T. Wroblewska: Die Reichsuniversitaeten Posen, Prag und Strassburg

Titel
Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Strassburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten.


Autor(en)
Wroblewska, Teresa
Erschienen
Anzahl Seiten
308 S.
Preis
50 PLN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
M.A. Blazej Bialkowski, Europa-Universität Viadrina

Am Montag, den 3. Sept. d. Js. erschien in H-Soz-u-Kult eine sehr anregende Rezension von Frank-Rutger Hausmann zum Buch Joachim Lerchenmüllers über die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. In der Anm. 12 verwies Hausmann auf die hier zu rezensierende Arbeit von T. Wroblewska. Beim Leser wurde damit der Eindruck erweckt, als ob man in diesem Buch neue Erkenntnisse im Hinblick auf den Nazifizierungsgrad der Wissenschaften an den Reichsuniversitäten Posen und Prag gewinnen könne. Nach der Lektüre weiss man jedoch, dass das leider nicht der Fall ist.

Teresa Wroblewska - wie man im Vorspann des Buches nachlesen kann - ist "Historikerin des Bildungswesens und der wissenschaftlichen Institutionen, der Wissenschaftsgeschichte und der Pädagogik". Zur Zeit lehrt sie an der Pädagogischen Hochschule in Kielce (Südostpolen) und an der Humanistisch-Pädagogischen Hochschule in Lowicz (Mittelpolen).

W. trat Ende der 70er Jahre mit einer Reihe von kleineren Aufsätzen hervor, welche die Geschichte der "Reichsuniversitäten" behandelten 1. Die hier anzuzeigende Arbeit - als Ergebnis der damaligen intensivierten Beschäftigung mit diesem Thema - ist bereits 1984 in ihrer Grundform in polnischer Sprache erschienen 2. Im Gegensatz zu der im gleichen Jahr publizierten Monographie von Bernard Piotrowski zur Reichsuniversität Posen 3 ist sie auf relativ positive Kritik in Polen gestoßen. Hervorgehoben wurde vor allem die vergleichende Perspektive bei der Betrachtung aller drei Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg. In der Tat betrat W. hier Neuland und unternahm einen ersten Versuch der komparativen Erforschung aller drei Reichsuniversitäten. Der Posener Rechtshistoriker H. Olszewski bescheinigte ihr am Rande seiner Besprechung der Arbeit von Piotrowski, "Benutzung einer breiten Quellenbasis, eine ziemlich geschickte Anwendung der vergleichenden Methode und einen stringent durchgeführten Aufbau der Arbeit" 4.

Wenn man das im letzten Jahr herausgegebene Buch aufschlägt, erfährt man zunächst an keiner Stelle, ob die Arbeit ein unveränderter Nachdruck oder eine veränderte Neuauflage sei. Ebenfalls bleibt unklar, ob der deutschen Fassung von 2000 eine polnische zugrunde liegt 5. Dies verwundert sehr, wenn man bedenkt, dass sich der Adam Marszalek Verlag selbst als einen "der drei größten privaten wissenschaftlichen Verlage in Polen" 6, feiert.

Die Arbeit selbst ist in 4 Kapitel untergliedert und klar strukturiert. W. schildert zunächst die Hochschulpolitik im Dritten Reich und in den besetzten Gebieten. Dann konzentriert sie sich auf "wissenschaftliche Fachkräfte, Funktionäre [und] wissenschaftlichen Aktivitäten" an den Reichsuniversitäten, um sich schließlich ihrem Spezialgebiet zuzuwenden, d.h. den dortigen pädagogischen Zielsetzungen und der didaktischen Tätigkeit. Aus der Einleitung erfahren wir, dass sie "einen Einblick in die Ziele, die Rolle sowie die Entstehungsgeschichte der sogenannten Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg (...) [zu] geben" beabsichtigt. Untersucht wird des weiteren "die Eigentümlichkeit dieser Hochschulen", die "sie zu Musterlehrstätten im Hochschulsystem des Dritten Reiches werden ließ" (S. 9). Schon die Grundannahme also, dass diese Universitäten eine singuläre Erscheinung in der deutschen Geschichte darstellen, ist irreführend. Denn gerade "die nationalsozialistische Sondergestalt" hätte zunächst hinterfragt werden müssen, um alsdann das Modellhafte an den Reichsuniversitäten zu analysieren. Der Gedankengang Wroblewskas ist jedoch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie das Universitätsmodell "Reichsuniversität" in der deutschen Wissenschaftsgeschichte seit dem Kaiserreich bis ins Dritte Reich nicht untersucht, obwohl man das gerade von dem Titel ihrer Arbeit hätte erwarten können.

