K. Collins: Clan Politics and Regime Transition in Central Asia

Cover
Titel
Clan Politics and Regime Transition in Central Asia.


Autor(en)
Collins, Kathleen
Erschienen
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 79,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Kindler, Humboldt-Universität zu Berlin

Wollte man Kathleen Collins’ Buch auf den Punkt bringen, so könnte man Bill Clintons inoffiziellen Wahlkampfslogan aus dem Jahr 1992 leicht abwandeln und sagen: „It’s the clan networks, stupid!“ Anders formuliert: Geschichte, Transformationsprozesse und Gegenwart der postsowjetischen Staaten Zentralasiens lassen sich nach Ansicht der Autorin nur erfassen, nimmt man den Einfluss der alles beherrschenden Clan-Netzwerke in den Blick. Die in der Transformationsforschung dominierende Konzentration auf formale Institutionen und Strukturen greife bei einer Analyse des Regimetransfers zu kurz, weil sie weitgehend die innere Verfasstheit jener Gesellschaften ignoriere, derer sie sich zuwende (S. 2f.). Daher gelte es, informelle Machtstrukturen und -netzwerke zu untersuchen. Anhand der drei zentralasiatischen Staaten Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan fragt Kathleen Collins danach, ob und wie Clan-Netzwerke sich in der Sowjetunion behaupten konnten, welche Rolle sie im Transformationsprozess spielten und warum sich ihr Einfluss mittelfristig destabilisierend auf diese Staaten auswirken könnte.

Bestimmung und Abgrenzung des zentralen Begriffs der Untersuchung, Clan, nehmen im zweiten Kapitel des Buches breiten Raum ein (S. 23-61). Ausgehend von der allgemeinen Definition eines Clans als „an informal organization comprising a network of individuals linked by kin and fictive kin identities” (S. 17), beschreibt die Autorin Clans als Formationen, die nicht unveränderlich sind, sondern sich durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnen. Neue Mitglieder können durch Heirat oder Freundschaft, aber auch durch gemeinsame territoriale Abstammung inkorporiert werden. Clans bieten ihren Gliedern wirtschaftliche Sicherheit und sind Träger sozialer und kultureller Normen. Ihr Handeln ist rational und auf die Ausweitung politischen und ökonomischen Einflusses ausgerichtet. Sie sind nicht auf Eliten beschränkt, sondern umfassen alle sozialen Schichten. Weil Clans, anders als Klientelnetzwerke, nicht nur auf geteilten Interessen, sondern vor allem auch auf gemeinsamen Identitäten basieren, sind sie extrem widerstandsfähig gegen Angriffe von außen. Daher sind sie unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit auch nicht zwangsläufig zum Untergang verurteilt, wie es in der politik- und sozialwissenschaftlichen Literatur lange Zeit angenommen wurde.

Den letzten Aspekt aufgreifend, fragt die Studie im dritten Kapitel nach der Beständigkeit von Clans in der Sowjetunion. Sowjetische Nationalitätenpolitik, Kollektivierung und Ansiedlung der Nomaden konnten die Netzwerke, anders als von den Bolschewiki intendiert, nicht zerstören. Vielmehr instrumentalisierten lokale Clans die neu geschaffenen sowjetischen Institutionen für ihre eigenen Interessen.1 Nun behauptet Kathleen Collins nicht, dass der Partei- und Staatsapparat in Zentralasien lediglich eine Fassade gewesen sei, hinter deren Schutz regional verankerte Clan-Netzwerke nach Belieben agieren konnten. Doch gegen traditionelle Mechanismen der Machtausübung und Konfliktlösung hätten sich die Bolschewiki niemals vollständig durchzusetzen vermocht. Die unter Breschnew verfolgte Politik der „Stabilität der Kader“ versetzte die Clan-Netzwerke schließlich in die Lage, Machtpositionen auszubauen und zu verfestigen, so die Argumentation im vierten Abschnitt des Buches. Der Einfluss Moskaus auf lokale Belange ließ immer mehr nach und beschränkte sich weitgehend auf ökonomische Fragen. Mit dem Machtantritt Michail Gorbatschows änderte sich dies: Perestroika bedeutete für die zentralasiatische Peripherie vor allem den Versuch einer verstärkten Kontrolle durch das Zentrum. Die lokalen Apparate wurden radikal gesäubert. Mehrere tausend Beamte und Parteiangehörige verloren ihre Posten und mussten sich teils vor Gericht für Korruptionsskandale verantworten. Kader aus anderen Unionsrepubliken wurden in großer Zahl nach Zentralasien versetzt. In erster Linie traf die Kampagne Usbekistan, dem aufgrund seiner gigantischen Baumwollplantagen besondere wirtschaftliche Bedeutung zukam.

Die Zeit zwischen 1990 und 2004 ist Gegenstand von vier ausführlichen Kapiteln. Für Kathleen Collins sind die Reaktionen der lokalen Elitennetzwerke auf die externe Bedrohung durch Moskau der Schlüssel zum Verständnis des Transformationsprozesses. In Usbekistan und Kirgisien schlossen die wichtigsten Clans informelle Abkommen. Sie einigten sich jeweils auf Kandidaten für das Amt des Ersten Parteisekretärs, die den Clan-Auseinandersetzungen relativ fern standen. Diese sollten einerseits das Bedürfnis Moskaus nach personeller Erneuerung befriedigen und andererseits auf der Republikebene als von allen Seiten anerkannte Vermittler konkurrierende Clan-Interessen austarieren. In Tadschikistan kam es zu keiner vergleichbaren Entwicklung. Hier suchte der seit Jahrzehnten dominierende Clan seine Stellung zu verteidigen. Damit blieben jedoch konkurrierende Netzwerke weiterhin von materiellen und machtpolitischen Ressourcen abgeschnitten. Das Fehlen eines Paktes, wie er in Usbekistan und Kirgisen bestand, war einer der entscheidenden Gründe für den Ausbruch des Bürgerkriegs, der Tadschikistan bis 1997 erschütterte (S. 198-206). Dagegen galt Kirgisien nach den Maßstäben einer demokratische und transparente Institutionen und Entscheidungsmechanismen bewertenden Transformationsforschung Mitte der 1990er-Jahre als „Erfolg“. Das Land schien auf dem Weg zum demokratischen Musterstaat Zentralasiens zu sein. Die Entwicklung Usbekistans wurde aufgrund offensichtlich autokratischer Tendenzen als wesentlich problematischer eingeschätzt.

Doch um die Jahrtausendwende, so konstatiert es Kathleen Collins, ähnelte sich die Situation der drei zentralasiatischen Staaten. Trotz der unterschiedlichen Prozesse in den drei Ländern nach 1991 hätten sie sich – von außen betrachtet – zu autoritären Regimes entwickelt. Doch de facto seien sie in unterschiedlichem Maße instabil und latent vom Ausbrechen massiver interner Konflikte bedroht. Nirgendwo habe es ernsthafte Versuche gegeben, den Einfluss der Clan-Netzwerke zugunsten formaler staatlicher Institutionen zu beschneiden. Sowohl der usbekische Präsident Karimow als auch sein kirgisischer Kollege Akajew gingen daran, eigene loyale Netzwerke aufzubauen. Mitte der 1990er-Jahre verschlechterte sich die ökonomische Situation in der Region und westliche Kreditgeber reduzierten angesichts der offenkundigen Misswirtschaft ihre Zahlungen. Daher gab es für die ursprünglich als Vermittler widerstreitender Interessen eingesetzten Präsidenten immer weniger zu verteilen. Sie besetzten einflussreiche und lukrative Positionen vermehrt mit eigenen Gefolgsleuten und nahmen nur noch wenig Rücksicht auf informelle Abmachungen mit anderen Clans.
Zudem, so die Annahme von Kathleen Collins, hätten Clans ganz grundsätzlich ein eher gering ausgeprägtes Interesse am Aufbau und Erhalt stabiler und starker Staaten. Sie würden sich nicht für Ziele engagieren, die nicht ihren eigenen ökonomischen und machtpolitischen Absichten entsprächen. In allen drei Fällen könne daher die Balance zwischen den konkurrierenden Clan-Netzwerken ins Wanken geraten (S. 338-344).

„Clan Politics and Regime Transition in Central Asia“ ist ein eingängig argumentierendes und flüssig geschriebenes Buch. Es ist das große Verdienst der Untersuchung, Transformationsprozesse in Zentralasien nicht an der Implementierung formaler Institutionen messen zu wollen, sondern anhand sozialer und kultureller Kontexte zu beschreiben. Dennoch bleibt nach der Lektüre ein leichtes Unbehagen zurück. Es erscheint fraglich, ob der analytische Gehalt des zentralen Begriffs „Clan“ nicht gemindert wird, wenn er etwa sowohl auf das Sozialgefüge eines usbekischen Kolchos der 1930er-Jahre als auch auf das Netzwerk des kirgisischen Präsidenten Akajew der 1990er-Jahre angewandt wird. Zudem beschränkt sich die Darstellung dort, wo die Entwicklungen in der späten Sowjetunion und in den einzelnen Republiken seit 1991 zur Sprache kommen, vor allem auf Elitennetzwerke. Doch kann noch von Clans die Rede sein, wenn definitorisch so wichtige Aspekte wie soziale Heterogenität und gemeinsame Identität weitgehend außer Acht gelassen werden?2 Davon jedoch abgesehen kann, wer künftig verstehen will, wie, von wem und warum Politik in Zentralasien „gemacht“ wird, auf „Clan Politics“ nicht verzichten.

Anmerkungen:
1 Ähnlich argumentiert: Schatz, Edward, Modern Clan Politics. The Power of „Blood“ in Kazakhstan and Beyond, Seattle 2004.
2 Aktuelle Studien weisen auf die Auflösung traditioneller Clan-Strukturen und die Entstehung neuer Patron-Klienten-Netzwerke in den ländlichen Regionen Usbekistans hin: Trevisani, Tommaso, After the Kolkhoz: Rural Elites in Competition, in: Central Asian Survey 26 (2007), 1, S. 85-104.

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