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Titel
Das frühe Sparta. Untersuchungen zur spartanischen Staatsbildung im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr.


Autor(en)
Link, Stefan
Reihe
Pharos 13
Erschienen
St. Katharinen 2000: Scripta Mercaturae Verlag
Anzahl Seiten
III, 138 S.
Preis
€ 16,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Luther, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Stefan Link hat mit diesem Band seine zweite monographische Studie zur Geschichte Spartas vorgelegt (nach Der Kosmos Sparta, Darmstadt 1994). Sie reiht sich in die Serie bedeutender Untersuchungen ein, die in den vergangenen Jahren zur Frühgeschichte des spartanischen Staates und vor allem zu seiner Verfassungsentwicklung erschienen sind,1 und es darf schon vorab verraten werden, daß Link hiermit einen wichtigen Beitrag zur Erhellung des frühen Sparta erbracht hat, der die fachliche Diskussion erneut ankurbeln wird.

In einem kurzen Vorwort steckt Link den Rahmen seines Vorgehens ab. Er verzichtet einerseits auf eine Diskussion der Datierung der Messenischen Kriege, deren zeitliche Verortung gerade in der jüngeren Vergangenheit Gegenstand mehrerer Spezialstudien war, ohne daß jedoch ein Konsens erreicht wurde. Andererseits klammert Link bewußt eine Auseinandersetzung mit Zweifelhaftem oder Umstrittenem aus: so etwa die bei Plutarch überlieferte "Große Rhetra", die trotz mancher moderner Zweifel hinsichtlich ihrer Authentizität (etwa bei R. Sealey oder M. Clauss) noch immer gern als Gründungsurkunde der spartanischen Staatsordnung angesehen wird, oder die Berichte über den Ephor Chilon, dem seit V. Ehrenberg bisweilen eine wichtige Rolle in der Verfassungsentwicklung zugesprochen wird (S. I-II).

Link beginnt seine Untersuchung mit der Feststellung (S. 1), daß das "Institutionengefüge" des klassischen Sparta "einzigartig" in der griechischen Welt war, und begründet dies vor allem mit der Stellung der Ephoren. Dieser Einstieg ist klug gewählt, meint man doch in der modernen Forschung eine sukzessive Ausformung der Kompetenzen des Ephorats festzustellen, ein Prozeß, der gleichzeitig zu einer Minderung der Macht des Königtums geführt habe. Während etwa von L. Thommen angenommen wird, daß die Ephoren erst im 5. Jahrhundert v.Chr. ihre später kanonische Stellung eingenommen hätten, kommt Link zu dem Ergebnis, daß es bereits in den frühesten bekannten Fällen, in denen das Ephorat als politisch handelndes Gremium auftritt,2 "eine ausgeformte Kompetenzverteilung und ein klar geregeltes Zusammenspiel zwischen den Königen und den Ephoren gab" (S. 11; vgl. 5). Die Ephoren erschienen schon in früher Zeit, so schließt Link, "als von Grund auf selbständige Amtsträger".

Ein hohes Alter des Amtes in dieser Selbständigkeit werde durch ritualisierte Akte bezeugt. Zu diesen zählt Link den allmonatlichen Eideswechsel der Ephoren mit den Königen, die alljährliche Kriegserklärung der Ephoren an die Heloten sowie den bei Aristoteles überlieferten traditionellen Befehl bei Amtsantritt an die Spartiaten, sich den Schnauzbart zu scheren. Da die Mode, sich statt eines reinen Backenbartes einen Vollbart stehen zu lassen, in Griechenland gegen Ende des 7. Jahrhunderts v.Chr. aufkam, dürfte der "Schnauzbartbefehl" in Sparta um das Jahr 600 institutionalisiert worden sein. Somit könnten nach Link die Ephoren bereits in dieser Zeit die Sittenaufsicht ausgeübt haben (S. 12-14). Dem hohen Alter des Ephorats spürt Link auch in der nach allgemeiner Ansicht frühesten Quelle für die spartanische Staatsverfassung nach: in der Eunomia-Elegie des Dichters Tyrtaios. Hier identifiziert Link in einem Indizienprozeß - und dies m.E. in sehr ansprechender Weise - die neben den Königen und Geronten genannten demotas andras, welche in der modernen Forschung gern mit der Versammlung der Bürger gleichgesetzt werden, mit den Ephoren (S. 27 u. 30). Dies hatte vor einigen Jahren zuerst N. Richer vermutet.3

