J. Kreiner (Hrsg.): Der Russisch-Japanische Krieg

Titel
Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05).


Herausgeber
Kreiner, Josef
Erschienen
Göttingen 2005: V&R unipress
Anzahl Seiten
186 S.
Preis
€ 38,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maik Hendrik Sprotte, Japanologisches Seminar, Universität Heidelberg

„In den nächsten Jahrzehnten werden wir uns in Europa, Asien und Amerika in stets wachsender Entwicklung befinden, eine Entwicklung, deren Folgen gar nicht abzusehen sind, deren Bedeutung man vielleicht erst am Ende dieses Jahrhunderts, von der hohen Warte der Geschichte aus, wird übersehen und beurteilen können.“ 1 So analysierte Gustav Höcker (1832-1911) unmittelbar nach Ausbruch des Krieges zwischen Japan und Russland im Februar 1904 dessen weltpolitische Folgen. Der hundertste Jahrestag der Einnahme Port Arthurs durch japanische Truppen bot Anfang 2005 die Gelegenheit, in einem Symposium an der Universität Bonn dieser Fragestellung, ganz dem Auftrag Höckers folgend, nachzugehen.

Ziel des Symposiums wie des daraus hervorgegangenen Aufsatzbandes ist es, „die Bedeutung dieses Krieges für die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts und im Rahmen der Geschichte der beiden beteiligten Länder“ (S. 7), so der Japanologe Josef Kreiner in seinem Vorwort, zu analysieren. Das traditionelle Narrativ sieht diesen Krieg für Japan als Kulminations- bzw. Endpunkt im Prozess der Nationenbildung, der Modernisierung und Industrialisierung, für Russland oberflächlich als Anfang vom Ende zaristischer Herrschaft. Diese Sichtweise scheint durch die Beiträge des vorliegenden Aufsatzbandes bestätigt.

Ian Nish, Doyen der historischen Japanforschung Großbritanniens, der später, im Mai 2005, mit der diskussionswürdigen Feststellung überraschte, der diesen Krieg beendende Friedensvertrag von Portsmouth habe die internationale Struktur in Nordostasien definiert und der Region bis zur Invasion der Mandschurei, Koreas und Sachalins durch die Sowjetunion 1945 für vierzig Jahre relativen Frieden und Stabilität gebracht 2, liefert eine konventionelle Darstellung des Krieges und seiner Vorgeschichte in militärhistorischer und diplomatiegeschichtlicher Hinsicht, eine Darstellung, die als Einführung durchaus nicht ungeeignet ist.

Doch erst durch den Beitrag Klaus Hildebrands wird die eigentliche welthistorische Bedeutung des Krieges deutlich, da, wie er nachweist, als einer Konsequenz des Krieges „neben dem europäischen Zentrum der Weltpolitik“ ein zweites entstand, „ein ostasiatisch-pazifisches Teilsystem […], das von Europa ebenso beeinflusst wurde, wie es seinerseits Europa beeinflusst hat“ (S. 37). Begleiterscheinung des Krieges sei zugleich auch der „universale Prozess einer Emanzipation der farbigen Welt vom europäischen Kolonialismus“ (S. 50) gewesen.

Josef Kreiner interpretiert auf der Suche nach dem „Ort des Russisch-Japanischen Krieges in der japanischen Geschichte“ das Ereignis als Gelegenheit, Spannungen im Inneren Japans, die ihren Ursprung 1867/68 in der Unterstützung einer „Wiederherstellung des monarchischen Systems“ (ôsei fukkô) in der Meiji-Restauration (Meiji ishin) bzw. in ihrer Gegnerschaft hatten, zu überwinden. Es handele sich um eine weitere Station „eines bis ins ausgehende Mittelalter zurückreichenden Prozesses der strategischen Absicherung bzw. der Vorbereitung aggressiver Erweiterung“ (S. 76) Japans.

Dominik Stuchtey untersucht die Bedeutung dieses Krieges für das „Britische Empire im edwardianischen Zeitalter“. Die Japanisch-Britische Allianz von 1902 beendete die außenpolitische Isolation Japans nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg 1894/95 und trug dazu bei, den Konflikt auf Japan und Russland zu beschränken. Ebenso war es dieser Krieg, der in einer vermeintlichen Krise des Empires, eher von den Zeitgenossen subjektiv empfunden, als tatsächlich vorhanden, Impulse für eine veränderte Europapolitik durch die Annäherung an den „Erbfeind“ Frankreich in der Entente cordiale gegeben habe. In der Innenpolitik diente der Krieg als Katalysator einer Diskussion zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie, von Mutterland und Kolonien.

Der Osteuropa-Historiker Jan Kusber widmet sich der Autokratie und dem Militär in Russland. Kusber sieht es als „Faszinosum, dass (…) die Geschichte nicht nur des Russisch-Japanischen Krieges, sondern der russischen Fernostpolitik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert überhaupt eine Geschichte von Fehleinschätzungen und Fehlwahrnehmungen“ (S. 101) der Führungseliten gewesen sei. Ursachen lagen, trotz eines regen zeitgenössischen Diskurses über die „Verortung des Eigenen“ (S. 103) in einem eher diffus gehaltenen „Asien“, in der aus Unkenntnis des japanischen Entwicklungsstandes resultierenden Unterschätzung des Kriegsgegners und im strukturellen und sozialen Status quo Russlands, als deren Folge der Monarch „fast, aber eben nur fast“ (S. 101) den Thron verlor.

