U. Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer

Titel
Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck - Eine Biographie


Autor(en)
Schulte-Varendorff, Uwe
Erschienen
Anzahl Seiten
217 S
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Lütgemeier-Davin, Kassel

Mit dem Mythos, General Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) sei der unbesiegte, ritterlich kämpfende, fürsorgliche und geniale Kolonialheld im ehemaligen Deutsch-Ostafrika gewesen, wird in der Biografie des Osnabrücker Historikers Uwe Schulte-Varendorff gründlich aufgeräumt. Das Bild vom
„Löwen von Afrika“, der mit seinen „treuen“ Askari und „loyalen Eingeborenen“ einer gewaltigen Übermacht alliierter Soldaten getrotzt habe und deshalb als soldatisches Vorbild für die kaiserliche Armee, die Reichswehr, die Wehrmacht und gar die Bundeswehr gelten könne, hält der Überprüfung der historischen Wirklichkeit nicht stand.

Die gut recherchierte, reich illustrierte und auch für den historischen Laien mit Gewinn zu lesende Darstellung auf der Basis unveröffentlichter Quellen und einschlägiger Literatur zeichnet in gebotener Stringenz die militärische Laufbahn des Kolonialoffiziers nach, schildert seine Bilderbuchkarriere in der kaiserlichen Armee (z. B. beteiligt an der Niederschlagung des Boxeraufstandes und am Vernichtungs- und Eroberungskrieg gegen die Hereros und Nama), seine Skrupellosigkeit bei der Wahl militärischer Mittel, sein außergewöhnliches Organisations- und Improvisationstalent, aber auch seinen elitären Standesdünkel, seinen Ehrgeiz, seine unbedingte Bereitschaft zu ausgeprägter Härte gegenüber vermeintlichen „minderwertigen Rassen.“ Lettow-Vorbeck war am Völkermord, am rassistisch motivierten Ausrottungskrieg beteiligt, ja gehörte zu seinen Motoren und Apologeten. Dieser erbarmungslose Krieg wurde vom deutschen Generalstab in Berlin ohne Abstriche gebilligt und gedeckt.

Im historischen Bewusstsein ist dieser Genozid heute nicht mehr, er war es wahrscheinlich nie. Nicht einmal die Bundesregierungen haben den Völkermord anerkannt; selbst die spektakuläre öffentliche Distanzierung der Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul 2004 in Nambia vom Vernichtungsbefehl des Generals von Trotha gegen die Herero führte nicht zu allseits befriedigenden Wiedergutmachungsleistungen. Lettow-Vorbeck ist übrigens dem Vernichtungsbefehl seines Vorgesetzten von Trotha nicht nur nachgekommen, sondern hat ihn in seinen 1957 publizierten Memoiren noch einmal ausdrücklich mit der Bemerkung gerechtfertigt, dass der Hereroaufstand „solchen Umfanges erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden“ musste.

Zum eigentlichen Held stieg Lettow-Vorbeck als „unvergleichlicher Führer“ im Kampf um Deutsch-Ostafrika während des Ersten Weltkrieges auf. Eine Entscheidungsschlacht bewusst vermeidend, verhinderte er eine militärische Niederlage der deutschen „Schutztruppe“. Damit leistete er der Legende Vorschub, er selbst verkörpere das heroische und unbesiegbare deutsche Soldatentum. In einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften wurde er den Kampftruppen an der Ost- und Westfront in Europa als Vorbild, der einer feindlichen Übermacht standzuhalten verstehe, vorgestellt. In unbedingter Treue seien die afrikanischen Soldaten mit ihm verbunden – deutliche Hinweise, die die Kampfmoral der deutschen Truppen auf den europäischen Schlachtfeldern stärken sollten. Seine Konflikte mit dem Gouverneur in Ost-Afrika Heinrich Schnee drangen ebenso wenig an die Öffentlichkeit wie seine umbarmherzigen Strafexpeditionen (bei den Askari wurde er „Herr, der unser Leichentuch schneidert“ insgeheim genannt), die Verstöße seiner Truppe gegen die Haager Landkriegsordnung (z. B. Tötung von Zivilisten, Leichenverstümmelung, Vergewaltigungen), seine terroristische Strategie der „verbrannten Erde“ oder die exorbitant hohe Zahl von Fahnenflüchtlingen. Wenngleich er einige alliierte Truppenverbände durch seine Kampfestaktik in Afrika band, so war die militärische Entlastung des Deutschen Reiches durch seine Strategie doch tatsächlich von nur geringer Relevanz.

Zum Mythos wurde Lettow-Vorbeck nach 1918. Ohne militärisch entscheidend geschlagen worden zu sein, kapitulierte er mit seiner „Schutztruppe“ erst nach dem Waffenstillstand in Europa und war deshalb geeignet, die Dochstoßlegende der politischen Rechten zu untermauern. Durch seine rege Vortrags- und publizistische Tätigkeit begünstigte er den Kolonialrevisionismus und arbeitete zugleich an seiner eigenen Heroisierung.

Politisch immer reaktionär, autoritär, antidemokratisch, antibolschewistisch, war er am Kapp-Lüttwitz-Putsch beteiligt, zwischen 1928 und 1930 Reichstagsabgeordneter der DNVP, nach 1933 u. a. Bremer Staatsrat und für die Inlands- und Auslandspropaganda der Nationalsozialisten tätig.

In der Bundesrepublik wirkten die falschen Vorbilder in der Militärgeschichte fort. 1 Kasernen- und Straßenbenennungen nach Lettow-Vorbeck wurden nicht generell getilgt. Eine Distanzierung erfolgte, wenn überhaupt, nur schwach. Auf seiner Beerdigung konnte gar der damalige Bundesverteidigungsminister von Hassel erklären, Lettow-Vorbeck sei „wahrlich im Felde unbesiegt“ geblieben.

Schulte-Varendorff stellt abschließend die Rezeptionsgeschichte über Lettow-Vorbeck vor und kommt zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass es an ihm nichts gibt, was heute noch verehrungswürdig wäre. Der Autor legt eine passable Biografie vor, aber es ist sein Erkenntnisinteresse nicht, detailreich und kritisch wertend den Genozid in Afrika selbst zu schildern. Wer hierüber informiert werden möchte, muss zu anderen Werken greifen.2 Sicherlich beweiskräftiger wäre es gewesen, wenn der Autor zumindest die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse über den Genozid in deutscher Verantwortung noch stärker herausgearbeitet und sich nicht nur auf die Biografie eines unbelehrbaren Militaristen beschränkt hätte. Als Biografie im traditionellen Sinne bleibt die Arbeit jedoch von Wert.

1 Vgl. hierzu allg.: Jakob Knab: Falsche Glorie. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Berlin 1995; Detlef Bald/Johannes Klotz/Wolfram Wette: Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege. Berlin 2001.

2 Vgl. z. B. Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Hrsg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Berlin 2003; Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880. Frankfurt am Main 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension