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Titel
Deutschland und der Völkerbund 1918-1926.


Autor(en)
Wintzer, Joachim
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
634 Seiten
Preis
€ 98.-
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Gottfried Niedhart Universität Mannheim, Historisches Seminar

Auf den Völkerbund wurde in Deutschland nach seiner Gründung 1919 ganz überwiegend negativ reagiert. Dafür sind, wie Joachim Wintzer in seiner nun publizierten und ergänzten Heidelberger Dissertation aus dem Jahr 1998 erkennen lässt, im wesentlichen zwei Gründe zu nennen. Zum einen hatte man, nachdem 1918 der Versuch der OHL gescheitert war, mit militärischen Mitteln einen für Deutschland vorteilhaften Frieden zu erzwingen, auf den amerikanischen Präsidenten Wilson gesetzt, der die Schaffung einer „allgemeinen Gesellschaft der Nationen“ schon in seinen Vierzehn Punkten vom Januar 1918 angekündigt hatte. Erst in der Stunde der Niederlage – also aus der Sicht der Siegermächte zu spät – wurde der „Wilson-Friede“ für Deutschland attraktiv. Die Vorteile, die das besiegte Deutschland aus einem liberalen Frieden mit dem Völkerbund als internationaler Organisation gezogen hätte, sollten ihm vorerst verwehrt leiben. Daraufhin wurde der Völkerbund in Deutschland nicht mehr als Rettungsanker angesehen, sondern als Allianz der Siegermächte, die den Status quo mit einem seiner Großmachtinsignien beraubten Deutschland perpetuieren wollten.

Zum anderen hatte die Ablehnung des Völkerbunds damit zu tun, dass er einen außenpolitischen Paradigmenwechsel implizierte. Krieg wurde delegitimiert, und der klassische Nationalstaat verlor in der Frage von Krieg und Frieden seine Rolle als autonomer Akteur im internationalen System. Um kriegerischen Konfliktaustrag zu verhindern, sollten internationale Konflikte nicht mehr ausschließlich aus der Perspektive der als national definierten Eigeninteressen betrachtet werden. Sollte die Norm des Friedens als handlungsleitende Idee verpflichtend sein, waren die Nationalstaaten und ihre Gesellschaften dazu gezwungen, in internationalen bzw. transnationalen Zusammenhängen zu denken und ihr Konfliktverhalten darauf auszurichten. Dieser Paradigmenwechsel bedeutete für alle Staaten ein radikales Umdenken, das überall schwer fiel, nicht zuletzt ausgerechnet in den USA, wo eine ausreichende Mehrheit im Senat für einen amerikanischen Völkerbundsbeitritt nicht zustande kam. In Deutschland, dessen politisch-militärische Führung ohnehin zu unilateralen Lösungen geneigt hatte, verlief der erforderliche Lernprozess besonders mühsam. Vergleichsweise früh erkannte Gustav Stresemann dessen Notwendigkeit (und zugleich dessen Opportunität). Seine im Zeichen des Umdenkens stehende Entspannungspolitik mit ihrem multilateralen Interessenausgleich hatte nur mit Hilfe der oppositionellen Sozialdemokraten eine Mehrheit und stieß, wie Wintzer, die bisherige Forschung bestätigend verdeutlicht, vielfach auf Vorbehalte. Reichspräsident Hindenburg etwa widerstrebte die internationale Einbindung. Den Völkerbund lehnte er als „internationale Quatschgesellschaft“ rundheraus ab.

Dies ist der Rahmen, den Wintzer mit seiner voluminösen Arbeit ausfüllen will. Auf breiter Quellengrundlage stellt er für Politik und Öffentlichkeit dar, „welche Dispositionen zu welchen Handlungsalternativen bezüglich des deutschen Verhältnisses zum Völkerbund für die Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 und der Übergabe des deutschen Beitrittsgesuchs im Februar 1926 bestanden haben.“ (S. 14) Im wesentlichen liefert Wintzer einen detailversessenen Überblick zur Völkerbundsdebatte und –politik, für den er 420 Seiten benötigt. Was auch immer in der Reichskanzlei, im Auswärtigen Amt oder seitens der diplomatischen Vertretungen im Ausland zum Völkerbund zu Papier gebracht wurde, kann hier nachgelesen werden. Dasselbe gilt für die Presse, die politischen Parteien oder für Organisationen wie die Deutsche Liga für Völkerbund oder Quiddes Deutsche Friedensgesellschaft. Die Stärke des Buches liegt in der Dokumentation, die den Schwerpunkt auf die staatlichen Akten legt und Monat für Monat alles registriert, was zum Völkerbund gesagt und geschrieben worden ist. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass auch nichtdeutsche Stimmen unter Verwendung archivalischer Quellen ausgiebig zu Wort kommen, darunter nicht nur diejenigen der Ententemächte, sondern auch Österreichs und der Schweiz sowie des Völkerbundssekretariats. Mit diesem strikt dem zeitlichen Ablauf verpflichteten Verfahren handelt sich der Autor freilich den Nachteil ein, dass er für einzelne Etappen immer wieder auf dieselben oder ähnliche Einstellungs- und Argumentationsmuster stößt und damit Wiederholungen unvermeidlich werden.

Dem „chronologischen“ ist ein „systematischer Teil vorgeschaltet, wo ein Überblick zu den Institutionen, Gruppen und Gedankenbildungen in Deutschland und im übrigen Europa gegeben wird, die im weiteren Verlauf der Darstellung eine Rolle spielen. Ferner werden die internationalen Rahmenbedingungen besprochen. Ohne seinen Systembegriff näher zu bestimmen, meint Wintzer, „das internationale System“ habe es in den 1920er Jahren „nicht gegeben“. Vielmehr lasse „sich das Geschehen besser erklären, wenn heuristisch von drei internationalen Systemen ausgegangen wird.“ Unterschieden werden das „Versailler System“, das an der Kategorie der Macht ausgerichtet war, das „Weltwirtschaftssystem“, das Wintzer der „Logik der Marktkräfte unterworfen“ sieht, und das „Genfer System“, das auf „den universalen Wilsonschen Prinzipien“ beruhte. (S. 59). Dieser bescheidene Ansatz auf der Suche nach leitenden Fragestellungen wird vom Autor allerdings im Hauptteil seines Buches kaum weiterverfolgt. Wintzer vermag unsere Kenntnisse im einzelnen zu ergänzen, kommt insgesamt aber nicht über die wenig originelle Feststellung hinaus, „dass mit Locarno und Völkerbundsbeitritt sowohl innen- als auch außenpolitisch gesehen der vielversprechendste Weg beschritten worden ist.“ (S. 568)

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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