te Heesen, Anke; Lutz, Petra (Hrsg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln 2005 : Böhlau Verlag, ISBN 3-412-16604-9 194 S., 30 Farbtafeln € 24,90

Hartung, Olaf (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. . Gütersloh 2006 : Verlag für Regionalgeschichte, ISBN 3-89534-622-5 304 S., 55 SW-Abb. € 29,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Brigitte Kaiser, München

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die museale Ausstellungspraxis professionalisiert. Obgleich die Zahl der deutschsprachigen Publikationen auf diesem Gebiet nach wie vor überschaubar bleibt, geht diese Professionalisierung einher mit einem wachsenden wissenschaftlichen Interesse an museologischen Themen. Davon zeugen auch die zwei vorliegenden Publikationen.

Gleichsam wie ein roter Faden durchziehen zwei gegensätzliche Perspektiven die deutsche Diskussion: Dem Geschichtsmuseum steht das Kunstmuseum und seine Rezeptionsform der unmittelbaren Anschauung des autonomen Werks gegenüber. Diese unterschiedlichen Blickrichtungen finden sich auch in den beiden Sammelbänden wieder. In dem Buch „Dingwelten“, das in der Schriftenreihe des Deutschen Hygiene-Museums Dresden erschienen ist, stehen die musealen Exponate im Zentrum der Betrachtung, und die Kernfrage lautet, wie diese Exponate zu Erkenntnisgegenständen werden. Demgegenüber setzt sich der Band „Museum und Geschichtskultur“ aus historischer Perspektive mit den in Ausstellungen vermittelten Geschichtsbildern auseinander. Gefragt wird nach den geschichtskulturellen Vorstellungen und Selbstverständnissen, die bei musealen Präsentationen maßgeblich waren und es immer noch sind.

Durch seine innovativen und unkonventionellen Ausstellungspräsentationen hat sich das Dresdner Hygiene-Museum mittlerweile in Museumsfachkreisen einen Namen gemacht. Regelmäßig begleitet wird sein experimentelles Vorgehen durch wissenschaftliche Debatten, die sich einerseits mit dem menschlichen Körper und seiner Geschichte sowie andererseits mit aktuellen Formen und Praktiken des Ausstellens befassen. Der Sammelband „Dingwelten“, hervorgegangen aus einer Tagung vom Mai 2004, konzentriert sich besonders auf die Repräsentation des menschlichen Körpers in Objekten.

Der Band ist interdisziplinär angelegt, indem er die unterschiedlichsten Perspektiven auf diese Dinge nebeneinanderstellt. Die künstlerische Sicht steht gleichberechtigt neben der natur- oder kunstwissenschaftlichen Betrachtung. Die Perspektive des Museumspraktikers verbindet sich mit derjenigen des Theoretikers. Auch wenn als Ausgangspunkt die Frage formuliert wurde, ob es zwischen dem Museum, den Künsten und den Wissenschaften einen tragfähigen theoretischen Rahmen für einen Objektbegriff geben könne, wird keine einheitliche Definition des Objektbegriffs angestrebt. Vielmehr sieht die Mitherausgeberin Anke te Heesen die Fruchtbarkeit eines solchen Begriffs gerade in der Unterschiedlichkeit der Perspektiven, die er verknüpfe (S. 18).

Die Herausgeber haben dieses Buch dem im Jahr 2005 verstorbenen Ausstellungsmacher Harald Szeemann gewidmet, der für viele spätere Ausstellungsmacher wegweisend war. Als zentraler Beitrag ist die gekürzte und redaktionell überarbeitete Fassung von Szeemanns Tagungsvortrag abgedruckt. Szeemann beschreibt wichtige Stationen seines „Museums der Obsessionen“. Leider konnte er diesen Text nicht mehr autorisieren und die zahlreichen Abbildungen heraussuchen. Dies ist insofern bedauerlich, weil der auf Bildern basierende Vortrag dadurch schwer nachzuvollziehen ist.

Zwei weitere Beiträge (von HG Merz und Ulrike Grossarth) reflektieren den Umgang mit Dingen beim Ausstellungsmachen und künstlerischen Gestalten. Merz plädiert für sensible Ausstellungsgestaltungen und contra Inszenierungsorgien. Hier sei kritisch angemerkt, dass dieser Ansatz funktioniert, wenn die Ausstellungsgegenstände einen objektimmanenten Reiz besitzen. Insbesondere bei Exponaten aus Flora und Fauna lassen sich oft faszinierende Farben und Formen entdecken. Dagegen kann zum Beispiel die Aneinanderreihung von steinzeitlichen Artefakten ohne kontextualisierende Informationen für einen Laien sehr schnell ermüdend und wenig erkenntnisreich sein. Die Künstlerin Ulrike Grossarth schafft für Alltagsgegenstände im musealen Kontext ein neues Umfeld. Sie will diese Gegenstände von ihrem eigentlichen Gebrauchs- und Funktionswert lösen, damit die Betrachter sie neu entdecken können.

Ein zweiter Themenkomplex mit Beiträgen Hans-Jörg Rheinbergers, Horst Bredekamps und Gottfried Korffs widmet sich dem theoretischen Nachdenken über die „Dingwelten“. Der Biologe Rheinberger befasst sich mit Präparaten, die eine spezielle Objektkategorie bilden, indem sie sowohl der wissenschaftlichen Forschung dienen als auch für Präsentationszwecke geeignet sind. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwirft am Beispiel der Koralle Amphiroa Orbignyana, die Charles Darwin von einer Weltreise mitbrachte und die als Exponat zwischen Natur und Kunst angesiedelt ist, eine Ikonologie des Naturobjekts. Der Kulturwissenschaftler und Ausstellungsmacher Gottfried Korff, der gegenwärtig zu den bedeutendsten Museumstheoretikern im deutschsprachigen Raum zählt, beschäftigt sich in seinem Beitrag mit älteren und neueren Objekttheorien. Seine Überlegungen entwickelt er ausgehend von einer Diskussion des „Gläsernen Menschen“ (der im Deutschen Hygiene-Museum zu sehen ist). Korff verweist darauf, dass die Anordnung der Dinge in einem Raum intensiv an der Produktion von Bedeutungen beteiligt ist. Folglich plädiert er für eine „epistemische Anordnung der Dinge“ (S. 107), die Erkenntnisprozesse beim Betrachter initiieren könne. Die Gestaltung solle jedoch durch die jeweils ausgestellten Dinge bestimmt werden und nicht in eine „freischwebende Szenographie“ münden (S. 102).

Vorschläge für eine Auseinandersetzung mit Museumsdingen auf literarischer Ebene liefern die Aufsätze von Peter Geimer, Marcel Beyer und Bodo-Michael Baumunk. Letzterer entwirft ein fiktives und gleichzeitig sehr spannendes Ausstellungskonzept jenseits gängiger naturwissenschaftlicher Kategorien. Grundlage dafür bildet die „Naturalis historia“ des älteren Plinius, die einzige erhaltene Enzyklopädie der Antike. Im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Taxonomien, die keinen Raum für weitschweifige sozialkritische Kommentare lassen, bieten die Beschreibungen des Plinius einen faszinierenden Fundus an Assoziationsketten.

Mit der Frage, wie man Dinge im Museum zeitgemäß präsentiert, beschäftigen sich Gisela Staupe und Camille Pisani. Dies erörtern sie jeweils mit Rückblick auf die historische Entwicklung anhand eines aktuellen Beispiels: den neuen Dauerausstellungen im Deutschen Hygiene-Museum und im Pariser Musée de l’Homme. In beiden Häusern steht der Mensch im Zentrum der Betrachtung. Ebenfalls mit der Frage der Repräsentation des Menschen im Museum, jedoch von wissenschaftshistorischer Seite, befassen sich die Beiträge von Staffan Müller-Wille und Michael Hagner.

Die Aufsatzsammlung „Museum und Geschichtskultur“ widmet sich – ausgehend von Jörn Rüsens Konzept der Geschichtskultur – den Geschichtsbildern, die in und durch Ausstellungen transportiert werden. Wie zuletzt etwa der Konstanzer Historikertag zeigte, werden Bilder zunehmend als wichtiges Medium für die historische Forschung und Sinnbildung wahrgenommen. Auch historische Ausstellungen tragen dazu bei, materielle und mentale Geschichtsbilder zu formen. Die Beiträge des Bandes „Museum und Geschichtskultur“ stammen von Museumspraktiker/innen, Historiker/innen und Geschichtsdidaktiker/innen.

Der Band untergliedert sich in vier thematische Blöcke. Nach dem ersten Bereich mit grundsätzlichen Überlegungen zum Konzept der Geschichtskultur folgen drei weitere Blöcke mit den Leitkategorien Ästhetik, Politik und Wissenschaft. Einschränkend sei angemerkt, dass diese Kategorien keine klar abgrenzbaren Forschungsbereiche markieren, sondern – wie Rüsen selbst erläutert hat – eher eine heuristische Funktion erfüllen. Manche Beiträge hätten sowohl der ästhetischen als auch der politischen Dimension zugeordnet werden können. Wie der Herausgeber Olaf Hartung betont, soll Rüsens Konzept nicht kanonisiert, sondern kritisch befragt und weiterentwickelt werden (S. 7). Ein markanter Mangel von Rüsens Modell besteht zum Beispiel darin, dass die wirtschaftliche Seite der Geschichtskultur nicht genügend berücksichtigt wird. Bernd Holtwick schlägt in seinem Beitrag deshalb vor, den drei Dimensionen als vierte Dimension „Ökonomie“ hinzuzufügen (S. 158).

Die beiden ersten Aufsätze von Bernd Schönemann und Wolfgang Hasberg sind besonders grundsätzlicher Art. Schönemann entwickelt Überlegungen zum Museum als Institution der Geschichtskultur. Hasberg setzt sich mit den „(un)vereinbaren Konzeptionen“ der Erinnerungs- und Geschichtskultur auseinander. Im zweiten Themenblock sind unter dem Stichwort „Ästhetik“ drei Aufsätze von Annemarie Hürlimann, Bodo von Borries und Manfred Treml zusammengefasst, die sich mit den unterschiedlichen Ansätzen der Kunst- und Geschichtswissenschaft sowie der Geschichtsdidaktik befassen. Ein wesentlicher Aspekt ist das visuelle Lernen: Welche Ziele können damit erreicht werden? Welche Schwierigkeiten können sich dabei ergeben, und was sind mögliche Methoden des visuellen Lernens?

Im Abschnitt „Politik“ spezifizieren fünf Aufsätze von Bernd Holtwick, Ulrike Jureit, Fritz Backhaus, Simone Lässig und Uwe Danker die theoretischen Überlegungen zur Geschichtskultur an konkreten Ausstellungsbeispielen. In einer spannenden Gegenüberstellung beschreibt Ulrike Jureit, die Hauptverantwortliche für die neu entwickelte „Wehrmachtsausstellung“, die erste und die zweite Konzeption. In diesen zwei unterschiedlichen Versionen spiegelte sich auch ein verändertes Bewusstsein im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Sehr deutlich trat dabei zutage, wie sehr die Interpretation durch die Form der Visualisierung gesteuert werden kann. Während die erste Ausstellung die Verbrechen der Wehrmacht durch eindringliche Bilder ins öffentliche Bewusstsein bringen wollte, nahm die zweite Ausstellung die visuellen Elemente wieder deutlich zurück und setzte auf stärkere Differenzierung.

In der vierten Rubrik („Wissenschaft“) widmen sich zwei Beiträge von Gisela Weiß und Olaf Hartung dem Thema „Museum und Geschichtskultur“ im historischen Rückblick. Weiß beschreibt das spannungsvolle Verhältnis zwischen Museumsdisziplin und Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, während Hartung unterschiedliche Museumskonzeptionen des 19. Jahrhunderts in Deutschland vorstellt. Der abschließende Aufsatz von Karl Heinrich Pohl kann als Resumée gelesen werden. Mit didaktischen Begriffen wie „offenes Geschichtsbild“ (S. 280), „Multiperspektivität“ (S. 282) und „Kontroversität“ (ebd.) beschreibt Pohl Kriterien, die für die Gestaltung von künftigen historischen Ausstellungen herangezogen werden können. Obgleich sich die Vorschläge in der gegenwärtigen Ausstellungsszene wahrscheinlich nur partiell umsetzen lassen, wie Pohl selbst realistisch-nüchtern konstatiert, so hofft er dennoch, dass grundsätzliche Intentionen der Geschichtswissenschaft und -didaktik den Ausstellungsmachern bewusst werden und in die Planungen einfließen können (S. 286).

Beide hier vorgestellten Bücher nähern sich aus unterschiedlichen Perspektiven dem Themenkreis Präsentation – Vermittlung – Bildung. Auch wenn die Ansätze höchst unterschiedlicher Art sind, kristallisiert sich dennoch eine Gemeinsamkeit heraus: Basierend auf einem konstruktivistischen Ansatz wird Präsentationen der Vorzug gegeben, die kein geschlossenes Geschichtsbild entwerfen, semantische Offenheit bieten und produktive Irritationen bewirken.

Die zwei Publikationen stehen im breiteren Zusammenhang einer sich entwickelnden Bildwissenschaft und signalisieren ein steigendes Interesse an den Bildwelten, die mittels musealer Präsentationen entworfen werden. Im Hinblick auf die museale Ausstellungspraxis bedeutet dies, dass kompetente Ausstellungsmacher/innen und -kritiker/innen von großer Wichtigkeit sind, die Ausstellungsbilder nicht nur entwerfen, sondern deren mögliche Wirkungen mitreflektieren können. Insofern sind beide Bände als Indizien für eine zunehmende Sensibilisierung auf diesem Gebiet zu sehen. Sie tragen dazu bei, die zeitgenössische Ausstellungskultur kritisch zu beleuchten und historisch einzuordnen. Jedem, der sich mit Fragen des Ausstellens, Präsentierens und Vermittelns intensiv auseinandersetzen will, können sie als anregende Lektüre empfohlen werden.

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