B. Schneidmüller u.a. (Hrsg.): Heiliges Römisches Reich

Schneidmüller, Bernd; Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa. Dresden 2006 : Sandstein Verlag, ISBN 3-937602-50-X 487 S., Abb. € 50,00

: Die Kaiser des Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I. München 2006 : C.H. Beck Verlag, ISBN 3-406-53598-4 128 S. € 7,90

: Das Heilige Römische Reich. Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte (843-1806). Köln 2005 : Böhlau Verlag, ISBN 3-412-23405-2 343 S., Abb. € 34,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Prietzel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universtät zu Berlin

Im jubiläumsreichen Jahr 2006 jährt sich unter anderem zum zweihundertsten Mal das Ende des Heiligen Römischen Reichs. In Erinnerung an dieses Ereignis werden gleich zwei Ausstellungen veranstaltet. Mit dem Mittelalter beschäftigt sich das Kulturhistorische Museum in Magdeburg, mit der Frühen Neuzeit das Deutsche Historische Museum in Berlin. Das Jubiläum spiegelt sich auch – wie könnte es anders sein – auf dem Buchmarkt.

Im Vorfeld der Magdeburger Ausstellung fand 2004 eine Tagung statt, deren Referate nun von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter herausgegeben wurden. Der Einleitung zufolge sollte die Tagung „Erträge der Forschung bündeln, Probleme benennen, Perspektiven diskutieren“, und zwar in europäischen Zusammenhängen, nämlich „Verflechtungen diskutieren, keine nationalen Begrenzungen“. Das klingt wenig konkret und tatsächlich bietet der Band ein uneinheitliches Bild. Präzise Bestimmungen der Forschungserträge, weitschweifige Überblicke und anregende Entwürfe für neue Forschungsansätze stehen nebeneinander.

Bernd Schneidmüller beschreibt einleitend in einem klug durchdachten Essay die Bedeutung Magdeburgs in der Geschichte des Reichs und vor allem die Bedeutung des Reichs für Magdeburg, auch hinsichtlich der historischen Rückbesinnung auf das Reich. Anschließend stellt Rudolf Schieffer souverän die unterschiedlichen „Konzepte des Kaisertums“ vor, die während des Mittelalters verfolgt wurden.

Marie-Theres Fögen widerlegt schlüssig die gängige Auffassung, dass sich im 12. Jahrhundert der Beginn der Rezeption des römischen Rechts in Italien und die Betonung römischer Bezüge durch das staufische Kaisertum wechselseitig beeinflusst hätten. Vielmehr empfing das römische Recht seine Wertschätzung gerade aus der Vorstellung, es sei überzeitlich gültig, und dies stand einer Instrumentalisierung für aktuelle politische Zwecke entgegen. Auch förderten 1158 keineswegs Bologneser Rechtsgelehrte direkt Friedrich Barbarossas politische Ambitionen. Tatsächlich galt im 12. Jahrhundert den Gelehrten des römischen Rechts (nicht nur in Bologna) ein Bündnis mit dem römischen Kaiser als höchst suspekt.

Der Vielfalt der Kulturen in Kaiserreichen gilt der Beitrag von Michael Borgolte. Er geht zunächst auf die theoretischen Grundlagen der neueren kulturwissenschaftlichen Forschung ein, beschreibt dann die „kulturelle Pluralität“ im byzantinischen Reich und umreißt die Vielfalt der Kulturen im Heiligen Römischen Reich. Die Entwicklung des Reichs und der westeuropäischen Monarchien zeichnet Joachim Ehlers kenntnisreich nach, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Nationsbildung. Gerd Althoff legt dar, wie seit dem frühen 19. Jahrhundert die (vermeintliche) Macht des hochmittelalterlichen Reichs betont wurde. Dieser Blick in die Vergangenheit sollte zunächst nationale Einigungsbestrebungen ermutigen, später zeitgenössische politische Ziele propagandistisch untermauern. Mit dem Jahr 1945 fanden diese Instrumentalisierungen ein Ende.

Drei Aufsätze widmen sich Aspekten der Reichsgeschichte aus dem Blickwinkel der Nachbarwissenschaften: Hermann Fillitz zeichnet aus kunstgeschichtlicher Sicht knapp und kenntnisreich die Geschichte der Reichskleinodien nach. Der Germanist Rolf Bergmann untersucht, welche Bedeutung die „deutsche“ Sprache für das „römische“ Reich besaß und kommt zu dem Schluss, dass sie „für Kaiser und Reich keine besondere Rolle spielte“. Ein weiterer Germanist, Ulrich Müller, zeigt in einem weit gespannten Überblick mit Hilfe zahlreicher Beispiele, dass über das Reich im Hoch- und Spätmittelalter in ganz unterschiedlichen Texten der deutschen Literatur gesprochen wurde.

Die Stellung der Gelehrten im Reich vergleicht Rainer Christoph Schwinges mit jener der akademisch Gebildeten in anderen Regionen Europas. Die Universitäten des Reichs waren dadurch charakterisiert, dass die Mehrzahl ihrer Studenten nur die Artisten-Fakultät besuchte. Die Juristen im Reich waren vor allem Kirchenrechtler, während in Italien und Südfrankreich die Zivilrechtler dominierten. Gelehrte und Studenten aus Deutschland wanderten nach Italien und Frankreich, doch gab es kaum Wanderungen in der Gegenrichtung.

Drei weitere Beiträge widmen sich der Frage, wie die Nachbarländer ihr Verhältnis zum Reich sahen. Das französische Königtum, so führt Jean-Marie Moeglin aus, versuchte stets, den Anspruch des Kaisers auf eine Vorrangstellung abzuwehren. Wenn es nicht um konkrete politische Probleme und Strukturen ging, war das Interesse am Reich in Frankreich jedoch eher gering. Sławomir Gawlas betrachtet die Beziehungen Polens zum Reich, die seit dem 10. Jahrhundert von der Frage nach der Abhängigkeit Polens vom Reich bestimmt waren. Doch wechselte diese Abhängigkeit ihre Formen und zeitigte kaum Auswirkungen auf innerpolnische Verhältnisse. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts konnten die polnischen Könige sich dann unter dem Schutz des Heiligen Stuhls neue Handlungsspielräume verschaffen. In seinem Beitrag über das Verhältnis Italiens zum Reich grenzt sich Hagen Keller energisch vom nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts ab. Das mittelalterliche Italien sei politisch und auch sprachlich so differenziert gewesen, dass eine einheitliche politische Position gegenüber dem Kaiser gar nicht vorstellbar gewesen sei. Im Norden Italiens, in jenem „Reichsitalien“, das Keller näher betrachtet, sahen sich die nordalpinen Herrscher stets vor dasselbe Problem gestellt: Um ihre Ansprüche durchzusetzen, mussten sie sich mit einigen Mächtigen verbünden, andere aber bekämpfen, also selbst zur Partei in den Auseinandersetzungen werden. Nicht „Fremdheit“ des Herrschers war insofern ein Problem für Norditaliener und Römer, sondern ein Herrscher, der keinen Konsens herzustellen vermochte.

Matthias Puhle erläutert, dass angesichts ihrer lockeren Strukturen nicht „die Hanse“ wichtig für das Verhältnis des Reichs zu den nordeuropäischen Ländern war, sondern dass dies für Städtegruppen (vor allem die wendischen Städte) zutraf. Die Reichsferne des Nordens trug dazu bei, dass Königtum und Kernreich die Hanse als Ganzes nicht wahrnahmen. Grundlegendes zur Wirtschaftsgeschichte des Reichs schildert Gerhard Fouquet.

Martin Kintzinger beschäftigt sich mit Zeichen und Imaginationen des Reichs wie der (angeblich) ottonischen Reichskrone, der Bügelkrone als Zeichen des Kaisers und den Quaternionen als Versinnbildlichung der Reichsstände. Ebenfalls „Zeichen des Reichs“ widmet sich Klaus Niehr, nämlich drei Kirchenbauten, die in enger Bindung an Herrscher standen: den Kathedralen in Speyer und Prag sowie der Klosterkirche in Königslutter. Lieselotte E. Saurma-Jeltsch zeigt, dass das Reich in den Reichsstädten symbolisch stets als Summe der Reichsglieder repräsentiert und dem entsprechend die Teilhabe der jeweiligen Stadt am Reich herausgestrichen wurde. Die Stellung des Reichs im mittelalterlichen Europa sowie im Geschichtsbild Europas beschreibt Peter Moraw. Abschließend stellt Stefan Weinfurter Verbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen her. Dabei hebt er unter anderem die noch immer prägende Kraft der alten Geschichtsbilder aus dem 19. Jahrhundert hervor und betont Vielfalt und Anpassungsfähigkeit des Reichs.

Wenn das Gesamtbild des Bandes diffus bleibt, liegt dies auch daran, dass das Jubiläum für die Forschung zur Unzeit kommt. Vor 20 oder 25 Jahren wäre es in eine Phase gefallen, in der sich die Forschung in einem Umbruch befand, und es hätte dazu beitragen können, die Neuorientierung zu bündeln und voranzutreiben. Damals wurden die tradierten Urteile des 19. Jahrhunderts überwunden, dank neuer Ansätze konnten erfrischend neue Blicke auf dieses Reich gewagt werden. Das Königtum des Hochmittelalters wurde als Herrschaft in einer weitgehend oralen Gesellschaft interpretiert, man begann, Rituale und amicitia-Bündnisse zu beachten. Das spätmittelalterliche Reich wurde nicht mehr als Manifestation machtpolitischen Zerfalls und gescheiterter Nationalstaatsbildung abqualifiziert, sondern als politisches Gemeinwesen entdeckt, das in Jahrzehnte währendem Ringen neue, ganz eigene Strukturen entwickelte und sich dank ihrer über Jahrhunderte hinweg als lebensfähig erwies.

Heute aber ist etabliert, was damals neu war. Aus den alten Fragestellungen erwachsen nicht mehr viele wirklich neue Erkenntnisse. Diesen Stand bildet der vorliegende Band ab. Aber er bietet auch hoffnungsvolle Aussichten, denn neue, viel versprechende Herangehensweisen werden angesprochen, die freilich noch wenig konkrete Erträge abgeworfen haben: die Hinwendung zu kulturgeschichtlichen Untersuchungen, zur Beschäftigung mit der kulturellen Vielfalt im Reich, zu Symbolik und Imaginarium des Mittelalters.

An einen größeren Kreis von Leser/innen wendet sich das kurz gehaltene Bändchen über die „Kaiser des Mittelalters“ von B. Schneidmüller. Nach einer Einleitung über „antike Wurzeln“ und „byzantinische Konkurrenten“ folgen sieben Kapitel, welche die Kaiser nacheinander behandeln – nur die Kaiser wohlgemerkt, denn wie der Buchtitel es präzise ausdrückt, liegt das Hauptaugenmerk nicht auf den römisch-deutschen Herrschern insgesamt, sondern nur auf jenen, die den Kaisertitel errangen, und auf dem Kaisertum an sich. Bei genauer Betrachtung zeigen sich bei diesem Vorgehen die altbekannten Spannungen zwischen römisch-deutschem Königtum und Kaisertum: Weder geht eines in dem anderen auf, noch lässt sich beides voneinander trennen. Zu Letzterem aber muss eine Darstellung des Kaisertums, zumal eine auf die Amtsinhaber ausgerichtete, zwangsläufig tendieren. Das Kaisertum erscheint daher in diesem Band meist nur als programmatischer Entwurf oder lediglich als ein Teilbereich in der Politik einiger römisch-deutschen Könige, nämlich als ihre Italien- und Papstpolitik. Dennoch wird der Band, da er flüssig und kenntnisreich geschrieben ist, seinen Lesern sicherlich eine ebenso anregende wie angenehme Lektüre bescheren.

Ebenfalls auf ein breiteres Publikum zielt das weit umfangreichere und reich bebilderte Werk des Mediävisten Klaus Herbers und des Frühneuzeitlers Helmut Neuhaus, die beide in Erlangen lehren. Die politische Geschichte des Römischen Reichs wird in chronologischer Folge von der Karolingerzeit bis 1806 geschildert, strukturelle Entwicklungen werden in Kürze gewürdigt; der Text ist sachlich zuverlässig und angenehm lesbar.

Wenn im Untertitel allerdings die „Schauplätze“ der Geschichte betont werden, so steht dahinter keine durchgängige Konzeption (wie etwa bei den „lieux de mémoire“ im Sinne von Pierre Nora, die in der Einleitung kurz erwähnt werden). Vielmehr wird lediglich – und zwar vor allem im Mittelalter-Teil – die konventionelle chronologische Schilderung durch Hinweise auf Schauplätze, geografische Schwerpunkte der Reichspolitik und Ähnliches angereichert, was häufig aufgesetzt wirkt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Verweise auf die „Schauplätze“ im Wesentlichen dazu dienen, Anknüpfungspunkte für die angestrebte hohe Zahl von Abbildungen zu schaffen.

Diese Abbildungen aber sind in den Kapiteln zum Mittelalter leider großenteils unüberlegt ausgewählt und unzureichend kommentiert. Verständlicherweise steht auch der Mittelalter-Teil dieses Bandes vor dem altbekannten Problem, dass es kaum zeitgenössische Bilder von den angesprochenen Ereignissen gibt. Wie in vielen Publikationen verfällt man hier unter anderem darauf, viel später entstandene Bilder wiederzugeben, die mehr über die Einbildungskraft der Künstler als über das tatsächliche Geschehen aussagen. Der Stich z. B., der die Mongolenschlacht bei Liegnitz 1241 illustrieren soll, stammt von 1630 und zeigt kurioserweise die Mongolen mit Turbanen – er ist also allenfalls für das Türkenbild des 17. Jahrhunderts relevant.

„Schauplätze“ zu zeigen, wäre ein Ausweg – wenn man durchgängig aussagekräftige Abbildungen von baulichen Überresten der tatsächlichen Schauplätze wiedergeben und sinnvoll erläutern würde. Beides geschieht im Mittelalter-Teil kaum. Die Förderung, die Magdeburg durch Otto den Großen erfuhr, illustriert man z. B. mit der Magdeburg-Ansicht aus der Schedelschen Weltchronik von 1493; dass die Stadt im 10. Jahrhundert selbstverständlich ganz anders aussah, wird gar nicht erwähnt. Das Straßburg-Bild aus derselben Chronik ist der Erwähnung der Straßburger Eide von 842 zugeordnet. Weil im Kapitel über die Salierzeit der Erzbischof von Besançon erwähnt wird, fügt man ein Bild von Besançon ein – ausgerechnet von der Zitadelle, die ein Musterbeispiel Vauban’scher Festungsbauten ist, aber gerade deswegen über das 11. Jahrhundert nichts sagt. Wenn die Pfalz von Tribur erwähnt wird, muss ebenfalls ein Bild her – und zwar eines von der sehr viel später entstandenen Pfarrkirche des Dorfes, denn (wie der verblüffte Leser aus der Bildunterschrift erfährt) sie steht „wohl“ (!) dort, wo sich einst die Pfalz befand. Aufgrund der Fülle an undurchdacht ausgesuchten Abbildungen bleibt in den darstellenden Kapiteln für die Bilder der Reichsinsignien kein Platz; sie befinden sich in der „Einführung“, wo auf sie gar nicht Bezug genommen wird. Auch wird der historische Aussagewert der Insignien nicht kommentiert, was auch bei anderen Abbildungen kaum vorkommt. Den Leser/innen ein Foto der Lorscher Torhalle zu bieten, ist z. B. an sich völlig angemessen. Doch wird nicht erläutert, was dieser Bau über Klöster in der Karolingerzeit und die Architektur der Epoche aussagt; statt dessen werden dem Leser nur einige disparate Fakten zur Geschichte des Klosters mitgeteilt – unter anderem, dass seine Bibliothek im 16. Jahrhundert nach Heidelberg und später nach Rom gelangte.

Im Neuzeit-Teil stellen sich diese Probleme in einzelnen Fällen ebenfalls. Eine Merian-Ansicht von Wittstock z. B. sagt nichts über die Schlacht, die dort 1636 stattfand. Insgesamt aber sind Abbildungen und Kommentare besser als im Mittelalter-Teil, teils weil es aus der Frühen Neuzeit mehr zeitgenössische Abbildungen gibt, teils weil mit mehr Problembewusstsein gearbeitet wurde. Leider sind die Illustrationen in diesen Kapiteln oft zu kleinformatig. Auch die erwähnte Stadtansicht von Wittstock kann man daher nur mit Hilfe einer Lupe angemessen würdigen.

Diese Schwächen in der Bebilderung, zumal im Mittelalter-Teil, sind umso ärgerlicher, als der Text die Leser durchaus ansprechen dürfte. Autoren und Verlag haben hier eine Chance vertan.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Weitere Informationen
Heilig - Römisch - Deutsch
Sprache der Publikation
Die Kaiser des Mittelalters
Sprache der Publikation
Das Heilige Römische Reich
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension