: Werner Hegemann and the Search for Universal Urbanism. . New York 2005 : W.W. Norton & Company, ISBN 0-393-73156-1 417 S. € 42,50

: Werner Hegemann (1881-1936). Stadtplanung, Architektur, Politik - ein Arbeitsleben in Europa und den USA. München 2006 : K.G. Saur, ISBN 3-598-23228-4 1262 S. € 198,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Kohlrausch, Deutsches Historisches Institut Warschau

Werner Hegemann ist heute fast nur noch Experten bekannt. Dabei galt Hegemann während der Weimarer Republik – auch international – als einer der führenden Architekturkritiker und Städtebautheoretiker und war zudem erfolgreicher Autor historischer Belletristik. Zwei umfangreiche, nach langem ‚Schweigen’ fast zeitgleich erschienene Biographien zu Hegemann leuchten nun ein außerordentlich facettenreiches Leben aus und geben dabei auch eine Teilantwort auf sein erstaunliches Verschwinden aus dem öffentlichen Bewusstsein. Christiane Crasemann Collins „Werner Hegemann and the Search for Universal Urbanism“ konzentriert sich auf den Urbanisten Hegemann, vor allem auf dessen vielfältige Bezüge zu den USA. Caroline Flicks monumentale zweibändige Studie unter dem „Titel Stadtplanung, Architektur, Politik“ folgt stärker den biographischen Zäsuren und interpretiert Hegemann als Bildungsbürger.

Im Jahr 1881 in eine wohlhabende, bürgerliche Familie geboren, knüpfte Hegemann früh – seine erste Reise unternahm er mit 16 Jahren – Kontakte in den USA, die für seine spätere Karriere entscheidend werden sollten. Hegemanns wichtigster Tätigkeitsort wurde jedoch zunächst ab 1910 Berlin, wo ihm bereits während seines Studiums sein Onkel, der Architekt und Stadtplaner Otto March, in jeder Hinsicht förderte. Hegemann absolvierte ein breites – allerdings nicht Architektur und Städtebau umfassendes – Studium in Berlin, Paris, Philadelphia, Straßburg und promovierte schließlich in Nationalökonomie bei Lujo Brentano in München.

Mit Marchs Empfehlungen ging Hegemann 1909 für ein Jahr in die USA, um nach verschiedenen kurzen Stationen noch im selben Jahr Mitorganisator der weit in die Zukunft geplanten Städtebauausstellung „Boston 1915“ zu werden. Unmittelbar darauf, und wiederum mit erheblicher Protektion Marchs, avancierte Hegemann zum Generalsekretär der Berliner Städtebauausstellung von 1910. In Boston und dann in Berlin durchlief Hegemann so einen „Crashkurs“ in den neuesten Entwicklungen des Urbanismus, traf die entscheidenden Akteure (u.a. Raymond Unwin, Theodor Goecke, Hermann Muthesius) und erhielt Zugang zu aktuellem statistischen Material.

Beide Darstellungen betonen die Neuartigkeit von Hegemanns Arbeitsweise. Er verstand es, die Stadt als mehr als nur die Summe ihrer Funktionen zu präsentieren und städtebauliche Aussagen historisch und ökonomisch abzusichern. Konsequenterweise setzte er dabei auf das ‚Soziale’ als große Klammer diverser Diskurse der Zeit. Dabei scheute Hegemann nicht vor populistischen Forderungen und kreativer Interpretation von Statistiken zurück, immer wohl auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, seine eigene Stellung als Experte des Urbanen zu befördern. Es gelang ihm, die internationale Berliner Ausstellung durch entsprechende Veröffentlichungen als Meilenstein zu vermarkten, indem er unter offensiver Verwendung von Superlativen und in pathetischer, medial gut verwertbarer Sprache die Zukunftschancen der Stadt beschwor. In der professionellen Pressearbeit und im fortschrittlichen Einsatz von Bildmaterial, das zeigt vor allem die Darstellung von Collins, kamen Hegemann seine amerikanischen Erfahrungen zugute.

