Cover
Titel
Folkways and Law Ways. Law in American Studies


Herausgeber
Porsdam, Helle
Reihe
Odense University Literary und Cultural Studies vol. 8
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
$ 24.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Linder

Helle Porsdam, Professorin für American Studies an der Universität von Odense, Dänemark, hat in ihrem Buch "Legally Speaking. Contemporary American Culture and the Law"1 die Bedeutung des Rechts für die US-amerikanische Kultur und für das Selbstverständnis der US-Bürger beschrieben und sich dabei als Beobachterin 'von außen' definiert: Während die Dänen das Recht als Mittel zum Zweck ansähen, verbänden US-Amerikaner mit ihm "a very important symbolic meaning [...]. Americans are persuaded that the law, beyond protecting their rights and preserving their liberty, will provide them with truth and meaning - Justice of a higher kind". Nun hat Porsdam einen Sammelband vorgelegt, dessen Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage nachgehen, ob das Versprechen, das in der US-amerikanischen Kultur mit dem Recht verbunden wird, eingelöst wird oder überhaupt eingelöst werden kann: 'The Law' stützt die moralische Stabilität der Gesellschaft, es verschafft Anerkennung, sichert Identität und Integrität, es soll jeder und jedem gleichermaßen zugänglich sein, unabhängig von ihrer/seiner ethnischen oder sozialen Herkunft, ihres/seines Geschlechts, Einkommens usw. William Gaddis' Roman "A Frolic of His Own" (1994) ist nicht nur das Thema zweier Beiträge dieses Sammelbandes, er bezeichnet mit seinem ersten Satz insgeheim auch die skeptische Perspektive: "Justice? - You get justice in the next world, in this world you have the law".

Der Band enthält neben der Einleitung der Herausgeberin zehn Beiträge, in denen Einzelaspekte US-amerikanischer Rechtsentwicklung bzw. Rechtskultur aufgegriffen werden.2 Die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren vertritt 'American Studies', drei sind an US-amerikanischen, acht an europäischen Universitäten tätig, keine bzw. keiner vertritt die Rechtswissenschaft im engeren Sinne. Die Anordnung der Beiträge folgt der Unterteilung 'Law and History', 'Law and Literature', 'Law and Popular Culture'. Aus der Sicht der rechtskulturellen Fragestellungen, die in der Einleitung skizziert und in den Zusammenhang US-amerikanischer Forschung gerückt werden, kann man die Beiträge jeweils bestimmten Beobachtungspositionen zuordnen, die Objektbereich und Argumentationsgang bestimmen.

Rechtshistorische Themen im engeren Sinne entfalten Wawrzyczek und Gibney (s. die Titel der einzelnen Beiträge in Anm. 2): WAWRZYCZEK beschreibt die Implementation rechtlicher Normen, Institutionen und Praktiken am Beispiel der Sexualgesetzgebung der kolonialen Tabakstaaten Maryland und Virginia im 17. und 18. Jahrhundert. Der Import von Arbeitskräften aus Europa und Afrika brachte Risiken mit sich, die u. a. durch die (straf-)rechtliche Regelung der Sexualität minimiert werden sollten, so dass eine rechtliche Form des 'Leib-Eigentums' entstand, die zwischen Freien und Sklaven, Eigentümern und Dienern, Männern und Frauen differenzierte (S. 46). GIBNEY rekonstruiert die Definitionen der Anwendungsbereiche von (verfassungs-)rechtlichen Schutznormen im 20. Jahrhundert. Seine Beispiele sind polizeilichen und richterlichen Aktionen im 'War against Drugs' sowie dem Arbeitsschutzrecht für ausländische und im Ausland tätige Arbeitnehmer entnommen. Er zeigt, dass und wie politische Nützlichkeitsgesichtspunkte in Recht transformiert werden und er spricht davon, dass in gewissen Bereichen das Recht nach dem Prinzip eines Lichtschalters funktioniert (S. 97), wobei keineswegs klar ist, ob es nun die Politik oder das Recht ist, das diesen Schalter dreht, der bestimmte Personen und Gruppen in den Lichtkegel bringt.

In den Grenzbereichen zwischen Recht und Politik finden die Auseinandersetzungen über die richtige Auslegung bzw. Anwendung von Gesetzestexten und von gesetzesbezogenen Texten statt: BJERRE-POULSEN rekonstruiert die Argumente, die seit den 1960er Jahren gegen die 'Civil-Rights-Gesetzgebung' des Bundes und später gegen 'Affirmative Action' vorgebracht wurden. Er zeigt, dass Wahlkämpfer nicht offen für Segregation eingetreten sind, sondern für eine Verfassungsauslegung, die in diesen Bereichen die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes negierte. Ähnlich diskutiert CORNELL die Kanonisierung von Texten aus den Debatten zur Ratifizierung der Verfassung am Ende des 18. Jahrhunderts sowie ihre Zuordnung zu historiographischen 'Metanarratives'. Beide Beiträge müssen vor dem Hintergrund von aktuellen Auseinandersetzungen um die Konstitution von Bedeutungen in Rechts- und anderen Texten gelesen werden.

William Gaddis' Justiz-Roman "A Frolic of His Own" steht im Zentrum des Beitrages von EKELUND, während SCHNECK Gaddis' Beobachtungen der Justiz mit denen im Roman "The Advocate's Devil" des prominenten Strafverteidigers Alan Dershowitz vergleicht. Beide Studien gehen von den Grenzüberschreitungen aus, die mit den Romanen inszeniert werden: der literarische Autor Gaddis verfasst (fiktive) juristische Schriftsätze, während der Jurist Dershowitz die literarische Form zur Reflexion seines professionellen Handelns nutzt. Aus der Sicht der literarischen Texte werden Recht und Justiz, aber auch die 'schöne Literatur', die an das Medium Sprache gebunden sind, zu 'Commodities' der audiovisuellen Medien; sie verlieren ihre Autonomie an deren Inszenierungen. Erkannt und anerkannt wird nur noch, wer in den Lichtkegel der Bildmedien kommt und wer sich in diesem Lichtkegel zu inszenieren weiß (an das Verfahren gegen O. J. Simpson wird zu Recht erinnert). DEN TANDTS Beitrag liefert insofern eine willkommene Ergänzung: Er analysiert am Beispiel von 'Courtroom-Dramas' das Reflexionspotential der filmischen Darstellungen von Gerichtsprozessen. Im Medium Film werden 'Wahrheit' und 'Wirklichkeit' als mediale Konstrukte sichtbar, die nicht von ihren Entstehungszusammenhängen abgelöst werden können.

Auch das Œuvre des afro-amerikanischen Bürgerrechtlers und Juristen Derrick Bell wird im Beitrag von BRUSE unter dem Aspekt der Grenzüberschreitung zwischen dem juristischen und dem literarischen Schreiben analysiert. Ungleichheit, also Exklusion ist das Thema der afro-amerikanischen Literatur, die damit Inklusion praktiziert, und dies erst recht, wenn sie sich mit der 'Jeremiade' ein traditionelles Schema anverwandelt.

Im abschließenden Beitrag von BÖSS wird interkultureller Transfer thematisiert, indem der Einfluß des US-amerikanischen Rechts auf irische Verfassungsdebatten seit den dreißiger Jahren resümiert wird. Davor beobachtet GUTHEY das eigene Fach der American Studies, das sich nach seiner Diagnose der Untersuchung des Einflusses der großen Corporations auf die US-amerikanische Kultur verweigert. Am Beispiel des Medienunternehmers Ted Turner werden Aspekte des Wandels der Selbstinszenierung von 'Corporate America' thematisiert - wird letztlich noch einmal Visualisierung/Sichtbarwerden als Strategie reflektiert, mit der Anerkennung jenseits der herkömmlich-rechtlichen Identitätskonstitutionen erreicht wird.

Die letztgenannten Beiträge verweisen auf die Defizite, die mir bei der Lektüre aufgefallen sind: Sowohl komparatistische Aspekte als auch die Binnenperspektive derer, die Recht praktizieren, werden, bis auf wenige Andeutungen, ausgeklammert. Wie sich die Unterscheidungen von Inklusion und Exklusion, von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Anerkennung und ihrer Verweigerung durch Recht verwirklichen und in die Unterscheidung von Recht und Unrecht transformiert werden, wie die Gerechtigkeit vom Recht definiert wird - dies bleibt dem Zugriff der Beiträge meist unerreichbar. Gaddis' Diagnose, derzufolge Recht und Gerechtigkeit sich nicht decken, kann nur dem als Provokation erscheinen, der allein die Moralisierung des Rechts in den populären und politischen Diskursen in den Blick nimmt, die rechtstheoretischen Selbstbeschreibungen aber außer acht lässt.

Ich habe Beiträge des Bandes trotzdem mit Interesse und mit Nutzen für den Blick auf das eigene und das fremde Recht gelesen. Der erste Eindruck einer zufälligen Auswahl hält genauerer Lektüre nicht stand, doch wird sich jeder Leser seine eigenen Verbindungen herstellen wollen. Auf die Unterstützung durch Personen- und Sachregister muss er dabei freilich verzichten.

Anmerkungen:
1 Amherst, MA: University of Massachussets Press 1999; s. dazu die Rezension von Stephan Machura in IASL online (URL: http://www.iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/machura.html, ins Netz gestellt am 18.09.2001); das folgende Zitat ebd. S. XII.
2 Helle Porsdam: Introduction, S. 9-31; Irmina Wawrzyczek: Plantation Economy and Legal Safeguards of Sexual Discipline in Early Tobacco Colonies, S. 33-52; Saul Cornell: The Irony of Progressive Historiography: A Critical Comment on the Revival of Anti-Federalism in Contemporary Constitutional Thought, S. 53-72; Niels Bjerne-Poulsen: "Hunting in the Pond Where the Ducks Are": Conservative Opposition to Civil Rights Legislation in the 1964 Election and Beyond, S. 73-88; Mark Gibney: Protection under United States Law?: It Depends on Who You Are, Where You Are, What Aspect of Your Job You Are Talking About, and Who Is Trying to Hurt You, S. 89-112; Bosse Ekelund: Recognizing the Law: Value and Identities in William Gaddis's A Frolic of His Own, S. 113-138; Peter Schneck: Dissenting Opinions: William Gaddis and Alan Dershowitz on the Spectacles of Justice, S. 139-164; Marcus Bruce: "The Promise of American Life": Derrick Bell, Critical Race Theory, and the American Jeremiad, S. 165-182; Christophe Den Tandt: Hollywood Courtroom Dramas: The Politics of Judicial Realism, S. 183-208; Eric Guthey: A Brief Cultural History of Corporate Legal Theory and Why American Studies Should Care About It Folkways and Law Ways, S. 209-228; Michael Böss: American Links to Legal Reform in Ireland, 1937-1997: A Study in the International Impact of American Authors, S. 228-253; About the Authors, S. 254-256.

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