A. Klärner u.a. (Hrsg.): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland

Cover
Titel
Moderner Rechtsextremismus in Deutschland.


Herausgeber
Klärner, Andreas; Kohlstruck, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reiner Becker, Graduiertenkolleg Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Philipps-Universität Marburg

Warum vom „modernen“ Rechtsextremismus sprechen? Andreas Klärner und Michael Kohlstruck haben einen Sammelband vorgelegt, dessen Beiträge dieser Frage nachgehen. Der Begriff des „modernen Rechtsextremismus“ wird von den Herausgebern in zwei Perspektiven verwendet: Zum einen könne Rechtsextremismus nicht als ein feststehender Gegenstand begriffen werden, denn „was als Rechtsextremismus gilt, unterliegt gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen“ (S. 14). Zum anderen stellen Klärner und Kohlstruck verschiedene Modernisierungsprozesse in der Ideologie und in den Organisationsformen der extremen Rechten in Deutschland fest, insbesondere seit Beginn der 1990er-JahrWarum vom „modernen“ Rechtsextremismus sprechen? Andreas Klärner und Michael Kohlstruck haben einen Sammelband vorgelegt, dessen Beiträge dieser Frage nachgehen. Der Begriff des „modernen Rechtsextremismus“ wird von den Herausgebern in zwei Perspektiven verwendet: Zum einen könne Rechtsextremismus nicht als ein feststehender Gegenstand begriffen werden, denn „was als Rechtsextremismus gilt, unterliegt gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskursen und Kräfteverhältnissen“ (S. 14). Zum anderen stellen Klärner und Kohlstruck verschiedene Modernisierungsprozesse in der Ideologie und in den Organisationsformen der extremen Rechten in Deutschland fest, insbesondere seit Beginn der 1990er-Jahre. So seien hierarchisch organisierte Parteien und paramilitärisch strukturierte Jugendorganisationen durch bewegungsförmige und informelle Zusammenschlüsse ergänzt worden (z.B. so genannte „Aktionsbüros“ als Schnittstelle von kleineren „freien Kameradschaften“). Die rechtsextreme Szene lasse daher immer mehr einen netzwerkartigen Charakter erkennen.

Auf der Ebene der Aktionsformen habe sich das Agitationsrepertoire stark erweitert, etwa durch eine originäre „Demonstrationspolitik“ zur Sicherung des szeneinternen Zusammenhalts einerseits und der Zurschaustellung des eigenen Machtanspruchs nach außen andererseits. Im Kampf gegen das „verhasste System“ nutzten die Akteure des rechtsextremen Spektrums die Grundrechte in eben diesem System – wie das Demonstrationsrecht. Das Konzept der „national befreiten Zone“ sei eine weitere Ergänzung im Repertoire neuerer Aktionsformen. Schließlich lasse sich eine Modernisierung rechtsextremer Ideologien feststellen. So werde beispielsweise die Idee eines dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Kommunismus propagiert; dabei suchten einige Gruppen der extremen Rechten den Schulterschluss mit der Anti-Globalisierungsbewegung. Weiterhin habe ein Wechsel vom biologischen Rassismus hin zu einem kulturellen Rassismus stattgefunden (unter dem Etikett des „Ethnopluralismus“).

Als theoretischen Rahmen zur Untersuchung von solchen Modernisierungsprozessen verwenden Klärner und Kohlstruck das Konzept der sozialen Bewegung. Die Kriterien, um ein heterogenes Phänomen wie den Rechtsextremismus als soziale Bewegung zu analysieren, hat Dieter Rucht wie folgt spezifiziert1: Akteure der extremen Rechte streben einen grundsätzlichen sozialen Wandel an; als Ensemble von Gruppen und Organisationen stehen die einzelnen Elemente einer sozialen Bewegung von rechts nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern bilden netzwerkartige Strukturen; und schließlich verfügen viele rechtsextreme Organisationen über variable Aktionsformen.

