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Titel
Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik


Autor(en)
Mühlhausen, Walter
Erschienen
Anzahl Seiten
1064 S., 76 Abb.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Till Kössler, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Friedrich Ebert repräsentierte wie kein anderer nach 1918 die neue Weimarer Demokratie. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass – wie die Republik als ganze – auch seine Politik und Leistungen von Anfang an höchst umstritten waren, nicht zuletzt in seiner eigenen Partei. In der historischen Forschung hat sich die kontroverse Beurteilung Eberts fortgesetzt. Nachdem sich in der Bundesrepublik – in Auseinandersetzung mit der kommunistischen Historiographie – zunächst eine positive Bewertung Eberts als Schöpfer und Verteidiger der Weimarer Demokratie gegen Umsturzversuche von links durchsetzte, hat sich sein Bild in der letzten Jahrzehnten eingetrübt. Die „Grenzen Eberts“ (H.A. Winkler) sind mehr und mehr in den Vordergrund gerückt. Insbesondere sein Vertrauen in die alten Eliten in Bürokratie und Militär sowie sein extensiver Gebrauch des Paragraphen 48 haben seinen Beitrag zur Stabilisierung der Weimarer Demokratie zwiespältig erscheinen lassen.

Die monumentale, mehr als 1000 Druckseiten umfassende Studie von Walter Mühlhausen, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, nimmt gegenüber solchen Argumenten eine Rehabilitierung Eberts als „Staatsmann“ vor. Auf der Grundlage eines detaillierten Nachvollzugs der Ebertschen Politik erläutert und erklärt sie die Entscheidungen des ersten Reichspräsidenten und betont ihre Bedeutung für die vorübergehende Stabilisierung der Republik. Ebert, so Mühlhausen, habe für die demokratische Stabilisierung „im wesentlichen das getan, was ein Staatsoberhaupt [...] zu tun in der Lage war“ (S. 999f.).

Die Studie gewinnt ihren Fokus aus der Verknüpfung von politischer Biographie mit der Geschichte des politischen Amtes des Reichspräsidenten in Form einer „biographischen Funktionsanalyse“. Im Mittelpunkt steht die Tätigkeit Eberts von der faktischen Übernahme des Amtes des Reichskanzlers im November 1918 bis zu seinem Tod im Frühjahr 1925. Die Aktivitäten Eberts als sozialdemokratischer Funktionär vor 1918 finden demgegenüber nur am Rande Aufmerksamkeit. Die Darstellung folgt Eberts Wirken in chronologischer Folge, wobei immer wieder thematische Querschnittskapitel die Arbeit bereichern. Amt und Apparat des Reichspräsidenten, die Wehr- und Außenpolitik Eberts, sein Umgang mit dem Notstandsparagraphen 48, die Öffentlichkeitsarbeit und Repräsentationspolitik des Reichspräsidenten sowie die Auseinandersetzung Eberts mit den zahlreichen Verleumdungskampagnen erfahren eine vertiefte Aufmerksamkeit. Die Konzentration auf das politische Handeln Eberts erklärt sich auch aus der äußerst schwierigen Quellenlage. Fast alle persönlichen Unterlagen Eberts, aber auch wichtige Briefwechsel, sind von ihm selbst vernichtet worden oder durch Kriegseinwirkungen verloren gegangen.

Die Frage nach der Rolle Eberts im Prozess der Demokratiegründung gehört zu den klassischen Fragen der politischen Geschichte der Weimarer Republik, in die sich Mühlhausen eng einfügt. Sein Buch will keine neue Sichtweise der frühen Weimarer Republik etablieren, im Mittelpunkt steht vielmehr die Diskussion und Qualifizierung existierender Ansichten. Die Stärke der trotz einiger Längen gut lesbaren Arbeit liegt in einer überzeugenden Detailanalyse, die Eberts Handeln in die jeweiligen historischen Kontexte einbettet. Mühlhausen gelingt es auf diese Weise, Motive und Handlungszwänge Eberts verständlicher zu machen, als dies bisher der Fall war. Tatsächlich gewinnt Ebert so nicht nur an historischer Kontur, sondern auch an politischer Statur.

Es gelingt Mühlhausen, die politischen Leistungen Eberts eindrücklich herauszustellen. Seine innen- und außenpolitische Weitsicht erfahren eine umfassende Würdigung. Ebert sah früh die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Demokraten über Partei- und Milieugrenzen hinweg. Diese Kooperation zu stiften bildete einen grundlegenden Leitfaden seines politischen Handelns als Reichspräsident. Insbesondere in den häufigen Regierungsbildungen, die einen deutlichen Schwerpunkt der Darstellung bilden und in denen Ebert zumeist eine überragende Rolle spielte, vermochte Ebert sein Talent zu integrativer Entscheidungsfindung auszuspielen. In einer Situation, in der sich die Reichstagsfraktionen nur selten eigenständig auf eine Koalition einigen konnten, war es wesentlich Eberts Verdienst, dass arbeitsfähige Regierungen zu Stande kamen. Die von ihm seit langem angestrebte Große Koalition von „Scheidemann bis Stresemann“ scheiterte 1923 allerdings schnell. Mühlhausen rechtfertigt in diesem Zusammenhang Eberts viel kritisierte Ernennung Wilhelm Cunos als parteilosen Fachmann zum Reichskanzler 1922 als einzige Möglichkeit, die politische Paralyse der Reichstagsfraktionen aufzubrechen. Ebert hoffte, dass ein Kabinett der Fachleute seiner auf die Schaffung einer demokratischen „Volksgemeinschaft“ zielenden Integrationspolitik eine neue Grundlage geben würde, der sich dann auch die Parteien nicht mehr würden verweigern können.

Im Kontext der gegenseitigen Blockade der Reichstagsparteien in einer höchst instabilen politischen Situation wird auch Eberts Umgang mit dem Artikel 48 verständlich. Der Gebrauch des Notstandsparagraphen entsprang weniger einem Machthunger Eberts jenseits parlamentarischer Spielregeln, sondern stellte insbesondere im Herbst 1923 ein strategisches Mittel dar, die Demokratie zu erhalten und einen drohenden Putsch aus Kreisen der Reichswehr abzuwenden. Da die Notverordnungen in keinem Fall einen parlamentarisch gefassten Beschluss außer Kraft setzten, ist es nach Meinung Mühlhausens falsch, Eberts Handeln als Vorläufer der späteren Politik der Präsidialkabinette zu sehen. Es sei im Gegenteil notwendig gewesen, um überhaupt die Demokratie über die frühen Krisenjahre hinweg zu retten.

Weniger erfolgreich war Ebert in seiner selbst um den Preis der Entfremdung von der SPD betriebenen Politik, eine Integration der Republik skeptisch gegenüberstehender bürgerlicher Bevölkerungsgruppen in die Republik voranzutreiben. Sein pragmatischer und sachlicher Politikstil erwarb Ebert zwar einerseits den Respekt der kleinen Gruppe bürgerlicher „Vernunftrepublikaner“, trug jedoch wenig zu einer emotionalern Identifizierung der Mehrheit der Bevölkerung mit der Demokratie bei. Es war – neben Eberts Wertschätzung von Sachverstand – dieses Bemühen um eine demokratische Integration, die Eberts viel kritisierter Politik gegenüber den traditionellen Eliten in Militär und Verwaltung zu Grunde lag. Eberts Hoffnungen, durch ein Entgegenkommen die alten Eliten auf mittlere Sicht für die Demokratie zu gewinnen, erfüllten sich jedoch nicht.

Eberts Handeln gründete auf einem spezifischen Amtsverständnis der Rolle des Reichspräsidenten, dessen Machtbefugnisse er möglichst weit auszudehnen bestrebt war. Einerseits sah sich Ebert nicht als Gegengewicht zur Exekutive, sondern als ein Teil von ihr mit besonderen, zwischen den Parteien vermittelnden Aufgaben. Andererseits legte ihm sein Amtsverständnis große Zurückhaltung hinsichtlich der Politik der Reichsregierungen auf, der er sich stets unterzuordnen bestrebt war, auch wenn es, wie im Fall des Rapallo-Abkommens, fundamentale Meinungsverschiedenheiten gab.

Anschluss an neuere Studien zur Kulturgeschichte des Politischen findet Mühlhausen in einer Untersuchung der Öffentlichkeitspolitik Eberts. Bei seinem Amtsantritt als Reichspräsident stand Ebert vor der Herausforderung, die Außendarstellung des Amtes, aber auch des gesamten Staatswesens neu definieren zu müssen. Ebert versuchte in bewusster Angrenzung zu der in der Öffentlichkeit als Vergleichsfolie immer präsenten Selbstinszenierung Wilhelms II. ein betont nüchternes Auftreten als der Demokratie und der Krisenzeit angemessene Repräsentationsform zu etablieren. Doch diese asketische Staatsrepräsentation und die geringe Einsicht Eberts in die Notwendigkeiten einer offensiven Öffentlichkeitspolitik in der Demokratie verhinderten eine Popularisierung der Weimarer Demokratie, aber auch seiner Person selbst. Wie wenig Ebert und seine Mitarbeiter in der Lage waren, ein positives Bild des Reichspräsidenten medial zu vermitteln, zeigen die Verleumdungskampagnen rechtsradikaler Kreise gegen ihn, die er kaum adäquat abzuwehren vermochte.

Mühlhausen gelingt es insgesamt überzeugend, Eberts Handeln verständlich zu machen und seine politischen Leistungen zu würdigen. Auch wenn sich der Rezensent an einigen Stellen eine stärkere konzeptgeschichtliche Einordnung Ebertscher Leitvorstellungen, etwa seines Verständnisses von „Sachpolitik“, gewünscht hätte, bietet die Studie eine plausible Erläuterung der Ebertschen Politik und vermag insbesondere die Bedeutung der zeitgenössischen, innen- wie außenpolitischen Zwänge für die kontrovers diskutierten Entscheidungen Eberts sichtbar zu machen. Ob damit die historische Kritik an Ebert verstummen wird, ist jedoch zu bezweifeln. Andere Wertungen einzelner Entscheidungen, etwa der Wehrpolitik Eberts, erscheinen nach wie vor möglich. Mit seinen erweiterungsfähigen Überlegungen zur medialen Repräsentation Eberts weist Mühlhausen jedoch auch auf Möglichkeiten hin, neue Wege einer politischen Geschichte der Weimarer Republik jenseits dieser letztlich fruchtlosen Debatten zu finden.

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