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Titel
Kirche und Kino. Katholische Filmarbeit in Bayern 1945-1965


Autor(en)
Kuchler, Christian
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die 2004 an der Ludwigs-Maximilians-Universität München eingereichte Dissertation von Christian Kuchler geht weit über das im Titel umschriebene Thema hinaus und stellt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Geschichte der frühen Bundesrepublik dar. Der Autor beschreibt anhand einiger Beispiele und Entwicklungen die institutionellen und kommunikativen Beziehungsgeflechte zwischen katholischer Kirchenkritik, Kirchenhierarchie, aktiven Laien, Filmwirtschaft, Presse und Publikum. Auch räumliche Beziehungen, etwa zwischen den zuständigen Stellen in der Münchener Erzdiözese und der in Düsseldorf ansässigen Zentrale der katholischen Filmkritik bzw. zwischen Großstadt- und Landgemeinden werden von Kuchler analysiert. An einigen Stellen weist der Blick dabei über Bayern und Deutschland hinaus: Die zentrale Position des Vatikans, die wichtige Rolle Italiens und Frankreichs sowohl für den Katholizismus als auch für das europäische Kino beeinflussten die katholische Filmarbeit in Bayern zeitweise nachhaltig.

Das Hauptaugenmerk der Arbeit liegt auf dem sich verändernden Umgang katholischer Stellen und katholischer Gläubiger mit dem Kino in den 1950er- und 1960er-Jahren. In sehr knappen, sehr präzisen Ausführungen schildert Kuchler, wie sich Hoffnungen auf die Rechristianisierung der Nachkriegsgesellschaft bald zerschlugen und die katholische Filmarbeit zugleich vielstimmiger und zunehmend profilierter wurde. Anhand der Unterschiede der katholischen Debatten über zwei „Skandalfilme“ – „Die Sünderin“ (BRD 1951) und „Das Schweigen“ (Schweden 1963) – zeigt der Autor den Wandel der katholischen Filmarbeit auf. Während 1951 noch Filmkritiker, Bischöfe und ein großer Teil der Gläubigen gemeinsam gegen die Aufführung der „Sünderin“ protestierten – nicht, wie häufig angenommen, wegen der kurzen Nacktszene der Knef, sondern wegen der scheinbar unvoreingenommenen Behandlung von Prostitution und Selbstmord im Film –, kam es 1963 um Skandal, weil der katholische Film-Dienst die künstlerische Qualität des Bergmann-Films hervorhob und den Besuch „mit erheblichen Einschränkungen“ empfahl, während zahlreiche Gläubige ein Aufführungsverbot forderten. Kuchler kann zeigen, wie die scheinbare Niederlage der Katholiken und der nach dem Vorbild der US-amerikanischen „League of Decency“ gegründeten „Filmliga“, die 1951 kein Verbot der „Sünderin“ erreichen konnte, eigentlich ein Sieg war. Die Bischöfe, die aus Protest über die Freigabe des Films die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ verlassen hatten, konnten nach dem Skandal und ihrer Rückkehr ihren Einfluss in diesem Gremium stärken, dass sich als wirkungsvoller als eine staatliche Filmzensur erweisen sollte. Gerade in den frühen 1950er Jahren erwies sich das Verhältnis zwischen katholischer Filmarbeit und bürgerlichen Rechten als sehr ambivalent: Die Filmwirtschaft war Kritik von dieser Seite aus der nationalsozialistischen Zeit nicht gewohnt und empfand daher die kirchliche Filmkritik häufig als „Geschäftsschädigung“. Dagegen beharrte die Kirche auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung, das hierdurch gestärkt werde. Zugleich versuchten die kirchlichen Filmkritiker vergeblich, die künstlerische Freiheit der Filmemacher einzuschränken (S. 190).

Kuchler weist zurecht darauf hin, dass es kein anderer als Pius XII. war, der bereits Mitte der 1950er Jahren betont hatte, dass Filme nicht nur nach dem moralischen Wert ihres Inhalts, sondern auch von ihrem ästhetischen Ausdruck her beurteilt werden sollten. Dagegen fiel das Zweite Vatikanische Konzil mit seinem Dekret „Inter mirifica“ (1963) erheblich hinter die von Pius erlassene Enzyklika „Miranda prorsus“ (1958) zurück. Schon Ende der 1930er Jahre hatte Pacelli eine positive Würdigung des Films als spezifisches Ausdrucksmittel der Moderne vorgelegt und Anstrengungen zur Medienerziehung der Gläubigen gefordert. Allerdings kann Kuchler den unmittelbaren Einfluss der unter Pius XII. verfassten vatikanischen Filmdokumente auf die bayerische Filmarbeit nicht nachweisen. Es wird aber deutlich, dass die strengeren Maßnahmen gegen umstrittene Filme – so etwa die von den Oberhirten nur mäßig unterstützte Aktion „Saubere Leinwand“ nach 1963 – eher von aktiven Laien als von der Kirche gefordert wurden. Wie auch in ganz anderen Bereichen der Geschichte der Bundesrepublik – etwa Justiz und Strafvollzug – waren es nicht so sehr Behörden und Eliten des westdeutschen Staates, die zu einem angeblich restaurativen und konservativen Klima in der Nachkriegszeit beitrugen, sondern häufig gesellschaftlich gut verankerte Initiativen „von unten“.

Regionale Unterschiede spielten eine wichtige Rolle bei der katholischen Filmarbeit: So sprach sich die vom Münchener Domkapitular Josef Thalhamer geleitete und von nicht weniger als 50 Priestern und Laien getragene „Erzbischöfliche Filmkommission“ gegen den Besuch des Films „Sklavinnen in Karthago“ (Spanien/Italien 1956) aus (Note 3), während der Düsseldorfer Film-Dienst Katholiken den Besuch empfahl (Note 2). Seit 1957 verzichteten die Münchener auf eine eigene Benotung der Filme und übernahmen die Düsseldorfer Zensuren, behielten sich aber eigene Textkritiken vor (S. 103). Im Laufe der 1950er Jahre entfernte sich auch die protestantische Filmkritik vom anfänglichen Konsens mit den Katholiken. 1951 hatten die evangelischen Kirchen ebenso gegen „Die Sünderin“ protestiert. Nur einmal, im Zusammenhang mit dem Streifen „Martin Luther“ (BRD/USA 1953) war es zu einer konfessionellen Auseinandersetzung gekommen (S. 230).

Anfangs hatte die katholische Kirche auch Erfolg mit ihren Wanderkinos, besonders in ländlichen Gebieten und in der Diözese Augsburg, die mit Angeboten der Gewerkschaften, der US-Militärbehörden oder privaten Anbietern konkurrieren konnten. Solche Wanderkinos waren in der frühen Bundesrepublik noch sehr wichtig, sie machten noch 1952/53 fast die Hälfte aller Spielstätten aus, sie verloren in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre aber rasch an Bedeutung. Seit den späten 1950er-Jahren geriet schließlich das Kino aufgrund der raschen Verbreitung des Fernsehens in eine Dauerkrise. Die Qualität der Kinoproduktionen nahm zunehmend ab. Die von der katholischen Filmarbeit durchaus kritisch betrachteten Genrefilme (Heimat, Ärzte, Pfarrer) wurden mehr und mehr ersetzt durch Serienproduktionen (Karl May, Edgar Wallace), während die Darstellung von Gewalt (Kriegs- und Kriminalfilme) und Sex immer weiter gesteigert wurde, um ein Massenpublikum zu erreichen. Mit dieser Entwicklung nutzte sich die Filmkritik anhand rein moralischer Maßstäbe gewissermaßen ab. Schwierigkeiten bereiteten schließlich die Autorenfilme, zuerst aus Italien und Frankreich, seit 1961 auch in Form des Neuen Deutschen Films. Sie bedienten sich oft schockierender Darstellungen, um auf soziale Probleme aufmerksam zu machen und Diskussionen anzustoßen. Doch gelang es der zunehmend auch von Nicht-Katholiken und cineastisch gebildeten Laien geschätzten katholischen Filmkritik, namentlich dem Film-Dienst, als meinungsbildende Instanz wahrgenommen und respektiert zu werden.

Kuchlers Untersuchung der Nachkriegszeit bis 1965 ist eingerahmt in ein einleitendes Kapitel, das die Filmarbeit der katholischen Kirche seit den Anfängen behandelt – am Rande auch Konflikte zwischen Kirche und Nationalsozialismus – und einem knappen Ausblick auf die Zeit nach 1965. Ein knappes Fazit rundet die mit knapp 330 Seiten kompakte, unbedingt empfehlenswerte Arbeit ab, die helfen wird, zahlreiche vereinfachte Sichtweisen auf Bayern wie auch auf die katholische Kirche in der frühen Bundesrepublik zu korrigieren.

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