G. Binz: Filmzensur in der deutschen Demokratie

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Titel
Filmzensur in der deutschen Demokratie. Sachlicher Wandel durch institutionelle Verlagerung von der staatlichen Weimarer Filmprüfung auf die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in der Bundesrepublik?


Autor(en)
Binz, Gerrit
Erschienen
Trier 2006: Kliomedia
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Buchloh, Hochschule Ravensburg-Weingarten

Das Bundesverfassungsgericht hat das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einmal als unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als schlechthin konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung bezeichnet. Zensurmaßnahmen schränken dieses Grundrecht ein: Einerseits schmälern sie die Möglichkeiten der Menschen, sich selbst zu entfalten; andererseits machen sie es den Bürgern schwerer, die Regierung zu kontrollieren. Sie hemmen zudem einen offenen Wettstreit unterschiedlicher Auffassungen. Was bei Tageszeitungen noch selbstverständlich erscheinen mag, gilt für den Film weit weniger: Regierende halten und hielten die Vorstellung für abwegig, die Öffentlichkeit könne einen Film zu sehen bekommen, bevor er von einem Gremium kontrolliert wurde. Die Aufgabe einer solchen Vorprüfung lag in der Weimarer Republik in der Hand von staatlichen Stellen, in der Bundesrepublik Deutschland kümmert sich darum eine Einrichtung, die sich „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ („FSK“) nennt.

Beiden Formen der Filmkontrolle widmet sich der Trierer Jurist Gerrit Binz in seiner umfangreichen Schrift „Filmzensur in der deutschen Demokratie“. Es handelt sich um eine verwaltungswissenschaftliche Dissertation, mit der er 2005 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer promoviert wurde. Als „formellen“ Untersuchungszeitraum gibt Binz die Zeit von 1906 bis 1992 an: Im Jahr 1906 erließ Berlin eine Polizeiverordnung, mit der die Stadt eine Vorzensur von Filmen einführte – im Jahr 1992 beendete die FSK ihre Praxis, die Freigabe von Filmen für Erwachsene von Schnitten abhängig zu machen. (Bei der Freigabe von Filmen für Jugendliche „empfiehlt“ die FSK dagegen bis heute solche Schnitte; will ein Verleiher für seinen Film statt einer Freigabe „ab 16 Jahren“ eine Freigabe „ab 12 Jahren“ erhalten, dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen „Empfehlungen“ zu folgen.) Was die Filmkontrollpraxis der FSK betrifft, beleuchtet Binz nur Prüfentscheidungen, welche die FSK bis zum Anfang der siebziger Jahre fällte.

Als zentrale Frage seiner Arbeit formuliert Gerrit Binz: „Bewirkte die institutionelle Verlagerung der ehemaligen Staatsaufgabe ,Filmzensur‘ von seinen Prüfstellen auf die Ausschüsse der ersten deutschen Medienselbstkontrolle auch einen sachlichen Wandel für die hiervon Betroffenen oder nicht?“ (S. 12) Was Binz unter „sachlichem“ Wandel versteht, wird nicht ganz klar. Er nimmt sich jedenfalls vor, die Grundsätze zu ermitteln, an denen sich die jeweiligen Prüfinstanzen orientierten. Auch die Entwicklung der Filmzensur und die Organisation der Prüfstellen will Binz in den Blick nehmen. Den Schwerpunkt möchte er auf die Analyse der tatsächlichen Prüfentscheidungen legen. Binz verspricht eine verlässliche Auskunft über „die ständige Rechtsprechung“ besonders der FSK: Er habe sowohl Zugang zum kompletten Archiv der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ in Wiesbaden gehabt als auch auf die Entscheidungen der Weimarer Filmzensur zurückgreifen können, welche in großem Umfang im Internet veröffentlicht seien.

Gerrit Binz teilt seine Arbeit in vier Hauptkapitel ein. Nach einer kurzen Einleitung beschäftigt er sich mit der Polizeizensur im Kaiserreich, hier geht er vor allem auf die Zensur in Berlin und in Württemberg ein. Im nächsten Kapitel untersucht Binz die Reichsfilmzensur in der Weimarer Republik, wobei er seine Schwerpunkte auf das Reichslichtspielgesetz von 1920 und auf die Tätigkeit der Filmoberprüfstelle Berlin legt. In einem weiteren Kapitel wendet sich Binz der NS-Filmzensur zu. Im vierten und letzten Hauptkapitel befasst er sich schließlich mit der FSK in der Bundesrepublik. Bei einem Buch, das sich der „Filmzensur in der deutschen Demokratie“ widmet, muten Kapitel über das Kaiserreich und das „Dritte Reich“ zunächst seltsam an. Binz begründet sein Vorgehen damit, die Zensurpraxis jener Jahre sei für das Verständnis der anderen Zeitabschnitte wichtig. Dies vermag er in seinen weiteren Ausführungen auch zu zeigen.

Ein Anhänger der herrschenden juristischen Lehre könnte sich überdies daran stoßen, dass mit Blick auf die Bundesrepublik überhaupt von „Zensur“ gesprochen wird. Die herrschende Rechtslehre interpretiert nämlich „Zensur“ im Sinne des Grundgesetzes als umfassende, systematische Vorprüfung von Meinungsäußerungen durch eine staatliche Behörde. Da die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ aber keine Behörde, sondern eine private Selbstkontrolleinrichtung sei und ein Verleiher seine Filme dort freiwillig vorlege, könne von „Zensur“ keine Rede sein. Gerrit Binz macht jedoch zu Recht deutlich: Die FSK hat ein wirtschaftliches Sanktions- und Boykottsystem aufgebaut, sie ist aus Verhandlungen mit den Kultusministerien der Länder hervorgegangen, und in ihren Gremien saßen zeitweise zur Hälfte Vertreter der öffentlichen Hand. Dem FSK-System kann sich in der Praxis kaum ein Filmverleiher entziehen – es kam und kommt so gut wie kein Film auf deutsche Kinoleinwände, ohne vorher von der FSK geprüft worden zu sein. Binz nennt dies „faktische Zensur“ (S. 13, 316, 407).

Es ist indes eine Schwäche der Arbeit von Binz, dass der Autor den Zensurbegriff nicht gleich zu Anfang seiner Ausführungen erläutert. Nach mehr als 300 Seiten gibt Binz verschiedene Positionen zum Zensurbegriff wieder und diskutiert diese am Beispiel der „Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ (S. 314-317). Dabei argumentiert er widersprüchlich: Einerseits charakterisiert er die FSK-Tätigkeit als Zensur, andererseits sagt er, es bestehe ein „breiter Grundkonsens über ihre praktische Notwendigkeit“ (S. 316) und deshalb solle man an der FSK nicht rütteln. Binz’ Beobachtung trifft zweifellos zu. In der Tat kommt die FSK sowohl den Interessen von Politikern als auch denjenigen der Filmwirtschaft entgegen: Politiker können sich den Verzicht auf eine Vorkontrolle von Filmen nicht vorstellen und wollen den Staat an einer solchen Prüfung beteiligen, ohne dass dies in der Öffentlichkeit als Zensur wahrgenommen wird. Die Filmwirtschaft befürchtet bei einer Abschaffung der sogenannten „Selbstkontrolle“ die Einführung einer Staatszensur, obwohl dies ganz eindeutig gegen das Grundgesetz verstieße. Eine kalkulierbare Kontrollinstanz, an der ihre Vertreter mitwirken und deren Entscheidungen von den Gerichten akzeptiert werden, ist der Filmbranche lieber als eine völlige Freigabe von Filmen. Dann würden womöglich örtliche Gerichte gegen einzelne Filme einschreiten, was die Auswertungschancen eines Films beeinträchtigen könnte. Die breite Zustimmung zur FSK ändert freilich nichts daran, dass auch eine solche Filmkontrollinstanz verfassungsrechtlich problematisch ist.

Auch wenn die Argumentation von Gerrit Binz nicht immer zu überzeugen vermag, bietet das Buch an vielen Stellen lesenswerte Einblicke in die Geschichte der deutschen Filmzensur. So stellt Binz zum Beispiel sehr anschaulich dar, wie sich die verfassungsrechtliche Grundlage für eine Filmzensur in der Weimarer Republik herausbildete und welche Positionen die einzelnen Parteien und Interessengruppen vertraten, besonders die filmfeindliche, konservative „Kinoreformbewegung“. Auch die Entstehungsgeschichte der Filmkontrolle in der Bundesrepublik wird detailliert nachgezeichnet. Manche Erwartungen erfüllt Gerrit Binz jedoch leider nicht: Das Archiv der FSK war lange Jahre für die Wissenschaft nicht zugänglich. Nachdem Binz es nun ohne Einschränkungen nutzen konnte, hätte man sich eine Fülle von Einsichten in die Filmkontrollpraxis gewünscht – immerhin konnte die FSK im Jahr 2004 ihre 100.000. Filmprüfung „feiern“. Binz nennt in seinem Filmverzeichnis (S. 430) aber gerade einmal 14 Filme, die nach 1949 gedreht wurden; in seinem Text bezieht er sich noch auf einige andere Filme, welche er in das Filmverzeichnis nicht aufnimmt. Was er dann über die FSK-Filmprüfungen schreibt, ist meist sehr knapp gehalten und geht manchmal nicht über das hinaus, was man an anderer Stelle bereits lesen konnte, etwa zum Umgang der FSK mit dem Film „Anders als du und ich (§ 175)“ von Veit Harlan.

Als Ergebnis seiner Untersuchungen hält Gerrit Binz fest, dass die institutionelle Verlagerung der Weimarer Staatszensur auf eine bundesrepublikanische Selbstkontrolle keinen „sachlichen“ Wandel bewirkt habe – weder für die Filmwirtschaft noch für das Kinopublikum. Unterschiede habe es in der Organisationsform gegeben, Gemeinsamkeiten in der Rechtfertigung der Zensur und in den Prüfgrundsätzen. Was die Zensurgegenstände betreffe, seien die FSK-Gremien mit Angriffen auf die Religion großzügiger verfahren als die Weimarer Zensurstellen. Bei staatspolitisch heiklen Inhalten könne man dagegen nur graduelle Abweichungen beobachten, und bei Sex- und Gewaltdarstellungen ließen sich gar keine Unterschiede feststellen. Diese Ergebnisse der Studie von Binz dürfen als bemerkenswert gelten – hätte man doch bei der immer wieder behaupteten Staatsferne der FSK vielleicht mit größeren Unterschieden zu einer Staatszensur rechnen können. Insgesamt kann man der Veröffentlichung von Gerrit Binz trotz aller Einwände bescheinigen: ein informatives, lesenswertes Buch!

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