel von der Süddeutschen Zeitung (SZ) und Peter Nöldechen von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ).

In dem bilanzierenden Abschnitt „Differenzierte Realitäten – Schönfärberei und zugespitzte Berichterstattung“ (S. 205-210) werten die Interviewpartner, die sich cum grano salis als journalistische „Mitgestalter“ der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR verstanden (S. 205), ihre Arbeit als Gratwanderung, da man sich bei der Berichterstattung aus der DDR ständig auf einer offiziellen und einer inoffiziellen Ebene, „zwischen zwei Wirklichkeiten“ bewegte. Beide gemeinsam ergaben „erst ein komplettes Bild“, so etwa Hans-Jürgen Fink (S. 207). Die Suche nach Differenzierungen war für Westkorrespondenten schwierig zu bewerkstelligen, wobei die in der DDR wohnenden Westjournalisten hierbei klar im Vorteil waren. Die Beteiligten räumen ein, dass es nicht immer gelungen sei, kritisch genug zu berichten. Einig waren sich die Interviewpartner allerdings auch darin, die öffentliche Auseinandersetzung um eine vorgeblich verzerrte Berichterstattung von Westkorrespondenten über die Situation in der DDR in der Summe als sehr negativ zu bewerten (S. 208-210). Somit kann Fengler zwar nichts grundlegend Neues zum Thema
Westkorrespondenten und Staatssicherheit beitragen, liefert jedoch Aufschlussreiches zum Verständnis des schwierigen Alltags der Westjournalisten.

Im letzten Beitrag beschäftigt sich Marc Levasier mit dem Politmagazin „Der Schwarze Kanal“ und seinem Schöpfer Karl Eduard von Schnitzler – beides in der Wahrnehmung heute „Markenzeichen“ des Fernsehens der DDR und damit gleichzeitig auch der politischen Publizistik in Deutschland im Kalten Krieg. Schnitzler selbst fasste sich als „Experte der Gegenpropaganda beim DDR-Fernsehen“ auf (S. 238), der den West-sehenden DDR-Bürgern den richtigen Blick auf die Produkte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens der Bundesrepublik vermitteln wollte. Dem Paradigmenwechsel mit dem Aufkommen privatwirtschaftlicher Fernsehsender beim Systemgegner Bundesrepublik seit Mitte der 1980er -Jahre vermochte der „Chefkommentator“ des DDR-Fernsehens nichts mehr entgegenzusetzen, und so spielten sie in seinem Weltbild schlicht keine Rolle.

Levasier geht in seiner kommunikationswissenschaftlichen Untersuchung des Politmagazins im deutsch-deutschen Ätherkrieg von der Frage aus, wie Schnitzler Ausschnitte westdeutscher Fernsehsendungen im Sinne der herrschenden SED-Ideologie nutzbar zu machen versuchte. Hierbei konzentriert er sich auf Sendungen zum Jahrestag des Mauerbaus 1961 als signifikantes Ereignis deutsch-deutscher Geschichte. Nicht überraschend konstatiert Levasier, dass Schnitzler trotz der medienpolitischen Wende 1983/85 im DDR-Fernsehen und der revolutionären Wende 1989 keine Veranlassung sah, an Machart und Aufgabenstellung des „Schwarzen Kanals“ auch nur einen Deut zu ändern – bis zur letzten Sendefolge am 30. Oktober 1989. Tilo Prases und Judith Kretzschmars Untersuchungen der Dokumentarfilme von Schnitzler legen indes nahe, dass die Überlieferungen zum „Schwarzen Kanal“ durchaus noch unter anderen Blickwinkeln ausgewertet werden könnten. 1

Anmerkung:
1 Prase, Tilo; Kretzschmar, Judith, Propagandist und Heimatfilmer (Materialien Analysen Zusammenhänge; 10), Leipzig 2003; vgl. dazu die Rezension von Matthias Steinle in: H-Soz-u-Kult, 24.09.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-170>.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension