C. Bernhard u.a. (Hgg.): Schönheit und Typenprojektierung

Titel
Schönheit und Typenprojektierung. Der DDR-Städtebau im internationalen Kontext


Herausgeber
Bernhardt, Christoph; Wolfes, Thomas
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Urban, Center for Metropolitan Studies, TU Berlin

Fast sechzig Jahre nach der Gründung der DDR und über fünfzehn Jahre nach ihrem Ende befindet sich die geschichtswissenschaftliche Erforschung des ostdeutschen Städtebaus immer noch in ihren Anfängen. Der nun vorliegende, von Christoph Bernhardt und Thomas Wolfes herausgegebene Band ist in diesem Zusammenhang ein lang ersehnter Beitrag zur Erhellung dieses Gebietes. Beide forschen am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner bei Berlin, das sich in den letzten Jahren unter anderem durch Konferenzen und Veröffentlichungen zur Städtebau- und Architekturgeschichte der DDR einen Namen gemacht hat.

In wohltuender Weise nehmen die meisten Autoren/innen im vorliegenden Sammelband von den Klischees aus den Zeiten der deutschen Teilung Abstand. DDR-Städtebau, so der Grundtenor, beschränkte sich nicht auf die Prestigeprojekte Stalinallee und Fernsehturm und unterschied sich insgesamt viel weniger von den Entwicklungen in der Bundesrepublik und in den europäischen Nachbarländern als bisher angenommen. Der Artikel „Schmelztiegel internationaler Leitbilder des Städtebaus oder ‚Stalinistische Reaktion’? Die Sowjetunion auf der Suche nach der sozialistischen Stadt zwischen 1929 und 1935“ von Harald Bodenschatz, Christiane Post und Uwe Altrock stellt dabei einen Rahmen her, der streng genommen keiner ist – zumindest nicht für die DDR nach 1955. Die „stalinistische Stadt“, die die Autoren so eindrucksvoll und umfassend in allen ihren Widersprüchen schildern, ist eben nur wenige Jahre lang ein Leitbild für den Städtebau der DDR gewesen. Das Moskau des Generalplans von 1935 war in diesem Sinne keine Matrix für einen neuen sozialistischen Stadttypus, sondern ein einzigartiger Entwurf für die Hauptstadt eines zentralistischen Reiches.

Während Ulrich Hartung die Spezifizität der ostdeutschen Architektur auf funktionaler und typologischer Ebene zumindest für die Frühzeit der DDR akzentuiert, verweigern sich Kegler, Hannemann und Bernhardt der Idee eines „ostdeutschen Sonderweges“ und betonen gleichzeitig die Heterogenität des DDR-Städtebaus. Mehrere Autoren/innen sehen den ostdeutschen Städtebau aus einer Perspektive des Verfalls. Christoph Bernhard vergleicht die Depressionsphase während des Baus von Eisenhüttenstadt in den 1950er-Jahre, in der qualitativ schlechtere Wohnungen errichtet wurden, mit der Baupolitik der Weimarer Republik, die mit modellhaften Reformsiedlungen begann und nach wenigen Jahren immer weniger qualitätvolle Wohnhäuser baute. In einem prägnanten und stilistisch brillanten Artikel betont Katherine Lebow das Scheitern der sozialistischen Utopie in der polnischen Neugründungsstadt Nowa Huta, wo sich bereits in der Frühphase der 1950er-Jahre eben keineswegs eine klassenlose Gesellschaft herausbildete, sondern ein Kampf verschiedener sozialistischer Gruppen um den wenigen verfügbaren Wohnraum, der letztendlich in einer Privilegierung der Facharbeiter gegenüber den ungelernten Arbeitern resultierte. Auch andere Autoren/innen erwähnen die Misserfolge des DDR-Stadtumbaus und -neubaus, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung nach der Wende: Ingrid Apolinarski in ihrem Artikel über Eisenhüttenstadt von der Gründung bis zur Wiedervereinigung, Thomas Bohn in seinem Beitrag über sowjetische Einflüsse auf den DDR-Städtebau und Ulf Mathiesen über die Zukunft von Eisenhüttenstadt und Nowa Huta. Das geschieht jedoch ohne simplifizierende Anklagen und Schuldzuweisungen. Mit seinem Konzept der „lernenden Milieus“ verweist Mathiesen beispielsweise weniger auf die Fehler der Vergangenheit als auf die Chancen für die Zukunft. Für Eisenhüttenstadt fordert er die Wiederbelebung der Dualität von Wohnen und Produktion, die die Stadt seit ihrer Gründung geprägt hat – nun jedoch, gemäß den Herausforderungen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Umstrukturierung als wissensbasiertes System, auf der Grundlage der Ansiedlung einer Technischen Fachhochschule.

