G. Frank u.a. (Hrsg.): Enea Silvio Piccolomini

Titel
Enea Silvio Piccolomini. Europa


Herausgeber
Frank, Günter; Metzger, Paul; Hartmann, Albrecht
Erschienen
Heidelberg 2005: Verlag Regionalkultur
Anzahl Seiten
Preis
€ 36,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Helmrath, Berlin

Das Buch ist Frucht der stetig wachsenden Liebe, welche die Forschung Enea Silvio Piccolomini/Pius II. (1405-1464) entgegenbringt. Wer noch vor 25 Jahren historiografische Werke des Humanisten und Papstes zitieren wollte, sah sich fast ausnahmslos auf Drucke der Barockzeit oder die Basler Opera omnia von 1551/71 verwiesen. Seither jedoch erleben Enea-Silvio-Editionen einen beispiellosen Boom. An Koordination mangelte es dabei jedoch völlig. Beispiele: Von den Commentarii, schon 1937-1957 in einer englischen (Gragg/Gabel), 1981 in einer italienischen (Bernetti) Übersetzung publiziert, erschienen in zwanzig Jahren nicht weniger als vier lateinische Ausgaben: van Heck 1984, Totaro 1984 (mit italienischer Übersetzung), Bellus-Boronkai 1993, Meserve/Simonetta seit 2004 (mit englischer Übersetzung). Die Historia Bohemica brachte es in kurzer Folge auf zwei lateinische Ausgaben (Martínková/Hadravová/Matl, 1998, mit tschechischer Übersetzung; Hejnic/Rothe, 2005, mit deutscher Übersetzung). Auch die Historia Austrialis wird es bald zweimal geben.1 Auf die Europa musste man bis 2001 warten. Da legte der niederländische Altphilologe und verdiente Piccolomini-Editor Adrian van Heck die erste textkritische Edition vor.2 Van Heck hatte die LXV Bücher, mit denen der Pariser Gothofredus-Druck von 1509 den Text geordnet hatte, in weitere 274 Unterkapitel untergliedert. Außerdem zählte er die gesamte Edition in 9453 Zeilen durch.

In der für Piccolomini typischen Mischung von Chorografie und zeitgeschichtlichen, oft anekdotisch zugespitzten Einschüben bildet die laut Widmungsbrief an Kardinal Antonio della Cerda am 29. März 1458, kurz vor der Papstwahl, publizierte ‚Europa’ ein Werk eigenen Genres. Es bietet einen Durchgang durch Europa, im Osten mit Ungarn beginnend, mit Portugal im Westen endend, um sich dann Italien zuzuwenden. Das Werk fußt in seinen geografischen Elementen auf intensiver Wiederaneignung von Ptolemaios, Strabo, Plinius etc., zeugt von Piccolominis unstillbarem zeitgeschichtlichem Beobachtungs- und Darstellungsdrang und zielt – ein Grundmotiv im Schaffen Pius’ II. – auch auf den Türkenkrieg ab. Der Titel De Europa taucht aber erstmals im Memminger Druck von 1490 auf (einige Handschriften nannten das Werk De gestis sub Friderico III, was öfter zu Verwechslungen mit der Historia Austrialis führte). Vermutlich war es, zusammen mit der Asia, Teil eines größeren Konzepts, das – freilich auch erst in späteren Drucken! – als Cosmographia bzw. Historia rerum ubique gestarum firmierte.3

Der vorliegende Band von Frank, Metzger und Hartmann stellt nichts anderes als eine deutsche Übersetzung der van Heckschen Ausgabe dar, des Textes der Europa, der (lateinischen) Einleitung des Editors, von dessen Anmerkungen etc. Infolgedessen wurden sowohl die Stärken wie zum Teil auch die Schrulligkeiten der van Heckschen Ausgabe übernommen. Dies war allerdings weder der Fall bei der gänzlich unmotivierten späten Abbildung Papst Gregors XII. (Heck Tafel 1) noch bei dessen Marotte, das Wortregister (übrigens ohne Querverweise) nicht nach den Seiten, sondern nach den Kapiteln der Edition auszuwerfen. Die Herausgeber der Übersetzung wählten andere Illustrationen (darunter kundig kommentiert die aus Sebastian Münster bekannte Europa-Jungfrau, S. 30f.); sie trennten sinnvollerweise Personen- und Sachregister und zählten darin nach Seiten. Durchaus originell und wertvoll war van Hecks Idee, zu jedem Unterkapitel der Europa, aufgehängt an bestimmten markierten Begriffen, inhaltliche Parallelstellen aus anderen Opera und aus Briefen des Enea Silvio in Petit mit abzudrucken: so „erklärt Enea selbst den Enea“ (S. 24). Zu c. 2-3 (Heck S. 30-37; Frank S. 47-57) findet man z. B. die wichtigsten verstreuten Äußerungen Eneas über Kaiser Sigismund; zu c. 150 (Heck S. 169-172, Frank S. 249-253) diejenigen über Herzog Amadeus VIII. von Savoyen, als Felix V. Gegenpapst des Basler Konzils. Das Verfahren ermöglicht also eine sehr erhellende Zusammenschau. Alle diese Stellen wurden komplett mit übersetzt; ebenso die charaktervolle Einleitung des Leidener Gelehrten, einschließlich der Handschriftenbeschreibungen (Leithandschriften BAV Urb. Lat. 885 und Vat. Lat. 3888). Dabei ließ man aber sämtliche lateinischen Wortbeispiele, etwa für Fehler, Varianten, Stilmittel, ebenso weg wie die Variantensynopse der Klassen A und B (Heck S. 7-11, 11-14). Damit geht für den Fachmann die Überprüfbarkeit verloren, ohne dass der verbleibende Text dem allgemein Interessierten verständlich würde. Van Hecks Sachanmerkungen, wie üblich sehr knapp und offenbar nur dann gesetzt, wenn eigene Bordmittel eine Identifizierung zuließen, haben Herausgeber und Übersetzer zwar teils ergänzt, teils auch korrigiert (so S. 53 Anm. 67 zu v. 331 das falsche Datum der Absetzung Gregors XII. und Benedikts XIII. auf dem Pisanum; lies: 5. Juni 1409).4 Für den interessierten Laien reichen sie aber immer noch nicht aus; was hilft ihm etwa zu römischen Kaisernamen wie Gallienus und Aurelian der Hinweis auf eine Jordanes-Stelle?

Günther Frank, Leiter des Melanchthonhauses in Bretten stellte dem Ganzen ein knappes, aber kundiges Vorwort zu Europabegriff 5 und Vita des Enea Silvio sowie ein Literatur- und Abkürzungsverzeichnis voran (S. 7-11, 13, 15). So kam eine handliche und liebevoll gestaltete kleine Oktav-Ausgabe zustande. Die Drucktype freilich ist ziemliches Augenpulver.

Womit dieses im Prinzip sehr willkommene Buch steht und fällt, ist natürlich die Qualität der Übersetzung. Sie stammt von Albrecht Hartmann. Und hier fällt das Urteil schon nach einigen Stichproben doch recht durchwachsen aus. Schon die Übersetzung der van Heckschen Einleitung weist eine Fülle von Missverständnissen auf und klingt passagenweise nach Lateinunterricht auf Obersecunda-Niveau: Wenn van Heck den Codex F als opus integrum bezeichnet, wird daraus bei Hartmann ein „unverdorbenes Werk“ (S. 24). Wenn van Heck sagt, er habe die locos erratos […] librarii neglegenter scribentis (sc. eines nachlässigen Schreibers) korrigiert (S. 11), wird bei Hartmann daraus eine Korrektur „gleichgültig gegenüber dem Bücherschreiber“ (S. 27). Poggius ille Bracciolini wird mit jener Poggio Bracciolini (S. 22) ebenso amateurhaft übersetzt wie eiusdem Pii mit desselben Pius (S. 24). Den doppeldeutigen Begriff „Handschrift“ verwendet Hartmann für manus (Hand) eines Schreibers, obwohl er eher für das handgeschriebene Textcorpus/codex (bei Hartmann; „Buch“) üblich ist.

Bleiben wir zum Prüfen der eigentlichen Textübersetzung beim Widmungsbrief an Kardinal della Cerda (Heck S. 25f.;Hartmann 40f.): Fuisset […] opere precium – sagt Enea – […] potius rerum gestarum historiam texere – es wäre der Mühe wert gewesen, […] eher die (gesamte) Geschichte der Ereignisse zu schreiben; bei Hartmann heißt das: „Es wäre besser gewesen, mithilfe der Gebete(!!), die Geschichte der Heldentaten zu schreiben“ (S. 40). Ähnlich geht es weiter. Die Schlusspassage si quid acerbius in quemquam scriptum offenderis – also: wenn Du dich daran stößt, dass etwas zu scharf gegen jemanden geschrieben ist – wird unter Hartmanns Stockfehlern vollends zum Nonsens: „wenn du etwas Traurigeres in etwas Geschriebenem(!) finden(!) solltest“ (S. 41). Ein Beispiel aus dem Text der Europa: Enea berichtet, während des Aufenthalts König Albrechts II. (+1439) in Buda habe der Stadtrichter, ein Deutscher, einen Ungarn wegen eines Delikts ertränkt; was einen Aufstand auslöste (Sed dum Bude moram facit (sc. Albertus) …, iudex civitatis, natione Theutonicus, Hungarum quempiam ob delictum fluvio demersit; Heck S. 37). Der Übersetzer bezieht Amt und Handlung allen Ernstes auf den König selbst! Heraus kommt dabei, und holprig dazu: „Während er in Buda Rast machte […], Richter des Staates(!), von seiner Nation her ein Deutscher, hat er irgendeinen von den Ungarn wegen eines Vergehens im Fluß ertränken lassen.“ (Hartmann S. 57).