Der Sammelband gliedert sich in drei Teile. Die Beiträge des ersten Teils („Bewegung und Gegenbewegung“) beschäftigen sich mit dem Phänomen Rechtsextremismus aus der Perspektive der Bewegungsforschung. Jana Klemm, Rainer Strobl und Stefanie Würtz untersuchen die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die rechtsextreme Bewegung. Anhand der Erfahrungen von zwei ostdeutschen Kleinstädten im Umgang mit Rechtsextremismus zeigen sie, welche Rolle eine klare Problemdefinition einerseits und die lokale politische Kultur andererseits spielen, um Handlungsmöglichkeiten gegen rechtsextremistische Aktivitäten zu formulieren und umzusetzen.

Andreas Klärner untersucht in seinem Aufsatz am Beispiel einer ostdeutschen Mittelstadt die Herausbildung und Entwicklung der rechtsextremen Szene in den späten 1980er- und den 1990er-Jahren. Er skizziert die Erweiterung der Aktionsformen der rechtsextremen Szene vor Ort: weg von der Dominanz von Gewalttaten hin zu zivilen Protestformen als einer „taktischen Zivilisierung des Rechtsextremismus“ (S. 64) und letztlich auch als einer Reaktion auf zivilgesellschaftliche Gegenmobilisierung.

Die „Demonstrationspolitik“ der extremen Rechten untersucht Fabian Virchow. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Anzahl rechtsextremer Demonstrationen deutlich erhöht; Demonstrationen finden nun bundesweit und fast wöchentlich statt. Sie stellen somit inzwischen eine der wichtigsten Aktionsformen der rechtsextremen Szene dar. Detailliert gibt dieser Beitrag Auskunft über die Anzahl „brauner Aufmärsche“, ihre jeweiligen Themen sowie ihre Intentionen „nach innen und nach außen“. In einem weiteren Beitrag untersucht Henning Flad die Entwicklung der Untergrundökonomie der rechten Szene, insbesondere die Verbreitung rechtsextremer Musik unter Jugendlichen. Die Struktur und Entwicklung des braunen Vertriebsnetzes sei von besonderem Interesse, da rechtsextreme Musik heute „das wichtigste Mittel von Rechtsextremen zur Verbreitung ihres Gedankengutes innerhalb der Jugendszene“ seien (S. 102).

Der zweite Teil des Bandes widmet sich „Strategien, Akteuren und Parteien“ der extremen Rechten. Am Beispiel der „Republikaner“ im Bundesland Baden-Württemberg stellt Sonja Kock in ihrem Beitrag eine Partei vor, die sich programmatisch und personell im „Graubereich“ zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus bewege. Nicht ökonomische Krisen allein erklärten die zurückliegenden Erfolge der Partei, sondern auch die lokal dominierenden Milieus und die politische Kultur.

Das Konzept der so genannten „national befreiten Zonen“ als wichtige Strategievariante der extremen Rechten vor allem in Ostdeutschland steht im Mittelpunkt des Textes von Uta Döring. Die Wirkungsmacht dieses Begriffes sei nicht allein aus den szene-internen Strategiediskussionen und den Anwendungsversuchen entstanden, sondern vor allem durch die Rezeption in den Medien.

Rainer Erb untersucht am Beispiel des bekannten Neonazis Christian Worch den Typus des „Bewegungsunternehmers“. Als „kreative Führer“ einer Bewegung interpretierten die braunen Bewegungsunternehmer kollektive Unzufriedenheiten und seien in der Lage, diese zu bündeln und zu mobilisieren. Gerade das Beispiel Worchs zeige, wie dieser als „Dienstleister für die Organisation von Protest, Spaß und Freizeit-Abenteuern“ fungiere (S. 151) und dabei eine wichtige Position im Spektrum der freien Kameradschaften einnehme.

Im dritten Teil des Bandes („Szenezugang, Selbst- und Rollenbilder“) wird Rechtsextremismus auf der soziologischen Mikro- und Mesoebene betrachtet. Christine Wiezorek untersucht mit einem biografieanalytischen Ansatz den Werdegang eines verurteilten fremdenfeindlichen Gewalttäters. Im Fokus steht die Rekonstruktion der identitätsstiftenden Funktion von gewaltförmigen Handlungsmustern und fremdenfeindlicher Ideologie. Michaela Köttig erweitert die biografische Perspektive um die Betonung der Thematisierung oder Nichtthematisierung der Familienvergangenheit im Nationalsozialismus. Ihr Blick gilt der Entwicklung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen.

