Titel
Gemeinschaftsunternehmen Naturforschung. Modifikation und Tradition in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1773-1906


Autor(en)
Böhme-Kaßler, Katrin
Reihe
Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 15
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniela Feistauer, Akademievorhaben Nees von Esenbeck, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina

Als der Berliner Arzt Friedrich Heinrich Wilhelm Martini (1729-1778) zusammen mit sechs weiteren Naturforschern am 9. Juli 1773 in der preußischen Hauptstadt die Gesellschaft Naturforschender Freunde gründete, entsprach das nicht nur seinem lange gehegten Wunsch, „mehrere Freunde der Natur“ zusammenzubringen 1, sondern war wohl auch die Aufhebung eines schmerzlich empfundenen Versäumnisses. Noch beim Schreiben seiner 1775 entstandenen Entstehungsgeschichte der Gesellschaft zeigte sich Martini verwundert, „daß in einer so großen Stadt, wie unser Berlin ist, noch kein Mensch auf den Einfall gerathen war“. Die neue Gesellschaft, die sich nach Martinis Worten vor allem an der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig orientierte, sah ihre Aufgabe darin, die „Liebhaber und Kenner der Natur“ zum Gedankenaustausch zu vereinigen, wozu sie sich einmal wöchentlich in den Wohnungen ihrer Mitglieder, später auch im eigenen Haus, traf. Sie gelangte ziemlich schnell in den Besitz einer umfangreichen Bücher- und Naturaliensammlung und in den von der Gesellschaft herausgegebenen Schriften veröffentlichten die wichtigsten deutschen Naturforscher der Zeit.

Es handelt sich also um eine naturforschende Gesellschaft von einiger Bedeutung im 18. und 19. Jahrhundert, die aber trotz allem bisher niemals Thema einer umfassenden wissenschaftlichen Darstellung gewesen ist. Lediglich in einigen, wenn auch zum Teil sehr ausführlichen Aufsätzen ist die Gesellschaft Naturforschender Freunde thematisiert worden.2 In dem Sinne füllt die 2005 erschienene Dissertation Katrin Böhme-Kaßlers ein Desiderat der Forschung zur deutschen Wissenschaftsgeschichte.

Ausgangspunkt der Untersuchung bildete dabei ein von der VW-Stiftung finanziertes Projekt zur Erschließung des Archivs der Gesellschaft Naturforschender Freunde (S. 9). Demzufolge bilden denn auch die Tagebücher und Akten der Gesellschaft die wichtigste Quelle für die Abhandlung. Böhme stellt im Vorwort eindrucksvoll die Schwierigkeiten dieses Teils der wissenschaftlichen Arbeit dar: „Dabei waren die zahlreichen verschiedenen, aber vor allem charaktervollen Handschriften mehrfach eine Herausforderung an Sehkraft, Geduld und Phantasie der Leserin.“ (S. 9). Dem Übermaß an Quellen aus dem Archiv der Gesellschaft Naturforschender Freunde ist es wohl auch geschuldet, dass Akten aus anderen Archiven, etwa die Zivilkabinettsakte über die Gesellschaft Naturforschender Freunde 1810-1907 im Geheimen Staatsarchiv Berlin (I. HA, Rep. 89, Nr. 19928), keine Berücksichtigung finden konnten.

Die Geschichte der Gesellschaft stellt Böhme von 1773, dem Jahr der Gründung, bis 1906 dar, als mit dem Verkauf des Hauses eine Umstrukturierung der Vereinigung einsetzte. Die Darstellung der Zeit bis 1945 lehnt Böhme mit Hinweis auf die veränderte Fragestellung ab (S. 23).

In ihrer Untersuchung schildert Böhme die Gesellschaft Naturforschender Freunde als Gemeinschaft von Bürgern im beginnenden bürgerlichen Zeitalter und „Ausdruck bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen“ (S. 12). Die GNF war eine Privatgesellschaft, die „zwar politische und finanzielle Unterstützung vom preußischen Staat“ erhielt, aber sich „ihre Eigenständigkeit dennoch im 19. und 20. Jahrhundert bewahrte“, was sie „von ähnlichen Institutionen der Zeit unterschied“ (S. 14). In der Gesellschaft kamen „auch spezifisch freimaurerische Inhalte zum Tragen“ (S. 14).

Bei ihrer Darstellung geht Böhme gleichzeitig thematisch und chronologisch vor, was sich als durchaus lesenswert erweist, den Schwerpunkt des geschilderten Zeitraumes allerdings ins späte 18. Jahrhundert legt. Nach der Einführung in das Thema wird im zweiten Kapitel die Gründungsgeschichte und das Verhältnis zur Berliner Akademie, dessen Darstellung allerdings ein wenig kurz gerät, abgehandelt. Im dritten Kapitel beschäftigt sich Böhme mit den Strukturen der Gesellschaft. Diese bestand bei wanderndem Direktorat aus ordentlichen, außerordentlichen und Ehrenmitgliedern, die sich in Status und Funktionen für die Gesellschaft unterschieden. Hilfreich für die Leser/innen ist eine Auflistung der ordentlichen Mitglieder, die Böhme im Anhang X.7 veröffentlicht (S. 173ff.) und aus der unter anderem hervorgeht, dass der preußische Finanzminister Karl Freiherr von Altenstein im Jahr 1810 zum ordentlichen Mitglied ernannt wurde. Ebenfalls im Kapitel 3 geht Böhme auf die freimaurerische Symbolik der GNF ein, welche sich vor allem bei der Gestaltung des Siegels niederschlägt (S. 39f.). Hier verliert sich die Autorin allerdings ein wenig in der frühneuzeitlichen Zahlenmystik.

Das vierte Kapitel ist den Aktivitäten der Gesellschaft gewidmet. Es beinhaltet Beiträge zu den Themen Sammlungen, wobei hier auch die Büchersammlung impliziert ist, Gesellschaftsschriften und Preisfragen. Die Naturaliensammlung – und auch die Büchersammlung – der Gesellschaft setzte sich vor allem aus Geschenken und Ankäufen aus den Kabinetten ihrer Mitglieder zusammen, von der Schöpfschen Schildkrötensammlung, die mit Unterstützung des preußischen Königs erworben werden konnte, bis zu den Sammlungen von Emanuel Franz Rudolphi (1733-1814) (S. 43f.). Böhme schildert hier ausführlich den Erwerb der Sammlungen sowie ihre Erhaltung, wiewohl man gern noch etwas über ihre Benutzung durch die Berliner Naturforscher erfahren hätte. Auch die Entstehung der Schriften der Gesellschaft wird detailliert erörtert. Eine Liste der Verleger fehlt nicht, wobei Böhme den ständigen Wechsel mit der mangelnden Lukrativität des Verlages begründet (S. 57). Von den insgesamt sechs gestellten Preisfragen der GNF werden drei näher betrachtet. Hier sieht Böhme bei den Juroren eine „Präferenz der empirischen Methode“ (S. 67): „Die Ordentlichen Mitglieder präferierten solche Arbeiten, welche die subjektive Wahrnehmung des Autors zum Ausdruck brachten.“ (S. 73). Allerdings hätte man sich in diesem Abschnitt detailliertere Ausführungen über die Finanzierung der anderen Preisaufgaben, besonders über die Verwendung der Preisgelder bei Aufgaben ohne Preisvergabe gewünscht.

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit dem Haus der Gesellschaft, welches 1787 mit Hilfe einer königlichen Schenkung von 10.000 Talern (S. 81) erworben werden konnte, mit dessen Nutzung und späterer Vermietung. Dem schließt sich ein Kapitel über das Verhältnis zur Öffentlichkeit an, in dem ausführlich auf das Freundschaftsideal der Gesellschaft eingegangen wird: „Das gegenseitige freundschaftliche Interesse brachte den ganzen Menschen in persönlichen Kontakt zu den anderen Mitgliedern und bestimmte deren Verbindung, die daher als eine Form privater Kommunikation gesehen werden kann.“ (S. 93) Kurz wird hierbei auch auf die 1789 gegebene Grundverfassung der Gesellschaft eingegangen (Abschnitt VI.3., S. 99), welche Böhme im Anhang X.6. (S. 167ff.) vollständig wiedergibt. Hier findet sich auch unter § 9 die Bitte der GNF an das Generaldirektorium und Kammergericht um Kuratel. Ein Vergleich mit der 1773 durch Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) bestätigten (S. 37) früheren Grundverfassung hätte sich angeboten. Auf einen Abdruck dieser Artikel verzichtet Böhme bedauerlicherweise.

Im siebten Kapitel wird schließlich auf die weitere Entwicklung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert eingegangen. Böhme stellt einen Bedeutungsverlust der GNF durch die Gründung der Berliner Universität 1810 fest, was zu einem Verzicht auf die bedeutendsten Teile der Naturaliensammlung zu Gunsten des Zoologischen Museums (S. 105ff.) und auf die Bücher zu Gunsten der Universitätsinstitute (S. 116) führte. Der durch Wilhelm II. genehmigte Verkauf des gesellschaftlichen Hauses (S. 117) führte laut Böhme zur notwendigen Änderung der Strukturen der Gesellschaft (S. 23).

Mit einem Kapitel über Traditionsbildung und Traditionen der GNF schließt das Werk. Böhme fragt dabei nach Kontinuitäten und führt dafür vor allem die Tagebücher als Chronologie der Geschehnisse um die Gesellschaft an (S. 132). Auch die Dauer der Mitgliedschaften der ordentlichen Mitglieder wird als Voraussetzung der Traditionsbildung gesehen (S. 133).

Insgesamt hätte sich der Leser bei der vorliegenden Abhandlung noch einige Worte zu weiteren Aspekten des gesellschaftlichen Zusammenlebens erhofft. So wäre ein Kapitel zur Finanzierung der Gesellschaft aus den Zinsen von Staatsobligationen, was Böhme nur am Rande erwähnt (S. 85), wünschenswert gewesen. Das Übermaß an Material legte hier aber offensichtlich eine Auswahl nahe.

Anmerkungen
1 Dieses sowie die nachstehenden Zitate des Absatzes aus Martini, Friedrich Heinrich Wilhelm, Entstehungsgeschichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde in Berlin, in: Beschäftigungen der Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde, Band 1 (1775), S. I-XXVI, hier S. I, II u. VI.
2 Vor allem bei Becker, Kurt, Abriß einer Geschichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (N.F.) 13 (1973), S. 1-58; sowie Jahn, Ilse, Die Rolle der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin im interdisziplinären Wissenschaftsaustausch des 19. Jahrhunderts, in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde Berlin (N.F.) 31 (1991), S. 3-15.