Cover
Titel
Des Hommes en Guerre. Les soldats belges entre ténacité et désillusion 1914-1918


Autor(en)
Benvindo, Bruno
Erschienen
Anzahl Seiten
186 Seiten
Preis
10.- EUR
ISBN
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Benoît Majerus Université du Luxembourg Unité de Recherche en histoire

Mit dem vorliegenden Buch, das aus einer an der Université libre de Bruxelles verfassten Magisterarbeit hervorgeht, nimmt jetzt auch ein belgischer Autor Stellung zu einer im Moment besonders in Frankreich immer noch heftig geführten Debatte über die Beweggründe der Soldaten, die vier Jahre des Ersten Weltkrieges durchzustehen 1. Zugespitzt kann man die Kontrahenten den zwei Gruppen der école du consentement (Zustimmung) und der école de la contrainte (Zwang) zuteilen. Auf der einen Seite steht die Schule von Péronne (u.a. Stéphane Audoin-Rouzeau und Annette Becker): eine religiös anmutende Überhebung der eigenen Nation, der eigenen ‘Rasse’ und die Verteufelung der Animalität (u.a. im Geruch) des Gegners steht dabei im Mittelpunkt der Analyse. Diese culture de guerre sei von einer großen Anzahl der Soldaten geteilt worden und erkläre ihre prinzipielle Kriegsbejahung. Gegenüber dieser stark in der Kulturgeschichte verankerten Sichtweise steht die Schule von Toulouse (u.a. Frédéric Rousseau und Rémy Cazals), die eine eher sozialgeschichtliche Perspektive vertritt und davon ausgeht, dass die Soldaten hauptsächlich wegen diverser äußerer Zwänge weitergekämpft haben.

Diese Frage versucht Bruno Benvindo nun für die belgische Armee zu beantworten, eine Armee, deren Kriegserfahrung durch zwei Besonderheiten charakterisiert ist. Einerseits war der größte Teil des Landes besetzt: die meisten Soldaten konnten ihre Familie während der vier Jahre nicht besuchen, und die Befreiung Belgiens war sicherlich ein entscheidender Faktor im Sinngebungsprozess. Andererseits verweigerte der belgische König Albert der Erste, oberster Kriegsherr der Armee, seinen Truppen die Teilnahme an den zahlreichen sehr blutigen Offensiven der Alliierten. Auch war die belgisch-deutsche Front teilweise durch Überschwemmungsgebiete getrennt, was die niedrigere Todesrate der belgischen Soldaten im Vergleich mit anderen europäischen Armeen erklärt.

Das Buch ist in zwei große Kapitel aufgeteilt. Im ersten Teil – Cerner - zeigt Bruno Benvindo Indizien auf, die es ihm erlauben, das alltägliche Durchhalten und Nicht-Durchhalten der Soldaten zu beleuchten: die relativ erfolgreiche Mobilisierung der belgischen Soldaten und die hohe Anzahl von jungen Männern, die sich freiwillig zur Armee meldeten, die Lebensbedingungen an der Front, der Sprachenkonflikt innerhalb der belgischen Armee, der jedoch nie größere Ausmaße annahm, die Zahl der Kriegsdienstverweigerer (Deserteure, Selbstverstümmeler...) oder die psychischen Folgen des dauernden Artilleriebeschusses. Auch wenn Bruno Benvindo immer wieder die Heterogenität der Kriegserfahrungen hervorhebt und sich weigert, sich einer der beiden Schulen anzuschließen, so kommt man bei der Lektüre des Buches doch zu dem Schluss, dass die Verweigerung des Krieges bei den belgischen Soldaten immer nur auf eine sehr kleine Minderheit begrenzt war. Die regelrechte Freiwilligenschwemme im August 1914 ebbte sicher schnell ab, aber während des ganzen Krieges nahmen junge Belgier die Gefahr auf sich, sich aus dem besetzten Belgien abzusetzen, um in der Armee zu dienen. Die Zahl der Deserteure blieb während der vier Jahre äußerst gering. Und auch die Frontbeweging, eine Gruppe, die sich für eine Gleichstellung des Flämischen einsetzte, war mehrheitlich für die Union nationale und wollte diese Frage erst nach dem Krieg endgültig lösen.

