A. Tacke (Hrsg.): "... wir wollen der Liebe Raum geben"

Titel
"... wir wollen der Liebe Raum geben". Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500


Herausgeber
Tacke, Andreas
Erschienen
Göttingen 2006: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
487 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simona Slanicka, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Die Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg hat es sich zum Ziel gesetzt, das Leben Kardinals Albrecht von Brandenburg, Kurfürst und Erzbischofs von Mainz und Magdeburg sowie Bischofs von Halberstadt aus interdisziplinären Blickwinkeln zu beleuchten und damit das Wirken eines der prominentesten geistlichen Renaissancefürsten in seiner Residenzstadt Halle vorzustellen. Der vorliegende, dritte Band versucht Albrecht als Konkubinarier, der sich und seine Geliebte mehrfach von der Cranach-Werkstatt als Heiligen Erasmus und Heilige Ursula darstellen ließ, im Kontext seiner Zeit einzuordnen. Damit betritt der Sammelband in mehrfacher Hinsicht Neuland, da sowohl über das Konkubinat geistlicher Fürsten als auch über das adlige Konkubinat im 15. und 16. Jahrhundert überhaupt wenig bekannt ist (so wie übrigens auch für die Frühe Neuzeit erst seit zehn Jahren von einer ernsthaften wissenschaftlichen Mätressenforschung gesprochen werden kann), geschweige denn Bildzeugnisse davon in die Diskussion einbezogen wurden. Da Albrecht zur Finanzierung seiner Kirchenkarriere die berüchtigte, Tetzel’sche Ablasskampagne initiierte und deshalb zur wiederholten Zielscheibe von Luthers Tiraden wurde, behandelt das Tagungsthema begleitend die Frage, inwieweit sein prunksüchtiges und unmoralisches Auftreten zu den Ursachen für die Reformation zählte und welchen Stellenwert für Zeitgenossen und Historiographien sein Verstoß gegen das Zölibat besaß.

Das Ergebnis ist eine sehr anregende Publikation mit fünfzehn Beiträgen, deren erstes Drittel das Fürstenkonkubinat um 1500 aus historischer, historiographischer, rechts- und literaturgeschichtlicher Optik betrachtet, worauf dann vorwiegend kunsthistorische, vereinzelt kulturhistorisch ausgerichtete Untersuchungen folgen. Diese lesen sich mitnichten als unverbundene Einzelstudien, sondern ergänzen sich wechselseitig, indem sie jeweils prägnante Aspekte zum Tagungsthema beisteuern. Als unterhaltsame Beispiele seien Hanns Hubachs Untersuchung zur Ausmalung des Wormser Bischofshofes in Ladenburg unter Reinhard von Sickingen (1445-1482) genannt, Markus Leo Mocks Aufsatz zur Darstellung der Syphilis in einer Auftragsarbeit Hans Baldung Griens für Erzbischof Ernst von Magdeburg, oder auch Iris Ritschels Überlegungen zu fünf „verdächtig(t)en“ Kunstwerken, die wohl auf Friedrich den Weisen und seine Gefährtin anspielen. Der Aufsatz von Nina Trauth, der den kunsthistorischen Aufsätzen vorangestellt ist, befasst sich ausschließlich mit den methodischen Prämissen zur Identifikation von Konkubinenporträts und legt dar, welche bildlichen Elemente (Inkarnat der Haut, Körperdarstellung und -gestik, spezifische Blicklenkung des männlichen Beobachters) das Mätressenporträt als eigenständige Bildgattung ausmachen könnten.

Fünf Aufsätze befassen sich hauptsächlich mit Kardinal Albrecht von Brandenburg, auf den aber auch die anderen Texte immer wieder zurückkommen. Als weiterer roter Faden punktiert die Analyse einschlägiger Cranachwerke den Band: Mit den bereits erwähnten Rollenporträts des Erzbischofs und seiner Konkubine als Heiliger Erasmus oder Heiliger Martin und Heilige Ursula befassen sich Kerstin Merkel und Andreas Tacke, die auch den aktuellen Kenntnisstand über die Konkubinen des Erzbischofs, Ursula Rehdinger und Agnes Pless, vorstellen. Gabriele Baumbach stellt mehrere Varianten von Herkules-und-Omphale-Darstellung aus der Cranach-Werkstatt zusammen, wobei ihre Untersuchung von Herkules mit dem Spinnrocken und unter einer weiblichen Haube allerdings noch etwas kulturgeschichtliche Vertiefung verdient hätte. Besonders erfreulich ist es, dass am Band etliche jüngere Autoren beteiligt waren, die auch die Resultate ihrer kürzlich fertiggestellten Qualifikationsarbeiten vorstellen konnten. Weitere Übersichtlichkeit und Stringenz erhält der Gesamtband ferner durch die englischen und französischen Zusammenfassungen aller Aufsätze am Ende des Buches.

Aus historischer Sicht grundlegend scheinen mir die im Folgenden herausgegriffenen Studien, die mit ihren 60-70 Seiten nahezu monographischen Charakter haben. So befasst sich Ellen Widder ausführlich mit Quellenlage, methodischen Herausforderungen und Forschungstand von Konkubinen und Bastarden im Spätmittelalter. Meist scheine zwar die Quellensuche nach illegitimen Familienbeziehungen wie eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen, der aber durch eine fruchtbare Neuinterpretation von unberücksichtigten Quellensorten abgeholfen werden kann. So erzählt etwa der ‚Recueil des chroniques et anciennes istoires de la Grant Bretaigne’ aus der Büchersammlung des burgundischen Geschichtsschreibers Jean de Wavrin die Abenteuer des Bastards Louis de Gavre in Wort und Miniaturen. Die Illegitimität des Romanhelden nimmt auf die mehrfache Illegitimität der Familie von Wavrin und des Buchbesitzers Bezug, der selber unehelich geboren ist und dessen Vater wiederum von einer unehelichen Tochter des Grafen von Flandern, Louis de Male, abstammt. Der Kodex lasse also auf einen erstaunlich offenkundigen, ja geradezu spielerischen Umgang mit adligem Ehebruch und eigener illegitimer Herkunft schließen. Sehr anregend ist auch der Vorschlag, die Ehebruchdarstellungen in Zyklen der Sieben Todsünden oder der Zehn Gebote zu analysieren, auf denen häufig Edelleute oder gar der Landesherr selber, erkennbar an Kleidung oder Wappen, als Ehebrecher zu sehen sind. Das letztere Bildmotiv kam verstärkt im Gefolge der Reformation zum Zug, etwa im Tafelbild Lukas Cranachs der Ältere von 1516, und weist wahrscheinlich auf den konfessionellen Werteumbruch hin. Dieser gehört zur langen Liste offener Forschungsfragen, die der Text als Ausblick auflistet, um das gesamte Potential des Themas vorzustellen – die Erforschung der Illegitimen hält also noch manche Einsicht bereit!

Sehr ausführlich lässt Alexander Jendorff die Bewertung Kardinal Albrechts von Brandenburg in der preußisch-deutschen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts Revue passieren, und zwar unter drei analytischen Gesichtspunkten: 1. religions- und kirchengeschichtlich, indem Albrechts Einfluss auf die „Causa Lutheri“ und auf die Kirchenreform untersucht wird, 2. national- und dynastiegeschichtlich, also Albrechts Verhältnis zum Kaiser und die Urteile über ihn als Hohenzollern-Prinz, 3. in landesgeschichtlicher Hinsicht. Zwischen katholischen und protestantischen Historiographen variierte die Gewichtung von Kardinal Albrechts Rolle als Gegenspieler Luthers in einer großen Breite, die zwar tatsächlich auf Luthers Begründung „Tota culpa est Moguntini“ zurückging, später aber eine buntscheckige Ausleuchtung erfuhr. Die Einordnung des Kardinals, der als Renaissancefürst, Humanistenförderer und recht pragmatischer Kirchenpolitiker ungleich unschärfere Konturen als der konfessionell eindeutig engagierte Philipp der Großmütige von Hessen bot, bereitete den Historikern des bürgerlichen Zeitalters sichtlich Mühe. Das Konkubinat des Kardinals beziehungsweise die Bigamie des hessischen Landgrafen fielen dabei gegenüber ihrer konfessionellen Positionierung kaum ins Gewicht, ja, Albrechts Konkubinate waren überhaupt nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung und wurden, wenn überhaupt, nur mit euphemistischen Floskeln angedeutet (vgl. Jendorff, S. 249). Waren die frühen katholischen Historiographien wie Johann Heinrich Hennes oder Jakob Mey verständnisvoll, ja geradezu milde gegenüber dem „Vielfachpfründer“ Albrecht, in dem sie einen überzeugten Anti-Lutheraner sahen, so wies Johannes Janssen, zwar fasziniert vom albertinischen Hof, doch kritisch darauf hin, dass Albrechts Lebenswandel und die von ihm geförderten Humanisten letztlich die Glaubensspaltung befördert hätten. Auch der Janssenschüler und Kulturkämpfer Ludwig von Pastor lastete Albrecht die verpasste Gelegenheit zur Kirchenreform an, mit der er die zwangsläufige Regeneration der katholischen Kirche im 16. Jahrhundert hätte vorantreiben sollen. Diese negative Gewichtung von Janssen und Pastor sollte noch lange bis ins 20. Jahrhundert Bestand haben und wurde erst ab 1950 hin zu einem Reform-Paradigma abgemildert, das aus Albrecht einen friedliebenden Reformator des Katholizismus machte. Zu seiner Sittlichkeit wurden noch bis vor kurzem die erheiternden Floskeln „leichtlebiger Prinz“, „schwankendes Rohr“, „wenig erbaulich, er besaß also nicht die dringend erforderliche sittliche Kraft“ gefunden (vgl. S. 205). Erstaunlicherweise hielten sich jedoch auch die protestantischen (Kirchen-)Geschichtsschreiber bei dieser anzüglichen Argumentationsschiene zurück, so dass das Albrechtbild bei Ranke und Treitschke recht konturlos oder ganz ausgespart bleibt. Womöglich erklärt sich diese Zurückhaltung durch das Bestreben, einen Hohenzollernprinzen, und selbst einen katholischen, als Vorfahren der borussischen Kaiserdynastie zu schonen. Insgesamt wirft die historiographische Vereinnahmung und Instrumentalisierung Albrechts, wie Jendorff mehrfach zu Recht unterstreicht, in erster Linie ein erhellendes Licht auf den politisch-konfessionellen Argumentationskontext der betreffenden Historiker, und die Distanz zwischen ihren und gegenwärtigen Fragestellungen lässt eigentlich den Wunsch nach einer aktuelleren und breiter gefächerten Einordnung der schillernden Figur Albrechts aufkommen. Der vorliegende Sammelband ist sicherlich ein wichtiger Baustein dafür.

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