Titel
Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten


Herausgeber
Wegner, Bernd
Erschienen
Paderborn 2000: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
DM 78,00
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Wilfried von Bredow

Die noch junge Reihe „Krieg in der Geschichte“, die von Stig Förster, Bernard R. Kroener und Bernd Wegner herausgegeben wird, hat, weil sie Impulse aus der Militärgeschichtsschreibung neuer Art sowie aus der Geschichte internationaler Politik aufgegriffen und miteinander verflochten hat, bereits jetzt einen sehr guten Ruf. Ihre programmatische Offenheit für die methodische Vielfalt der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft, ihr weiter Horizont vom Altertum bis zur Gegenwart und die in ihren Studien angestrebte Integration von zwischenstaatlichen und binnengesellschaftlichen Vorgängen machen sie zu einem vorbildlichen Unternehmen avancierter Historiographie jenseits der nicht selten ja ebenso bitteren wie kleinlichen Historikerstreits.

Bernd Wegner hat in diesem Band der Reihe dreizehn Aufsätze über Kriegsursachen zusammengestellt, wobei der zeitliche Rahmen von der für die Athener Flotte katastrophal endenden Sizilianischen Expedition 415 v. Chr. bis zum Kriegsgeschehen im ehemaligen Jugoslawien reicht. Freilich geht es nur um Beispiele und nicht um eine zeit-flächendeckende Betrachtung, wie auch anders. Jedoch kommen durch diese Einzelbeispiele zugleich Fragestellungen, analytische Perspektiven und Deutungskonzepte in den Blick, die auf zuweilen verblüffende Art die Fruchtbarkeit des Vergleichs in der Geschichtswissenschaft hervorheben.

Das geht einem schon in dem ersten Aufsatz des Bandes auf, in dem Loretana de Libero „Antike Wege in den Krieg“ beschreibt, eben in einem Vergleich zwischen der Sizilianischen Expedition und dem 2. Makedonischen Krieg der Römer 200 bis 197 v. Chr. Sie konzentriert sich auf jene Zeitspanne, in welcher in Athen bzw. in Rom öffentlich darüber entschieden wurde, mit Kriegshandlungen zu beginnen, und fragt insbesondere nach den Beweggründen der mitstimmenden Athener oder Römer: Warum stimmten sie für den Krieg? In beiden Fällen wurde von den Befürwortern kräftig und erfolgreich manipuliert – „Stimmung machen“ für den Krieg, sei es über das Vehikel der Furcht oder über versteckte und offene Appelle an den Eigennutz, ist eine Kunst, die auch heute in großer Blüte steht. „People do not commit political violence without discourses“, hat der Politologe David Apter geschrieben – so damals wie heute.

Diese Diskurse in den Herrschaftseliten und im sogenannten Volk geraten auch in den anderen Beiträgen dieses Bandes immer wieder in den Brennpunkt der Analyse. Die Herausgeber haben eine sichere Hand bei der Auswahl der Autoren bewiesen – nicht wenige darunter nutzten die Chance, ihre von der Fachwelt als besonders anregend empfundenen umfangreichen Studien zu einem bestimmten historischen Konfliktgeschehen hier anschaulich, übersichtlich und gut lesbar zusammenzufassen. So sind die mir am besten gefallenden Aufsätze von Johannes Burkhardt über den Dreißigjährigen Krieg, von T. C. Blanning über die französischen Revolutionskriege, von Stig Förster über den Ersten Weltkrieg und von Klaus-Jürgen Müller über den Kriegsausbruch 1939 ungemein informationsdicht gearbeitete Texte, die Verständnis für die komplexen Zusammenhänge, in welchen die wichtigsten Akteure handelten, zu wecken verstehen. Daß es sich dabei keineswegs um ein tout comprendre, c’est tout pardonner handelt, versteht sich von selbst. Besonders deutlich wird das an Stig Försters Aufsatz, in dem auch auf die nationalistische Affirmations-Historiographie der vergangenen Jahrzehnte eingegangen wird, die im Falle Deutschlands ja seit den frühen sechziger Jahren ein negatives Vorzeichen trägt, ohne daß sie deswegen weniger nationalistisch wäre. Wenn man, wie es Förster und durchgängig alle Autoren in diesem Band tun, die Politik, die zum Krieg führt, konsequent als internationale Politik begreift, ohne im übrigen die binnen-gesellschaftlichen Beschleunigungs- oder Verlangsamungsfaktoren zu vernachlässigen, ergibt sich ein erheblich zuverlässigeres Bild von den historischen Vorgängen.

Die Herausgeber haben die Beiträge in drei Blöcken angeordnet: „Zur Vorgeschichte neuzeitlicher Staatenkonflikte“ heißt der erste (darin findet sich außer dem Beitrag von de Libero noch ein Aufsatz von Norbert Ohler über Kriege im Mittelalter). „Zur Genese der großen Europäischen Kriege“ ist der zweite und umfangreichste Block überschrieben. Neben den genannten Aufsätzen stößt man hier auf weitere lesenswerte Texte von Eckardt Opitz über den Nordischen Krieg 1700 bis 1721, John B. Hattendorf über den Spanischen Erbfolgekrieg, Bernhard R. Kroener über den Siebenjährigen Krieg und Winfried Baumgart über den Krimkrieg 1853 bis 1856. Der dritte Block trägt die etwas kryptische Überschrift „Die Transformation des Krieges“ und umfaßt drei Beiträge. Wilfried Loth schreibt über den Kalten Krieg, der ja selbst keiner war, aber viele lokale und regionale Konflikte nach 1945 zu „Stellvertreterkriegen“ eskalieren ließ. Klaus Jürgen Gantzel, kein Historiker, sondern ein Politologe und offensichtlich wohlgelitten im Kreis der Geschichtswissenschaftler (das war vor nicht langer Zeit anders!), faßt die statistischen Untersuchungen des Hamburger Projekts zu den Ursachen von Kriegen nach 1945 übersichtlich zusammen. Der letzte Aufsatz des Bandes erweist sich als ein Meisterstück quellen-gesättigter, darstellungs- und urteilssicherer Zeitgeschichtsschreibung: Wolfgang Höpkens fünfzigseitiger Aufsatz über die Konflikte und Kriegshandlungen im ehemaligen Jugoslawien zwischen 1991 und 1995 ist ein brillantes Beispiel für eine distanzierte und scharfäugige Analyse auch hoch-verwickelter und nun wirklich von „der Parteien Gunst und Mißgunst verzerrter“ Sachverhalte.

Insgesamt haben wir es hier mit einem konzeptionell wie inhaltlich überzeugenden Sammelband zu tun, der nicht nur unsere historischen Kenntnisse erweitert und vertieft, sondern der uns auch die von den nur allzu durchsichtigen Historikerstreits der letzten Jahrzehnte etwas vergällte Vorstellung vom Nutzen der Historiographie für die adäquatere Erkenntnis der Gegenwart wieder schmackhaft zu machen versteht.

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Rezension hervorgegangen aus der Kooperation mit der Zeitschrift Neue Politische Literatur (NPL), Darmstadt (Redaktionelle Betreuung: Simone Gruen). http://www.ifs.tu-darmstadt.de/npl/
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