Das Versprechen des Untertitels, den DDR-Städtebau in einen internationalen Kontext zu setzen, wird in diesem Sammelband nur in Ansätzen erfüllt. Den zahlreichen Beispielen aus der DDR werden lediglich vier Beiträge über die unmittelbaren Nachbarländer entgegengesetzt: Gregor Thums überaus informativer Aufsatz über den Wiederaufbau Breslaus als polnische Stadt zwischen nationalpolnischer und sozialistischer Ideologie, Katherine Lebows Artikel über Nowa Huta, Franziska Bollereys Beitrag über Rotterdam, sowie die Präsentation von Bodenschatz/Post/Altrock über den Städtebau in der Sowjetunion. Mit Ausnahme der Amerikanerin Katherine Lebow fehlen Perspektiven nicht-deutscher Forscher/innen. Die Beschränkung mindert den Wert des Bandes für die Diskussion der ostdeutschen Städtebaugeschichte jedoch nicht, sondern ermöglicht im Gegenteil eine thematische Konzentration, wie sie in einem internationalen Band nicht möglich gewesen wäre.

Forscher/innen aus Ost- und Westdeutschland halten sich die Waage. Dabei fällt es positiv auf, dass im Jahre Sechzehn nach der Wiedervereinigung ihre Herkunft nur noch an ihren Kurzbiografien zu erkennen ist und nicht mehr an ihren wissenschaftlichen Positionen. Die noch in den frühen 1990er Jahren oft so prominente Identifikation mit spezifisch ost- und westdeutschen Geschichtsperspektiven ist in den Hintergrund getreten. Diese ausgewogene Auswahl ist nicht nur ein Verdienst der Herausgeber; sie ist ein weiterer Schritt für eine grundlegende Analyse der jüngsten deutschen Vergangenheit jenseits tagespolitischer Debatten.

Die im Band verfolgten disziplinären Ansätze sind äußerst heterogen. Bodenschatz/Post/Altrock schreiben aus der Perspektive der Städtebaugeschichte, Hannemann als Soziologin, Hartung und Bollerey als Architekturhistoriker und Mathiesen als Stadt- und Regionalplaner, der um eine zukunftsorientierte Neubewertung historischer Milieus bemüht ist. Während etwa Bodenschatz/Post/Altrock in ihrer Darstellung des stalinistischen Städtebaus einen differenzierten Bezug von Stadtgestalt und politischer Entwicklung herstellen, sind in Bollereys Rotterdam-Artikel die politischen Kontroversen hinter den konkurrierenden Aufbauplänen nicht Gegenstand der Untersuchung. Auch hier spiegeln sich gegensätzliche disziplinäre Traditionen wieder. Diese Unterschiedlichkeit zeichnet die DDR im Rückblick als vielschichtige Gesellschaft nach; gleichzeitig wird es für die Leser/innen aber schwer, den Band als Positionsbestimmung in die derzeitigen Fachdiskurse einzuordnen.

Fast sämtliche Aufsätze repräsentieren neue Forschungsergebnisse, zum Teil auf der Basis umfangreicher Archivrecherchen. Auch darin liegt die Bedeutung des vorliegenden Bandes. Leider legen jedoch manche Beiträge zu viel Gewicht auf die enzyklopädische Präsentation dieser Ergebnisse und zu wenig auf Auswahl und Interpretation. Die Frage, warum der Autor oder die Autorin das Thema ausgewählt hat und worin seine oder ihre eigene Position besteht, bleibt in mehreren Aufsätzen unbeantwortet. Ungeachtet dessen ist der Band jedoch in seiner Gesamtheit ein wichtiger Beitrag für die geschichtswissenschaftliche Behandlung eines noch viel zu wenig erforschten Gebietes.

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