In den beiden nächsten Kapiteln behandelt Link die Folgen der Messenischen Kriege für die innere Entwicklung Spartas. Wichtigste Quelle ist auch hier die Dichtung des Tyrtaios. Link geht davon aus, daß der Krieg ein "gemeinschaftliches Unternehmen" der Spartiaten war (S. 42). Bereits nach dem Ersten Krieg sei es zu einer Verteilung messenischen Landes unter den spartanischen Siegern gekommen (S. 37). Link rekonstruiert im bewußten Gegensatz zu M. Meier als Kriegsgrund Landmangel, als Kriegsziel aber Landgewinn. Er betont: "Sie wollten das Land, und zwar mitsamt der darauf lebenden Bevölkerung" (S. 45).

Das Tyrtaios-Fragment 5 G/P (= 5 D), in dem von der Abgabe der Hälfte der Ernte der (nach Link messenischen) Geknechteten an die (spartanischen) Herren die Rede ist, interpretiert Link folgendermaßen: Die Abgabe der Hälfte deute darauf hin, daß eine militärische Unterwerfung vorausging, wie Beispiele aus den homerischen Epen bezeugen. Nun gehe aber aus dem Fehlen eines eindeutigen Hinweises hervor, daß dies "offenbar regelmäßig, Jahr für Jahr" (S. 50) geschehen sei. Als weiteren Aspekt zieht Link die Kriegserklärung heran, mit der die Ephoren alljährlich, in jedem Herbst, die Heloten konfrontierten. Entgegen neuerer Ansichten - etwa der von L. Thommen - interpretiert sie Link als Institution hohen Alters. Diese Elemente, die das Bild eines ständig erneuerten und durch die regelmäßige Abgabe der Hälfte aller Erträge abzugeltenden Zustandes von Krieg und Unterwerfung vermitteln, scheinen für die Lage der Heloten konstitutiv gewesen zu sein (S. 50-58). Damit sind für Link die im Ersten Krieg unterworfenen Bewohner Messeniens bereits in nuce Heloten. Diese Rekonstruktion der messenischen Helotie ist zweifellos beeindruckend. Es sei jedoch auf zwei wichtige Punkte hingewiesen: Erstens kann das konstitutive Element der Regelmäßigkeit m.E. nicht zwingend aus der betreffenden Tyrtaios-Passage erschlossen werden. Zweitens ist in diesem Fragment nicht ausdrücklich von geknechteten Messeniern die Rede,4 wenngleich diese Deutung im Kontext der Dichtung des Tyrtaios viel für sich hat.

Die "Begründung des Ephorats" erfolgte nach Link im Zuge der Einführung einer "neuen Ordnung" in den eroberten Gebieten (S. 61-77). Kernpunkt sei hierfür die Notwendigkeit gewesen, vom Staat unkontrollierte private Beutezüge der adligen Spartiaten in Messenien zu unterbinden, da ja die messenischen Abgaben auf die Hälfte der Erträge fixiert waren. Als "Ordnungs-Amt" (S. 73), die dies garantierte, versteht Link das Kollegium der Ephoren, die später Träger der Polizeigewalt wurden: "Spätestens zur Zeit des Zweiten Krieges hatten sie sich als neue Institution also bereits etabliert" (S. 63). Link schwankt hierbei zwischen der Annahme, daß das Amt "an sich" noch älter gewesen sei (S. 62, Anm. 230), und der Vermutung, daß es eine "Erfindung" aus der Zeit des Ersten Messenischen Krieges darstellt (S. 65 u. 94). Wieso sollten aber die Adligen zugelassen haben, daß ihnen durch das von der "Gesamtgemeinschaft" (S. 68) der Spartiaten eingerichtete Ephorat Beschränkungen auferlegt werden? Link erklärt dies damit, daß die Ephoren lediglich die Coercitionsgewalt besaßen (also Polizeiaufgaben versahen), aber noch nicht als politische Amtsträger wirkten. Daher sei die Macht der Ephoren noch nicht als Einschränkung empfunden worden (S. 73-74). Wie hätte es aber konkret in dieser Situation zur Einrichtung des Ephorats kommen können? War es ein Kompromiß der Adligen, der den Ausschlag gab? Oder lag hier eine Initiative der Könige zugrunde, die ihre Interessen verletzt sahen? Leider verfolgt Link diesen Problemkomplex nicht weiter.