Bei der Lektüre des Buches verwundert die zunehmende Fixierung auf den äußerst speziellen Bereich der nationalsozialistischen Erziehungspolitik. Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik läßt sich zwar noch im Hinblick auf die für die Studierenden relevanten Lehrinhalte nachvollziehen. Wenn W. jedoch Forschungsliteratur zur Schulpolitik (S. 11) auswertet oder sogar im Literaturverzeichnis Publikationen aufführt, die sich mit dem Kindergartenwesen (S. 213) befassen, fragt sich der Leser wiederum, wo hier noch der Bezug zum Titel der Arbeit bestehen soll.

Das wahre Skandalon dieser Arbeit stellt jedoch der von Wroblewska präsentierte Forschungsstand dar. Die letzten 16 Jahre der deutschen und internationalen Untersuchungen bleiben hier völlig unberücksichtigt. Angefangen beim 'Historikerstreit' über die Goldhagen-Debatte bis hin zu den Auseinandersetzungen über das Engagement der deutschen Historiker im Nationalsozialismus hielt es W. nicht für erforderlich, in ihrer Arbeit diese tiefgreifenden Erkenntnisfortschritte oder wenigstens einige der in dieser Zeit so zahlreich erschienenen Publikationen wissenschaftlich zu verwerten. Lediglich Helmut Heibers Werk "Universität unterm Hakenkreuz" 7 wird im Literaturverzeichnis genannt, ohne jedoch in der Arbeit an irgendeiner Stelle darauf einzugehen. Auch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche von 1989/1990 finden mit keinem Wort Erwähnung, bzw. werden diese implizit in der Form berücksichtigt, dass die Arbeit von politisch belasteten Formulierungen bereinigt wurde. Das zeigt der Vergleich mit der Fassung von 1984 (Vgl. nur S. 12-13 [2000] mit S. 11-12 [1984]).

Einen anderen schmerzhaften Punkt der Arbeit stellt die Übersetzung dar. Ein Beispiel aus der Einleitung dazu: "Hitlers Polenpolitik behandelt eine Publikation von Martin Broszat, dessen Schlußfolgerungen, die zum Glück nur selten erfolgen, man nicht in jedem Falle teilen kann" (S. 10). Nur durch einen Vergleich mit dem polnischen Originaltext von 1984 kann der Satz sprachlich wie inhaltlich entschlüsselt werden: "Die nationalsozialistische Polenpolitik wurde objektiv und ohne nationale und politische Vorurteile (...) von Martin Broszat dargestellt, obwohl einigen seiner Schlußfolgerungen nicht zuzustimmen ist. Das ist aber zum Glück nur selten der Fall." ([1984], S. 8, Ü. B.B.). Des weiteren ist vor allem auf die empörende Übersetzung der Fachtermini hinzuweisen. Hier hätte die Autorin selbst das Korrekturlesen übernehmen sollen. Hingegen quält sich der Leser damit - um nur einige Beispiele zu nennen, dass Arthur Greiser "Präsident des Freistaates Danzig" [richtig: der Freien Stadt Danzig], Chef der Zivilbehörde in Posen [richtig: der Zivilverwaltung in Posen] oder "Stadthalter (...) im Warthegau" [richtig: Reichsstatthalter im Warthegau] (S. 81) gewesen sei.

Es soll jedoch auch auf die positiven Seiten der vergleichenden Studie W.s hingewiesen werden. In mühevoller Arbeit hat sie eine Reihe von Statistiken zusammengestellt, welche die Zahl der Studierenden (S. 158-163) und des Lehrkörpers (S. 106-108) an allen drei Reichsuniversitäten präsentieren. Überdies wurden die Verfasser und die Themen der an den Reichsuniversitäten geschriebenen Dissertationen und Habilitationen, soweit entsprechende Archivmaterialien zur Verfügung standen, im Text aufgelistet (S. 124-127). Zusätzlich wurden z.B. für Prag die Doktorarbeiten zahlenmäßig nach Disziplinen erfasst. Bedauerlicherweise haftet auch diesem Versuch einer statistischen Datenerfassung etwas Negatives an. So wäre es, um dem Anspruch wissenschaftlichen Arbeitens gerecht zu werden, erforderlich gewesen, die Daten auch auszuwerten. So hätten sich sehr interessante Schlußfolgerungen ziehen lassen im Hinblick auf die großen zahlenmäßigen Unterscheide zwischen Prag einerseits sowie Posen und Strassburg andererseits. Bei den aufgezählten Dissertationen wäre eine tiefgreifende Beschäftigung mit dem Inhalt dieser Abhandlungen zu erwarten gewesen, um den Statistiken eine höhere Aussagekraft zu verleihen.

Bezüglich der "Aufgaben und Zielsetzungen der Wissenschaft aus der Sicht der Professoren der Reichsuniversitäten" (S. 109-124) werden entweder die im Volkspolen gängigen Stereotypen über inhumane und vollständig nazifizierte Wissenschaftler vor allem am Beispiel Posens neu aufgelegt und auf alle drei Reichsuniversitäten übertragen oder lediglich das wiederholt, was bis 1984 wissenschaftlich auf diesem Gebiet geschriebenen wurde. Das Zusammentragen der west- und ostdeutschen sowie volkspolnischen, sehr zerstreuten wissenschaftlichen Produktion und die Auswertung der Akten vor allem in den Posener, Warschauer, Berliner und Potsdamer Archiven hat jedoch zum Teil Früchte getragen. Um nur ein Beispiel zu nennen: W. geht an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit auf den von Reinhard Wittram in Posen proklamierten 'neuen Wissenschaftlertypus' ein, den sog. "wissenschaftlichen Soldaten (S. 110, 192). Diesen projiziert sie zwar zu Recht auf alle drei Reichsuniversitäten, aber durch eine fehlende ortsgebundene Kontextualisierung nimmt sie keine personenbezogenen Differenzierungen vor.

Es seien schließlich einige Bemerkungen zum Anhang der Arbeit erlaubt. Ein Drittel des Gesamtwerkes einnehmend wurde er in der 2000er Fassung hinzugefügt. Zunächst stellt W. in einem "Biographischen Verzeichnis" bedeutende Professoren aller drei Reichsuniversitäten vor (S.235-248), allerdings unvollständig, denn z.B. werden weder Werner Conze noch Hermann Voss erwähnt. Auch hier tritt wieder das Manko zutage, dass die Forschungsergebnisse der letzten 16 Jahre von W. nicht beachtet und die Mehrheit der aufgeführten Professoren pauschal als Nazis klassifiziert werden. W. bleibt in ihrer präsentistischen Auffassung der Epoche vor 1989 verhaftet, mit dem Ergebnis, dass sie z.B. Ernst Anrich, Reinhard Wittram und Herbert Ludat auf eine Stufe stellt.