Oliver Geden betrachtet die Männlichkeitskonstruktionen in der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ). Die rechtsextreme Szene besitze in Anbetracht der „Krise des Mannes“ in spätmodernen Industriegesellschaften eine hohe Anziehungskraft, weil sie die Verunsicherung der Männer aufgreife und „in ihren politischen Projekten und kulturellen Leitbildern ein die Geschlechterdifferenz deutlich betonendes Deutungsmuster“ anbiete (S. 299). Michael Kohlstruck und Anna Verena Münch analysieren schließlich am Beispiel eines überregional bekannt gewordenen Gewaltverbrechens das Phänomen rechter Jugendgewalt. Hier gilt der Blick der vermittelnden Ebene der rechten Jugendkultur und der Glorifizierung von Gewalt und Alkohol in der „hypermaskulinen Szene“ der jugendlichen Täter.

Die Vielfalt der Beiträge und ihre unterschiedlichen Perspektiven lösen den Anspruch der Herausgeber ein, der Heterogenität des Phänomens Rechtsextremismus gerecht zu werden. Dabei wird ein großes Methodenspektrum der empirischen Sozialforschung angewandt (z.B. qualitative Einzelinterviews und Gruppendiskussionen, Diskursanalyse, ethnografische Ansätze, Sekundäranalyse quantitativer Daten). Insbesondere die in diesem Band untersuchten neuen Aktions- und Organisationsformen der extremen Rechte in Deutschland fanden bisher in der sozialwissenschaftlichen Debatte zu wenig Beachtung. Dabei zeigt sich auch die Stärke der Theorien aus der Bewegungsforschung: In der Untersuchung des Rechtsextremismus ist nicht allein die Genese rechtsextremistischer Einstellungen relevant; die daraus resultierenden Handlungslogiken und -praktiken sind ebenso von Interesse.

Kritisch anzumerken ist die zum Teil sehr einseitige Betonung der neuen netzwerkartigen Strukturen und Organisationen der extremen Rechten. Klärners These, dass auf Ebene der Organisationsformen hierarchisch strukturierte Parteien und Vereine durch die neuen Strukturen ergänzt und in ihrer Bedeutung gar abgelöst würden (S. 45), überzeugt letztlich nicht. Gerade das Beispiel der NPD zeigt, wie auch Parteien sich Teilen des neuen rechtsextremen Netzwerkes öffnen und sich ihrer Ressourcen bedienen können. Außerdem bieten gerade Parteien den kleineren Organisationen die Möglichkeit, Demonstrationen anzumelden oder nach Verbotsmaßnahmen ihre politischen Aktivitäten fortzusetzen – jüngst geschehen nach dem Verbot der „Kameradschaft Westerwald“. Trotzdem: Der Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtsextremismusforschung; er bietet inhaltlich und methodisch auch der Zeitgeschichtsforschung viele Anregungen.

Anmerkung:
1 Rucht, Dieter, Rechtsradikalismus aus der Perspektive der Bewegungsforschung, in: Grumke, Thomas; Wagner, Bernd (Hgg.), Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen – Netzwerke von Neonazis bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen 2002, S. 75-86.
e. So seien hierarchisch organisierte Parteien und paramilitärisch strukturierte Jugendorganisationen durch bewegungsförmige und informelle Zusammenschlüsse ergänzt worden (z.B. so genannte „Aktionsbüros“ als Schnittstelle von kleineren „freien Kameradschaften“). Die rechtsextreme Szene lasse daher immer mehr einen netzwerkartigen Charakter erkennen.

Auf der Ebene der Aktionsformen habe sich das Agitationsrepertoire stark erweitert, etwa durch eine originäre „Demonstrationspolitik“ zur Sicherung des szeneinternen Zusammenhalts einerseits und der Zurschaustellung des eigenen Machtanspruchs nach außen andererseits. Im Kampf gegen das „verhasste System“ nutzten die Akteure des rechtsextremen Spektrums die Grundrechte in eben diesem System – wie das Demonstrationsrecht. Das Konzept der „national befreiten Zone“ sei eine weitere Ergänzung im Repertoire neuerer Aktionsformen. Schließlich lasse sich eine Modernisierung rechtsextremer Ideologien feststellen. So werde beispielsweise die Idee eines dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Kommunismus propagiert; dabei suchten einige Gruppen der extremen Rechten den Schulterschluss mit der Anti-Globalisierungsbewegung. Weiterhin habe ein Wechsel vom biologischen Rassismus hin zu einem kulturellen Rassismus stattgefunden (unter dem Etikett des „Ethnopluralismus“).

