R. Galenza u.a. (Hrsg.): Wir wollen immer artig sein ...

Titel
Wir wollen immer artig sein .... Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990


Herausgeber
Galenza, Ronald; Havemeister, Heinz
Anzahl Seiten
789 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rebecca Menzel, Berlin

Ronald Galenza und Heinz Havemeister legten bereits 1999 diesen umfangreichen Essay-Band zu Subkulturen der DDR in den 1980er-Jahren vor, der schnell vergriffen war. Nach sieben Jahren und zum Teil euphorischen Kritiken haben sich der Verlag und die Herausgeber entschieden, das Buch als billigere Paperback-Ausgabe und in erweiterter Form neu aufzulegen. Vor allem die (Selbst)-Enttarnungen einiger wichtiger Protagonisten der DDR-Subkulturszene als Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit schienen eine Revision der Einschätzungen und das Füllen einiger gravierender thematischer Lücken nötig zu machen. Darüber hinaus haben Filme über die Punk-Szene in der DDR wie „Wie Feuer und Flamme“ (Regie: Connie Walther) von 2002 und die gut besuchte Ausstellung „ostPUNK! – too much future. Punk in der DDR 1979-1989“ letztes Jahr im Salon Ost Berlin das Thema auch in der allgemeinen Öffentlichkeit populärer gemacht. Eine wissenschaftliche Monografie, die das Thema „Punk in der DDR“ ohne einschränkende regionalspezifische Ausrichtung behandelt, steht bisher ebenfalls noch aus.

Seit Frühjahr 2006 liegt nun die Neuauflage vor, neben vielen neuen Fotografien erweitert um Nachträge einiger Autoren und mit neuen Beiträgen zu den Punk-Konzerten in der Erlöser-Kirche, Punk-Fanzines, den Berührungspunkten zwischen Punk und Kunst sowie zur Skinhead-Bewegung. Drei weitere Aufsätze ergänzen das bisher stark auf die urbanen Zentren, vor allem Ost-Berlin, konzentrierte Bild um regionale Perspektiven aus Magdeburg, Halle, Eisleben und Dessau sowie das Dorf Lugau bei Cottbus in dem es zwei Fans der alternativen Musikszene gelang, in der Position des örtlichen FDJ-Klubleiters Konzerte mit alternativen Bands zu organisieren. Gerade auf dem Land wurden stilistische Abgrenzungen aufgrund des mangelhaften Angebots nicht so ernst genommen. Wichtiger war hier das Zusammengehörigkeitsgefühl gegen eine als verordnet empfundene Jugendpolitik.

Trotz Verweise auf die vielfältigen Stile der so genannten „anderen Bands“ (der Begriff geht auf die erste Amiga-LP unter dem Titel „ Kleeblatt Nr. 23 – die anderen bands“ von 1988 zurück) liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen eindeutig auf Punk, der als neue Musikströmung mit einem vollkommen neuen kollektiven Stil die bisher auf Rock und Blues ausgerichtete globale Popkultur revolutionierte. Ab Mitte der 1970er-Jahre in England und fast zeitgleich in der Bundesrepublik populär geworden, erreichte der Punk die DDR um 1980. Westliche Kanäle waren entscheidende Mittler, und die fortgeschrittene Ausstattung mit Kassettenrekordern trug maßgeblich zur Verbreitung der Musik bei. Erstmals war es möglich, über unabhängige und kaum kontrollierbare Vertriebsstrukturen Musik weiterzugeben. Punks verzichteten anders als staatlich anerkannte Pop- und Rockgruppen auf verschlüsselte Botschaften und schrien ihre Kritik am „real existierenden Sozialismus“ offen heraus. Die staatlichen Autoritäten sahen sich wie nie zuvor von den anarchistischen Ideen und dem (selbst-) zerstörerischen Habitus der Punks provoziert. MfS-Chef Erich Mielke ließ 1983 eine Reihe von Punks zu Gefängnisstrafen verurteilen, was die Szene aber nur vorübergehend schwächte. Engagierte Kirchenleute sahen die Punks als soziales Problem und halfen den von Anzeigen und Verhaftungen betroffenen. Sie boten den ausgegrenzten Jugendlichen in ihren geschützten Räumen Treffpunkte und trugen so mit dazu bei, dass sich andere oppositionelle Gruppen wie Friedens- und Umweltbewegte, die sich im kirchlichen Rahmen engagierten, mit den Punks solidarisierten und ihren Stil zum Teil übernahmen. Die Szene wurde immer größer. Die SED ging ab Mitte der 1980er-Jahre zu einer neuen toleranteren Politik der gezielten Förderung über, die mit einer verstärkten Überwachung durch IMs innerhalb der Szene einherging. Einstufungen und Spielerlaubnisse, die bei Fehlverhalten allerdings auch kurzfristig wieder eingezogen wurden und stark von regionalen Autoritäten abhingen, waren für Punk-Bands Ende der 1980er-Jahre keine Seltenheit mehr. In der Sendung „Parocktikum“, die ab 1986 wöchentlich auf dem Jungendsender DT 64 lief, wurden eingeschickte Eigenproduktionen abgespielt, die oftmals erst nachträglich zensiert wurden. Als Höhepunkt dieser zunehmend paradoxen Politik kann der Auftritt der Punk-Band „die anderen“ im Januar 1989 im Palast der Republik gelten.

