J. Schäfer: Vermessen - gezeichnet - verlacht

Titel
Vermessen - gezeichnet - verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918-1933


Autor(en)
Schäfer, Julia
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
436 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Wein, Institut für Kulturwissenschaft an der Universität Bremen

Die Studie von Julia Schäfer, die aus ihrer Dissertation hervorgegangen ist, weckt dem Titel nach großes Interesse. Sie lehnt ihre Herangehensweise unter anderem an die zentrale kunstgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Studie von Michaela Haibl über die visuellen Darstellungen von Juden und die wegweisende Untersuchung von Klaus Hödl bezüglich der Konstruktion des jüdischen Körpers an.1 Allerdings behandeln beide Studien die Zeit bis 1900, so dass die spezifische Zeit der Weimarer Republik und wohl auch der Ersten Republik in Österreich bezüglich der vorherrschenden Judenbilder durchaus noch nicht erschöpfend erforscht ist.

Julia Schäfer geht es vornehmlich um Körper- und Bildwahrnehmung, die in einer kunsthistorischen Betrachtung, aber auch interdisziplinär über geschichts- und literaturwissenschaftliche Zugänge rekonstruiert werden. Die Ausgangsfrage, die sie auf die beiden populären Zeitschriften, den österreichischen christlichsozialen „Kikeriki“ und den deutschen sozialdemokratischen „Wahren Jacob“ anwendet, lautet: Ob und wie spezifische Judenbilder verwendet wurden (S. 14). Das erste Kapitel ist der historischen Bildforschung, der Karikatur und der Geschichte des antijüdischen Bildes sowie dem jeweiligen Forschungsstand darüber gewidmet. In Kapitel zwei stellt sie den Kontext der beiden Zeitschriften und deren Partei-Hintergrund von SPD und Christlich-Sozialen Partei Österreichs – wobei der „Kikeriki“ keine eindeutige Parteizeitschrift ist – dar. In diesem kurzen Kapitel handelt sie auch strukturelle Fragen zur Komparatistik beider Zeitschriften ab. Es wird deutlich, dass es Schäfer weniger um einen Vergleich geht, der die Karikaturen auch ideologiekritisch hinterfragen könnte. Im dritten Kapitel folgt eine Einordnung von „Kultur als Deutungsrahmen“, in dem sie die „Semiotik des antijüdischen Bildes“ hervorhebt. In den folgenden Kapiteln arbeitet Schäfer die Stereotype physiologischer Merkmale des, wie sie es nennt, „jüdisierten“ Bildes heraus mit vielen interessanten Ausflügen in die zeitgenössischen Diskurse der „Rasse“-forschung, der Konstruktion des (antijüdischen) Volkskörpers sowie ausführlichen Darstellungen medizin-biologischer Kategorien. Das letzte Kapitel hebt sich vom Rest der Arbeit ab und nimmt eher historiografisch den Kontext der sozialistischen Bildsprache in den Blick.

Einen methodologischen Schwerpunkt legt Julia Schäfer auf die Ikonologie und sie jongliert mit verschiedenen Begrifflichkeiten aus der Kunstgeschichte und der Literaturwissenschaft wie dem der komparatistischen Imagologie. Dabei betont sie, dass es lediglich um die Rekonstruktion eines Zusammenhangs gehen kann, um eine Hermeneutik des Zweifels, da – ganz poststrukturalistisch – das Verhältnis zwischen Betrachter/Leser und Text/Bild zeitlich und kulturell einem steten Prozess unterliegt und deshalb keine endgültige Bedeutung erkannt werden könne (S. 34). Folgerichtig spart sie auch nicht mit Kritik an verschiedenen Ansätzen, die trotz ähnlichem methodischen Herangehen weitergehende Schlüsse ziehen, wie Michaela Haibl, Michael Sauer und Nicoline Hortzitz.2 Außerdem stellt sie ein Desiderat in der historisch fundierten Bildtheorie fest.

Problematisch ist Schäfers verkürzende Kritik am Konzept des kulturellen Codes von Shulamit Volkov3, das sie, anstatt es weiterführend für ihren Ansatz nutzbar zu machen, ablehnt, weil hier von einem nationalen Kulturbegriff ausgegangen werde, den Schäfer zu weit gefasst findet (S. 63, 293). Sie muss sich jedoch fragen lassen, wie „‚der Jude’ als Kollektivsymbol“ (S. 108) – dem sie zu Recht breiten Raum gibt – korrespondiert mit ihrem postulierten engen Begriff von Kultur. Konsequent zu Ende gedacht wäre, wenn nur in bestimmten Teilkulturen ein gleiches Kulturverständnis herrschen würde, gar kein kollektives (nationales) Symbol möglich. Ist es nicht so, dass die von ihr unmissverständlich aufgezeigten physischen Stigmata des jüdisch konstruierten Körpers sie quasi selbst widerlegen? Der sich seit Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzende pathologisierende Blick auf ‚den jüdischen Körper’ bewirkt doch gerade, dass in einer Karikatur, egal ob im „Kikeriki“, im „Wahren Jacob“ oder einer beliebigen anderen populären Zeitschrift, die ‚Jüdisches’ darstellen wollte: große Ohren, eine bestimmte Nase, Beine, Füße oder Gestik zur Anwendung kamen und dies unisono gedeutet und verstanden wurde! (Ob eine ausgedrückte pejorative Haltung gleichermaßen geteilt wurde, ist damit noch nicht erwiesen.) Der Prototyp dieses Stereotyps ist ‚der kleine Cohn’, bei dem, wie Schäfer darstellt (S. 82-85), sozusagen alle antisemitischen Zuschreibungen zusammenlaufen. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, wenn sie schreibt: „Die humoristisch angelegte Figur des kleinen Cohn kann nicht eindeutig als antisemitische Ikone bestimmt werden“, sie wird bei Schäfer verniedlichend der „Popkultur der Jahrhundertwende“ (S. 82) zugeschlagen.

Durch die Studie hindurch taucht immer wieder das ebenfalls konstruierte Bild ‚des Arbeiters’ als Vergleichs- oder Kontrastfolie zum ‚Judenbild’ auf. Leider wird die Plausibilität dieses komparatistischen Ansatzes auch nicht in Kapitel sechs eingelöst, in dem es ein Unterkapitel über die Idealisierung des Arbeiters gibt, worin lediglich Beispiele der SPD verwendet werden. Das nächste Unterkapitel betrachtet das Bild vom „bolschewistischen Monster“, das jedoch freilich ausschließlich im „Kikeriki“ vorkommt. Im Unterkapitel „Proletariat und Judentum – zwischen Pathologie und Normierung“ (S. 306-324) erfahren die Lesenden unter anderem etwas über die Politik der österreichischen Christlich Sozialen Partei (die z.B. im zweiten Kapitel fehlt), die christliche Ikonografie des „Kikeriki“ und die Figur des Arbeiters bzw. Michelreiters. Damit soll angedeutet werden, dass die Studie immer wieder hin- und her springt, eine klare Linie und greifbare Ergebnisse schwer zu finden sind. Dies liegt vermutlich auch an der verarbeiteten Themenvielfalt, wobei an einigen Stellen nicht deutlich wird, weshalb gerade dieses Beispiel oder jener Exkurs für die Thematik notwendig war. Darüber hinaus baut Schäfer zu Beginn mehrere interessante Fragestellungen ein, bei denen der/die Lesende am Ende feststellt, dass sie nicht tiefergehend behandelt wurden, wie z.B. die Frage nach einer Veränderung der Bildsprache in den Zeitschriften von 1918 bis 1933.

Ein Grund für diese gewisse Uneindeutigkeit liegt meines Erachtens darin, dass Schäfer die Studie als Vergleich angelegt hat. Am österreichischen „Kikeriki“, der durchgehend und zunehmend einen offensichtlichen und aggressiv antisemitischen Stil pflegte (seit 1930 schmiegte er sich explizit an die antisemitische NSDAP an, siehe S. 260), sind die Umsetzungen der zeitgenössischen Diskurse antijüdischer Stigmatisierung unverkennbar und gut nachgewiesen. Der „Wahre Jakob“ steht dem gegenüber selbstverständlich als ‚nicht so schlimm’ da. Die ganz spezifische Stereotypisierung kann dadurch nur ungenügend analysiert werden. Dazu drei Beispiele: Wenn der „Wahre Jacob“ 1919 tatsächlich Deutschland als geraubte Frau eines ‚Gorilla-Siegers’ darstellte (siehe die Andeutung auf S. 234, Anm. 173), erforderte dies eine gesonderte Analyse. Ebenso wird eine weitere Karikatur des „Wahren Jacob“ von 1915 nicht in ihrer Tragweite erfasst: in eindeutig antisemitischer Manier widmet diese sich nämlich der vermeintlichen Wehruntauglichkeit von Juden (Abb. 56, besprochen auf S. 248). Drittens zeigt Schäfer auf, dass im „Wahren Jacob“ mitunter ein rassistisches Bild von Schwarzen gezeichnet wurde. Eine „rasse“-biologische Sichtweise, die mit Darwinschen evolutionärer Reihen arbeitet und Schwarze auf eine niedrigere Entwicklungsstufe im Gegensatz zum ‚arischen’ Typus stellt, bzw. Juden in Tierallegorien verunglimpft, gab es dagegen bei der SPD natürlich nicht (vgl. S. 234-247). Nicht zuletzt dies macht deutlich, dass Antisemitismus mehr ist als eine Form des Rassismus. Deshalb wurde hier eine Chance auf eine luzide Analyse der versteckten, aber durchaus vorhandenen und decouvrierbaren antisemitischen Stereotype in Teilkulturen, wie der sozialdemokratischen, die manifesten Antisemitismus ächtete, verpasst.

Schäfer hat viele empirische Beispiele zeitgenössischer Diskurse untersucht, so dass auch Kennerinnen und Kennern der Materie der eine oder andere Bezug neu sein dürfte. Aber es ist ihr nicht überzeugend gelungen, dieses Wissen zu bündeln und zu interpretieren, um eine fruchtbare Weiterentwicklung oder Kritik bekannter Thesen zu ermöglichen.

Anmerkungen:
1 Haibl, Michaela, Zerrbild als Stereotyp. Visuelle Darstellungen von Juden zwischen 1850 und 1900, Berlin 2000; Hödl, Klaus, Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siècle, Wien 1997. Die aufschlussreiche Studie von Rosemarie Leuschen-Seppel zur Frage des Antisemitismus in der Sozialdemokratie im Kaiserreich, worin auch Karikaturen im „Wahren Jacob“ untersucht werden, erwähnt Schäfer nicht: Leuschen-Seppel, Rosemarie, Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich. Die Auseinandersetzungen der Partei mit den konservativen und völkischen Strömungen des Antisemitismus 1871-1914, Bonn 1978.
2 Haibl, Michaela; Sauer, Michael, Bilder (Stichwort zur Geschichtsdidaktik), in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 114-124; Hortzitz, Nicoline, Sprache der Judenfeindschaft, in: Schoeps, Julius H.; Schlör, Joachim (Hgg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen, München, Zürich 1995.
3 Volkov, Shulamit, Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990. Darin ihr viel zitierter Essay: Antisemitismus als kultureller Code von 1978.

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