Als theoretischen Rahmen zur Untersuchung von solchen Modernisierungsprozessen verwenden Klärner und Kohlstruck das Konzept der sozialen Bewegung. Die Kriterien, um ein heterogenes Phänomen wie den Rechtsextremismus als soziale Bewegung zu analysieren, hat Dieter Rucht wie folgt spezifiziert1: Akteure der extremen Rechte streben einen grundsätzlichen sozialen Wandel an; als Ensemble von Gruppen und Organisationen stehen die einzelnen Elemente einer sozialen Bewegung von rechts nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern bilden netzwerkartige Strukturen; und schließlich verfügen viele rechtsextreme Organisationen über variable Aktionsformen.

Der Sammelband gliedert sich in drei Teile. Die Beiträge des ersten Teils („Bewegung und Gegenbewegung“) beschäftigen sich mit dem Phänomen Rechtsextremismus aus der Perspektive der Bewegungsforschung. Jana Klemm, Rainer Strobl und Stefanie Würtz untersuchen die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die rechtsextreme Bewegung. Anhand der Erfahrungen von zwei ostdeutschen Kleinstädten im Umgang mit Rechtsextremismus zeigen sie, welche Rolle eine klare Problemdefinition einerseits und die lokale politische Kultur andererseits spielen, um Handlungsmöglichkeiten gegen rechtsextremistische Aktivitäten zu formulieren und umzusetzen.

Andreas Klärner untersucht in seinem Aufsatz am Beispiel einer ostdeutschen Mittelstadt die Herausbildung und Entwicklung der rechtsextremen Szene in den späten 1980er- und den 1990er-Jahren. Er skizziert die Erweiterung der Aktionsformen der rechtsextremen Szene vor Ort: weg von der Dominanz von Gewalttaten hin zu zivilen Protestformen als einer „taktischen Zivilisierung des Rechtsextremismus“ (S. 64) und letztlich auch als einer Reaktion auf zivilgesellschaftliche Gegenmobilisierung.

Die „Demonstrationspolitik“ der extremen Rechten untersucht Fabian Virchow. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Anzahl rechtsextremer Demonstrationen deutlich erhöht; Demonstrationen finden nun bundesweit und fast wöchentlich statt. Sie stellen somit inzwischen eine der wichtigsten Aktionsformen der rechtsextremen Szene dar. Detailliert gibt dieser Beitrag Auskunft über die Anzahl „brauner Aufmärsche“, ihre jeweiligen Themen sowie ihre Intentionen „nach innen und nach außen“. In einem weiteren Beitrag untersucht Henning Flad die Entwicklung der Untergrundökonomie der rechten Szene, insbesondere die Verbreitung rechtsextremer Musik unter Jugendlichen. Die Struktur und Entwicklung des braunen Vertriebsnetzes sei von besonderem Interesse, da rechtsextreme Musik heute „das wichtigste Mittel von Rechtsextremen zur Verbreitung ihres Gedankengutes innerhalb der Jugendszene“ seien (S. 102).

Der zweite Teil des Bandes widmet sich „Strategien, Akteuren und Parteien“ der extremen Rechten. Am Beispiel der „Republikaner“ im Bundesland Baden-Württemberg stellt Sonja Kock in ihrem Beitrag eine Partei vor, die sich programmatisch und personell im „Graubereich“ zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus bewege. Nicht ökonomische Krisen allein erklärten die zurückliegenden Erfolge der Partei, sondern auch die lokal dominierenden Milieus und die politische Kultur.

Das Konzept der so genannten „national befreiten Zonen“ als wichtige Strategievariante der extremen Rechten vor allem in Ostdeutschland steht im Mittelpunkt des Textes von Uta Döring. Die Wirkungsmacht dieses Begriffes sei nicht allein aus den szene-internen Strategiediskussionen und den Anwendungsversuchen entstanden, sondern vor allem durch die Rezeption in den Medien.

