A. Eich: Die politische Ökonomie des antiken Griechenland

Cover
Titel
Die politische Ökonomie des antiken Griechenland. 6.-3. Jahrhundert v.Chr.


Autor(en)
Eich, Armin
Reihe
Passauer historische Forschungen 14
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 659 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gert Audring, Berlin

Als im Jahre 1973 die erste Auflage von Moses I. Finleys „Ancient Economy“ erschien, verloren die bis dahin vorherrschenden modernisierenden Auffassungen vom antiken Wirtschaftsleben wenigstens unter den Spezialisten rasch an Einfluss. Während der Meister in der Folgezeit fast alle gegen das Werk vorgetragenen Einwände zurückwies, arbeiteten seine Schüler auf dem ihnen gewiesenen Weg intensiv weiter. Ansonsten aber scheint Finleys Ansicht, eine antike Wirtschaftsgeschichte im eigentlichen Sinne des Wortes lasse sich nicht schreiben, weil uns als Kindern der Neuzeit dafür weder die Begriffe noch das Gesamtverständnis zu Gebote stünden, so manchen Forscher entmutigt zu haben. Ausgerechnet in Deutschland, wo die Wirtschaftsgeschichte der Antike keinen leichten Stand hat, wagt es nun Arnim Eich – schon diese mutige Initiative verdient höchsten Respekt –, seine überarbeitete und ergänzte Passauer Habilitationsschrift aus dem Jahre 2003 unter dem sowohl provozierend wirkenden als auch programmatischen Titel einer „Politischen Ökonomie des antiken Griechenland“ der wissenschaftlichen Debatte zu unterbreiten.

Während Finley in antimodernistischer Absicht das antike Wirtschaftsleben durch zahllose negative Bestimmungen scharf vom modern-industriellen Typ der Ökonomie abzugrenzen suchte und auf diese Weise die Antike – zugespitzt formuliert – als Solitär vorführte (natürlich hatte er dabei auch die Stufenmodelle der Weltgeschichte und ihre teleologische Tendenz im Auge), geht Eich offenbar von einem für alle Gesellschaften geltenden, also allgemeinen Begriff der Politischen Ökonomie aus. Dies erlaubt es ihm, einerseits das wirtschaftliche Leben der griechischen Polis – unbeeindruckt von Theorien über dessen angebliches Sondermerkmal einer „Einbettung“ in das vorrangig Politische – als ökonomisches System aufzufassen. Andererseits bekennt er sich damit zur Vergleichbarkeit der verschiedenen historisch-ökonomischen Formationen (Eich verwendet in der Tat den Formationsbegriff) und nutzt sie, um die Ökonomie der Alten Griechen in ihrer historischen (entwicklungsgeschichtlichen, vgl. S. 56) und typologischen Besonderheit darzustellen. In diesem methodisch richtigen Zugriff liegt auch begründet, warum sich Eich um das namentlich in wissenschaftshistorischen Rückblicken auf die so genannte Oikendebatte spürbare, eine gewisse Ratlosigkeit signalisierende Patt zwischen der modernistischen und der antimodernistischen Richtung nicht weiter zu scheren braucht. Diese Debatte kommt eingangs des Werks in einem ideengeschichtlichen Kapitel zur Sprache. Ausgewählt (und bewusst in dieser Reihenfolge besprochen) sind die Modelle von Karl Rodbertus, Max Weber, Karl Polanyi, Moses I. Finley und Karl Marx. Sie werden nicht in ihrer vollen Systematik vorgestellt, sondern spannend akzentuiert, sprich: mit bestem Gespür für die Nöte des Althistorikers, der nun einmal unter Druck gerät, wenn sich etwa die Aussage eines schwer erarbeiteten und dann hoffentlich wohlverstandenen antiken Quellentextes partout nicht in den Generalentwurf aus der Feder dieser oder jener Autorität einfügen will.

Die fünf folgenden Kapitel des Buchs befassen sich – stets tief ins Detail gehend, keine der brennenden Fragen meidend und in bester Kenntnis der antiken Quellen und selbst sehr spezieller Literatur – mit allen Kernthemen der altgriechischen Ökonomie: mit den geo-ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des Wirtschaftslebens der Poleis, mit den Preisen, mit freier und unfreier Arbeit, mit den Unternehmern und Kapitalgebern sowie mit dem Verhältnis von Staat und Geld. Etwas überraschend folgt noch ein Appendix eigenen Werts über die ökonomisch-sozialen Ursachen für innere Konflikte (staseis) in Polisgesellschaften. Mit einer nützlichen Zusammenfassung der wichtigsten Thesen des Werks und einem sehr reichhaltigen Literaturverzeichnis schließt der stattliche Band.

