Titel
Homecomings. Returning POWs and the Legacies of Defeat in Postwar Germany


Autor(en)
Biess, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Hamburg

Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Kriegsgefangenschaft: In den letzten Jahren haben sich gesellschaftliche Debatten und historische Forschungen wieder verstärkt mit den Themen des Zweiten Weltkriegs befasst, die deutsche leidvolle Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit in den Mittelpunkt stellen. Potenzielle Gefahren einseitiger Zugänge zu diesen Komplexen liegen auf der Hand: Die Verdrängung eigener Schuld, eine Negierung ursächlicher Verantwortlichkeiten und Aufrechnungsversuche, die einen Schlag ins Gesicht der Opfer von Besatzungsherrschaft, nationalsozialistischer Verfolgung und Holocaust darstellen, waren in unterschiedlichen Ausprägungen immer Bestandteile deutscher „Vergangenheitsbewältigung“.1 Deren Spezifika lassen sich indes ohne Berücksichtigung des subjektiven Gewichts von kollektiven, oft traumatischen Verlust- und Schreckenserlebnissen nur unvollständig beschreiben.2 Mit seiner eloquenten und insgesamt stringent argumentierenden Studie, die auf einer Dissertation an der Princeton University basiert, trägt Frank Biess dazu bei, diese Lücke aufzufüllen.

Die Konzentration auf ehemalige Kriegsgefangene in der Sowjetunion ist grundsätzlich sinnvoll, da dieser Gefangenschaft in verschiedener Hinsicht eine besondere Bedeutung in der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte zukam. Der komparative Zugriff auf Ost- und Westdeutschland erhellt zudem das Wechselspiel individueller bzw. gesellschaftlicher Strategien mit unterschiedlichen Politikstrategien. Auch der von Biess gewählte Zeitrahmen überzeugt: Die Studie setzt 1943 ein, als in Stalingrad nicht nur die endgültige Unausweichlichkeit der deutschen Niederlage manifest wurde, sondern auch erstmals deutsche Soldaten in erheblichem Umfang in sowjetische Hände gerieten. Die Gefangenschaft „in Sibirien“ behielt bis zur Rückkehr der letzten Gefangenen aus der UdSSR 1955/56 einen besonderen Stellenwert für beide deutsche Nachkriegsgesellschaften. Biess gelingt im Übrigen eine Darstellung, die Relativierungen oder Apologien keinerlei Raum lässt.

Die öffentliche Wahrnehmung der so genannten Heimkehrer war in übergeordnete Diskurse über Krieg und Niederlage eingebettet. Diese bestimmten den konkreten politischen Umgang mit den rund zwei Millionen Heimkehrern aus der UdSSR als einem zentralen Aspekt des deutschen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbaus mit; die individuellen Selbstperzeptionen der ehemaligen Soldaten und Gefangenen standen dabei mitunter in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu den gesetzten Rahmenbedingungen und Erwartungshaltungen. Biess verfolgt diesen mehrschichtigen Prozess der Heimkehr chronologisch entlang dreier, mit den Analyseebenen korrespondierender Schlüsselbegriffe – „memory“, „citizenship“ und „masculinity“ (S. 11). Auf diese Weise entwirft er ein umfassendes Gesellschaftspanorama der langen Nachkriegszeit, die sich nicht auf eine kurze und chaotische Vorgeschichte von Wirtschaftswunder oder Sozialismus reduzieren lässt. In diesem umfassenden Kontext kommen neben eingehenden Schilderungen der staatlich-gesellschaftlichen Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (und Gefangene) zwingend auch Kontinuitäten in Richter- und Ärzteschaft oder etwa der problematische erinnerungspolitische Umgang mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland sowie dem Bund Deutscher Offiziere zur Sprache. Seinem Untersuchungsansatz gemäß verzichtet Biess hingegen auf eine für das Gesamtbild sicherlich nicht unwichtige Betrachtung beispielsweise wirtschafts- oder versorgungspolitischer Faktoren. Ohnehin ist der Ansatz methodisch ambitioniert und die Quellenerschließung beeindruckend. Die Quellen stammen aus so unterschiedlichen Archiven wie dem Archiv der Rheinischen Landeskliniken (Bonn) oder dem Archiv der Bayer-AG (Leverkusen).

Die Schlacht von Stalingrad stellte deutsche Behörden und Zivilbevölkerung endgültig vor die Aufgabe, mit wachsenden Verlusten und Gefangenenzahlen deutscher Soldaten umzugehen. Nationalsozialistische Heldenmythen und Endsieg-Parolen fingen Trauer und Sorge der Angehörigen indes immer weniger auf. Zudem ignorierten Staat und Partei das dringende Informationsbedürfnis der Familien von Gefangenen bzw. Vermissten. Mehr noch: Das Reichssicherheitshauptamt tat sein Möglichstes, um selbst die spärlichen Meldungen zu unterdrücken, die über Umwege aus sowjetischen Gefangenenlagern nach Deutschland gelangten. Die Kirchen machten sich daran, das vom Staat hinterlassene Vakuum aufzufüllen, und legten auf diese Weise den Grundstein für ihren hohen gesellschaftlichen Einfluss nach 1945.

Hinsichtlich der Frontsoldaten scheint mir das Konzept der zunehmenden Privatisierung des Kriegs weniger schlüssig. Für Biess’ Studie entscheidender sind aber die unterschiedlichen Perspektiven von „Heimat“ und „Front“ bzw. Gefangenenlager, die nach der Rückkehr der Gefangenen zu verbinden waren. Dabei wurden Ansätze zu relativ differenzierten Schuldanalysen schnell in den Hintergrund gedrängt. Die sich apolitisch gebenden Deutschen schrieben sich eine passive Opferrolle zu, die weder Mitleid noch Anerkennung für die anderen Millionen Menschen erübrigen konnte, welche unter aktiven Verbrechen und Maßnahmen Deutscher gelitten hatten. Während dieser Prozess im Westen besonders von entsprechenden Bemühungen traditioneller bürgerlicher, kirchlicher und nationaler – damit allesamt anti-sowjetischer – Eliten getragen war, wurde er im Osten von den Konsolidierungsbemühungen der neuen kommunistischen Machthaber befeuert.

Die Studie belegt eindrucksvoll das Auseinanderdriften öffentlicher Erinnerungen in Ost- und Westdeutschland unter den Bedingungen des Kalten Kriegs. Das Ziel systemkonformer Staatsbürger bedingte gegenläufige Bestandsaufnahmen von Krieg und Gefangenschaft, die wiederum in höchst unterschiedliche Lehren aus der Vergangenheit mündeten. Im Westen verwandelte sich die Gefangenschaft „im Osten“ zunehmend in einen Sieg über den „roten Totalitarismus“. Die offizielle ostdeutsche Linie dagegen propagierte die Gefangenenlager der UdSSR als Erziehungsanstalten für neue Erbauer des Sozialismus. Platz für deutsche Verbrechen bot indes keine der beiden Denkschulen.

Darüber hinaus hatten Heimkehrer, die deutlich von diesen Musternormen abgewichen waren, mit gesellschaftlich-politischer Ächtung, mitunter gar Verfolgung zu rechnen. In Westdeutschland standen 1948 bis 1956 etwa 100 „Kameradenschinder“ vor Gericht, ehemalige Lagerfunktionäre oder Antifa-Aktivisten, die Mitgefangene schikaniert oder denunziert hatten bzw. haben sollten. Die SED hingegen beteiligte sich ab 1948/49 mit Parteisäuberungen an der stalinistischen Hatz auf einige Tausend ehemalige Kriegsgefangene westlicher (und jugoslawischer) Gewahrsamsmächte. Die unterschiedliche Qualität wie Quantität von Prozessen und Säuberungen verweist bei allen strukturell-funktionalen Gemeinsamkeiten auf die grundlegenden Unterschiede beider Gesellschaftsordnungen zurück. Im Westen wurden hinsichtlich der Kriegsgefangenschaft allmähliche Transformationen öffentlicher Diskurse und politischen Handelns möglich.

Gesellschaftliche Erinnerungen und staatsbildende Strategien führten zwangsläufig zu einer verschiedenartigen Ausgestaltung der Sozialsysteme für Heimkehrer. Kompensationszahlungen für die Jahre der Gefangenschaft, die in der Bundesrepublik früh zur gesetzlichen Norm wurden, standen in der DDR gar nicht erst zur Debatte. Und während im Westen der psychiatrische Umgang mit psychischen Folgeschäden noch jahrelang von zweifelhaften Dogmen der Zwischenkriegszeit bestimmt wurde, verließ sich der Osten im Kern auch hier auf politische Aufklärungs- und Erziehungsarbeit als Gegenmittel. Biess’ Beschreibung des jeweiligen Umgangs mit traumatisierten Gefangenen gehört sicherlich zu den stärksten Kapiteln des Buchs.

Der Ort für die notwendige private Auseinandersetzung mit dem Erlebten war in Ost und West die Familie. Die Belastungen durch – kompensierendes – autoritäres oder staatstreues Auftreten der Hausherren legten die ganze Problematik (erneut) zugeschriebener und/oder angenommener Männlichkeitsbilder bloß; auf Dauer trug dies zu den späteren offenen Generationskonflikten bei. Betrachtet man die von Biess referierten Amerika-kritischen Stimmen in Westdeutschland, hätte ein Abgleich mit den Westheimkehrern möglicherweise ein differenzierteres, vollständigeres Bild zeichnen können. Das kann aber der thematisch anders gelagerten Studie letztlich nicht vorgeworfen werden: Sie erweist sich nicht nur als anregende Lektüre, sondern leitet auf weitere Forschungsfragen hin. Dazu könnte auch die von Biess nur kursorisch geleistete Einbettung deutscher Erinnerungsmuster in europäische Prozesse gehören.3 Künftige Bearbeiter solcher Fragen werden an Frank Biess’ Darstellung nicht vorbeigehen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa: Moeller, Robert G., War Stories: The Search for a Usable Past in the Federal Republic of Germany, Berkeley 2001.
2 Wegweisend hier: Steinbach, Peter, Jenseits von Zeit und Raum. Kriegsgefangenschaft in der Frühgeschichte der Bundesrepublik, in: Universitas 45 (1990), S. 637-658; Geyer, Michael, Das Stigma der Gewalt und das Problem der nationalen Identität, in: Niethammer, Lutz; Jansen, Christian; Weisbrod, Bernd (Hgg.), Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans Mommsen zum 5. November 1995, Berlin 1995, S. 673-698.
3 Vgl. aber bereits: Lagrou, Pieter, The Legacy of Nazi Occupation. Patriotic Memory and National Recovery in Western Europe, 1945–1965, Cambridge 2000.