Rainer Erb untersucht am Beispiel des bekannten Neonazis Christian Worch den Typus des „Bewegungsunternehmers“. Als „kreative Führer“ einer Bewegung interpretierten die braunen Bewegungsunternehmer kollektive Unzufriedenheiten und seien in der Lage, diese zu bündeln und zu mobilisieren. Gerade das Beispiel Worchs zeige, wie dieser als „Dienstleister für die Organisation von Protest, Spaß und Freizeit-Abenteuern“ fungiere (S. 151) und dabei eine wichtige Position im Spektrum der freien Kameradschaften einnehme.

Im dritten Teil des Bandes („Szenezugang, Selbst- und Rollenbilder“) wird Rechtsextremismus auf der soziologischen Mikro- und Mesoebene betrachtet. Christine Wiezorek untersucht mit einem biografieanalytischen Ansatz den Werdegang eines verurteilten fremdenfeindlichen Gewalttäters. Im Fokus steht die Rekonstruktion der identitätsstiftenden Funktion von gewaltförmigen Handlungsmustern und fremdenfeindlicher Ideologie. Michaela Köttig erweitert die biografische Perspektive um die Betonung der Thematisierung oder Nichtthematisierung der Familienvergangenheit im Nationalsozialismus. Ihr Blick gilt der Entwicklung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen.

Oliver Geden betrachtet die Männlichkeitskonstruktionen in der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ). Die rechtsextreme Szene besitze in Anbetracht der „Krise des Mannes“ in spätmodernen Industriegesellschaften eine hohe Anziehungskraft, weil sie die Verunsicherung der Männer aufgreife und „in ihren politischen Projekten und kulturellen Leitbildern ein die Geschlechterdifferenz deutlich betonendes Deutungsmuster“ anbiete (S. 299). Michael Kohlstruck und Anna Verena Münch analysieren schließlich am Beispiel eines überregional bekannt gewordenen Gewaltverbrechens das Phänomen rechter Jugendgewalt. Hier gilt der Blick der vermittelnden Ebene der rechten Jugendkultur und der Glorifizierung von Gewalt und Alkohol in der „hypermaskulinen Szene“ der jugendlichen Täter.

Die Vielfalt der Beiträge und ihre unterschiedlichen Perspektiven lösen den Anspruch der Herausgeber ein, der Heterogenität des Phänomens Rechtsextremismus gerechtzuwerden. Dabei wird ein großes Methodenspektrum der empirischen Sozialforschung angewandt (z.B. qualitative Einzelinterviews und Gruppendiskussionen, Diskursanalyse, ethnografische Ansätze, Sekundäranalyse quantitativer Daten). Insbesondere die in diesem Band untersuchten neuen Aktions- und Organisationsformen der extremen Rechte in Deutschland fanden bisher in der sozialwissenschaftlichen Debatte zu wenig Beachtung. Dabei zeigt sich auch die Stärke der Theorien aus der Bewegungsforschung: In der Untersuchung des Rechtsextremismus ist nicht allein die Genese rechtsextremistischer Einstellungen relevant; die daraus resultierenden Handlungslogiken und -praktiken sind ebenso von Interesse.

Kritisch anzumerken ist die zum Teil sehr einseitige Betonung der neuen netzwerkartigen Strukturen und Organisationen der extremen Rechten. Klärners These, dass auf Ebene der Organisationsformen hierarchisch strukturierte Parteien und Vereine durch die neuen Strukturen ergänzt und in ihrer Bedeutung gar abgelöst würden (S. 45), überzeugt letztlich nicht. Gerade das Beispiel der NPD zeigt, wie auch Parteien sich Teilen des neuen rechtsextremen Netzwerkes öffnen und sich ihrer Ressourcen bedienen können. Außerdem bieten gerade Parteien den kleineren Organisationen die Möglichkeit, Demonstrationen anzumelden oder nach Verbotsmaßnahmen ihre politischen Aktivitäten fortzusetzen – jüngst geschehen nach dem Verbot der „Kameradschaft Westerwald“. Trotzdem: Der Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtsextremismusforschung; er bietet inhaltlich und methodisch auch der Zeitgeschichtsforschung viele Anregungen.

Anmerkung:
1 Rucht, Dieter, Rechtsradikalismus aus der Perspektive der Bewegungsforschung, in: Grumke, Thomas; Wagner, Bernd (Hgg.), Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen – Netzwerke von Neonazis bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen 2002, S. 75-86.

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