War dem spartanischen Gemeinwesen in der Institutionalisierung des Ephorats ein Durchbruch gelungen? Link meint, dies bejahen zu können: Um das Jahr 700 seien in der Tempelarchitektur in Sparta aufwendigere Bauformen nachzuweisen, im privaten Bereich habe man jedoch hierauf verzichtet, um den "Vorrang der Gemeinschaft gegenüber der Selbstüberhebung des einzelnen herauszustellen" (S. 85). Möglicherweise stamme daher das bei Plutarch (Lyk. 13,5) bezeugte Gesetz gegen die Prunksucht mit der Anweisung, Dächer und Türen eines Hauses nur mit Axt und Säge zu bearbeiten, aus dieser Zeit (S. 77-85). Ebenso kann, so vermutet Link, die gesetzlich festgelegte schlichte Bestattung in diese Zeit zurückgeführt werden (S. 85-93). Nach Link habe sich demnach eine "Ideologie einer konsequenten Ein- und Unterordnung jedes einzelnen gegenüber der Gemeinschaft ... unter dem Eindruck des Ersten Krieges" herausgebildet (S. 95-96).

Der Zweite Messenische Krieg hingegen, der bereits in der Phalanx-Taktik und somit unter Beteiligung breiter Schichten geführt worden sei und dessen sichtbare Folge die erneute Verteilung messenischer Landlose an alle Spartiaten gewesen sei, habe schließlich zu einer "Aristokratisierung der Bürgerschaft" in Sparta geführt (S. 98-117). Ob die von Link in diesem Zusammenhang geäußerte Hypothese zutrifft, daß nach dem Zweiten Krieg die Syssitien eingeführt wurden oder wenigstens einen Entwicklungsschub erfahren haben (S. 101), weil nun jeder Spartiate bemüht war, "als adlig aufzutreten und zu gelten" (S. 103), muß m.E. vorerst offen bleiben. Wenngleich die communis opinio der Forschung einen Übergang Spartas zur Hoplitenphalanx im Zweiten Krieg annimmt - und hiermit steht und fällt mittelbar auch die Hypothese der Aristokratisierung der Spartiaten nach dem Zweiten Krieg -, sind doch Stimmen laut geworden (und noch nicht verstummt), die einen Vorläufer der Phalanx-Taktik bereits in der Ilias erkannt haben wollen.5 Aus dem Bedürfnis einer "krassen" Selbst-Aristokratisierung (S. 103) heraus erklärt Link auch das Entstehen der homoioi-Ideologie, die demnach ebenfalls "in diese frühe Zeit" zu datieren sei (S. 113).

In manchen Punkten wäre eine Ausweitung des Gesichtskreises willkommen gewesen. So hat Link zwar die messenischen Heloten im Blick, nicht aber die lakonischen, welche bereits nach allgemeiner Ansicht seit der Einwanderung der späteren Spartaner im 8. Jh. existierten.6 Bezeugt nicht Aristoteles (fr. 538 Rose), daß die Ephoren alljährlich "den Heloten" den Krieg erklären, ohne deren Herkunft zu spezifizieren? Gab es somit vielleicht auch eine alljährliche Kriegserklärung an die lakonischen Heloten? Wie verhält sich dies aber zu der von Link rekonstruierten Amtsbefugnis der Ephoren? Die sich hieran anschließenden Fragen ließen sich noch vermehren. Bisweilen wird man hier und da zögern, sich die Ansichten des Autors zu eigen zu machen. Summa summarum jedoch hat Link ein nicht nur thematisch äußerst anregendes, sondern auch gut geschriebenes Buch vorgelegt, das viele neue Denkanstöße gibt und in keiner altertumswissenschaftlichen Bibliothek fehlen sollte.

Anmerkungen

1 Vgl. z.B. Nafissi, M.: La nascita del kosmos. Studi sulla storia e la società di Sparta, Napoli 1991; Thommen, L.: Lakedaimonion politeia. Die Entstehung der spartanischen Verfassung, Stuttgart 1996; Meier, M.: Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jahrhundert v. Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998; Richer, N.: Les Éphores (Histoire ancienne et médiévale 50), Paris 1998.
2 Die Fälle aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. überliefert Herodot: 3,148; 5,39f.; 6,61ff.
3 Richer (wie Anm. 1), S. 99ff.
4 Vgl. die Übersicht über die in der modernen Forschung vertretenen Deutungsmöglichkeiten bei Meier (wie Anm. 1), S. 267f.
5 Vgl. Meier (wie Anm. 1), S. 229ff.
6 Vgl. etwa Clauss, M.: Sparta, München 1983, S. 110.

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