D. Morat: Von der Tat zur Gelassenheit

Cover
Titel
Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920-1960


Autor(en)
Morat, Daniel
Reihe
Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen 24
Erschienen
Göttingen 2007: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingeborg Villinger, Seminar für Wissenschaftliche Politik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

„Metaphysische Orakel“ und „weltanschauliche Ideengeber“ (S. 270), das zeigt Daniel Morats Analyse der Denkwege der beiden Brüder Jünger und Martin Heideggers, waren sie zu allen Zeiten. Die intellektuellen Kehrtwendungen dieser konservativen Trias in den Jahren 1920 bis 1960 arbeitet Morat akribisch heraus – im Kontext der Weimarer Republik, der beginnenden NS-Herrschaft, der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie der jungen Bundesrepublik. Er verfolgt dabei eine doppelte Fragestellung: einmal, weshalb es für eine Gruppe radikalkonservativer Intellektueller möglich war, die Dichotomie zwischen „Geist“ und „Tat“ zugunsten einer aktivistischen Logik des Tat-Denkens so zu vermitteln, dass sie selbst vor praktischen Einlassungen mit dem NS-Regime nicht zurückschreckten und zugleich für dieses Regime, mit seiner offenen Geist- und Intellektuellenfeindlichkeit, attraktiv waren. Die Antwort auf diese Komplizenschaft, die für Morat erneut auch die Struktur der NS-Herrschaft auf den Prüfstand stellt, findet sich – und daran lässt er keinen Zweifel – in einer inneren Affinität des Denkens der konservativen Intelligenz. Die zweite, den größten Teil des Bandes einnehmende Frage lautet, auf welchem Denkweg der intellektuelle Konservativismus sich im Anschluss an die Tat-Bereitschaft ab Mitte der 1930er-Jahre so transformierte, dass er wieder den Weg zurück zum (scheinbar) unpolitischen, „reinen“ Denken gefunden hat.

Morats methodische Vorgehensweise – sie orientiert sich an Hannah Arendts Überlegungen zur „geistigen Verfassung“ Martin Heideggers – rekonstruiert zur Klärung der internen Wandlungen und deren politischer Wirkungen einen kontinuierlichen „denkbiographischen“ Gesamtzusammenhang einzelner Personen und Personenkonstellationen im strukturellen Kontext. So können nicht nur die Wandlungen der Identitätsentwürfe und „Selbstfestlegungsgeschichten“ (S. 20) der untersuchten Personen profiliert werden, sondern diese Zusammenführung von Ideen- und Zeitgeschichte macht die jeweiligen personalen Selbstentwürfe in unmittelbarer Verbindung mit ihren zeithistorischen Phasen transparent. Zum anderen eröffnet sie die Möglichkeit, das Bemühen Heideggers und der Brüder Jünger um Kohärenz und ihre nahezu „zwanghafte Vermeidung von Eingeständnissen der Diskontinuität ihrer Denkentwicklung“ (S. 22) als Selbstinszenierungen und Verdeckungsstrategien sichtbar zu machen. Ferner rückt mit den einzelnen Personenkonstellationen die Gruppenstruktur der Netzwerke in den Blick, die nicht nur formale Einflüsse auf ihre Denkentwicklung hatte. Denn in dieser Struktur spiegelt sich, durch alle Modifikationen hindurch, das auch in der Nachkriegszeit deutlich vom liberaldemokratischen Mainstream abweichende, esoterische Denken für ein „geheimes Deutschland“.

Der entscheidende Gewinn von Morats Vorgehensweise ist der Einblick in eine Vielzahl von sehr differenzierten, außerordentlich erhellenden Perspektiven, mit denen die ganze Bandbreite der Facetten konservativen Denkens in Deutschland erkennbar wird. Die Dissertation kann deshalb als ein unverzichtbares, nahezu lexikalisches Kompendium der Entwicklung und der Perspektiven dieses Denkens bezeichnet werden. Eine Untersuchung dieses Formats – sie könnte mit ihren fast 600 Seiten deutlich gestrafft werden – ermöglichte nicht nur die inzwischen breite (zumeist allerdings nicht den hier untersuchten Zeitraum umfassende) Forschungsliteratur, die Morat einer detailgenauen (jederzeit gut lesbaren) und fruchtbaren Relektüre unterzieht, sondern auch die Auswertung von umfangreichem, bisher unveröffentlichtem Material, das den Blick für die politische Dimension auch des scheinbar Unpolitischen schärft.

Mit der konsequenten Korrespondenz zwischen Denkwegen und Tat, zwischen Ideen- und Realgeschichte kann sich die Arbeit hinsichtlich des Verhältnisses von Heidegger und Ernst Jünger zwar auf bereits Publiziertes stützen. Hinsichtlich der „intellektuellen Dreiecksbeziehung“ betritt sie jedoch echtes Neuland. Denn Friedrich Georg Jüngers Einfluss auf Ernst Jünger, aber auch auf Heidegger, der in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden darf, wurde bislang von der Forschung kaum zur Kenntnis genommen.