Die Herausgeber und Autoren des Bandes waren allesamt Akteure oder zumindest aufmerksame Beobachter der alternativen Musik-Szene, die genug hatten von privilegierten Ost-Rockern wie Puhdys und Karat und sich zugleich von den „Hesse-Kafka-Peace-und-Weltschmerz-Freaks“ (Jasper-André Friedrich und Ray Schneider) der 1970er-Jahre abgrenzen wollten. Die Perspektive der Betroffenen lässt die historischen Ereignisse authentisch wirken: Die Bedrohung durch die Staatsorgane und das Risiko, sozial ausgegrenzt zu werden, wenn man sich mit Haut und Haar dem Punk-Dasein verschrieb, ist glaubwürdig geschildert. Wiederholungen sind dabei sicherlich unerlässlich, hätten aber durch ein strengeres Lektorat minimiert werden können. Ständig wiederkehrende Verweise auf zuvor mehrmals erwähnte und deshalb bekannte Ereignisse trüben die Lesefreude sehr. Diese Platzverschwendung stimmt umso ärgerlicher, bleiben doch andere entscheidende Fragen wie beispielsweise diejenige nach den Gründen für den staatlichen Umschwung zu partieller Tolerierung der Punk-Bewegung unbeantwortet. Intergenerationelle und familiäre Konflikte, die den Alltag vieler Punks prägten und Aufschluss über Motivation und Durchhaltevermögen geben könnten, werden meist nur angedeutet. Einzelnen Autoren wie Klaus Michael, der als promovierter Germanist, Mitherausgeber einer Samisdat-Zeitschrift und Sachbuch-Autor schon zu DDR-Zeiten eine eher intellektuell-distanzierte Stellung zur Szene einnahm, gelingt es, schlüssige Paradigmen des Punk herauszuarbeiten und damit Hinweise darauf zu liefern, warum sich die sozialistische Staatsmacht dermaßen provoziert sah.

Etwas ungeschickt erscheint die Entscheidung, Christoph Tannerts rhetorisch schwergewichtigen Text an den Anfang des Bandes zu stellen. Der Kunstkritiker entwickelt seine Einordnung der „alternativen Subströmungen“ der 1980er-Jahre ex negativo, indem er sich von der Definition der Journalisten Christian Petzold und Claudia Kaiser, die 1997 die Ausstellung „Bohème und Diktatur in der DDR“ im Deutschen Historischen Museum einrichteten, abgrenzt. Tannerts Kritik an den Ausstellungsmachern, die „die jeweiligen Subversionskonzepte über einen einzigen Leisten [des intellektuellen Bohèmiens] ziehen“ (S. 23) ist berechtigt. Allerdings wirkt die drastische Formulierung insofern deplaziert, als auch der im Verlauf des Bandes etablierte Begriff des Punk andere Formen subversiven Verhaltens mit eingemeindet, die damit eigentlich nicht (mehr) zu fassen sind. Die Skepsis, ob eine Einordnung, die vornehmlich auf eine negative Abgrenzung von einer anderen Definition des Phänomens rekurriert, glaubwürdiger ist als diese selbst, bleibt also.

Angesichts der Fülle von Anekdoten und Teil-Informationen, die der Band liefert, werden die Leser/innen gezwungen, sich sein eigenes Gesamtbild zu machen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Punk wegen seines enormen Provokationspotentials nur von einer kleinen, wenn auch im Laufe der 1980er-Jahre wachsenden Minderheit favorisiert wurde. Punk war eben nur eine von vielen Möglichkeiten, sich in den 1980er-Jahren in der DDR popkulturell zu positionieren. Ganz ähnlich wie vorher die Hippie-Bewegung der 1970er-Jahre, war auch der Punk in der DDR im Begriff, sich zwischen staatlicher Repression, Stasi-gestützter
(Binnen-)Kontrolle und Toleranz einerseits, gelebtem Eigensinn und der Suche nach etwas Neuem andererseits auszudifferenzieren. Die Verflüchtigung der „anderen bands“ der 1980er-Jahre in viele konkurrierende Szenen war in vollem Gange und wurde lediglich vom Mauerfall gestoppt, was viele Akteure von damals dazu verführte, an ihrer vermeintlich unkorrumpierten subversiven Überzeugung festzuhalten

Der Band bietet sich als lesenswerte Sammlung von Essays mit vielen wichtigen Detailinformationen und als ergiebige Quellensammlung an. Wer Orientierung sucht, sollte die Lektüre der einschlägigen Literatur über die DDR-Jugend- und Subkulturen vorziehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. 1

1 Vgl. z. B.: Michael Rauhut, Rock in der DDR 1964-1990, Bonn 2002.

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