G. Pfeisinger: Arbeitsdisziplinierung und frühe Industrialisierung

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Titel
Arbeitsdisziplinierung und frühe Industrialisierung 1750-1820.


Autor(en)
Pfeisinger, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
326 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karsten Uhl, KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Gerhard Pfeisingers Habilitationsschrift untersucht den Diskurs der Arbeitsdisziplinierung während der frühen Industrialisierung in Österreich. Der Wert des Buches ist weniger im Erschließen neuer Quellen als vielmehr in einer Syntheseleistung zu sehen: Pfeisinger führt verschiedene Forschungsstränge zusammen und diskutiert diese unter dem Focus seines Themas. Er widmet sich den kontroversen Debatten zur Sozialdisziplinierung und Proto-Industrialisierung und bildet Schnittmengen mit der Forschung zur Geschichte des Körpers, der Policey und der Arbeitshäuser.

Methodischer Fixpunkt der Untersuchung ist die Diskursanalyse Michel Foucaults. Pfeisinger stellt sich das Ziel, die Entstehung der „Arbeitsgesellschaft“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu untersuchen. Für diese sei konstitutiv, dass der Begriff der Arbeit aufgewertet worden sei, im neuen Sinne sei Arbeit als zentrale Kategorie für das Staatswohl und als „gleichzeitig wertschaffend, produktiv, rational und moralisch“ aufgefasst worden (S. 14). Pfeisingers Terminus „Arbeitsdisziplinierung“ meint eine Sozialtechnologie im Foucaultschen Sinne, die Arbeitsdisziplinierung sei „ ein ‚Projekt’ des gelehrten und staatlich-obrigkeitlichen Diskurses“ gewesen (S. 286), dem es darum gegangen sei, sozial gültige „Verhaltensweisen, Werte und Gewissen“ hervorzubringen (S. 17). In drei Kapiteln untersucht Pfeisinger zunächst die ökonomischen, dann die sozialen Voraussetzungen der Arbeitsdisziplinierung und abschließend die Funktionsweise dieser Sozialtechnologie im entstehenden Fabriksystem.

Der in den 1970er-Jahren geprägte Forschungsbegriff Proto-Industrialisierung ist für Pfeisinger vor allem von heuristischer Bedeutung. Für seine Fragestellung ist von Belang, dass sich in den marktorientierten ländlichen Nebenerwerbsbetrieben bereits vor den technischen Innovationen der industriellen Revolution das „Fabriksystem“ in seinen Grundzügen mit Arbeitsteilung und Arbeitsdisziplinierung herausgebildet habe (S. 34). Eine wichtige Rahmenbedingung für diese Entwicklungen habe der „wirtschaftspolitische Paradigmenwechsel“ (S. 49) in Form des Merkantilismus Mitte des 18. Jahrhunderts dargestellt. „Wachstum und Konsum“ seien anstelle von „Verzicht und Genügsamkeit“ zu „Schlüsselworten jener Epoche“ geworden (S. 52), was insbesondere im agrarischen Bereich zu einer gesteigerten Erwerbstätigkeit von Frauen geführt hätte.

Das umfangreiche zweite Kapitel diskutiert zunächst das Konzept der Sozialdisziplinierung ob seines „vielfach veralteten Begriffsinstrumentariums“ kritisch (S. 81), räumt ihm aber die Funktion eines wichtigen heuristischen Instrumentes ein. Pfeisinger betont in diesem Zusammenhang, dass der Disziplinierungsprozess zwar weitreichende Folgen gezeitigt hätte, sich aber keinesfalls in allen Ebenen vollständig durchgesetzt habe und gleichzeitig von Widersprüchen wie dem partiellen Weiterbestehen feudalen Strukturen geprägt gewesen sei. In späteren Abschnitten des Buches suggeriert Pfeisinger sehr wohl, dass es sich um einen totalen Prozess der Sozialdisziplinierung gehandelt habe. Dieser Widerspruch ist eine Folge von Pfeisingers – forschungspragmatisch verständlicher – Entscheidung, sich auf eine Untersuchung des Diskurses zu konzentrieren und „die Lebensweise der Betroffenen, deren Veränderungspotentiale und den Durchsetzungsmöglichkeiten dieses ‚Projektes’ bei ihnen“ weitgehend auszuklammern (S. 87). Sprachlich gelingt es ihm dann nicht immer, Sein und Sollen voneinander zu trennen: „Somit wird der Mensch – noch lange bevor tatsächlich die Maschine den Rhythmus der Arbeit bestimmt – ihrer Herrschaft über Raum und Zeit ausgeliefert. Das Kind wird in einen ökonomischen Zusammenhang hinein geboren, dessen Gesetze sich buchstäblich in seinen Körper einschreiben“ (S. 179).