Oft genug wurde also der Text schlicht nicht verstanden und unter Inkaufnahme horrender Grammatikfehler irgendwie hingebogen! Ironie und sprachliche Seitenhiebe, auf die sich Enea/Pius so unvergleichlich verstand, gehen des Öfteren verloren. Wenn er in c. 150 (Heck S. 170; Hartmann S. 250) über das Basler Konzil sagt, Amadeus VIII. wurde gekrönt ab iis, qui generale concilium facere arbitrabantur, dann sollte das nicht wie bei Hartmann heißen: „von denen die entschieden, ein allgemeines Konzil zu halten“, sondern ironisch: „von denen, die glaubten (sich einbildeten), ein allgemeines Konzil zu halten“!

Wenig glücklich erscheint auch die Übertragung der Eigennamen, freilich eine Crux bei jeder Übersetzung. Hier wollte man in den meisten Fällen die lateinische Fassung beibehalten. Dabei kommt aber oft Unverständliches heraus: jener Alexander Bononius (sc. Papst Alexander V.) würde nur als Alexander (Kardinal) von Bologna plastisch. Umgekehrt ist statt Nikolaus von Sagunto für diesen griechischen Autor, Diplomaten und Dolmetscher Nikolaus Sagundinos in der Literatur gebräuchlicher, statt Graf Ulrich von Celje ist Ulrich von Cilli, statt Äthicus Istricus ist Aethicus Ister üblich.

Dies waren Stichproben. Aber sie erzeugen doch einen Eindruck erheblicher Unsicherheit. Als Leseausgabe für den raschen Überblick mag diese ‚Übersetzung’ noch geeignet sein. Wer sich auch nur ein wenig genauer mit dem Text beschäftigt, muss, wenn er irgend kann, unverzüglich auf die lateinische Ausgabe zurückgreifen. Je geringer aber die Lateinkenntnisse werden, umso zuverlässiger müssen die Übersetzungen sein! So ertappt sich der Rezensent am Ende dabei, selber das zu fordern, was er eingangs kritisierte: eine zweite (oder tiefgreifend überarbeitete) Übersetzung!

Anmerkungen:
1 Die weitgehend textkritikfreie lateinisch-deutsche Auftrags-Ausgabe: Sarnowsky, Jürgen (Hg.), Aeneas Silvius de Piccolomini: Historia Austrialis/Österreichische Geschichte, Darmstadt 2005, folgt der Handschrift Biblioteca Apostolica Vaticana Chis. I VIII 248 und fügt die leicht modernisierte deutsche Übersetzung Theodor Ilgens von 1889-99 bei. Parallel dazu bereitet Martin Wagendorfer die künftig wohl maßgebende Edition vor. Seine unverzichtbare Vorstudie, welche die komplizierte Überlieferung auf eine völlig neue Grundlage stellt, hat Sarnowsky nicht benutzt: Wagendorfer, Martin, Studien zur ‚Historia Austrialis’ des Aeneas Silvius de Piccolominibus, München 2003.
2 Pius II. Enee Silvii Piccolominei postea Pii PP. II De Europa, ed. commentarioque instruxit Adrianus van Heck, Città del Vaticano 2001. In derselben Reihe ,Studi e testi’ legte van Heck neben den Commentarii (1984) Editionen von De viris illustribus (1991) und der Carmina (1994) vor.
3 Vorangestellt ist van Hecks Edition der Beginn des Proömiums der Historia rerum ubique gestarum nach dem Druck der Opera omnia von 1571 (Heck S. 18; Frank S. 32-34). Vgl. zur Asia jetzt: Enea Silvio Piccolomini, Beschreibung Asiens, übersetzt von Raimund Senoner, hg. v. Wilhelm Baum, Klagenfurt 2005.
4 Vgl. jetzt auch: Baldi, Barbara, Enea Silvio Piccolomini e il ‘de Europa’. umanesimo, religione e politica, in : Archivio storico italiano 161 (2003), 619-683.
5 Dazu jüngst der Rezensent: Enea Silvio Piccolomini. Vater des modernen Europagedankens?, in: Hohls, Rüdiger u.a. (Hgg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte. Festschrift für Hartmut Kaelble zum 65. Geburtstag, Berlin 2005, S. 361-369.

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