B. Perz: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart

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Titel
Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart.


Autor(en)
Perz, Bertrand
Erschienen
Innsbruck 2006: StudienVerlag
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Skriebeleit, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

„Ein Platz, der in jedem anderen Lande eine Weihestätte wäre, ist bei uns eine Mistgstätn und [ein] Kartoffelacker.“ (S. 64) So beklagte der Flossenbürg-Überlebende und spätere Vorsitzende des internationalen Mauthausen-Komitees, Heinrich Dürmayer, im Mai 1947 den Umgang mit den baulichen Überresten des KZ Mauthausen. Endlich liegt nun eine umfassende Monografie zur Transformation dieses ehemaligen Konzentrationslagers von einer „Mistgstätn“ zum zentralen österreichischen Erinnerungsort an NS-Verbrechen vor. Bertrand Perz, zusammen mit Florian Freund einer der profundesten Mauthausen-Historiografen1, hat nach über 15-jähriger Forschungsarbeit mit diesem Buch, das aus seiner Wiener Habilitationsschrift hervorgegangen ist, ein elementares Werk zur Nachkriegs- und Rezeptionsgeschichte dieses ehemaligen Konzentrationslagers vorgelegt.

Nach Harold Marcuses Studie über den „Gebrauch und Missbrauch“ des ehemaligen KZ Dachau2 liegt mit Perz’ Arbeit das zweite Einzelwerk über die Nachkriegsgeschichte eines ehemaligen Konzentrationslagers vor. Die unterschiedlichen politischen Kontexte, in die beide Lagerorte nach 1945 eingebettet waren – hier die amerikanische Besatzungszone, dort die sowjetische Verwaltung in einem sich als „erstes Opfer Hitlers“ neu erfindenden souveränen Österreich –, deuten die voneinander abweichenden Koordinaten der beiden Bücher jedoch nur auf historisch-politischer Ebene an. Wesentlicher sind die unterschiedlichen konzeptionellen Zugänge. Während Marcuse einen theoretisch schwungvollen, im Detail allerdings nicht immer überzeugenden Entwurf wagt und verschiedene „Mythen“ im Umgang mit den symbolischen Hinterlassenschaften des KZ Dachau aus 60 Jahren Nachkriegsgeschichte destilliert, bewegt sich Perz stets auf dem sicheren Feld seiner detailreichen Quellenkenntnis. Gerade dieser Ansatz macht die besondere Stärke von Perz’ Buch aus.

Perz’ Schwerpunkt ist der Umgang mit dem historischen Ort und dessen Umwidmung in eine Gedenkstätte. In zehn Kapiteln zeichnet er chronologisch die zentralen Ereignisse dieser Entwicklungsgeschichte nach. Perz beschreibt zunächst die Situation des ehemaligen Lagers von der Befreiung bis zum Ende der amerikanischen und sowjetischen Kontrolle (Kapitel 2). Mit der Übernahme des (Teil-)Geländes durch die Republik Österreich im Jahr 1947 beginnt für Perz im Hinblick auf Erhalt und Zerstörung der Lagersubstanz die Phase entscheidender Weichenstellungen (Kapitel 3). Die Beschreibung des Kampfes um die geeigneten Repräsentationsformen der KZ-Geschichte einerseits, mehr aber noch die heftigen Konflikte um die Deutungsmacht der verschiedenen Erinnerungsgemeinschaften des KZ Mauthausen bilden den analytischen Kern von Perz’ Studie (Kapitel 4-6). Einem Exkurs zur Erinnerungskultur an exemplarischen Außenlagerorten (Kapitel 7) folgt die Schilderung der für Perz entscheidenden Zäsur in der Entwicklung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, die Einrichtung eines Museums (Kapitel 8). In den letzten beiden Kapiteln skizziert er in groben Zügen die für ihn nun eher diskursiven Veränderungen im Umgang mit den symbolischen Relikten des Lagers und entdeckt dabei einen zunehmenden Hang zur Eventkultur (Kapitel 9). Perz schließt mit einem kurzen kritischen Ausblick auf die seit Ende der 1990er-Jahre angemahnten und schließlich realisierten Reformvorhaben in der Gedenkstätte Mauthausen, die mit der Eröffnung des neuen Besucherzentrums im Jahr 2004 einen vorläufigen Abschluss gefunden haben (Kapitel 10).

Wie ähnlich die erinnerungskulturellen Dispositionen und Bedürfnisse unabhängig von der politischen Herkunft der Akteure oder der jeweiligen Besatzungszonen zunächst waren, zeigt Perz bei der Beschreibung der Mauthausener Zustände bis 1947. Ehrenvolle Bestattung der Toten, Errichtung von Friedhöfen und Schaffung kommemorativer Würdeformen waren die Ziele von Befreiern, Besatzern und ehemaligen Häftlingen gleichermaßen. Da sich früh eine Interessenvertretung ehemaliger – nicht ausschließlich Mauthausener – KZ-Häftlinge konstituierte, der von KPÖ-Kadern dominierte KZ-Verband, gelang es in den Übergabeverhandlungen zwischen sowjetischer Besatzungsmacht und der Republik Österreich, diese zur Errichtung einer Gedenkstätte in Mauthausen zu verpflichten. Die Beseitigung des Zustandes einer „Mistgstätn“ ging aber nicht nur auf das Bedürfnis österreichischer KZ-Überlebender zurück, den früheren Lagerort dauerhaft zu markieren. Zugleich bot dies dem Bedürfnis der neuen Republik Österreich, sich als „erstes Opfer Hitlers“ zu definieren, den geeigneten Raum und Anlass. Auch konservative politische Kreise unterstützten die Schaffung einer Gedenkstätte in Mauthausen, mittels derer sich der neue Staatsmythos trefflich inszenieren ließ. Ähnlich wie in den zu „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ umfunktionierten früheren Konzentrationslagern auf dem Territorium der DDR wandelte sich das erinnerungspolitische Programm vom ehrenden Eingedenken an die Opfer hin zur Betonung des politischen Kampfes, in diesem Fall für ein freies Österreich. Der Gesamterhalt des Lagergeländes wurde jedoch von keinem der Akteure gefordert. Das gemeinsame Ziel der unterschiedlichen politischen Lager war die Transformation der Relikte in eine politische bzw. religiös-christliche, wahrnehmbar martyrologisch geprägte und dominant auf Österreich bezogene Gedächtnislandschaft. Dies bedeutete, dass bestimmte Überreste des Lagers – wie Zaun und Türme sowie die Baracken in Appellplatznähe – zwar erhalten, mittels Denkmalsetzungen aber symbolisch vereindeutigt werden sollten.

So bestimmte der Kampf um die jeweils als richtig empfundenen Repräsentationsformen die Auseinandersetzungen um das ehemalige Lagergelände. Das Kernlager als Ort der Häftlinge wurde stark memorial überformt oder selektiv konserviert, während andere Lagerbereiche mutwillig der Zerstörung anheimfielen. Der Konflikt verschärfte sich mit dem Beginn des Kalten Krieges sowohl innerösterreichisch als auch außenpolitisch: In Österreich nahm die Konfrontation zwischen kommunistischem KZ-Verband und den sich politisch restaurierenden, auf die Reintegration von NS-Funktionsträgern setzenden Regierungsebenen deutlich zu. Außenpolitisch wurde Mauthausen, nicht zuletzt durch die aktiven Beziehungen zwischen dem KZ-Verband und diversen sozialistischen Staaten, zunehmend als geschichtspolitische Arena entdeckt, auf der sich die „in bipolarer Systemkonkurrenz gegenüberstehenden Staaten während des Kalten Krieges auf neutralem Boden nach außen hin repräsentieren konnten“ (S. 169). In der Konsequenz entstand auf dem Areal zwischen Häftlingsbereich und Steinbruch ab den 1950er-Jahren ein einzigartiger Denkmalspark aus einer Vielzahl nationalstaatlicher Denkmäler. Damit setzte sich die Fragmentierung des Gedenkens fort, die nicht nur in Mauthausen von Anbeginn die Erinnerung an die Opfer des Konzentrationslagers dominierte. Jüdische Gruppen wurden bei der Gestaltung der Gedenkstätte bis in die 1960er-Jahre hinein vollkommen ignoriert – sowohl von Seiten der Regierung als auch von Seiten des KZ-Verbandes.

Nach einem konzisen Exkurs zur Erinnerung an die Mauthausener Außenlager Gusen, Ebensee und einige andere geht Perz in den letzten Kapiteln leider etwas die Luft aus. Im Kapitel zur Errichtung eines Museums in Mauthausen, mit der für Perz der Funktionswandel vom Überrest zum Friedhof und Denkmal abgeschlossen ist, verliert sich nicht nur die bisherige Dynamik seiner Darstellung; hier rächt sich auch die weitgehende Theorieabstinenz. Außer dem dürren Fußnotenverweis auf Cornelia Brinks Dissertation3 hätte man sich neben der rein ereignisgeschichtlichen Darstellung doch etwas mehr reflexive Kontextualisierung des Mauthausener Ausstellungsprojektes aus dem Jahr 1970 gewünscht. Auch zu der nur schlaglichtartig beleuchteten Entwicklung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zwischen 1970 und 2000 (unter den Abschnitten „Die Gedenkstätte als Ort der Vermittlung von Zeitgeschichte“, „Rechtsextremismus und Mauthausen“ oder „Mauthausen und die Eventkultur“) gäbe es die eine oder andere Nachfrage. Andererseits ist anzuerkennen, dass sich Perz dabei zurücknimmt, da er selbst an vielen aktuelleren Prozessen aktiv beteiligt war und seine Rolle als wissenschaftlicher Analytiker nur schwerlich hätte durchhalten können.

Es ist eines der größten Verdienste von Perz’ Ansatz, durch seine quellentreue Akribie und ohne jegliches Moralisieren oder naives Harmonisieren die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Fraktionen ehemaliger Häftlinge und den jeweiligen Regierungsvertretern darzustellen. Er bietet dem Leser eine nüchterne, überaus komplexe und dichte Beschreibung, die ihr kritisches Potenzial gerade dadurch voll entfalten kann. Perz hat mit seiner Studie nicht nur das Standardwerk zur Nachkriegsentwicklung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vorgelegt. Gerade bei weiteren komparatistischen Forschungen zu Repräsentationsformen der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und zur „zweiten Geschichte“ der Konzentrationslager, besonders aber bei der Untersuchung von Erinnerungsgemeinschaften und deren Binnenkommunikation wird künftig auf Bertrand Perz’ Werk zurückzugreifen sein.

Anmerkungen:
1 Aus der Fülle seiner Publikationen zu Mauthausen seien nur exemplarisch erwähnt: Perz, Bertrand, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Berichte zur Geschichte der Erinnerung: Österreich, in: Knigge, Volkhard; Frei, Norbert (Hgg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 150-162, ferner: ders.; Wimmer, Mario, Geschichte der Gedenkstätte, in: Das Gedächtnis von Mauthausen, hg. vom österreichischen Bundesministerium für Inneres, Wien 2004, S. 58-74.
2 Marcuse, Harold, Legacies of Dachau. The Uses and Abuses of a Concentration Camp, 1933-2001, Cambridge 2001. Leider ist bisher keine deutsche Übersetzung erschienen.
3 Brink, Cornelia, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998.

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