Cover
Titel
Bending Spines. The Propagandas of Nazi Germany and the German Democratic Republic


Autor(en)
Bytwerk, Randall L.
Reihe
Rhetoric and Public Affairs Series
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 228 S.
Preis
€ 16,73
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Wissenschaftszentrum Berlin

In der historischen Sozialwissenschaft werden dem Vergleich gern magische Eigenschaften zugeschrieben: Er sei nicht nur geeignet, die historistischen Verengungen der Nationalgeschichte zu überwinden, sondern diene auch dazu, ausgetretene Pfade der Sozialgeschichte zu verlassen. Kurzum, der Vergleich sei der Königsweg kritischer Geschichtswissenschaft. Für die Zeitgeschichte bildet der Diktaturenvergleich eine besondere Subdisziplin der historischen Komparatistik. Aus einer vergleichenden Perspektive, so lautet ein Credo der Jahre nach 1989, seien die modernen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts erst zu klassifizieren und dann auch besser zu erklären. Randall Bytwerk hat sich den deutschen Fall vorgenommen und vergleicht die Propaganda der DDR und des nationalsozialistischen Deutschland. Dabei verzichtet er weitgehend auf Vorüberlegungen zur Methode und Stoßrichtung eines deutsch-deutschen Diktaturenvergleiches. Vielmehr stützt er sich auf die Idee der politischen Religion, genauer gesagt auf die Vorstellung, dass man mit Analogien zur und Begriffen aus der christlichen Religion sowohl das NS-Reich als auch die SED-Diktatur adäquat beschreiben kann. Dementsprechend handeln einzelne Kapitel seiner Studie von „säkularem Glauben“, „Doktrinen“, „Hierarchien“ und „Evangelisten“. Auch im Text arbeitet sich der Verfasser an seiner Idee ab, moderne Propaganda sei ein „quasi-religiöses Phänomen“; seine Annäherung an die Thematik bezeichnet er dann – im Jargon bleibend – als „unorthodox“ (S. 11).

Was erfährt man in Bytwerks Studie? Der Autor vermittelt zu Beginn einige der zentralen Botschaften des nationalsozialistischen und des kommunistischen Propagandastaates. Bereits in der Zusammenfassung des ersten Kapitels erfährt der Leser zudem, dass die Propaganda beider Staaten alle „externen Charakteristika“ einer Religion entwickelten: „ewige Gewalten, absolute Wahrheiten, heilige Texte und säkulare Glaubensformen“ (S. 36). Im zweiten Kapitel setzt sich der Verfasser mit dem unterschiedlichen Verständnis auseinander, das der Nationalsozialismus und die SED von Propaganda hatten und kommt zu dem Schluss die Nazis seien „Pietisten“, die Kommunisten dagegen „Kinder der Aufklärung“ gewesen (S. 53). Hilfreicher für das Verständnis der beiden deutschen Propagandastaaten sind die im dritten Kapitel referierten Strukturen verschiedener Institutionen. Hier wird das organisatorische Chaos des nationalsozialistischen Maßnahmestaates dem vermeintlich geordneteren Parteistaat stalinistischen Musters gegenübergestellt. Es wäre aufschlussreich gewesen, wenn empirisch gezeigt worden wäre, wie sich diese Organisationsformen in der Praxis verhielten. Im anschließenden Abschnitt versucht der Autor zu zeigen, wie der Alltag der zahllosen Agitatoren aussah, die ein totalitäres System beschäftigte. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass der NS primär Gruppen von Menschen angesprochen habe, während im Kommunismus die Überzeugungsarbeit am Einzelnen wichtiger gewesen sei. Ein flüchtiger Blick auf die Obsession kommunistischer Diktaturen mit Massenfesten und Mobilisierungskampagnen lässt diese These Bytwerks jedoch fragwürdig erscheinen.

Das anschließende Kapitel über Medienpolitik enthält eine Fallstudie zur Darstellung der deutschen Niederlage in der Schlacht von Stalingrad und zur sprachlichen Verwandlung der Berliner Mauer in einen „antifaschistischen Schutzwall“. Dabei kann der Verfasser zeigen, dass beide Regime Probleme mit der Vermittlung negativer Nachrichten hatten und dementsprechend auch mit ihren Journalisten haderten. Schließlich werden die Gehversuche der deutschen Diktaturen in der Satire unter die Lupe genommen. Dabei vertritt der Verfasser die These, dass der NS-Staat in seinen Satiren noch weniger Kritik duldete als das SED-Regime. In den abschließenden beiden Kapiteln widmet sich der Verfasser den Aporien zwischen privater und öffentlicher Existenz in der Diktatur. Dabei vertritt er die These, dass es ihrer Propaganda gelungen sei, den Deutschen langsam das Rückrat zu verbiegen. Zugleich beendet der Autor sein Buch jedoch mit der Aussage, die politische Werbung des Nazi-Regimes und der DDR sei gescheitert. Er gibt sich mit der Erklärung zufrieden, Propaganda sei nicht erfolgreich, weil sie „unwahr“ sei und „Heuchelei“ begünstige (S. 160). Schließlich beginne „das Böse“ dort, wo der einfache Dialog ende (S. 167). Letztlich kommt der Verfasser in seinen Erklärungsversuchen über ein moralisches Verdikt nicht hinaus. Schlimmer als lügende Zeitungen ist nach seiner Ansicht eine Propaganda, die das Böse gut und das Gute schlecht nannte (S. 168).

Randall Bytwerks Studie veranschaulicht, wie schwierig es sein kann, einen systematischen Diktaturvergleich durchzuführen. Doch nicht allein diese methodischen Unschärfen mindern ihren Wert. Der Autor analysiert die NS-Gesellschaft und die DDR weitgehend außerhalb ihres historischen Kontextes. So spielen weder die politische Kultur der Weimarer Republik und des Kaiserreiches eine Rolle, noch die Vorbildgesellschaften des faschistischen Italiens und der UdSSR. Die Unterschiede zwischen der Propaganda des Dritten Reiches und der DDR bleiben insgesamt unterbelichtet, die Frage nach ihren Wirkungen und den Wechselwirkungen zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Propaganda unbeantwortet. Für das nationalsozialistische Deutschland wird die Radikalisierung durch den Zweiten Weltkrieg ebenso wenig beachtet wie für die DDR der Wandel durch die Entstalinisierung beleuchtet wird. Plakative Urteile und pauschale Verdammung, wie sie der Autor bevorzugt, helfen nicht dabei weiter, die Spezifika deutscher Propagandastaaten zu benennen und das besondere Gewicht der Propaganda in den jeweiligen Systemen zu taxieren. Der Autor entdeckt zahllose Ähnlichkeiten, weil er nach Unterschieden in der Sprache, den Mobilisierungsformen und der Durchherrschung des öffentlichen Raumes kaum fragt. Aufgrund dieser Defizite verliert die Studie den Anschluss an eine Geschichte der politischen Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert. Das überstrapazierte Konzept der politischen Religion vermag die methodischen Leerstellen nicht auszufüllen: Es verstärkt vielmehr den Eindruck, dass „Bending Spines“ den Ansprüchen eines kulturhistorisch fundierten Diktaturenvergleichs nicht gerecht wird.

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