G. Cepl-Kaufmann u.a. (Hrsg.): Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg

Cover
Titel
Krieg und Utopie. Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg


Herausgeber
Cepl-Kaufmann, Gertrude; Krumeich, Gerd; Sommers, Ulla
Erschienen
Anzahl Seiten
406 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabella von Treskow, Institut für Romanistik, Universität Potsdam

In „Krieg und Utopie“ schlagen sich in einem nicht primär auf wissenschaftliche Bedürfnisse zugeschnittenen Band die neueren kulturwissenschaftlichen Reperspektivierungen sinnfällig nieder, indem zum einen ein weites Spektrum an Produkten und Praktiken, Institutionen und Formen der Reaktion auf Kriegserfahrung sowie der Manifestation von Spiritualisierung und Ideologisierung zusammengestellt wird und zum anderen die stilistische Spanne der Beiträge von enthusiastisch-engagierten, weniger akademisch elaborierten Schreibweisen bis hin zu „klassisch“-wissenschaftlichen Herangehensweisen reicht. Dies verdankt sich dem Anlass der Publikation, dem gleichnamigen Ausstellungsprojekt in der Düsseldorfer Bunkerkirche und kommt der Rezeption entgegen, weil sich hier Expertenwissen bewusst Nicht-Experten öffnet.

Miteinander in Verbindung gebracht werden Kunst, Architektur, Denkmal- und Grabmalwesen, Dichtung, Zeitschriften und politische Literatur, Galerie- und Ausstellungswesen, Künstlergruppierungen, Institutionen wie Handelskammer oder Fliegerlager – dies in den 1920er-Jahren im geographischen Viereck Mönchengladbach, Düsseldorf, Köln und Aachen. Der Gegensatz zwischen den Polen „Krieg“ und „Utopie“ wird im Band unter Hinweis auf Übergänge und Gleichzeitigkeiten zwischen „Gewalt“ und „Frieden“ aufgelöst. In den Beiträgen z.B. von Cepl-Kaufmann, Krumeich, Matzigkeit und Mannes wird deutlich, wie die Phantasien vom besseren Zusammenleben, teilweise direkt umgesetzt in Siedlungsgemeinschaften („Freie Erde“), die künstlerischen Entwürfe, pazifistischen, kommunistischen oder auch nationalkonservativen Vorstellungen in einem vielschichtig „brutalisierten“ Umfeld entstehen, in einer Zeit der „Trauer“ und „Verdrängung“ von Schmach (Krumeich), im Rahmen der kollektiven Verunsicherung durch ökonomische, soziale und politische Destabilität. Die einleitenden Beiträge von Gerd Krumeich und Gertrude Cepl-Kaufmann beziehen sich beide darauf und sind zugleich komplementär angelegt: Krumeich zeichnet die Entwicklungsstränge der kollektiven Erinnerung nach, für die das Weltbild der Rechten maßgeblich wurde, eine tendenziöse Auslegung und Topisierung der Kriegserfahrung, nur teilweise auf das „reale“ Erlebnis rückführbar, wesentlich gespeist aus der Kontinuität zwischen Kriegspropaganda und antidemokratischer Ideologie. Cepl-Kaufmann zeigt Düsseldorf als „Metropole des Expressionismus und der Avantgarde“, widmet sich damit mehr der anarchistischen oder kommunistischen Seite. Differenziert hebt sie die Vielfalt der Kriegsauffassungen in der Kunst hervor. So schließt z.B. die existentielle Erfahrung der zerstörerischen Potenz des Krieges dessen Verständnis durch Otto Dix als „vitalem“ „Naturereignis“ nicht aus.

Die 42 folgenden Beiträge zu Einzelphänomenen zwischen Dada und Musikpublizistik, Trauma und Apokalypse als Modus der Geschichtsdeutung bzw. „Signatur einer Epoche“ (Padberg) bilden Stimmen, Zugänge und Gegenstände breit ab, bis hin zum Gästebuch, einer Gattung, die noch ihrer Entdeckung harrt. Insgesamt handelt es sich um einen breit angelegten Band, informativ, reich bebildert, frei von gekünsteltem Vokabular und voller Anregungen, die verschiedenen Zeiterscheinungen in Zusammenhängen zu sehen, die bisheriger Sicht verborgen blieben.