Dittmar Dahlmann analysiert die erste, gescheiterte russische Revolution. Die Opposition gegen die Autokratie erscheint als eine heterogene Gruppe, bestehend aus Vertretern des Adels, des Bürgertums, der Bauern- und Arbeiterschaft sowie sozialistischer Gruppierungen und ihrer Flügel. Dahlmann evaluiert eben diese Vielfältigkeit als Ursache vieler sich findender und bald wieder zerbrechender Allianzen im Umfeld eines sich durch Industrialisierung verändernden Russlands mit dem Krieg als Auslöser einer sich verschärfenden Krise. Trotz einer Stabilisierung der Autokratie und der durch sie bedingten Rücknahme gewährter Freiheiten sieht Dahlmann die Macht des Zaren nicht als wiederhergestellt. „Ihre Macht konnte die zarische Regierung nie wieder in jener Weise ausüben, wie dies vor 1905 der Fall gewesen war.“ (S.135)

Ehe er sich in seiner interessanten Studie zu den „wirtschaftlichen Grundlagen für Japans militärische Rolle in Ostasien“ konkret dem Aufbau und der Leistungsfähigkeit der japanischen Rüstungsindustrie zuwendet, skizziert Günter Diestelrath die „längerfristige Wirtschaftsentwicklung in Japan, welche den Boden für die maschinenindustrielle und schwerindustrielle Entwicklung des Landes bereitete“ (S. 137). Die im asiatischen Kontext frühe Industrialisierung war keinesfalls das Ergebnis eines erst nach der Meiji-Restauration zwischen 1868 und 1877 begonnenen Reformprozesses (tabula rasa-Situation), sondern ebenso Ausdruck ökonomischer Kontinuitäten aus der japanischen Vormoderne. Eine konsequente staatliche Wirtschaftsplanung, auch im Rüstungsbereich, und ein leistungsfähiger Privatsektor, der nach Entstehung einer Rüstungsgüterknappheit die Produktion umgehend auf eine militärische umstellen konnte, erscheinen als wichtige Faktoren des japanischen Sieges.

Christian Oberländer befasst sich in seinem Beitrag zum „Eintritt Japans in das Konzert der Mächte“ zunächst mit der außenpolitischen Entwicklung Ostasiens und der Rolle Japans unter Berücksichtigung der so genannten „Drei-Mächte-Intervention“ 1895 – Oberländer bevorzugt den Anglizismus „Triple-Intervention“ – nach dem Chinesisch-Japanischen Krieg. Der Boxeraufstand 1900 verhalf Japan zu weiterem Renommee und ebnete den Weg zur Japanisch-Britischen Allianz. Schnell näherten sich die beiden Kriegsgegner nach 1905 unter den Vorzeichen einer japanischen Absicherung eigener Annexionsabsichten Koreas einander wieder an. Oberländer sieht für die wachsende Bedeutung Japans zwei Gründe: eine Interessenverlagerung der europäischen Großmächte nach Europa und japanische Sicherheitsgarantien für die europäischen Einflussgebiete in Ostasien.

Das bedauerliche Fehlen eines Indexes und die uneinheitliche Zitierweise in den Beiträgen dürften der begrüßenswerten Absicht zu schulden sein, die Ergebnisse des Symposiums möglichst zeitnah zu publizieren.

Obgleich kurz in einigen Beiträgen angeschnitten, ist abschließend dennoch zu fragen, ob nicht das weitgehende Ausklammern ausführlicherer Detailstudien zur Bedeutung des Krieges für China und Korea und ebenso für Süd- und Südostasien sowie für die spätere Außenpolitik der asiatischen Kolonialmacht USA das Erreichen des selbst gewählten Ziels vor dem Hintergrund einer neueren Interpretation des Russisch-Japanischen Krieges als „World War Zero“ 3 nur eingeschränkt ermöglichte. Die Folgen einer zunehmend schwindenden Durchsetzungskraft der kaiserlichen Regierung Chinas bleiben ebenso weitgehend unbeachtet wie die Konsequenzen des japanischen Sieges für die Unabhängigkeit des koreanischen Kaiserreichs, die mit der japanischen Annexion 1910 vollends verloren ging. Wie befruchtete der Sieg Japans die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen Süd- und Südostasiens konkret? Weist vielleicht nicht doch der Weg von Port Arthur und Tsushima auf Pearl Harbor?

Dennoch ist es das Verdienst dieses Aufsatzbandes, eine welthistorisch nur all zu oft unterschätzte Region in den Mittelpunkt durchweg lesenswerter Studien gestellt zu haben. Dabei ist vor allem die fremdsprachliche Kompetenz der Osteuropa- und Japanhistoriker, die es den Verfassern erlaubte, an den ereignisbezogenen Quellen und neuesten Forschungsergebnissen zu arbeiten, besonders hervorzuheben.

Anmerkungen
1 Höcker, Gustav, Rußland und Japan im Kampf um Ostasien, Leipzig, o.J. (vermutlich 1904), S. 3-4.
2 Nish, Ian, “Russo-Japan War defined new structure”, in: The Daily Yomiuri, 28. Mai 2005.
3 Vgl. Steinberg, John W.; Menning, Bruce W; Schimmelpenninck Van Der Oye, David; Wolff, David; Yokote, Shinji (Hgg.), The Russo-Japanese War in Global Perspective. World War Zero, Leiden 2005.