Pfeisinger betont in einem kurzen Abschnitt, dem eine intensive Diskussion der Forschungsergebnisse Philipp Sarasins gut getan hätte 1, die steigende Bedeutung der Maschinenmetapher sowohl für Entwürfe des Staates als auch des arbeitenden menschlichen Körpers. Diese Parallele zwischen Staat und Individuum finde sich auch in der Neubestimmung der „guten Policey“: Eine „geordnete Arbeitsgesellschaft“ habe gleichermaßen „zum Wohle des Staates und zum Glück des Einzelnen“ führen sollen (S. 108). Der Arbeit sei im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein moralischer Wert unabhängig vom etwaigen ökonomischen Nutzen zugesprochen worden, gleichzeitig habe sich die soziale „Ächtung von Nicht-Arbeit“ entwickelt (S. 159). Pfeisinger unterlässt hier den wichtigen Hinweis darauf, dass diese Ächtung nicht allein auf die Armen, sondern auch auf den Adel abzielte. Die vermehrte Einrichtung von Zucht- und Arbeitshäusern habe der Bekämpfung der Unproduktivität gedient, neben der Funktion der Strafe sei diesen Institutionen die Aufgabe der „Integration beschäftigungs- und einkommensloser Bevölkerungsgruppen in den Arbeitsprozess“ zugekommen (S. 188). Die wichtigste Wirkung des Arbeitshauses sei aber auf symbolischer Ebene zu suchen: Dieses sei ein Mittel der „Arbeitsanhaltung und ein Instrument der Abschreckung“ gewesen (S. 194).

Das abschließende dritte Kapitel untersucht die Wirkung der Disziplinarmacht am frühindustriellen Arbeitsplatz vor allem am Beispiel des österreichischen Textilgewerbes, einer Branche, in der die Arbeitsteilung bereits weit fortgeschritten war. Die Zentralisierung der Arbeitskräfte in der Manufaktur und eine fortgesetzte Zerlegung des Produktionsprozesses in einzelne Arbeitsschritte hätten die Hierarchisierung und Kontrolle im Betrieb erleichtert. Angelehnt an Michel Foucaults Vorgehen in „Überwachen und Strafen“ betrachtet Pfeisinger die spezielle Architektur der Manufakturen als Instrument zur Transformation der Individuen. Die im 18. Jahrhundert beginnende „Entwicklung zu einer geschlossenen Arbeitersiedlung“ stehe ebenfalls im Dienste der sozialen Kontrolle (S. 231). Im gleichen Sinne bewertet Pfeisinger die Einführung von Pensionssystemen in einigen Staatsbetrieben am Ende des 18. Jahrhunderts; auch diese Maßnahme hätte dem „Aufbau einer zufriedenen und disziplinierten Arbeiterschaft“ gedient (S. 262). Unabdingbar für den Erfolg der Arbeitsdisziplinierung sei insgesamt gewesen, dass die „Autoritätsstrukturen in Familie, Fabrik und Staat“ miteinander übereinstimmten (S. 238).

Pfeisingers solide Untersuchung kann der klassischen Studie von Treiber und Steinert zur Entstehung der Fabrikdisziplin nur wenig hinzufügen. 2 Grundsätzlich weiß die Zusammenführung von Proto-Industrialisierung und Sozialdisziplinierung zu überzeugen, allerdings neigt Pfeisinger dazu, aus zweiter Hand zu zitieren und weitgehende Schlussfolgerungen auf dünner Quellenbasis zu treffen. Eine Beschränkung auf den Gegenstand der Manufaktur hätte der Arbeit gut getan. Das sehr weit gefasste Erkenntnisinteresse Pfeisingers führt dazu, dass die Rezeption der Forschungsliteratur das eigene Quellenstudium deutlich in den Hintergrund drängt. Bei dem starken Bezug auf Foucault überrascht es, dass Pfeisinger nicht von anonymen und vielfältigen Machtstrukturen ausgeht, sondern staatszentriert argumentiert und von der „Schaffung der modernen Arbeitsgesellschaft“ durch die „Staatsautorität“ spricht (S. 147). Gleichwohl schlägt das Buch neue Wege ein, die nachhaltiger Erforschung harren.

Anmerkungen:
1 Sarasin, Philipp, Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt am Main 2001.
2 25 Jahre nach der Erstauflage wurde das Buch wiederaufgelegt: Treiber, Hubert; Steinert, Heinz, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. Über die “Wahlverwandschaft” von Kloster- und Fabrikdisziplin, Münster 2005.

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