Die chronologisch aufgebaute Rekonstruktion der intellektuellen Denkwege erläutert zunächst die Logik des konservativen Tat-Denkens und den Begriff der „Konservativen Revolution“ in den Jahren 1923 bis 1934. Der als Geburt aus dem Geist des Krieges entstehende, radikale „neue Nationalismus“, mit seinem „Nihilismus zur Tatbereitschaft“, wird an den Texten der Brüder Jünger evident. Bei Friedrich Georg Jünger stand im Zentrum die Übertragung der Energie des Genius des Krieges als Strukturprinzip für die Friedenszeit. Bei Ernst Jüngers „Arbeiter“ war es die apokalyptische Aufforderung einer „heroischen Akzeptanz“ zur Gestaltung der technischen Welt der Moderne. Mit beiden Motiven setzte sich auch Heidegger auseinander. Sein politischer Existentialismus und Voluntarismus der Tat wird in den Kontext seines praktischen NS-Engagements während seiner Rektoratszeit gestellt, mit dem er zur Umgestaltung der Freiburger Universität beitragen wollte. Die dabei geprägte Formel vom „Arbeitsdienst, Wehrdienst, Wissensdienst“ zeigt in aller Deutlichkeit die kriegerische Politisierung des Tat-Denkens, das sich weder in der Phase des politischen Existentialismus noch in der Phase der Nachkriegs-Gelassenheit durch Mäßigung auszeichnete – was grundsätzlich auch für die beiden Brüder Jünger gilt.

Die ab 1934 einsetzende, langsame Distanzierung von der Tat und die Wandlung hin zu einem anderen Denken, das gleichwohl der Apokalyptik wie der (nun ästhetisierten) Gewaltbereitschaft verbunden blieb, war Ausdruck der „Enttäuschungsverarbeitung“ während des „Dritten Reiches“ (S. 32). Heidegger, motiviert auch durch das Scheitern seines politischen Engagements, verabschiedete sich von der Existentialontologie und wandte sich in kritischer Auseinandersetzung mit Ernst Jüngers „Arbeiter“ sowie mit Nietzsche und Hölderlin einer „Geschichte des Seyns“ zu. In den Vordergrund rückte nun die Kritik an den im Zweiten Weltkrieg sichtbar werdenden „technischen Machenschaften“ und Entwurzelungen des Menschen. Sie zielte auf die Realpolitik des NS-Regimes, der er in seinen Vorlesungen Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit entgegensetzte. Auch die beiden Brüder Jünger codierten ihren sich von Tat und Politik zurückziehenden Denkhaushalt um, wenngleich sie die Tendenz zum Elementaren beibehielten. Mit den „Illusionen der Technik“ entwarfen sie ihre erste Kritik an den technischen Zurichtungen des Arbeiters. Friedrich Georg Jünger formulierte mit seinem Essay „Perfektion der Technik“ und in seiner Beschäftigung mit der griechischen Mythologie einen Gegenentwurf zum „Arbeiter“. Ernst Jünger konnte sich, trotz seiner praktischen Erfahrungen als Wehrmachtsoffizier mit den Entfremdungen durch die moderne Kriegsführung, zu keiner klaren Verurteilung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik durchringen. Stattdessen beschritt er mit seiner Denkschrift „Der Friede“ den auch später durchgehaltenen Weg einer ins Kontemplativ-Wesentliche ausweichenden Kritik „allgemein-nihilistischer Zeitströmungen“ (S. 525). Dieser, das konkrete Geschehen nivellierenden, Betrachtungsweise der Politik des Nationalsozialismus als einer Erscheinungsform des technischen Nihilismus schlossen sich auch Friedrich Georg Jünger und Martin Heidegger an. Sie war und blieb eine Denkfigur der Schuldverweigerung und Ablehnung jeglicher offenen Auseinandersetzung – bei Heidegger vor allem erkennbar an Karl Jaspers’ gescheitertem Versuch, mit ihm zu einer Verständigung über die durch die Tat entstandene „Wüste“ (S. 373) zu kommen.

Im „Streit um die Tat in der Nachkriegszeit“ (S. 279) korrespondierte diese Form der Verteidigungsstrategie, die in Netzwerken der Verschwiegenheit als „innere Emigration“ gepflegt wurde, mit einem Rückzug von der Politik. Dass dieser Rückzug ins Unpolitische politisch selbst höchst bedeutsam war, zeigt nicht nur der Widerstand von Morats Protagonisten gegen den liberal-demokratischen Neuansatz und die Westbindung der frühen Bundesrepublik. Auch die Beziehungen zu den ehemaligen Kampfgefährten dokumentieren dies. Die heftigen Auseinandersetzungen von Ernst Niekisch, Carl Schmitt und Armin Mohler mit den Brüdern Jünger drehten sich um deren bewusst unpolitische Attitüde, mit der die bekennenden Antidemokraten sich gleichwohl in die bürgerliche Öffentlichkeit der Bundesrepublik als Elite integrierten. Ähnliches ist bei Heideggers Reintegration in die akademische Welt zu beobachten.

Auf dem schließlich eingeschlagenen Denkweg zur Gelassenheit, der als nicht-aktivistischer Modus zu verstehen ist, standen bei Heidegger und den Brüdern Jünger die Suche nach einer dichterischen Sprache und die Kritik am Technik- und Massendiskurs der Gegenwart im Vordergrund. Diese Denkentwicklung – so Morat abschließend – bestätigt den Befund einer Deradikalisierung des Konservativismus durch die Desillusionserfahrung des Nationalsozialismus, die zugleich eine bemerkenswerte Verschiebung erkennen lässt: von der vormaligen enthusiastischen Bejahung der Technik hin zu einem technikkritischen und protoökologischen Denken, das in dieser elementaren Variante jedoch zum Stichwortgeber konservativer Modernekritik wurde und keinesfalls in die Liberalisierungsgeschichte der Bundesrepublik einzuordnen ist. Es dient vielmehr – bis heute – mit seinen antidemokratischen Ideenbeständen als ein Reservoir der Neuen Rechten.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension