C. Lehmler: Syrakus unter Agathokles und Hieron II.

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Titel
Syrakus unter Agathokles und Hieron II.. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole


Autor(en)
Lehmler, Caroline
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Verlag Antike
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Initium mirandi Graecorum artium opera - so sieht Livius (25,40,2) die Auswirkungen der römischen Eroberung der Metropole Syrakus 212 v.Chr. auf die Römer. Doch unter welchen Umständen waren die Kunstwerke in Syrakus im Jahrhundert vor der römischen Eroberung entstanden? Inwieweit dienten sie der Herrschaftsrepräsentation? Und war Syrakus ein mit Alexandria oder Pergamon vergleichbares kulturelles Zentrum? Diesen Fragen geht die im Jahr 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichte Dissertation von Caroline Lehmler nach. Sie untersucht, welche "Kulturpolitik" Agathokles und Hieron II. in Syrakus betrieben.1 Die Problematik des Begriffs wird sorgfältig aufgezeigt (S. 17-19), wobei Lehmler zu Recht vor einer Verwechslung mit dem heutigem Verständnis warnt: Hinter der antiken Kunstförderung ist kein ideologisch durchkonstruiertes Herrschaftskonzept zu sehen. Dennoch wird natürlich der kulturelle Maßstab durch die herrschende Elite als Auftraggeberin kultureller Tätigkeit bestimmt, die Kunst vermittelt somit zum Teil auch deren Werte. Zudem lassen sich die Tyrannen des 3. Jahrhunderts v.Chr. durchaus im Kontext der hellenistischen Monarchie und damit der "charismatischen Herrschaft" (Weber) bzw. "personal-viktorialen Königsherrschaft" (Gehrke) verstehen, sodass Kulturpolitik sowohl dem außenpolitischen Prestige wie der innenpolitischen Integration dienen sollte (S. 14ff.). Lehmler versucht mit ihrer Arbeit auch, die mehrheitlich kunstgeschichtlichen und historiografischen Untersuchungen zu Syrakus um eine kulturgeschichtliche zu erweitern. Dazu zieht sie sowohl historiografische wie numismatische und archäologische Zeugnisse heran.2

Die Einleitung (S. 13-33) umfasst neben der terminologischen und methodischen Eingrenzung und einem knappen Forschungsüberblick vor allem einen Abschnitt zu den antiken Quellen, insbesondere zu Diodor und Polybios (S. 25-33). Methodisch fragwürdig ist, dass Lehmler hierbei kaum nach den Intentionen der antiken Autoren fragt, was gerade bei den später entstandenen Werken für eine sorgfältige Beurteilung des Quellenwertes notwendig gewesen wäre. So beschränkt sie sich auf eine Aufzählung der von den antiken Autoren jeweils verwendeten Quellen, ohne auf deren Arbeitstechnik einzugehen.3 In einem knappen historischen Überblick über die Geschichte Syrakus' im 3. Jahrhundert v.Chr. (S. 34-59) zeigt Lehmler auf, dass Agathokles insofern einen für Sizilien neuen Herrschertypus darstellte, als er mit seiner Eroberungspolitik (die ja nach Nordafrika ausgriff) an Alexanders Vorbild anzuknüpfen versuchte. Nur konsequent war es da, dass er 304 auch den Königstitel annahm (zur Datierungsfrage S. 43) und sich der hellenistischen Monarchie annäherte (S. 46-48). Hieron II. gelang es besser als Agathokles, die syrakusanischen oligarchischen Familien, mit denen er auch familiäre Bande knüpfte, zu integrieren. Insgesamt scheint seine Herrschaft eine höhere Akzeptanz erreicht zu haben, was vor allem auf die wirtschaftliche Prosperität zurückzuführen sein dürfte.

Ausführlich geht Lehmler auf die Münzprägungen ein (S. 60-96), die im Hellenismus in stärkerem Maße von den Machthabern als politisches Medium eingesetzt wurden. Agathokles' imitatio Alexandri wird im Zuge des Afrikafeldzugs und des "Kampfs des Hellenentums gegen die Karthager" deutlich (310-307/05 v.Chr.). Herrscherdarstellungen auf Münzen finden sich erst unter Hieron II., neben dem König selbst werden später auch seine Ehefrau Philistis und sein Sohn Gelon abgebildet. Hierons Münzen betonen die wirtschaftliche Prosperität und die Kontinuität der Regierung. Insgesamt zeigen die Münzprägungen unter Agathokles und Hieron nach Lehmler den Übergang von der lokalen Tyrannis zum hellenistischen Königtum: Die Machthaber übernehmen das Münzrecht und damit die Verantwortung für die Prägungen, neben traditionellen Bildern tauchen neue hellenistische Elemente auf, die Herrscherabbildungen schließlich sind Ausdruck der monarchischen Herrschaftsform. Ausführlich erörtert Lehmler die Bautätigkeit der beiden Machthaber in Syrakus (S. 97-155), wobei die Frage im Vordergrund steht, inwieweit diese der herrscherlichen Selbstdarstellung dienten. Für Agathokles sind neben Befestigungen nur wenige Bauten überliefert; die Herrschaftsrepräsentation scheint auf einen kleinen Kreis von Adressaten beschränkt gewesen zu sein, die Zugang zur Ortygia hatten. Die Bautätigkeit unter Hieron II. war um einiges umfangreicher. Vor allem die Neapolis wurde einer monumentalen Erneuerung unterzogen (Theater, Theaterterrasse, Großer Altar). Die Bedeutung der Bauten für die herrscherliche Selbstdarstellung wird an den Inschriften im Theater deutlich: Die Namen der Mitglieder der Herrscherfamilie scheinen neben Götternamen zur Bezeichnung der Kerkides verwendet worden zu sein. Auffällig ist die Verehrung des Zeus Olympios, dessen Name an prominenter Stelle im Theater erscheint. Ihm dürfte auch der Große Altar geweiht worden sein, ferner ist ein Olympieion in der Achradina belegt. Dieser Kult hatte in Syrakus eine sehr alte Tradition: Sein oberster Priester, der Amphipolos, war der höchste, eponyme Beamte der Stadt. Hieron knüpfte somit zum einen an diese alten Traditionen an, zum anderen betonte er mit dem olympischen Zeus auch monarchische Ideale. Ein Staatskult für Hieron, vergleichbar den Entwicklungen im östlichen Mittelmeerraum ist im Übrigen nicht nachweisbar.

Schwierig zu beurteilen sind die Auswirkungen der Kulturpolitik auf Städte im syrakusanischen Machtbereich (S. 156-188): Angesichts des Fehlens schriftlicher Quellen kann nur auf die schwer datierbaren archäologischen Zeugnisse zurückgegriffen werden. Daher ist Lehmler zu Recht skeptisch bezüglich einer Annahme von syrakusanischer Einflussnahme. Eine Bau- oder Kulturpolitik der syrakusanischen Machthaber lässt sich nicht nachweisen; vielmehr wurden die Bauten von den lokalen Oberschichten finanziert. Historisch äußerst heikel ist der von Lehmler verwendete Begriff der "bürgerlichen Oberschicht" - zu eindeutig besetzt ist der Begriff des "Bürgers" als historischer Terminus für die europäische Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, als dass man ihn so einfach auf die Antike übertragen könnte.

Besser nachweisen lässt sich die Kulturpolitik in hellenistischen Staaten (S. 189-209): Beide Monarchen bemühten sich um familiäre Kontakte zu anderen Dynastien. Während für Agathokles keine Stiftungen belegt sind, ist Hieron II. als Spender in Delphi, Olympia und auf Rhodos präsent. Sein Euergetismus äußerte sich vor allem in Getreidelieferungen, unter anderem an Rom. Adressaten dieser Stiftungen und Spenden waren neben den anderen hellenistischen Monarchen und Poleis auch die eigenen Untertanen. In diesen Kontext gehört auch das Prachtschiff "Syrakosia" (S. 210-232), das der Zurschaustellung von technischen Möglichkeiten und herrscherlichem Prunk, aber auch der Wohltätigkeit diente, als es, mit Getreide gefüllt, nach Alexandria geschickt wurde, um in einer Hungersnot Hilfe zu bringen. Ausgangspunkt der Untersuchung zur "Syrakosia" ist Athenaios' Darstellung. Hierbei vermisst man allerdings eine sorgfältigere Quellenkritik - die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Beschreibung hätte genauer erörtert werden müssen.

Insgesamt gelingt es Lehmler gut, an Agathokles und Hieron II. Formen der herrscherlichen Selbstdarstellung im Hellenismus durch Kulturpolitik aufzuzeigen. Dabei geht sie vor allem in der Arbeit mit den archäologischen Quellen sehr sorgfältig vor, hinterfragt immer wieder deren Aussagekraft und nimmt kritisch Stellung zu schlecht begründbaren Forschungsmeinungen. Der Umgang mit den literarischen Zeugnissen erreicht nicht dasselbe Niveau, sondern bleibt oberflächlicher - mit einer sorgfältigeren Quellenanalyse und -kritik hätte man einen größeren Erkenntnisgewinn erzielen können. Insgesamt jedoch ist die Arbeit an einem bislang weniger beachteten westgriechischen Beispiel ein Gewinn für die Untersuchung von hellenistischer Kulturpolitik im Allgemeinen.

Anmerkungen:
1 Methodisch orientiert sie sich dabei an: Schalles, Hans-Joachim, Untersuchungen zur Kulturpolitik der pergamenischen Herrscher im 3. Jh. v. Chr., Tübingen 1985.
2 Unter der neueren von Lehmler verwendeten Literatur seien vor allem genannt: Langher, Consolo; Nerina, Sebastiana, Agatocle. Da capoparte a monarca fondatore di un regno tra Cartagine e i Diadochi (Pelorias 6), Messina 2000; Caltabiano Maria, Caccamo (Hg.), La Sicilia tra l'Egitto e Roma. La monetazione Siracusana dell'età di Ierone II. Atti del Seminario di Studi Messina 2-4 dicembre 1993, Messina 1995; Cacciamo Caltabiano, Maria; Carroccio, Benedetto; Oteri, Emilia, Siracusa ellenistica. Le monete 'regali' di Ierone II, della sua famiglia e dei Siracusani (Pelorias 2), Messina 1997.
3 So heißt es zum Beispiel über die in der Forschung umstrittene Beurteilung von Diodors Werk lediglich: "Ohne hier auf die Problematik von Diodors Werk näher einzugehen, wird man dem Autor im Rahmen der sizilischen Geschichte doch eine gewisse Kompetenz zugestehen dürfen, da er selbst aus Sizilien stammte und vermutlich direkten Zugang zu den verschiedenen Formen der Dokumentation besaß" (S. 25). Hier hätte Lehmler zumindest auf Diodors Arbeitsweise und Intentionen eingehen müssen.

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