Im Anschluss an die Berliner Städtebauausstellung wurde Hegemann zu einer der zentralen Figuren in der Lobbyarbeit für Groß-Berlin im Rahmen des „Propaganda-Ausschusses“, einer Interessenorganisation, die es sich um Ziel gesetzt hatte, den Kern Berlins und die ehemaligen Vorortgemeinden in einer administrativen Einheit zusammenzufassen. Hier bot sich ihm ein organisatorischer und administrativer Rahmen, neue Methoden in der Erfassung urbanistischer Daten und ihrer Präsentation zu erproben und dies mit der nicht gänzlich uneigennützigen Forderung zu verbinden, der unabhängigen Expertise stärker Gehör in der Planung Groß-Berlins zu verschaffen. Mit Otto March, Hermann Muthesius, Paul Schultze-Naumburg, Bernhard Dernburg und Albert Südekum versammelte Hegemann eine partei- und professionsübergreifende ‚Modernisierungsfraktion’ um sich. Antrieb der Gruppe war die wirkmächtige Groß-Berlin-Idee, die sich mit der Hoffnung verband, in einem Wurf die drängendsten urbanistischen Fragen, insbesondere das Wohnungsproblem angehen zu können.

Während Hegemann im argumentativen Kampf gegen Mietskasernen und Wohnungsnot an eine breite und etablierte Reformdiskussion anknüpfen konnte, war sein Insistieren auf den demokratischen Voraussetzungen und Potenzialen der Stadtreform in dieser Konsequenz neu und originell. Die Demokratisierung der Diskussion um die Stadt, die Mobilisierung ihrer Einwohner und eine dynamische Entwicklung mit nachhaltigen Veränderungen gehörten für ihn unmittelbar zusammen. Entgegen der vor dem Ersten Weltkrieg auch in den USA verbreiteten Auffassung, dass nur ein paternalistisches politisches System wie in Deutschland effektive und erfolgreiche Stadtplanung garantieren könne, betonte Hegemann die Notwendigkeit, die Stadtbewohner einzubinden und Planung demokratisch zu legitimieren. „The city that is to be“ (Collins, S. 27) musste durch Hegemann zwar zunächst propagiert werden, konnte dann aber als Vision ungeheure Kräfte entfalten – auch für den, der sie verkündete. Im kurzen Zeitraum zwischen der Bostoner Ausstellung von 1909 und der Berliner Ausstellung von 1910 stieg Hegemann in der öffentlichen Wahrnehmung vom Dilettanten zu einem der wichtigsten Experten einer sich etablierenden urbanistischen Szene auf. Flick wie Collins bieten hierfür zweierlei Erklärungen an:

Erstens war Hegemann zur richtigen Zeit am richtigen Ort und kannte die richtigen Leute. Stadtplanung als eigene Profession entwickelte sich überhaupt erst seit der Jahrhundertwende. Nun fanden die ersten großen urbanistischen Ausstellungen statt und zeitgleich entstanden die ersten einschlägigen Studiengänge. In einem noch nicht fest gefügten Feld war es vergleichsweise leicht, persönliche Kontakte, schnelle Auffassungsgabe und erhebliches Selbstvermarktungstalent – auch ohne eine formale Qualifikation – in breit akzeptierte Autorität umzumünzen.

Zweitens verstärkte sich in diesem Zeitraum der transatlantische Austausch im Rahmen des „progressive movement“ erheblich.1 Während in Europa immer bereitwilliger amerikanische Lösungen als vorbildlich rezipiert wurden, galten deutsche und insbesondere Berliner Lösungen vielen amerikanischen Experten als nachahmens-, zumindest aber beachtenswert. Insbesondere der intensiv geführte Austausch über die städtische Rolle von Grünanlagen und die kontroverse Hochhausdiskussion wirkten dabei als Katalysatoren transatlantischen Austauschs.

Da Hegemann früh auf die amerikanische Karte gesetzt hatte, konnte er sich einen mitunter paradoxen Rollenwechsel zunutze machen und im jeweils anderen Kontinent als europäischer bzw. amerikanischer Experte reüssieren. Dies zeigt besonders anschaulich eine Vortragsreise in die USA im Jahr 1913, als Hegemann als „the builder of cities“, „the apostle and prophet of German city planning“ (Collins, S. 106f.) mit zunehmender Berühmtheit von der Ost- an die Westküste reiste, ohne dass ganz klar war, worin konkret seine eigentliche Expertise bestand.

So sehr Hegemann auf diese Weise von der „ersten Globalisierung“ profitieren konnte, so dramatisch war für ihn der Einschnitt des Ersten Weltkriegs. Der Krieg überraschte Hegemann auf einem deutschen Passagierschiff, so dass er das erste Kriegsjahr interniert vor der Küste Mosambiks verbringen musste. Auf abenteuerliche Weise gelangte Hegemann dann in die USA, wo er bis Kriegsende zusammen mit Elbert Peets als Landschaftsplaner in Milwaukee tätig war, das Material für den „American Vitruvius“ sammelte und erst 1922 in nunmehrige „Groß-Berlin“ zurückkehrte.2 Hegemann wurde nun zwar nicht Berliner Stadtbaudirektor, was immerhin diskutiert worden war (Flick, S. 457), avancierte aber zum Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift ‚Wasmuths Monatshefte’ und des von ihm wiederbegründeten Journals ‚Der Städtebau’. In Nikolassee etablierte sich Hegemann inmitten einer Gemeinschaft liberal gesonnener ‚Vorwärtsdenker’ und schuf sich ein zweites Standbein als Schriftsteller. Eine Schrift wie der denkmalstürzlerische ‚Fridericus’ war für Hegemann offenbar selbstverständlicher Bestandteil einer progressiv-kritischen publizistischen Tätigkeit, die preußische Mythen ebenso bekämpfte wie muffige Hinterhöfe im „steinernen Berlin“.3

In beiden hier besprochenen Darstellungen gehört die Schilderung und Analyse von Hegemanns Architekturkritikertätigkeit zu den aufschlussreichsten Teilen. Hegemann steht, ähnlich wie andernorts Lewis Mumford und Sigfried Giedion, exemplarisch für den einschneidenden Bedeutungsgewinn dieses neuen Berufes, ohne den sich der Durchbruch des ‚Neuen Bauens’ nicht verstehen lässt.4 Der Aufstieg des Architekturkritikers ging einher mit dem starken Wachstum von Architekturzeitschriften, neuen Illustrationsformen, einer erheblichen Ausweitung der Leserschaft und einer allgemeinen Popularisierung von Architektur als kontroversem Gegenstand, der zahlreiche Lebensbereiche und gesellschaftliche Fragen berührte. Hegemann war maßgeblich daran beteiligt, ein neues Vokabular zu entwickeln, um die stilistischen Innovationen in Worte zu fassen. Ein vorbehaltloser Parteigänger des Neuen Bauens war er allerdings nicht. Nachdem Hegemann sich bereits gegen die überwiegend positive Rezeption Frank Lloyd Wrights gestellt hatte, zerstritt er sich mit Erich Mendelsohn und polemisierte 1927 gegen die Weißenhofsiedlung als „Schildbürgerstreich“. Spätestens danach wurde Hegemann zunehmend als Antimoderner stigmatisiert, die von ihm herausgegebenen Zeitschriften wurden bereits zuvor von den Mitgliedern der dem „Neuen Bauen“ verschriebenen Architektenvereinigung „Der Ring“ weitgehend boykottiert (Collins, S. 197; Flick, S. 547, 715).

Treffend und gerecht war das Etikett nicht. Eher zeugen die teils sehr scharf geführten Auseinandersetzungen von einer zunehmenden Verengung und Radikalisierung der Positionen, aber auch von dem, was Collins unter dem treffenden Titel „pitfalls of Criticism“ subsumiert (Collins, S. 192). Dies galt umso mehr als Hegemann sich explizit gegen den Heroenkult um die Protagonisten der Moderne stellte, und deren „zeichenhafte“ Projekte „zum Zweck der Anhängerrekrutierung und des Amtserwerbs“ (Flick, S. 705) kritisierte. Am Beispiel Hegemann können beide Autorinnen anschaulich zeigen, wie der Kampf um die Durchsetzung moderner Architektur – und hier wiederum einer spezifischen Strömung – weniger ein stilistisches Problem als eines der richtigen Marketingstrategie und Diskurstaktik war.

In einer aufgeheizten, zugespitzten Diskussion hatte es Hegemanns vermittelnde Position schwer. Dies galt ab 1933 in wesentlich dramatischerer Form, als Hegemanns Werke neben denen Emil Ludwigs zur Bücherverbrennung ausgerufen wurden. Hegemann emigrierte bereits im Februar 1933 in die Schweiz, um schließlich in seine zweite Heimat USA „zurückzukehren“.

Ohne Zweifel belegen die beiden Studien, dass der Fall Hegemann auch zwei Biographien rechtfertigt. Umfangreiches neues Quellenmaterial wird hier ganz überwiegend erstmalig präsentiert und aufbereitet. Die fast durchgehend abgewogene und überzeugende Analyse beider Studien ist der herausragenden Bedeutung des Stoffes angemessen. Collins Darstellung ist dort am überzeugendsten, wo sie Hegemann als Schlüsselfigur des entstehenden internationalen Urbanismus präsentiert und interpretiert und über das Beispiel Hegemann wesentliche neue Aspekte zur Geschichte der Entstehung dieser Disziplin beisteuert (Kapitel ‚New Discipline’). Hier, und im Abschnitt ‚New Worlds’, wird überzeugend herausgestellt, welch konstitutive Rolle ein ostentativer Internationalismus für die Herausbildung des professionellen Städtebaus spielte. Die Abschnitte zu Hegemanns Wirken in der Weimarer Republik folgen stärker der chronologischen Logik als übergreifenden Fragestellungen und werden daher den angesprochenen Problemen nicht immer gerecht. Hier bohrt Flick nicht nur tiefer, sondern bettet Hegemanns vielfältige Aktivitäten auch mit sicherem Gespür in die kulturellen und politischen Debatten der Zwischenkriegszeit ein. Hegemanns progressives Selbstverständnis wird in seinen zunehmenden Gefährdungen minutiös herausgearbeitet und aus seiner Herkunft schlüssig begründet. Aufgrund einer oft überfrachteten und begrifflich mitunter überambitionierten Sprache ist die Argumentation allerdings nicht immer leicht nachzuvollziehen.

Die Frage, ob Hegemann eher den Modernen oder den Konservativen zuzurechnen ist, ist heute kaum mehr relevant – auch wenn Hegemann in seiner mittleren und historisch informierten Position durchaus zeitgemäß erscheint. Vor allem in zweierlei Hinsicht aber lohnt sich eine weitere tiefere Beschäftigung mit Hegemann: Zum einen als äußerst prominenter – zeitweise in einem Atemzug mit Le Corbusier genannter – Akteur des internationalen Urbanismus im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, der als Themensetzer und Netzwerker ganz zweifellos moderne Züge trug. Zum zweiten als Schlüsselfigur einer intellectual history der Weimarer Republik. Denn neben dem Architekturkritiker Hegemann wird im Zuge einer Neuentdeckung historischer Publizistik 5 auch der Autor des Fridericus wieder Interesse wecken.

Die Stärke der Darstellung von Collins liegt in der thematischen Zuspitzung, auch wenn diese sicher konsequenter hätte verfolgt und mitunter besser hätte geordnet werden können. Flick liefert wesentlich mehr Material und im Detail auch akkuratere Informationen, u.a. in zahlreichen durchweg informativen Tabellen, einem umfangreichen Schriftenverzeichnis Hegemanns, über 200 Abbildungen sowie einer gut recherchierten Zusammenstellung von Kurzbiographien. Die schiere Fülle des Stoffes ist beeindruckend, allerdings muss bei weit über 1200 Seiten die triviale Frage erlaubt sein, ob die Grenzen des Konsumierbaren nicht überschritten wurden. Zudem, das sei nur angedeutet, stellt sich die Frage, ob die bei Flick dominierende Interpretation Hegemanns als eines Bildungsbürgers tatsächlich das einfängt, was heute an Hegemann faszinierend und interessant erscheinen mag. Gerade weil sich das Spektrum seiner Aktivitäten kaum auf eine einfache Formel bringen lässt, mag Hegemann so weitgehend vergessen worden sein. Dem mit guten Argumenten und überaus spannendem Material entgegengewirkt zu haben ist das große Verdienst beider Autorinnen.

Anmerkungen:
1 Rogers, Daniel T., Atlantic crossings. Social politics in a progressive age, Cambridge Mass. 1999; Saunier, Pierre-Yves, Transatlantic Connections and Circulations in the 20th Century. The Urban Variable,in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte (2007), 1, S. 11–24. Online verfügbar unter <http://halshs.archives-ouvertes.fr/docs/00/16/83/09/PDF/transatlantic_connections_IMS_HAL.pdf> (21.11.2007).
2 Hegemann, Werner; Peets, Elbert, The American Vitruvius. An Architect’s Handbook of Civic Art, New York 1922.
3 Hegemann, Werner, Fridericus oder Das Königsopfer, Hellerau 1925; ders., Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930.
4 Vgl. Wojtowicz, Robert, Lewis Mumford and American Modernism. Eutopian Theories for Architecture and Urban Planning, Cambridge 1996; Georgiadis, Sokratis, Sigfried Giedion. Eine intellektuelle Biographie, Zürich 1989.
5 Vgl. Hardtwig, Wolfgang; Schütz, Erhard (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Werner Hegemann and the Search for Universal Urbanism
Sprache der Publikation
Werner Hegemann (1881-1936)
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension