A. Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft

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Titel
Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung


Autor(en)
Griesebner, Andrea
Erschienen
Wien 2005: Löcker
Anzahl Seiten
202 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Blimlinger, Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung, Universität für angewandte Kunst Wien

Einerseits schreibt die an der Universität Wien lehrende Historikerin Andrea Griesebner in ihrer Einführung in die feministische Geschichtswissenschaft über den Beginn des Frauenstudiums, die Situation von weiblichen Studierenden und Lehrenden im Fach Geschichte an der Universität Wien seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute und andererseits fasst sie die wichtigsten theoretischen und methodischen Entwicklungen seit der Zweiten Frauenbewegung im Zusammenhang mit Frauengeschichte und Geschlechtergeschichte zusammen. In erster Linie will Griesebner, wie alle, die Einführungen in die Geschichtswissenschaft publizieren, Studierende adressieren. Durchaus mit dem Gestus der Heldinnengeschichte wird den Studierenden vermittelt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen- und Geschlechtergeschichte an den Universitäten gelehrt wird, dass die feministische Geschichtswissenschaft in den 1970er-Jahren gegen Widerstände der etablierten, institutionalisierten Geschichtswissenschaft ankämpfen musste, dass es Männer waren und sind, die hier verhindern. „Schaut hin, wie schwer es war und wie schwer es eigentlich noch immer ist“, wird immer wieder insinuiert, wenn es um das Berufsfeld Wissenschaft, um die Situation der Historikerinnen an den österreichischen Universitäten geht. Und wenn es für Historikerinnen schwer war und unbestreitbar immer noch ist, eine wissenschaftliche Karriere zu machen, wird die Geschichte dadurch, wie sie von Griesebner erzählt wird, zwangsläufig eine dichotom gehaltene Narration, die darin mündet, ausschließlich die männlichen Kollegen für die auftretenden Schwierigkeiten verantwortlich zu machen.

Ausgeblendet werden dabei unterschiedliche universitäre-hierarchische Positionen von Frauen, jegliche Diskussionen, ja auch Streitereien, Auffassungsunterschiede im strategischen Vorgehen und Widersprüche zwischen den Wissenschaftlerinnen, die seit den 1980er-Jahren an österreichischen Universitäten und im außeruniversitären Feld stattfinden und durchaus berufliche Konsequenzen für Wissenschaftlerinnen hatten. Die Darstellung und teilweise Analyse der Unterschiede zwischen Historikerinnen beschränken sich auf methodische und theoretische Ansätze und Entwicklungen: die Konstruktion der Kategorie Geschlecht basierend auf der Diskussion von sex and gender und die dann folgende Dekonstruktion, Frauen als Opfer und/oder als (Mit-)Täterinnen, pro und contra linguistic turn, frauen- und erfahrungsgeschichtliche Perspektiven versus diskursanalytische Ansätze, diskurstheoretische und konstruktivistische Positionen etc. Die Sensibilität, die Griesebner „für Unterschiede zwischen Männern und Frauen wie auch zwischen Frauen bzw. Männern untereinander“ (S. 170) einfordert, fehlt gänzlich wenn es um die Formationsprozesse der ‚modernen’ Wissenschaften geht.

Wenn es um die Konstituierung und Institutionalisierung der Frauengeschichte und/oder der feministischen Geschichtswissenschaft im akademischen Feld geht, wird vor allem die Entwicklung in Österreich und hier speziell an der Universität Wien thematisiert und dadurch auch der Kreis der Adressaten/innen letztlich regional beschränkt. In der Darstellung der unterschiedlichen theoretischen und methodischen Entwicklungen nimmt Griesebner jedoch fast ausschließlich auf die internationale Diskussion Bezug. Forschungen und Publikationen aus Österreich bleiben – sofern es nicht ihre eigenen sind – nahezu unberücksichtigt, was für in Österreich Studierende die eigenartige Perspektive vermittelt, es würde sie nicht geben. Bezug nehmend auf die Arbeiten von Johann Martin Chladenius proklamiert Griesebner zu Beginn des Buches gewissermaßen als zentralen Zugang, dass „die feministische Geschichtsschreibung von einem feministischen Sehepunkt, aus einer feministischen Perspektive definiert werden“ (S. 15) kann. „Was aber eine feministische Perspektive ausmacht, kann nicht unabhängig von Zeit und Raum bestimmt werden, sondern ist immer in Relation zu den Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu sehen, die die Gegenwart des Erzählers/der Erzählerin, […] bestimmen.“ (S. 15) Über die Gegenwart der Erzählerin erfahren wir kaum etwas, was jedoch, wie ich meine, in diesem Zusammenhang relevant wäre. Eine Kurzbiografie der Autorin fehlt, und so kann nur auf die im Text verstreuten biografischen Hinweise geachtet werden. „Ich werde meinen Blick neuerlich auf Österreich fokussieren und die Universität Wien privilegieren, an der ich zwischen 1985 und 1989 studiert habe und an der ich seit 1992 in verschiedenen Positionen (wissenschaftliche Mitarbeiterin, Univ. Assistentin und seit 2001 ao. Professorin) beschäftigt bin.“ (S. 65) Griesebner unterschlägt dabei, dass sie in unterschiedlichen, auch akademischen Funktionen an den dargestellten Entwicklungen in der einen oder anderen Weise beteiligt war, wie übrigens die Rezensentin auch. Diese Innensicht wird jedoch in keiner Weise thematisiert, geschweige denn problematisiert oder gar reflektiert. Nicht zuletzt deswegen bleiben inhaltliche, universitäts- und personalpolitische Konflikte ausgespart. Ein Beispiel: Griesebner fasst zusammen, dass in Österreich und Deutschland unterschiedliche Institutionalisierungsstrategien verfolgt wurden. Die Wissenschaftlerinnen in Österreich hatten sich – im Gegensatz zu Deutschland – „für eine ‚integrative’ Politik entschieden“ (S. 159). Wer sich an die jahrelangen, langwierigen, äußerst kontroversen Debatten erinnert oder nachliest, weiß, dass diese als Entscheidung bezeichnete Situation mitnichten eine – so wie es sich hier liest – durch etwa inhaltliche Erwägungen getroffene war. Vielmehr waren es politische und zusätzlich jeweils universitätspolitische Konstellationen, Planstellenbewirtschaftung, Seilschaften und Netzwerke, persönliche Vorlieben und Versorgungsfragen für einzelne Wissenschaftlerinnen, die ausschlaggebend waren, wie, was, wann und warum institutionalisiert werden konnte oder nicht. Die unterschiedlichen Positionen werden überdies bis heute vertreten.

Griesebner verweist dann auch auf eine angebliche Ausnahme der „integrativen“ Politik am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, die ja gar keine Ausnahme war, wie die Ausschreibung deutlich zeigt. Dort hätten sich Studentinnen und Wissenschaftlerinnen für die Einrichtung einer Professur für das Politische System Österreichs mit besonderer Berücksichtigung der Frauenforschung engagiert. „Diese Professur ist seit Oktober 1988 mit Claudia von Werlhoff besetzt“ (S. 159), heißt es da lapidar. Wer hier den einen oder anderen Zeitungsartikel, Aufzeichnungen oder gar Literatur 1 zur Hand nimmt, kann über die jahrelangen Konflikte, um nicht zu sagen Vernichtungen – und zwar zwischen den Wissenschaftlerinnen – im Vorfeld wie auch und vor allem nach der Berufung von Werlhof [mit einem f und nicht wie bei Griesebner mit zwei!] lesen. Ein Beispiel für eine Konfliktgeschichte, die in einer Einführung in die feministische Geschichtswissenschaft keinesfalls fehlen sollte, nicht zuletzt um zu vermitteln, dass etwaige Konflikte, die Studentinnen mit Kolleginnen oder weiblichen Lehrenden haben, nichts Neues sind.

Griesebner kritisiert zu Recht die old boys’ networks mit Zitierkartellen, Patronagen oder Publikationsmöglichkeiten. Eine Einführung in die feministische Geschichtswissenschaft, die jedoch einerseits durch das nicht Zitieren grundlegender Literatur2 und anderer einführender Lehr- und Textbücher3 und andererseits durch das Zitieren durchaus entbehrlicher Literatur in diesem Zusammenhang den Eindruck erweckt, selbst Teil eines Zitierkartells zu sein oder ein solches etablieren zu wollen, mag zwar den Studierenden Einsicht in die akademische Realität vermitteln, wünschenswert ist solch wissenschaftlich fragwürdige – wiewohl gängige – Einseitigkeit jedoch nicht.

Das Buch ist leider nicht sehr sorgfältig ediert und – eigentlich gar nicht – lektoriert. Die im Inhaltsverzeichnis genannten Seitenangaben finden fast durchwegs keine Korrespondenz im Text. Da und dort fehlt überhaupt die Paginierung der Seite. Namen werden einmal falsch, einmal richtig geschrieben. Im Register, das ein Personenregister ist, fehlen zahlreiche im Text genannte Personen. Eine Einführung, die für Studierende gedacht ist, sollte hier jene Kriterien erfüllen, die von ihnen bei Proseminar-, Seminar- und Diplomarbeiten als Standards eingefordert werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Einführung in die feministische Geschichte für die zweite Auflage – sollte es eine solche geben – gründlich bearbeitet und korrigiert werden sollte. Wünschenswert wäre es überdies die beiden Bereiche – die Entwicklungen an den österreichischen Universitäten beziehungsweise der Universität Wien, sowie der internationale methodisch theoretische Diskurs – stärker aufeinander zu beziehen und dadurch zu erweitern.

Anmerkungen:
1 Vergleiche zum Beispiel die Artikel von Erna Appelt und Sieglinde Rosenberger sowie von Claudia von Werlhof im Band: Seiser, Gertraud; Knollmayer, Eva (Hgg.), Von den Bemühungen der Frauen in der Wissenschaft Fuß zu fassen (Materialien zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft 3), Wien 1994.
2 Geiger, Brigitte; Hacker, Hanna, Donauwalzer Damenwahl. Frauenbewegte Zusammenhänge in Österreich, Wien 1989.
3 Zum Beispiel werden aus dem Band Gehmacher, Johanna; Mesner, Maria (Hgg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte. Positionen/Perspektiven (Querschnitte 14), Innsbruck 2003 lediglich einige Artikel zitiert, der Band als ganzer jedoch wird nicht genannt.

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