Da es nicht möglich ist, auf so engem Raum alle tragenden Erwägungen Eichs angemessen zu würdigen, seien hier nur einige wenige Hauptgedanken – gewissermaßen um den Appetit auf das reiche Menü zu wecken – notiert. Gary Regers auf Delos konzentrierte Pilotstudie 1 strategisch ausbauend, zeigt Eich, wie sich im griechischen Raum aus anfänglichem lokalen Austausch „intraregionale Handelsräume“ entwickeln, die in klassischer Zeit zu einer gewissen „zwischenregionalen Integration“ finden können, bis sich schließlich in einigen Fällen „politisch integrierte Handelsregionen“ bilden, für die das attische Seereich das am höchsten entwickelte, in gewissem Sinne exzeptionelle Beispiel bietet. Beim heiklen Thema der Preise erweist sich Eich auch als guter Kenner der neuzeitlichen Ökonomie. Er stellt methodisch lehrreiche Beispiele aus Antike und Moderne gegeneinander und macht so die qualitativen Unterschiede zwischen der Preisbildung und dem Preissystem dieser beiden Welten deutlich. Da sich die altgriechische Ökonomie nicht im kleinbäuerlichen Selbstversorgerhaushalt erschöpft, ihre Zentren es vielmehr in der klassischen Zeit zu bedeutenden kulturellen, baulichen, militärischen und anderen Leistungen gebracht haben, stellt Eich die Frage nach den Produzenten der dazu notwendigen Überschüsse und erkennt sie in den Unfreien. Dabei steht ihm der Helotentypus für zunehmenden Rückstand, der Kaufsklave für die Hochleistungen. Das Kapitel über Unternehmer und Kapitalgeber ist wegen seiner pointierten Gedankenführung besonders anregend. Hatte schon Martin W. Frederiksen in einer Rezension zu Finleys „Ancient Economy“ 2 eindrücklich darauf hingewiesen, dass sich die römische Oberschicht keineswegs aus lukrativen Geldgeschäften heraushielt, so weist Eich etwa in Auseinandersetzung mit den primitivistischen Überzeichnungen in Paul C. Milletts „Lending and Borrowing in Ancient Athens“ (Cambridge 1991) aus den Quellen nach, dass es etwa die reichen Athener (trotz vorgeblicher, traditionsgestützter Zurückhaltung) damit nicht anders hielten.

Im Kapitel über Staat und Geld endlich skizziert Eich, wie sich die größeren Poleis unverzüglich des neuen Mediums Münzgeld bemächtigen, damit ihre Staatsausgaben bestreiten und so einen nachhaltigen Zirkulationsprozess anstoßen: kleine Summen gelangen dabei als Soldzahlungen verschiedener Art in die Hände von Bürgern, Handwerkern oder Kombattanten, wandern aus diesen in die Kassen von Bauern und Großgrundeigentümern hinüber, die Überschüsse an Lebensmitteln produzieren und mit deren Verkauf rechnen können; schließlich schöpft die Polis die Gewinne der Wohlhabenden aus diesen Transaktionen über nachdrücklich eingeforderte Leistungen zugunsten des Gemeinwesens (die – wie so vieles – durchaus rechenhaft behandelt werden) wieder ab, und das Spiel beginnt von neuem. Schließlich sei noch angemerkt, dass Eich bei seiner Suche „nach den Ähnlichkeiten der Polisökonomien zu späteren Entwicklungsstadien monetarisierter Ökonomien“ (S. 56) erfreulicherweise kaum in unzulässige Modernisierungen und Anachronismen verfällt.3 So wünscht man diesem ausgezeichneten Werk eine faire Aufnahme.

Anmerkungen:
1 Regionalism and Change in the Economy of Independent Delos 314-167 B. C., Berkeley 1994.
2 Theory, Evidence and the Ancient Economy, in: Journal of Roman Studies 65 (1975), S. 164-171.
3 Es gibt sie jedoch vereinzelt. So soll – hier befindet sich Eich auf den Spuren von Sarah Pomeroy – Xenophon „ein Handbuch über die Steigerung der Profitabilität von Grundbesitz verfaßt“ haben (S. 39, Anm. 79; 354). Attische Großgrundbesitzer firmieren häufig als „Latifundisten“ (z.B. S. 89, Anm. 210, S. 94 und öfter). Auch „ein attisches Latifundium mit integrierter Manufaktur“ kommt vor (S. 2, Anm. 3). À propos Sprache: Nachlässigkeiten, die sonst nur an studentischen Hausarbeiten und Zeitungen stören, finden sich nun auch auf der Ebene einer Habilitationsschrift. Gemeint sind Konstruktionen des Typs: „Die unvermeidliche Konzentration auf athenische Texte erhält […] seine Rechtfertigung“ (S. 2). Linguisten erkennen darin allerdings den unaufhaltsamen Wandel der Sprache und halten für diesen Fall die verständnisvolle Bezeichnung „attraction“ parat. Wer noch Verstöße fühlt wie diesen: „Max Webers Œuvre ist […] durch ein […] klassifikatorisches Interesse geprägt, also dem Streben […]“ (S. 13), begreift leichter, weshalb Bastian Sick immer neue Folgen von „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ in die Welt setzt.

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