Hiernach schließt sich, wie man auf den ersten Blick meinen möchte, eine höchst interessante Zusammenstellung unterschiedlicher Dokumente an. Nach einer genaueren Lektüre stellt sich bedauerlicherweise heraus, dass die Aktenauszüge größtenteils unvollständig, unleserlich und unübersichtlich abgebildet sind. Ein Fehler, der sich im Vorfeld hätte vermeiden lassen können, besteht darin, dass im Rahmen der Bibliographie die Aktenvermerke zum Universitätsarchiv in Posen nicht stimmen. Die hier angegebenen Aktennamen und Signaturen befinden sich im Bundesarchiv Berlin Lichterfelde und teilweise noch im Bundesarchiv Koblenz. Tatsächlich im Universitätsarchiv Posen befindliche Akten werden überhaupt nicht aufgeführt.

Insgesamt hat W. den an sich hervorragenden Gedenken, ihr 1984er Buch in deutscher und polnischer Fassung dem interessierten Leser zugänglich zu machen, schlecht umgesetzt. Wäre es ihr allein darum gegangen, den damaligen polnischen Text unverändert neu zu publizieren, hätte sie dies in entsprechender Weise kenntlich machen müssen. Aufgrund der von ihr gewählten Form der Neuauflage des Grundwerkes muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, völlig unzureichend recherchiert zu haben.

Wie so oft trägt aber auch der Verlag eine nicht unerhebliche Mitschuld. Man muß sich fragen, ob überhaupt ein Korrekturlesen stattgefunden hat, wenn schon allein der Buchtitel 3 orthographische Fehler aufweist. Auch das Übersetzungsteam hat äußerst schlecht gearbeitet und ist dem Anspruch der Benutzung exakter wissenschaftlicher Termini in keinster Weise gerecht geworden, ganz abgesehen von den zahlreichen Tippfehlern, die das gesamte Werk durchziehen. Es bleibt zu wünschen übrig, dass vor allem die Geldgeber - hier die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit - in Zukunft ein geschärftes Auge darauf richten, welche Projekte tatsächlich förderungswürdig sind.

In Anknüpfung an die These von Frank-Rutger Hausmann, dass "die ehrwürdige Institution 'Universität' [zwar] keineswegs mehr im 'Kern gesund', doch auch noch keine zum Schleifen reife Bastion" gewesen sei, steht nach wie vor die Frage offen, welchen Platz tatsächlich die drei Reichsuniversitäten Straßburg, Posen und Prag im gesamten Universitätssystem des Dritten Reiches eingenommen haben. Mit der Studie von W. ist dieses spannende Untersuchungsfeld jedenfalls noch lange nicht aufgearbeitet.

Anmerkungen:
1 So z.B. T. Wroblewska: Die Rolle und Aufgaben einer nationalsozialistischen Universität in den sogenannten östlichen Reichsgebieten am Beispiel der Reichsuniversität Posen 1941-1945, in: Pädagogische Rundschau 1978, Nr. 3, S. 173-189. Dies: Panstwowy Uniwersytet w Poznaniu (1941-1945) w sluzbie imperializmu niemieckiego, Acta Universitatis Nicolai Copernici, Pedagogika VII, Torun 1978, S. 41-63.
2 T. Wroblewska: Uniwersytety Rzeszy w Poznaniu, Pradze i Strassburgu jako model hitlerowskiej szkoly wyzszej na terytoriach okupowanych. Torun 1984.
3 B. Piotrowski: W sluzbie rasizmu i bezprawia. Uniwersytet Rzeszy w Poznaniu 1941-1945. Poznan 1984.
4 H. Olszewski, in: Kwartalnik Historyczny 44, Nr. 2, 1986 (1987), S. 586-592, hier S. 588 (Anm. 6).
5 Dem Rezensenten ist nur durch eigene Recherche bekannt, dass es neben der deutschen Fassung auch eine polnische Fassung aus dem Jahre 2000 gibt.
6 P. Gerlich, K. Glass [Hg.]: Bewältigen oder Bewahren. Dilemmas des mitteleuropäischen Wandels. Wien-Torun 1994, S. 208.
7 H. Heiber: Universität unterm Hakenkreuz. 3 Bde. München u a. 1991-1994.

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