J. Flöter: Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850-1866

Titel
Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850-1866. Sächsisch-mittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage


Autor(en)
Flöter, Jonas
Reihe
Geschichte und Politik in Sachsen 16
Erschienen
Köln 2001: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
565 S.
Preis
€ 61,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Angelow, Historisches Institut, Universität Potsdam

Die Geschichte des Deutschen Bundes kann bis heute über weite Strecken durchaus als vernachlässigt angesehen werden: Dieser Befund ist durch neuere Forschungen nicht deutlich revidiert worden. Er trifft erst recht auf die Reformbemühungen der deutschen Mittelstaaten zu. In diesem Sinne - soviel soll bereits vorweggenommen werden - schließt die vorliegende Dissertation von Jonas Flöter zentrale Forschungslücken und wird weiteren Untersuchungen zur Geschichte des Deutschen Bundes hoffentlich wichtige Impulse verleihen.

Jonas Flöter hat den sächsischen und österreichisch (-ungarischen) Politiker Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust (1809-1886) in den Mittelpunkt seiner Darstellung gerückt. Neben Ludwig Freiherr von der Pfordten (Bayern) zählte dieser, als sächsischer Außenminister, unter den deutschen Politikern der Mittelstaaten zu den zweifellos profiliertesten Vertretern einer gemäßigt-konservativen Reform des Deutschen Bundes. In seinen bedeutenden Reformdenkschriften vertrat er die Auffassung, den durch die Revolution von 1848 erschütterten Deutschen Bund durch die Errichtung eines Bundesparlaments und eines Bundesgerichtes den Bedürfnissen nach konstitutionellen Verbesserungen vorsichtig anzupassen, ohne damit an dessen überwiegend föderalistischer Grundstruktur zu rütteln.

Dieses Vorhaben, die innerdeutschen Struktur- und Sicherheitsdefizite mit friedlichen Mitteln zu korrigieren und die Popularität des im Ansehen inzwischen arg ramponierten Bundes zu heben, indes ließ sich indessen nicht so ohne weiteres durchsetzen. Abgesehen von den äußerst engen politischen Handlungsspielräumen eines solchen Vorgehens, erforderte es sowohl einen Konsens der Absichten als auch einen Gleichklang des politischen Agierens der Mittelstaaten, die eigentlich zu keinem Zeitpunkt zwischen 1815 und 1866 vorhanden waren. Diese Tatsache hatte bereits Reformvorstellungen der deutschen „Trias“ unter Wangenheim und Aretin in der Frühphase des Bundes ad absurdum geführt. Da die Interessen des sog „Dritten Deutschlands“ auch in der Folge der 48er Revolution bis 1866 nicht zu bündeln waren, konnte weder der doppelhegemonialen Leitung und späteren Blockade des Bundes durch Österreich und Preußen noch der mit revolutionärer Energie vorangetriebenen kleindeutschen Einigungspolitik Bismarcks ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Unter diesen Voraussetzungen ist Beust, der von 1866-71 als österreichisch (-ungarischer) Außenminister und Reichskanzler noch von sich reden machen wird, zumindest deutschlandpolitisch gescheitert. Doch zwangsläufig war diese Scheitern nicht, wie die Darstellung nahelegt.

Entsprechend dem Ansatz, jenen Reformbestrebungen nachzugehen, die nach dem Durchspielen deutschlandpolitischer Alternativen zum Bund während der Revolutionszeit aktuell geworden sind, konzentriert sich das Buch von Jonas Flöter auf die Zeit zwischen den Nachwehen der Revolution von 1848 und dem Ende des Deutschen Bundes in Folge der Ereignisse von 1866. Es behandelt die Vorstellungen und Konzeptionen Beust’s zu einer Bundesreform - insbesondere seine großen Denkschriften von 1856, 1857 und 1861 - sowie sein politisches Vorgehen in diesem Sinne. Hierbei werden sowohl die Dresdener Konferenz von 1850/51, die darauf fußende mittelstaatliche Reformpolitik in wirtschaftspolitischer Hinsicht, die während des Krimkrieges (1853-56) und des oberitalienischen Konfliktes (1859) geführten Debatten um eine Stärkung der Bundesexekutive und die verschiedenen Reformprojekte der 60er Jahre einer eingehenden Würdigung unterzogen. Abschließend fragt Flöter nach dem spezifischen Potential seiner reformpolitischen Ansätze und bettet die Thematik in größere europäische Zusammenhänge bei der Entwicklung der nationalen Frage ein.

Die abgewogene und sachliche Darstellung Flöters regt zum tieferen Nachdenken über die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert an, namentlich über verpaßte Chancen und versäumte Gelegenheiten. Ohne Frage ist dieser Ansatz zu begrüßen, sollte doch die Entwicklung zum deutschen Nationalstaat nicht nachträglich aus der Perspektive der Reichseinigung von 1871 im Sinne einer angeblich „deutschen Mission“ Preußens konstruiert werden. Genau darin besteht die Botschaft des Buches, das sich hier von vielen vorhergegangenen Forschungsansätzen deutlich unterscheidet und damit jener seit etwa 20 Jahren erkennbaren tendenziellen Aufwertung des Föderalismus in der deutschen Geschichte das Wort redet.

Dessen ungeachtet bleibt es fraglich, ob die an sich lobenswerte Würdigung mittelstaatlicher Reformpolitik nicht auch dazu verleitet, Alternativen dort zu sehen, wo im Grunde keine bzw. keine mehr vorhanden waren oder eine grundsätzlich verfahrene Situation als noch offen zu betrachten. Es gab eben im 19. Jahrhundert auch historische Prozesse, die sich bedauerlicherweise nicht in den von Beust anvisierten friedlichen bzw. evolutionären Bahnen steuern ließen. Die Durchsetzung der nationalen Fragen in Europa zählte ab einem bestimmten Punkt zweifellos dazu. Gewiß wäre eine Lösung der deutschen Frage nach der gescheiterten Revolution ohne den Einsatz militärischer Zwangsmittel wünschenswert und für die weitere Zukunft der Nation, insbesondere für die Ausprägung politischer Bewußtseinslagen, hilfreich gewesen. Doch beim Versuch, den Teufelskreis zu durchbrechen, unterschiedlichste Interessen im Rahmen eines Staatenbundes zu dessen friedlicher Überwindung zu bündeln, wäre wohl jeder Staatsmann, der sich keiner revolutionären Mittel bedienen wollte, überfordert gewesen.

Das Buch wendet sich vor allem an den historisch vorgebildeten Leser. Es ist nicht nur anregend, sondern auch stilistisch ansprechend geschrieben und wird durch zwei Anlagen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein kombiniertes Sach- und Personenregister komplettiert.

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