Im zweiten Teil – Comprendre – versucht Bruno Benvindo, die Gründe für das Aushalten der Soldaten zu ergründen. Wiederum weigert er sich, der These einer der beiden Schulen zu folgen, auch wenn seine Resultate eher den Ansichten der Schule von Péronne entsprechen. In der Tat kommt er zu der Schlussfolgerung, dass die meisten belgischen Soldaten ‚freiwillig’ durchhielten, eine Ausdauer, die nicht durch eine übermächtige Repressionsarbeit motiviert war. Vier Sinngebungskontexte erscheinen Bruno Benvindo besonders wirkungsvoll: eine erdverbundene Vaterlandsliebe, ein pflichtbewusstes Männlichkeitsgefühl, eine tiefsitzende Religiosität und eine weit verbreitete Gruppensolidarität. Die Tatsache, dass die belgischen Soldaten größtenteils in dem kleinen Teil Belgiens kämpften, der nicht besetzt war, erklärt den hohen Stellenwert, den sie dem Heimatboden beimaßen. Dieser sehr mit dem "Boden" verankerte Patriotismus wurde durch die Verehrung des Königs Albert und den Hass gegenüber den Deutschen, beides verstärkt durch eine weitgreifende Propaganda, zu einem wirksamen Deutungsmuster. Eng damit verbunden ist ein Männlichkeitsgefühl, das den Schutz der Familie, insbesondere von Frau und Kindern, als eine naturgegebene Aufgabe auffasst. Es ist wenig überraschend, dass im katholischen Belgien, die von der religiösen Sprache gelieferten sinnstiftenden Formen und Symbole allgegenwärtig sind. Letzter wichtiger Legitimationsdiskurs war der Schutz der eigenen kleinen Kampfgruppe, der Peergroup.

In seiner Schlussfolgerung plädiert Bruno Benvindo für eine stärkere Miteinbeziehung von Kontinuitätslinien aus Friedenszeiten. Die meisten der belgischen Soldaten blieben auch im Krieg „civils en uniforme“ (S. 164). Das Durchhaltevermögen beruhte auf sozialen Normen, die vor dem Krieg erlernt worden waren. Anstatt die culture de guerre in den Mittelpunkt zu rücken, plädiert der Autor für eine stärkere Berücksichtung der „cultures de paix en temps de guerre“ (S. 167). Er nimmt somit eine Mittlerstellung in der jetzigen Diskussion ein: einerseits geht er davon aus, dass es die Sinnstiftungen der Soldaten sind, die ihr Durchhalten erklären. Andererseits sind diese Diskurse nicht im Krieg selbst verankert, sondern in der Vorkriegszeit.

Am problematischsten erscheint mir die etwas zusammenhanglose und nicht immer kohärente Aneinanderreihung von Kapiteln, die zudem nicht miteinander verbunden sind. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass Bruno Benvindo versucht, möglichst viele der momentan in der Forschung zum Ersten Weltkrieg angesprochenen Themen zu behandeln, was öfters unbefriedigend wirkt. Die einzelnen Kapitel sind oftmals sehr klein, so dass es nicht zu der nötigen Vertiefung der Problematik kommt, sondern eher zu einer losen Aneinanderreihung von Zitaten aus Feldpostbriefen. Andererseits fehlen aber zwei größere Problemfelder: die Gewalterfahrung (Töten und Sterben) wird nicht als spezifisches Thema behandelt. Zweitens verwundert das völlige Ausblenden des Kriegsendes. Dabei hat Bruno Cabanes erst kürzlich für die französischen Soldaten aufgezeigt wie tiefgreifend die cultures de guerre en temps de paix sein kann 2.

Mit dem vorliegenden Buch wird dennoch eine wichtige Lücke in der belgischen Geschichtsschreibung geschlossen. Ein bis jetzt völlig unbeachtetes Feld wurde aufgearbeitet und in einen europäischen Forschungsrahmen eingebettet.

1 Majerus, Benoît, Kriegserfahrung als Gewalterfahrung. Perspektiven der neuesten internationalen Forschung zum Ersten Weltkrieg, in: Jansen, Christian (Hg.) Der Bürger als Soldat Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich, Essen, 2004, S. 272-297.
2 Cabanes, Bruno, La victoire endeuillée. La sortie de guerre des soldats français (1918-1920), Paris 2004.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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