N. Volkert: Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg

Titel
Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg. Versuch eines Vergleichs zwischen den Zielsetzungen und Praktiken der deutschen und der sowjetischen Beuteorganisationen unter Berücksichtigung der Restitutionsfragen


Autor(en)
Volkert, Natalia
Erschienen
Frankf. am Main 2000: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 40,40
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Kroeger, Martin

In ihrer in Mainz entstandenen Magisterarbeit vergleicht Volkert den gegenseitigen Kulturgutraub der nationalsozialistischen und der stalinistischen Diktatur. Dieser höchst interessante Aspekt ist in bisherigen Forschungen zum Thema unbeachtet geblieben. Für die Darstellung der deutschen Beuteorganisationen kann sich die Autorin auf umfassende Vorarbeiten stützen (Ulrike Hartung, Raubzüge in der Sowjetunion; Anja Heuß, Kunst- und Kulturgutraub). Für die sowjetische Seite ist die Forschungsbasis ungleich schmäler. Die Arbeit schöpft ihre Ergebnisse deshalb aus veröffentlichten Quellen, einigen Moskauer Archivalien und der Literatur zum Thema. Die einschlägigen Archive in Rußland sind dagegen für die Forschung unzugänglich. Dennoch zeigt sich, daß der Vergleich lohnt.

Das Beutegreifen war in der Geschichte der Kriegsführung beileibe kein neues Phänomen, als zuerst Hitlers und später Stalins Kulturräuber ihre Feldzüge dazu benutzten, zusammenzuraffen, was nur irgend beweglich war (und oftmals zu zerstören, was sich nicht bewegen ließ). Volkerts weist auf die Vorbildfunktion Napoleons hin, befindet jedoch, daß die akribische Planung, die fachmännische Durchführung und das riesige Ausmaß die Raubaktionen des Zweiten Weltkriegs einzigartig machen. Beide Diktaturen hätten den späteren systematischen und völkerrechtswidrigen Raub von Kulturgut in eroberten Gebieten zunächst mit einer ideologisch fundierten Politik totalitärer Kulturbeherrschung und -kontrolle im eigenen Land vorgeprägt.

Dieser Befund reicht hinein bis in die Evakuierungspraktiken beider Staaten, die die vor Kriegseinwirkung zu schützenden eigenen Kulturgüter nach ideologischen Prämissen selektierten. Die beiden Kriegsgegner unterhielten eine ganze Anzahl von Institutionen, die sich dem Beutemachen im Kriege widmeten. Hierbei standen die deutschen Kollegen häufiger zueinander in Konkurrenz, während die sowjetischen "Kollegen" weitaus stärker hierarchisch gegliedert waren. Kompetenzstreitigkeiten gab es aber auf beiden Seiten. War der Kulturraub für die Nationalsozialisten eine Form der Unterdrückung von ihnen als minderwertig eingestufter Menschen, so waren die "Trophäenbrigaden" der Sowjets oft von Vergeltungsgefühlen geleitet. Aber den Anspruch, kultureller Alleinerbe der Menschheit zu sein, erhob man in Moskau genauso wie in Berlin. Strebte Hitler nach einem Führermuseum in Linz, so wollte Stalin in Moskau ein "Supermuseum" bauen lassen. Zu den weiteren Gemeinsamkeiten, die Volkert benennt, gehören die Geheimhaltung der zielgenauen und fachkundigen Vorbereitung, die Tarnung der Raubaktionen unter militärischem Deckmantel und hinter euphemistischen Sprachregelungen sowie die keineswegs seltene persönliche Bereicherung der Handelnden.

Im Herausarbeiten der Gemeinsamkeiten liegen die Stärken der Arbeit, andere Aspekte vermögen nicht in gleichem Maße zu überzeugen. So zählt die Verfasserin zu den Unterschieden in der Raubpraxis, daß die Deutschen mit dem "Übel" angefangen hätten, die UdSSR anders als Deutschland ein "moralisches Recht" geltend machen konnte, und sie sich die weitaus größere "Mühe" gegeben habe, ihre Beschlagnahmungen zu legitimieren. Vorsichtig knüpft Volkert daran die These, die Sowjets könnten ihren Kulturraub von den Deutschen "erlernt" haben. Dies sei in weiterer Archivarbeit zu untersuchen.

Tatsächlich ist zu wünschen, daß sich die russischen Archive öffnen. Was dem im Wege steht, schildert die Autorin in ihrem raffenden Überblick der bisherigen deutsch-russischen Restitutionsverhandlungen und der innerrussischen Entwicklungen in diesem Bereich. Dieser Teil der Arbeit wird von der Aktualität eingeholt werden. In jenem Teil aber, der sich dem Vergleich der Praxis des Kulturraubs widmet, hat Volkert einen Weg beschritten, auf dem weiter zu gehen lohnt.

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Rezension hervorgegangen aus der Kooperation mit der Zeitschrift Neue Politische Literatur (NPL), Darmstadt (Redaktionelle Betreuung: Simone Gruen). http://www.ifs.tu-darmstadt.de/npl/
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