T. Hensel u.a. (Hrsg.): Das bewegte Bild

Titel
Das bewegte Bild. Film und Kunst


Herausgeber
Hensel, Thomas; Krüger, Klaus; Michalsky, Tanja
Erschienen
München 2006: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joanna Barck, Forschungskolleg Medien und Kulturelle Kommunikation, Köln

Die jüngst erschienene Publikation „Das bewegte Bild“ ist ein zwischen Kunstgeschichte und Filmwissenschaft angelegter Sammelband, der dezidiert nur Kunstwissenschaftler/innen Raum bietet, über Filme, Bilder, Film-Bilder und Kunst nachzudenken. Disziplinhistorisch betrachtet, erinnert dieser Anspruch nicht zufällig an die ursprüngliche Standortbestimmung der Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert, als beispielsweise August Schmarsow die Kunstgeschichte als die einzige Disziplin bestimmte, die „das Eigentümliche [am Bild] festzustellen und hochzuhalten“ (S. 3) in der Lage sei.1 Die damals geforderte Fokussierung auf das Bild gewinnt heute nicht nur im Rahmen des so genannten „Iconic turn“ erneut an Bedeutung, sondern auch vor dem Hintergrund der Neuformierungen von universitären Disziplinen wie Bildwissenschaft, Medienwissenschaft, Visuellen Kulturstudien und ähnlichen, die ältere Bilddisziplinen wie die Kunstgeschichte zu einer Neupositionierung zwingen.

Die Programmatik des Sammelbandes ist mit dem Titel des ersten Abschnitts grob umrissen: „Kunstgeschichte, Filmgeschichte und beider gemeinsame Geschichten“. Die „Geschichten“ der Kunst und des Films werden hier rückblickend auf das strukturelle Verhältnis beider Medien und die transkriptiven Prozesse befragt, die seit den Anfängen des Films ihre Beziehungen zueinander bestimmen. Zugleich wird der Versuch unternommen, dabei die Rolle der Kunstwissenschaft zu beleuchten.

Der erste Beitrag von Thomas Meder „Das Bild als epistemologische Herausforderung des Films: Jean und Auguste Renoir“ (S. 3-26) kann durchaus als die eigentliche Einführung in die Thematik gelten, die gleichzeitig eine generelle Standortbestimmung der Kunstwissenschaft in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand Film wagt: Einerseits liefert Meder einen prägnanten Überblick über diejenigen wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit den Bildern der Kunst im Verhältnis zu den genuinen Filmbilder beschäftigen. Andererseits resümiert er die Probleme der Kunstgeschichte, die seiner Meinung nach zu der langanhaltenden Abstinenz des Faches in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand Film führten. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist Meders allgemeine Schelte derjenigen filminteressierten Kunsthistoriker/innen, die seiner Meinung nach in Filmen bzw. Filmbildern nur eine zum Gemälde hin abfallende Nachstellung sehen. Diese Kunstwissenschaftler/innen – sie werden in einer Fußnote summarisch nachgetragen – sind für den Autor nichts anderes als „Vorbildfahnder“ und „Exegeten“, die es „besonders genau nehmen“ (S. 13). Beredtes Zeugnis für Meders „Bildexphrasis“ – und gleichzeitig ein blinder Fleck seiner Kritik – ist sein eigener Umgang mit den Bildmedien, wobei Renoirs Gemälde als Schwarz-Weiß-Reproduktionen seinen Text illustrieren, hingegen auf eine der Erinnerung dienende Filmsequenzwiedergabe der vorgestellten Filme verzichtet wird. Vor dem Hintergrund der facheigenen Kritik versucht der Autor selbst, den „Spuren des Malers [Auguste Renoir] im Werk des filmenden Sohnes [Jean]“ (S. 12) so zu folgen, dass die Filmanalyse zu keiner Suche nach konkreten Gemäldevorbildern aus dem Œuvre Auguste Renoirs wird.

Einen anderen programmatischen Ansatz verfolgen zwei weitere Aufsätze: der kurze Beitrag von Martin Warnke zu „Kontinuitätslinien von alter Kunst zu den Neuen Medien“ (S. 75–80) und der weit ausführlichere von Hans Ulrich Reck über das Verhältnis von Film, Kunst und Kino (S. 81-127). Warnkes Text stellt eine indirekte Gegenposition zu dem Postulat eines unabhängigen Filmmediums dar, indem er vor allem die aus „Kontinuitätsbrüchen“ entstehenden „Kontinuitätslinien“ zwischen den Kulturmedien vom Mittelalter bis zu den Avantgarden, zwischen der bildenden Kunst und dem Film, und letztlich zwischen der Filmwissenschaft und Kunstwissenschaft betont. In seinem durchaus nicht restaurativen Ansatz geht es Warnke nicht um genuine Untersuchungsmethoden der so genannten Neuen Medien, sondern um eine Schärfung „des vergleichenden Sehens“ im Sinne einer allgemeinen Kulturtechnik (S. 80). Recks Aufsatz umschreibt die „Kunst des Films“ aus der Sicht der Kunstgeschichte und gleichzeitig in den Grenzen, die dieses Medium der (traditionellen) Kunstgeschichte setzt. Sein Ansatz versucht die Disziplin gegen die (fremddisziplinäre) Zuschreibung eines paternalistischen Bildverständnisses zu definieren, und setzt ein dynamisches Modell der Kunstwissenschaft dagegen, die sich demnach mit den Übergängen zwischen den Kunstmedien befassen soll.

Der zweite Abschnitt: „Filme und andere Bilder“ wendet sich konkreten Filmbeispielen zu, und rekonstruiert dabei Bezüge zwischen Filmbildern und anderen Bildern sowie von Regisseuren zur Kunst. Wolfgang Brückles Beitrag „Fünf Faden tief“ (S. 163-192) beginnt angenehmerweise nicht mit einer Negativrevision des Faches, sondern mit einer kunsthistorischen Frage nach den Erzählstrukturen in der Malerei und Fotografie, um ihnen dann in Michelangelo Antonionis filmischen Œuvre nachzuspüren. Antonionis Verwendung von Gemälden und Fotografien in seinem Klassiker „Blow-Up“ dienen Brückle dazu, die filmische Diegese vom abstrakten Expressionismus her zu beleuchten. Der abschließende Beitrag „Bilder der Kunst, des Films, des Lebens“ (S. 257-279) von Klaus Krüger lotet die Bezüge zwischen außerfilmischen Gemälden und Filmbildern am Beispiel Derek Jarmans „Caravaggio“ aus. Dabei geht es Krüger vor allem darum, die Verschränkungen zwischen dem Lesbaren („Code der Narration“, S. 260) und dem, was nicht auf Anhieb 'lesbar' ist („Code der Bilder“, S. 260), offenzulegen.

Den dritten Teil zu „Zeitgenössischen künstlerischen Praxen“ eröffnet Hans Belting mit dem Beitrag „Sugimotos Filme“ (S. 284-292). Hiroshi Sugimoto – einem breiteren Publikum vor allem durch seine fotografischen Nachstellungen älterer Gemäldeporträts bekannt – hat nie einen Film gedreht. Aber er hat Kinosäle fotografiert, während dort Filme vorgeführt wurden. Die in langer Belichtungszeit entstandenen Fotos zeigen menschenleere Säle und enigmatisch leuchtende Filmleinwände, die die Spur des Films visualisieren. Beltings interessante Analyse hebt das fotografische Bild als einen Ort der Zeit hervor, an dem der Film zu einem einzigen „Zeit-Bild“ gerinnt.

Der vierte und letzte Abschnitt „Kunst, Film und Kino“ hält zwar interessante Beiträge bereit, wirkt jedoch etwas beliebig, sind doch alle Titel gebenden Stichworte schon in den vorhergehenden Buchabschnitten behandelt worden. Hervorzuheben ist hier Tanja Michalskys Aufsatz „David Lynch: Lost Highway“ (S. 397-418), da er einen medienanalytischen Ansatz bietet. Ähnlich wie bei Sugimotos Fotografien drängt sich auch bei „Lost Highway“ die Frage nach dem intermedialen Status des Bildes auf. Die Highway-Metapher als Ausgangspunkt ist gut gewählt, da sie für Bewegung und damit vordergründig für den auf Bildbewegung basierenden Film steht. Gerade diese titelgebende Metapher dient Michalsky dazu, das subversive Potential von „Lost Highway“ herauszuarbeiten. Dabei entwickelt sich der Highway zum subversiven Ort, an dem Bildretardierungen und rückwärtige Bildbeschleunigungen stattfinden. Mit anderen Worten: Hier wird die auf sukzessive Bewegung und Zeitentwicklung gründende Definition des Filmbildes unterlaufen.

Insgesamt gibt der Sammelband einen guten Einblick in die aktuellen Filmdebatten aus den Reihen der Kunstwissenschaft. Er stellt einen Versuch dar, die Frage nach dem Bild unter den bewegten Bildern kunsthistorisch neu zu profilieren. Wünschenswert wäre, solche Beiträge könnten inzwischen selbstbewusster sein, ohne sich zunächst durch eine Disziplinrevision oder Disziplindistanzierung legitimieren zu müssen. Dies gilt umso mehr, als in den Filmwissenschaften selbst die Tendenz hin zu einer verstärkten Aufmerksamkeit gegenüber der Eigenlogik von Bildern zu beobachten ist. Diese Entwicklung ist ohne entsprechende Ansätze und Anregungen aus den Kunstwissenschaften nicht denkbar, namentlich durch Gottfried Boehm, Gernot Böhme, Georges Didi-Huberman oder W. J. T. Mitchell, die eine autarke (teils metaphysische Macht-) Position der Bilder postulieren.

1 Schmarsow, August, Die Kunstgeschichte an unseren Hochschulen, Berlin 1891.

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